61 - Clara de Flocon

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„Was ist?", frage ich leise.

„Nur ein Gefühl", murmelt er und schüttelt den Kopf, „Es ist absolut unmöglich, dass sie schon im Schiff sind. Dann müssten sie sich vor dem Blackout durch die Kontrollen geschlichen haben."

Mir läuft ein Schauer über den Rücken, während er seine Stirnlampe wieder ausknipst, um mich nicht zu blenden. Auch wenn ich es Matt gegenüber nur ungern zugebe, habe ich großen Respekt vor seinen Bekannten. Man hat sich schon immer gruselige Geschichten über Weltraumpiraten und Söldner erzählt, aber seitdem der Krieg begonnen hat, hört man mehr denn je von gekaperten Schiffen, entführten Crews und Massakern mitten im deepspace. Die Föderation hat alle Hände voll zu tun damit, nicht gegen die VHN zu verlieren und ist bei der Verfolgung dieser Verbrechen dementsprechend langsam und desinteressiert. Die ‚Unterwelt' der Galaxie, wie es der Sunhunter genannt hat, ist einer der großen Gewinner des Kriegs.

Matts Hand streift meine und meine düsteren Gedanken verpuffen. Er hat es auch gemerkt, natürlich hat er es auch gemerkt. Unsere Blicke treffen sich über das leuchtende Kontrollpanel hinweg, während dieses neustartet. Als frische Rekruten haben wir uns ab und zu Taschenlampen unter das Kinn gehalten, um unsere Gesichter wie Geister aussehen zu lassen und den anderen einen fiesen Schreck einzujagen. Das Panel hat ungefähr denselben Effekt, auch wenn ich mich selbst natürlich nicht sehen kann.

Die Konturen von Matts Gesicht sind präzise, als hätte sie jemand feinsäuberlich aus Origamipapier gefaltet. Seine Wangen wirken beinahe eingefallen, weil das Licht die Struktur seiner Kiefer- und Wangenknochen so hart nachzeichnet, als wolle mir das Schiff sein wahres, düsteres ich zeigen. Doch ich habe keine Angst vor diesem Typ, weder im bunten Licht einer Diskokugel, noch in diesem gespenstischen Schattenspiel. Hat er mich irritiert? Sicher. Doch im Gegensatz zum Rest der Menschheit weiß ich so sicher und selbstverständlich, wie ich meinen nächsten Atemzug nehme, dass er mich niemals angreifen würde. Mehr als das.

„Was wäre, wenn es mir egal ist?", frage ich ihn, „Wenn mir egal ist, was passiert, sobald wir im Core anlanden?" Mein Brustkorb ist eng geworden, was man im leichten Zittern meiner Stimme hört. Matt ist sofort klar, dass ich nicht von den Schwerkraftsystemen oder irgendetwas anderem rede, das man einfach durch einen Neustart wieder zum Funktionieren bringen kann.

„Das wäre verantwortungslos von dir", erwidert er, „Du kannst alle haben, Tiger, du brauchst mich nicht."

„Nein", ich kralle meine Hände in das Panel, „Nein, ich brauche dich nicht, aber ..."

War ich nicht gerade noch sauer auf ihn? Ich senke den Blick auf das Panel und atme lange aus, während ich auf den Balken starre, der den Fortschritt des Neustarts dokumentiert. Als ich den Blick wieder hebe, ertrinke ich förmlich in Matts Blick. Trauer, durchzogen von einem goldenen Gewebe aus Hoffnung und das alles erwachsend aus einer Zuneigung, die mir den Atem raubt.

„... aber?", fragt er.

Meine Finger zittern. Bin ich von allen guten Geistern verlassen? Wieso lädt diese dumme Maschine nicht schneller?

„... aber ich mag dich, okay?", sage ich trotzig, „Du bist schrecklich eingebildet, dein Moralkodex ist fragwürdig und deine Flachwitze sind unterirdisch, aber du bist im Kern ein so guter Mensch, dass das alles ausgleicht."

„War das ein Liebesgeständnis?", fragt er, „MacClara, das ist wirklich schlechtes Timing. Das nächste Bett ist mehrere Aufzugschächte entfernt."

Ich hebe den Mittelfinger, weil er gerade schon wieder die Stimmung ruiniert hat und ziehe schnell die Hand zurück, als er spielerisch danach schnappt. Doch da hat er schon mein Handgelenk gepackt und zieht mich zu sich herüber. Seine rechte Hand hält immer noch das Panel fest, doch die linke verschränkt ihre Finger mit meinen, warm und fest, angenehm, wie eine ganze Umarmung.

„Küss mich endlich", fordert der Sunhunter, als mein Gesicht vor seinem in der Luft hängt und unsere Stirnlampen zusammenstoßen. Ich muss lachen.

„So nötig haben wir es also?"

„Wir?"

„Pluralis Majestatis."

„Das heißt also, du erkennst mich als der König unter den Männern an, der ich bin?"

„Halt die Klappe, Green."

„Bring mich doch dazu", gurrt er, doch sein letztes Wort spricht er bereits an meine Lippen. Jetzt ist eh schon alles egal. Falls wir heute noch sterben, habe ich immerhin ein Recht darauf, noch einmal so geküsst zu werden. In mir geht die Sonne auf, als ich die Augen schließe und mich fallen lasse. Aneinandergeschmiegt schweben wir in Richtung Decke, während die Schwerkraftsysteme wieder hochfahren. Wir sehen den Fremden erst, als es zu spät ist. 

~ ☀️ ~

SunhuntersWhere stories live. Discover now