Kapitel 2

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Es war seltsam. Es war das erste gemeinsame Mittagessen seit Wochen. Mein Vater schaufelte still eine Gabel nach der anderen in seinen Mund, meine Tante und meine Mutter warfen sich immer wieder vielsagende Blicke zu und ich saß bloß da und starrte abwechselnd von meinem Teller zu meinen Familienmitgliedern.

Die Stille wurde unangenehm. Nicht mal ein Räuspern war zu hören. Vorsichtig nahm ich die Gabel in die Hand und führte sie zum Teller. Meine Mutter beobachtete jede einzelne Bewegung, die ich machte und sah enttäuscht weg, als ich nur begann geräuschvoll in dem Gemüse herumzustochern.

„Wie war es in der Schule?“ Dieser Satz, den ich mir wünschte endlich mal wieder von meinem Vater zu hören, kam ausgerechnet von ihr, von der Person, von der ich es am meisten gedacht und doch am wenigstens gewollt hatte. Ich hielt in meiner Bewegung inne und sah auf den Platz mir schräg gegenüber. „Gut.“ Ich verzog keine Miene, während ich das sagte, schnenkte ihr bloß einen kalten Blick. Vielleicht, weil es gelogen war, vielleicht, weil ich nicht mit ihr reden wollte.

In der Schule lief lange schon nichts mehr gut. Meine Noten waren im Keller, ich drohte dieses Schuljahr nicht zu schaffen. Ständig fälschte ich die Unterschrift meiner Erziehungsberechtigten. Ich konnte ihr nicht mal verübeln, dass sie nicht wusste, wie es wirklich mit meinen schulischen Leistungen aussah, schliesslich redete ich ja nicht mit ihr.

Meine Mum nickte. Sie fühlte sich unwohl, dass war offensichtlich. Sie wusste nicht, was sie machen sollte, wie sie sich mir gegenüber verhalten sollte, weswegen sie einfach zurück auf ihren Teller blickte und eine neue Ladung Gemüse auf ihre Gabel schob. Ich starrte sie noch einige Sekunden an, bis meine Tante das Wort ergriff.

Sie fing an zu erzählen, von Marcus, ihrem mittlerweile fünften Freund, innerhalb von sieben Monaten, von ihrem Urlaub in der Karibik und zu guter letzt von ihrer Begegnung der dritten Art mit ihrer alten Schulfreundin, von der sie zuvor geträumt hatte.

Sie fing plötzlich an zu lachen. Sie hatte einen Witz erzählt. War es überhaupt ein Witz gewesen, oder nur eine weitere peinliche Situation aus ihrem total verkorksten Leben? Ich wusste es nicht. Alles was ich wusste war, dass auch meine Mutter jetzt anfing herzhaft zu Lachen. Mein Vater aß unbeirrt weiter, tat so, als würde er garnicht bemerken, dass sich die zwei Damen am Tisch prächtig amüsierten. Ich wollte nicht, dass sie Spaß hatten. Es machte mich wütend, dass sie scheinbar ihren Weg zurück ins Leben schon lange gefunden hatte und ich mich noch nicht einmal auf dem Pfad befand, der zurück auf den Hauptweg führte. Es machte mich wütend, dass mein Vater nicht mehr mit mir redete und mich nur noch mit diesem undefinierbaren Blick anstarrte. Dieses ganze Haus machte mich wütend. Es machte mich wütend, dass mein Bruder mich hier einfach so alleine gelassen hatte und ich machte mich selber wütend.

Dementsprechend temperamentvoll liess ich meine Gabel auf den Teller fallen und erreichte damit, dass das Gelächter verstummte und die Geschwister mich erschrocken ansahen. „Was ist los?“ fragte meine Mutter mich und versuchte wieder einigermaßen ruhig zu atmen, was ihr kläglich misslang.

„Was los ist?“, meine Augen hatten sich zu Schlitzen gebildet, aus denen ich sie wütend anblinzelte. Meine Stimme bebte. „Du sitzt hier und lachst, während du meinen Bruder auf dem Gewissen ha..“

„Bitte...“ Die Stimme, die mich unterbach, war so leise, dass ich Angst hatte, ich hätte sie mir nur eingebildet, aber es war real gewesen. „Bitte nicht.“ Wiederholte er genauso leise seine Worte. Seit genau sechs Wochen, waren das die ersten Worte, die er zu mir sagte und das, weil er nicht wollte, dass ich mich mit meiner Mutter stritt?

Ich sah zu ihm rüber. Ich wollte fortfahren, ich wollte nicht wieder alles in mich hineinfressen, ich wollte, dass meine Mutter spürte, wie wütend ich auf sie war, aber als ich meinen Mund erneut öffnen wollte, fanden die Worte ihren Weg nicht. Ich blieb stumm und sah wieder zu meinem Vater. Die Leere in seinen Augen wurde von einem Schleier der Traurigkeit begleitet.

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⏰ Last updated: Feb 26, 2015 ⏰

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