38 - Clara de Flocon

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Die anderen Rekruten sind noch nicht wieder da, aber ich kann sie schon auf dem Gang hören. Ich muss hier raus. Ich werfe einen letzten Blick auf Louis Freundin zurück, die gerade wieder auf die Beine kommt, und renne.

Wegen dir schicken sie mich zurück. Mein Herz rast in meiner Brust, am liebsten würde ich heulen, aber ich jage nur immer weiter durch die Korridore und werfe paranoide Blicke über die Schulter. Als ich nach dem Schlüssel zu meinem Versteck taste und ihn nicht finde, breche ich beinahe zusammen. Keuchend hämmere ich auf den Aufzugsknopf, bemühe mich, ruhig zu atmen. Ich weiß, wo ich den Schlüssel vergessen habe.

Im Aufzug schluchze ich zweimal laut, presse mir den Ärmel auf den Mund und zwinge mich, mich zusammenzureißen.
Gleich bist du alleine. Hol' den Schlüssel, fahr' nach unten, schließe die Türen hinter dir, dann kannst du weinen.
Das war das erste, was das Militär mir beigebracht hat – Tränen darf man niemals öffentlich vergießen, oder die anderen werden sich darauf stürzen wie Wölfe, die Blut gerochen haben.

Als der Sunhunter die Tür öffnet, grinst er breit. Die Belustigung perlt von ihm ab, wie Meerwasser von der Haut eines Surfers, als er mein Gesicht sieht.

„Ich habe nach dir gesucht", sagt er heftig, „Wo warst du?"

„Kann ich reinkommen?", frage ich leise. Kommentarlos und angespannt tritt er zur Seite und lässt mich in die Suite. Der Oktopus hängt mal wieder an einer Pflanze von der Decke und winkt mir mit einer vor sich hin glimmenden Tentakel freudig zu.

„Was ist passiert?", fragt der Sunhunter von hinter mir. Allem Anschein nach hat er es sich gerade mit drei Bechern Instant Nudeln vor seinen riesigen Holoschirmen bequem gemacht, um sich irgendeine Serie anzusehen. Ich drehe mich zu ihm um. Sein Blick hat sich verändert – er weiß sofort, dass etwas nicht stimmt.

„Ich habe meinen Schlüsselbund hier vergessen", sage ich mit möglichst fester Stimme, während ich einen Arm ausstrecke und sich der Oktopus erfreut daran herunter auf meine Schulter hangelt.
Matt kommt näher. Ich denke erst, er will mir Grabsy abnehmen, als er die Hand ausstreckt. Doch als ich den Oktopus von seiner Pflanze geholt habe, ist mein Uniformkragen verrutscht – und hat den Blick auf die blutigen Kratzer freigegeben, die Roach an meinem Hals hinterlassen hat. Die Miene des Sunhunters hat sich verändert. Sein Gesicht ist immer noch gefasst, neutral, doch seine Augen sind gefährlich dunkel geworden.

„Darf ich?", fragt er noch, bevor er eine leuchtende Tentakel zur Seite schiebt und meinen Kragen herunter zieht. Nicht weit, nur, sodass er alle vier roten Striemen sehen kann.

Dann wandert sein Blick zu meinem Gesicht. Seine Stimme ist sanft, aber sein Blick lässt meine Knochen erbeben: „Wer war das?"

„Nur ein Kratzer, wirklich. Ich musste nur raus. Ich gehe gleich wieder, ich habe nur meine Schlüssel hier gelassen", versuche ich mich aus der Situation zu winden. Doch ich bewege mich keinen Zentimeter und er genauso wenig.

„Clara", der Sunhunter lässt die Hand sinken und ignoriert geflissentlich meine zusammengebissenen Zähne, „verkauf' mich nicht für dumm."

Er mustert mich, sieht mir aber nicht in die Augen, weil er die roten Flecken auf meinen Wangen und die halbmondförmigen Fingernagelabdrücke unter meinen Augen wahrnimmt. Ich starre an die Wand gegenüber und bemühe mich tief zu atmen, weil ich sonst entweder umkippe oder in Tränen ausbreche.

„Jemand hat versucht dich umzubringen. Du gehst nirgendwo hin."

Die Worte schockieren mich so sehr, dass ich auflache und ihn letztendlich doch ansehe.

„Nein – nein. Auf keinen Fall."

Der Sunhunter nimmt meine Hände in seine und mustert meine Knöchel. Ich zucke zusammen, als er meine demolierten Finger berührt, obwohl er vorsichtig ist.

SunhuntersWhere stories live. Discover now