Vor dem OP-Saal angekommen, stehen ganz hinten, tatsächlich zwei Männer in Anzügen mit kaltem Blick. Was soll das denn jetzt? Stehen die wegen mir hier? Mit schnellen Schritten renne ich zu den beiden und bleibe unmittelbar vor denen stehen. ,,Was wollt ihr hier?" frage ich wütend, aber versuche ruhig zu bleiben. Erst antwortet mir keiner von den beiden, aber der Typ links von mir, fängt dann an zu reden.
,,Boss hat uns beauftragt." sagt er und guckt mir nicht in die Augen. Das ist doch der gleiche Typ, der vor dieser verlassenen Firma mich an dem Arm gepackt und mir stur in die Augen geschaut hat. Aber jetzt? Jetzt guckt er nicht mal in meine Richtung. Ich verstehe es einfach nicht. ,,Warum?" Warum macht er sowas? Diesmal antwortet mir der andere Typ. Dieser guckt mich auch nicht an und blickt stur die Wand an. ,,Falls Sie vorhaben, Abzuhauen. Wir passen auf Sie auf."

Verzweifelt lache ich auf und fahre mit meinen Händen durch mein Gesicht. Das mache ich noch paar mal, bis mir auffällt, dass ich höchstwahrscheinlich absofort, so leben werde. Jede Sekunde, Minute und Stunde, wird jemand aufpassen, dass ich nicht abhaue. Ich kann es nicht glauben. Niemals! Nur weil ich jetzt seine Frau werde, heißt es nicht, dass ich einen Babysitter haben werde! ,,Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst! Verpisst euch!" befehle ich und versuche Blickkontakt mit einem von den beiden herzustellen. Aber keiner guckt mir in die Augen! Sie bewegen sich kein Stück, gucken mich nicht an und sagen nichts mehr. Tief einatmend drehe ich mich um, nur um in die Gesichter von meinen Brüdern zu  gucken, die mich bereits beobachten. Ich setzte mich zwischen Muso und Halil, lege meinen Kopf in den Nacken und schliesse meine Augen.

Ich hab keine Kraft mehr. Ich fühle mich so erschöpft und verzweifelt. Als ich das Gefühl habe, gleich einzuschlafen, öffne ich meine Augen, aber gucke auf meine verschränkten Hände, die auf meinem Oberschenkel liegen. ,,Wart ihr nicht arbeiten?" frage ich, an Muso und Halil gerichtet, ohne meinen Blick zu heben. ,,Waren wir. Muso und ich sind noch Einkaufen gegangen. Bolat ist aber nach Hause gegangen, er meinte, er wäre zu müde um mitzukommen. Als wir gemerkt haben, dass wir kein Geld bei uns haben, sind wir auch nach Hause gegangen..." antwortet er Halil ruhig. ,,Das Haus hatte schon angefangen zu brennen. Überall war Feuer. Wir wollten schnell rein, weil wir Bolat nirgendswo gesehen haben, aber diese ganzen scheiss Männer haben uns aufgehalten. Nach paar Minuten ist erst Hakan Abi gekommen und danach du Abla." erzählt Muso mit weinerlicher und trauriger Stimme weiter. Ich gucke nach rechts und sehe wie er, mit seinen verweinten Augen, zu mir guckt. Ohne zu zögern nehme ich ihn in meine Arme und küsse seinen Kopf. Ich höre, wie er an meiner Brust, schluchzt und mich fester umarmt. ,,Shh." flüster ich in sein Ohr. Ich werde hier auch gleich weinen, wenn er nicht aufhört. Ich will es aber nicht. Ich will nicht vor meinen Brüdern weinen. Ich bin doch diejenige, die für sie stark sein muss.

Es vergehen paar Minuten, in der niemanden was sagt und jeder in seinen eigenen Gedanken ist. Halil hat seinen Kopf an meiner Schulter abgelegt und ist, genauso wie Muso der seinen Kopf auf meinem Oberschenkel abgelegt hat, eingeschlafen. Ich gucke auf meine Armbanduhr und sehe, dass es null Uhr ist. Kein Wunder, dass sie jetzt schon schlafen. Normalerweise wären wir alle schon um
22 Uhr schlafen gegangen. Ich gucke zu Hakan, der krampfhaft versucht seine Augen offen zu halten. Noch nie habe ich ihn so müde gesehen. Genau wie ich, hat er den ganzen Tag gearbeitet. Von Suat will ich gar nicht erst anfangen. Er schläft schon seit wir hier sind. Was macht er eigentlich hier?

,,Frau Yanmaz?" höre ich plötzlich eine weibliche Stimme fragen. Ich drehe meinen Kopf dahin und sehe die Ärztin von vorhin. ,,Ja?" Sofort bin ich hellhörig. ,,Da Sie das Geld überwiesen haben, haben wir schnell angefangen Bolat's Verletzungen zu verarzten, als er aufgewacht ist-" ,,Er ist wach?" frage ich schnell und unabsichtlich laut. Sie nickt mit einem kleinen Lächeln im Gesicht. ,,Wir haben gehofft, dass er es aushält, wenn wir seine Haut veratzen, aber leider war dies nicht der Fall. Also haben wie ihm eine Betäubungsspritze gegeben, damit wir es machen konnten. Jetzt schläft er und wird es wahrscheinlich auch die ganze Nacht machen. Wenn er aufwacht, werde ich mit ihm und Sie, zusammen nochmal reden." Erleichtert atme ich aus. Allahim çok şükür. Alhamdullilah. Meinem Bruder geht es gut. Naja, den Umständen entsprechend. Aber trotzdem. Ihm geht es gut. Vor voller Freude, füllen sich meine Augen mit Tränen.  Ich bin so unendlich dankbar. ,,Und jetzt bitte! Bitte, lassen Sie mich ihre Hand verarzten. Tut es denn nicht weh?" Doch. Sehr. Aber ich zeige es nicht. Ich bin daran gewohnt, den Schmerz nicht zu zeigen.

Da es jetzt Bolat gut geht, stehe ich vorsichtig auf. Den Kopf von Muso lege ich auf den Sitz und Halil's Kopf lehne ich an die Wand. Hakan, der Arme, ist schon eingeschlafen. Ich folge, der Ärztin, die mich in ein Raum bringt. Ich setzte mich auf den Stuhl und warte. Als Sie sich auf den Stuhl vor mir hinsetzt, hat sie zwei Handschuhe, mehrere Verbände und zwei Cremen dabei. Als erstes zieht sie die Handschuhe an, bevor sie anfängt. Sie nimmt als erstes, die größere Creme und schmiert, sie vorsichtig drauf. Zischend ziehe ich die Luft ein, weil ich mit so einem plötzlichen Schmerz nicht gerechnet hab. ,,Wenn Sie wollen, können wir Betäubungs-" Mit gepressten Lippen schüttele ich meinen Kopf. Es tut weh, aber es ist gerade noch so auszuhalten. Sie schmiert es immer weiter, bis sie fertig ist. Ich sehe zu, wie sie diesmal die andere Creme nimmt und etwas auf ihre Hand drückt. Mit ihren zwei Finger von der anderen Hand, nimmt sie etwas und schmiert es auf meine Hand. Erschrocken weiche ich zurück. Das tut mehr weh, als die andere Creme! ,,Wenn es schmerzt, bedeutet es eigentlich etwas Gutes. Aber wenn Sie wirklich kein Betäu-" ,,Nein, danke!" unterbreche ich sie rasch. Wenn ich Nein gesagt habe, heißt es auch Nein. Die Frau macht ohne etwas zu sagen weiter. Ich balle meine gesunde Hand zu einer Faust, und beiße mit meinen Zähnen rein.

Sowas hätte ich immer gemacht, als mein Vater mich geschlagen hätte. Ich musste so vieles, wegen diesem einem Menschen ertragen. Und muss es immernoch. Er ist seit vier Jahren verwunden, aber trotzdem ist er jeden Tag in meinem Kopf. Jeden Tag frage ich mich, was er wohl gerade macht. Jeden Tag frage ich mich ob der Mensch, der mir meine Kindheit und Jungend zerstört hat, Schuldgefühle bekommen hat.


TURKISH MAFIAWhere stories live. Discover now