Der Traum

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Kapitel 6 | Taen

- Der Traum -

Ich war zu Hause, in meiner geliebten Hölle. Ich konnte die Schreie der gemarterten Seelen hören und mir lief ein angenehmer Schauer über die Haut. Den Höllenhund hörte ich aus der Entfernung knurren. Dieser Tage verirrte sich kaum noch ein Mensch ins Höllenreich, um irgendeine geliebte Seele zu retten, so wie es einst gang und gäbe war. Auf der Erde erzählte man sich nur Legenden von jenen, die zurückgekehrt waren, aber man glaubte nicht mehr an die Hölle. Im Gegensatz zu den Engeln störte es uns Teufel nicht. Der Mensch war faul geworden und glaubte nur an das, was er sehen und beweisen konnte. Jeder von ihnen beging früher oder später eine Sünde, und wenn er nicht um Vergebung bat, landete er nach seinem Tod bei uns. Dabei hatte Gott es doch so einfach gemacht, Erlösung zu finden, aber wer nicht glaubte, der betete auch nicht.

Ich wollte gerade ansetzen, meine Schwingen auszubreiten, als ich bemerkte, dass etwas anders war als sonst. Auf meinem Rücken gab es keine Schwingen mehr. Ich war erstaunt und dachte an einen Fehler bei der Rückverwandlung, aber dann schaute ich an mir herunter. Ich war noch ein Mensch!

Verdammt, fluchte ich, das kann doch nicht wahr sein. Wie zur Hölle ist es möglich, dass ich noch immer so schwächlich bin? Schnell hechtete ich hinter einen Felsen und hoffte, von keinem Teufel entdeckt worden zu sein. Schwächlich wie ein Menschenkind war ich ein gefundenes Fressen für die vielen Dämonen, die ich sonst schikaniert hatte. Der Felsen war groß und ich befand mich anscheinend in keinem sehr belebten Teil meiner Heimat.

Doch noch während ich mich in Sicherheit wähnte, begann der Boden zu zittern und ein lautes Brüllen erfüllte die Luft. Ein wild gewordener Teufel? Eine Horde Dämonen? Oder irgendeine andere namenlose Kreatur aus den Tiefen der Hölle? Ich wollte es nicht herausfinden und sprintete so schnell wie möglich aus der Deckung, aus der vermeintlichen Bahn des Ungetüms. Das Geräusch verklang sofort. Ich dachte noch, dass es vielleicht nur Einbildung gewesen sein könnte, als ein leises Pfeifen die Luft zerschnitt. Wie von einem Meteoriten getroffen zerbarst der Felsen, hinter dem ich vor wenigen Sekunden Schutz gesucht hatte in Abermillionen Splitter, die in alle Richtungen davon schossen.

Ich schaffte es nicht rechtzeitig, mich zu Boden zu werfen und wurde hart am Rücken und den Beinen erfasst. Die Fragmente steckten tief im Fleisch und ich stürzte kraftlos. Mir war schummerig und ich konnte nichts mehr sehen. Eine Staubwolke hüllte mich ein.

Ich sitze in der Scheiße, dachte ich bei mir. Ein unglaublich lautes Brüllen erhob sich und ich versuchte, mir so gut es ging die Ohren zuzuhalten, bevor ich noch taub werden würde. Es ließ den Dunst in alle Richtungen entweichen und nun konnte ich auch sehen, was mich da angriff.

In dem Geröllhaufen vor mir stand ein etwa zehn Meter großer, muskelbepackter Oger. In seiner rechten Hand hielt er einen gewaltigen Kriegshammer und in der Linken eine Peitsche. Normalerweise waren Oger Untergebene von Dämonen und Teufeln. Sie gehörten mit zu den niedersten Kreaturen, die in der Hölle hausten, und waren nur zum Quälen der Seelen da. Jetzt war ich selber nicht mehr als eine kleine Seele im Höllenreich und dieser Oger schien seine Aufgabe erkannt zu haben und würde mich nur liebend gerne die Agonie der Hölle erleiden lassen. Für einen Moment schoss es mir durch den Kopf, dass es doch besser war, ein Teufel zu sein als ein Mensch, aber das hatte ich mir wohl erst mal verspielt.

Der Oger setzte sich schnaubend in Bewegung und schwang seinen Hammer. Ich versuchte noch, zur Seite zu rollen, meine Beine wollten mir jedoch nicht richtig gehorchen und so schaffte ich es nicht, seinem Hieb zur Gänze auszuweichen. Ein unbeschreiblicher Schmerz durchfuhr mich, als er meinen rechten Arm unter seinem Kriegshammer zermalmte. Er vernebelte mir den Kopf und ich kroch mit meinem verbliebenen Arm Stück für Stück vorwärts, um dem Ungeheuer zu entkommen.

