Mit jedem Schritt, den ich mich ihm nähere, schlägt mein Herz schneller. Nicht, weil ich mich überdeutlich an seinen Blick und seine Berührung erinnern kann. Und auch nicht, weil er die Liebe meines Lebens sein könnte und ich mir diesen Moment für immer einprägen will. Meine Nervosität hat ganz andere Gründe, denn in Wahrheit hasse ich es, mich mit fremden Leuten zu unterhalten. und noch mehr verabscheue ich es, sie von mir aus anzusprechen. Ganz egal, ob ich es, sie von mir aus anzusprechen. Ganz egal, ob es sich um einen kurzen Small Talk an der Bushaltestelle handelt oder ich jemanden aktiv nach dem Weg fragen muss. In den letzten zwei Monaten ist das besser geworden. Denke ich. Zumindest mache ich nicht mehr auf halben Weg kehrt, sobald mein Fluchtinstinkt einsetzt, aber Spaß macht mir das Ganze trotzdem nicht.
Sei mutig, Lukas. Sei mutig.
In Gedanken wiederhole ich die Worte wieder und wieder. Ich weiß nicht mal, wovor genau ich Angst habe. Na gut, das ist gelogen. Ich kann mir unzählige Szenarien ausmalen, wie diese Situation enden könnte und keines davon ist besonders beruhigend. Ich könnte vor ihm stehen und keinen einzigen Ton hervorbringen, weil ich so in Panik gerate. Er könnte mich auslachen. Unhöflich sein. Ablehnend. Oder schlichtweg gemein. Dabei weiß ich doch schon, dass er nichts davon ist, schließlich haben wir schon mal miteinander geredet. Heute habe ich allerdings keinen so guten Vorwand, um ihn anzusprechen, abgesehen von ...
Ich gehe neben seinem Tisch in die Hocke und hebe die Serviette auf. Meine Augen weiten sich überrascht, als ich das Gekritzel darauf erkenne. nur dass es kein Gekritzel ist. Es sieht ehr wie eine Zeichnung aus. Vielleicht von einem Comic, wenn ich die Serviette ein bisschen drehe und...
Ein räuspern neben mir.
Ich zucke zusammen, reiße den Kopf hoch und starre in warme braune Augen.
>>Ähm ...<<, mache ich wenig eloquent und wedle mit der Serviette vor seiner Nase herum.
>>Das ... also das ist ...<<
>>Runtergefallen?<< , hilft er mir aus. Seine Mundwinkel zucken, aber er lacht mich nicht aus, obwohl ihn mein Auftritt zu amüsieren scheint.
Kann sich bitte ein Loch im Boden auftun und mich verschlingen? Jetzt sofort wäre ein guter Zeitpunkt, aber ich warte auch gerne zwei Sekunden. Oder drei.
Als nichts passiert, presse ich die Lippen aufeinander und nicke heftig. >>Ich ... ähm...<<
Wörter, Lukas. Wörter!
Aber mir wollen keine einfallen. Das hier ist schlimmer als alles, was ich mir ausgemalt habe und ich habe eine sehr gute Vorstellungskraft. Hitze schießt in meine Wangen und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich gerade knallrot anlaufe.
>>Ich sollte ...<<
Ohne eine weitere Erklärung werfe ich ihm die Serviette ins Gesicht und stürme in die entgegengesetzte Richtung. Nicht zurück zu meinen Tisch, sondern zu den Toiletten, sobald ich das Zeichen dafür entdeckte. ich brauche einen Moment, um mich zu beruhigen. Vielleicht auch zwei. Wenn ich Glück habe, gibt es dort ein Fenster, durch das ich klettern und verschwinden kann. Niemand wird je etwas hiervon erfahren, nicht einmal Leon. Ich werde diesen peinlichen Vorfall mit ins Grab nehmen.
Im Vorraum angekommen, laufe ich vor dem Spiegel auf und ab. Ich muss nicht hineinschauen, um zu wissen, dass ich den Eindruck erwecke, als wäre ich auf der Flucht vor den Polizei. Rotes, erhitztes Gesicht, fahrige Bewegungen, hektischer Blick. Wie konnte ich gestern noch so mutig, so selbstbewusst sein und heute, bei hellen Tageslicht, würde ich mich am liebsten verkriechen? Nicht unterm Bett oder in einer dunklen Ecke, da ich eine Stauballergie habe.
Die letzte Nacht habe ich in meinen Wagen verbracht , wie so viele Male zuvor. Die Rückbank ist nicht besonders bequem, aber mit Schlafsack und einem kleinen Kissen geht es eigentlich. Und da ich aktuell mit meinem sehr knappen Budget auskommen muss und Essen nun mal wichtiger als schlafen ist, gab es leider keine Alternative.
Plötzlich sehne ich mir so sehr nach der Sicherheit meines Hondas, dass ich abrupt stehen bleibe. Ich hatte ohnehin nicht vor, allzu lange in Köln zu bleiben, also kann ich die Dinge genauso gut beschleunigen und gleich von hier verschwinden. Am besten bevor ich mich noch mal so blamiere wie gerade eben. Und da fragen sich manche Leute wirklich noch, warum es mir schwerfällt, mit andren zu reden. Mit fremden anderen. Mit attraktiven anderen.
Ich seufze tief, beschließe dann jedoch, das zu tun, was ich den ganzen Sommer über getan habe: das Beste aus der Situation zu machen. Das Erste, was ich auf diesem Roadtrip gelernt habe, ist, Toiletten zu benutzen, wo man sie findet, denn wer weiß, wann die nächste Möglichkeit daherkommt, also folge ich dieser Regel jetzt. Anschließend wasche ich mir die Hände und spreche meinem Spiegelbild stumm Mut zu. Ich sehe noch immer etwas zerzaust aus, aber wenigstens nicht ganz so schlimm wie befürchtet. Auch wenn ich auf den Reh-im-Scheinwerferlicht-Ausdruck in meinen Gesicht wirklich verzichten könnte. Das kommt davon, dunkle Augen und vom Sommer aufgehellte Haare zu haben. Und Sommersprossen auf der Nase. Ich ziehe sie kraus, aber sie sind immer noch da. Lauter keine Punkte auf meiner Haut. Meine Zwillingsbruder kennt dieses Problem nicht, aber im Gegensatz zu mir hat er auch die dunkelbraune Mähne und den dunkleren Teint unserer Großmutter geerbt.
Kopfschüttelnd wende ich mich ab, atme ein letztes Mal tief durch, dann öffne ich die Tür und kehre in den Hauptraum zurück, bevor ich es mir anders überlegen kann. Mein Notizbuch und und meine Tasche sind noch genau dort, wo ich sie zurückgelassen habe. Gott, habe ich die Sachen in meiner Panik wirklich unbeaufsichtigt hier liegen lassen? Jeder könnte vorbeigehen und sie einstecken oder das Notizbuch lesen.
Jeder!
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Falling fast
RomanceSmith Lukas hat einen Plan. Die Zeit, in der er sich zu Hause verkrochen und vor der Welt versteckt hat, ist vorbei. Er will mutig sein und sich all die Dinge trauen, vor denen er sich früher immer zu sehr gefürchtet hat. Doch dann lernt er Taylor N...
Chapter Five
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