Es donnerte ohrenbetäubend und mir wurde kurzzeitig schwarz vor Augen, als ein Knall ertönte und höllischer Schmerz meinen Rücken durchfuhr. Der Oger peitschte mich aus, hatte mir mit einem Schlag nicht nur die Haut abgezogen, sondern gleich noch ein paar Rippen gebrochen.

Ein infernalisches Lachen erklang. Mir war bewusst, egal wie sehr er mich in meine Einzelteile zerlegte, ich würde hier nicht sterben können. Dies war die Hölle und ihre Qualen unendlich. Die Seelen waren verdammt.

Ich zog mich ein weiteres Stück vorwärts, ohne an Boden zu gewinnen, denn mit einem Schritt war der Oger direkt über mir und überlegte sich neue Grausamkeiten. Ich zog mich vorwärts und spürte, dass der Untergrund abschüssig wurde. Die kurze Pause, die sich mir bot, nutzte ich, drehte mich vor Schmerz halb wahnsinnig auf die Seite und begann, langsam den Abhang hinunterzurollen.

Damit hatte der Oger nicht gerechnet.

Ich bekam etwas Abstand zu ihm und wurde immer schneller. Das Gefälle wurde steiler und ich wollte lieber nicht wissen, wohin es mich führte, solange ich nur von diesem Oger weg kam. Dieser brüllte verärgert und nahm die Verfolgung auf. Er kam erschreckend rasch näher und ich dachte schon, meine Flucht wäre zu Ende, bevor sie richtig begonnen hatte.

Da spürte ich mit einem Mal eine Klarheit in meinem Kopf, ich konnte wieder vernünftig denken. Ich schrie so laut es meine Lungen zuließen eine Bannformel, die dazu da war, Oger und ähnliche Kreaturen zu bestrafen - meist genutzt, wenn man Langeweile verspürte und darauf Lust hatte. Der Oger ging mit einem Mal in die Knie und fiel zitternd und zuckend zu Boden. Daran würde er erstmal zu knabbern haben. Wie gut war es doch, dass die Bannformeln der Hölle ihre eigene Magie besaßen und keine Kraft voraussetzten, sonst wäre es mir als Mensch nicht möglich gewesen, diese zu sprechen. Anscheinend forderte sie trotzdem ihren Tribut von meinem menschlichen Körper, brannten mir doch auf einmal die Lungen, als wären sie mit Feuer gefüllt. Ich spürte schon kaum noch etwas anderes außer dem Schmerz, als der Boden unter mir verschwand und ich mit Schwung über eine Klippe geschleudert wurde. Ich fiel für ein paar Sekunden, schlug hart auf dem Wasser eines Sees auf und versank. Um mich herum wurde alles schwarz.

***

Ich wusste nicht, wie lange ich ohnmächtig gewesen war, aber ich konnte in mir eine Wärme spüren, die vom Kopf ausging. Ich versuchte, mich erst langsam zu bewegen und musste fast schon um die Herrschaft über meinen Körper kämpfen, als es mir gelang, die Augen zu öffnen.

Ich lag noch immer in der Kirche und die Schmerzen waren allesamt verschwunden, nur ein leichter Nachhall der strapazierten Nerven ließ mich kurz erschauern und verflog schließlich auch. Erst jetzt bemerkte ich eine Gestalt über mir, die ihre Hand auf meine Stirn gelegt hatte. Schnell rollte ich mich zur Seite und stieß gegen die Wand. Ich war in der Nische gefangen, die nur ein kleiner Ruheort hätte sein sollen, während das Wesen mich mit ruhigen Augen anschaute.

Ich war misstrauisch. Normalerweise gab es nichts an diesem Wesen auszusetzen. Es war immerhin ein äußerst attraktiver Mensch. Doch es war dieser feine, eigenartige Geruch, der von ihr ausging und mich Vorsicht walten ließ. Kein Mensch roch wie Abyss - das Meer der Dunkelheit. An dieser Frau  war etwas falsch und ich wollte kein Risiko eingehen. Ich griff nach meinem Zylinder und merkte erst jetzt, dass dieser an der Seite der Menschenfrau lag. Mist! Ohne ihn war ich so gut wie wehrlos und auf meinen menschlichen Körper beschränkt. Also ein anderer Plan. Ich sprang auf und schmiss mich direkt auf sie, um sie zu Boden zu reißen. Vielleicht konnte ich meinen Zylinder ergreifen und schleunigst verschwinden, bevor sie sich zur Wehr setzte.

Der erste Teil funktionierte. Ich stieß mit meinem Kopf genau gegen die Brust der Frau und warf sie um. Ein leichter Schmerzensschrei entfuhr ihr und irgendetwas daran berührte mich in meinem tiefsten Inneren. Ich blieb verwirrt liegen und hatte vergessen, was ich eben noch geplant hatte, jede Angriffslust und auch Furcht waren wie weggeblasen. Der Geruch des Meeres schien ebenfalls verschwunden. 

»Wer bist du?«

Auch Engel dürfen träumenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt