Chapter Two

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Auf Leonhard!"

Ich hebe meine Flasche und stoße mit den Leuten an, von denen ich geglaubt hatte, sie nach dem Schulabschluss nie wieder zu sehen. Zumindest die meisten nicht absichtlich, weil wir seither nichts mehr miteinander zu tun hatten, ganz egal, wie oft ich in der Stadt bin. Aber jeder von uns hatte eine Verbindung zu Leonhard. Schon ironisch, dass uns ausgerechnet sein Geburtstag an diesem schwülwarmen Augustabend zusammengebracht hat. Ironisch deshalb, weil er nicht mehr an der Feier teilnehmen kann.

Hey, Nils!", ruft Vivian, besser bekannt als Vivi, und deutet mit dem Glas in der Hand von der anderen Seite des Tisches auf mich. Ihre goldbraunen Locken hüpfen bei jeder Bewegung auf und ab. Obwohl sie meine Cousine ist, sehen wir uns kein bisschen ähnlich. Sie kommt mit ihrer hellen Haut und der sanfte Stimme ganz nach ihrer Mutter, während ich die Gene unserer Väter geerbt habe. Zumindest was das Äußere angeht: hellbraunes Haar, grünbraune Augen und die Grübchen, die angeblich den unwiderstehlichen Charme der Taylors - Männer ausmachen. Habe ich mir zumindest sagen lassen. Wenn Vivi lächelt, hat sie keine Grübchen, sondern wirkt eher so, als würde sie einen gleich in der Luft zerreißen wollen. „Warum erzählst du den Losern hier nicht, wie du und Leonhard euch kennengelernt habt?"

Ich schnaube leise.

Die alte Story?", ruft Kevin und wedelt nachlässig mit der Hand. Zu Schulzeiten war er der typische Nerd mit Brille und Bestnoten in Naturwissenschaften, was man ihm heute mit seiner Lederjacke und dem Motorrad nicht mehr anmerkt.

Die kennt doch jeder."

Störrisch runzelt Vivi die Stirn. „Ich will sie trotzdem hören. Sie ist toll!"

Ich schneide eine Grimasse. „Das sagst du nur, weil du es genießt, andere leiden zu sehen. Selbst wenn das schon über zehn Jahre her ist."

Sie legt sich die Hand auf die Brust und tut geschockt. Mit den großen Bambi-Augen und dem mädchenhaften Kleid, das sie heute Abend trägt, könnte man ihr die Unschuldsnummer beinahe abkaufen. Aber ich kenne meine Cousine besser. Vivi weiß sehr genau, was und wen sie will - und sie ist selbstbewusst genug, das auch einzufordern. Zudem würde sie jedes Quiz gewinnen, bei dem es um Fahrzeuge geht. Sie versteht definitiv mehr von von Motorrädern als Kevin. Vermutlich sogar mehr als jeder einzelne Kerl in dieser Bar. Nach der Schule hat sie Chemie, Englisch und Spanisch studiert und gilt als eine der beliebtesten Lehrerinnen der Stadt. Wenn es einen Menschen gibt, mit dem ich irgendwann eigene Kinder bekomme, vertraue ich diese nur Ihr an. Auch wenn sie eine viel zu große Klappe hat. Wobei das wohl eine Eigenschaft ist, die eindeutig in der Familie liegt.

Ich hole mir noch einen Drink." Mit dem Daumen deute ich auf die vollgepackte Bar irgendwo hinter mir. „sonst noch jemand was?"

Kopfschütteln. Die anderen am Tisch sind bereits ganz in der Geschichte aus unserer Kindheit versunken, die Vivian nun zum Besten gibt. Ich kenne sie schon, also verpasse ich nichts, wenn ich jetzt aufstehe und die Runde für ein paar Minuten verlasse. Zum Glück ist niemanden aufgefallen, dass meine Bierflasche noch halb voll ist. Obwohl ich mich freue, die Leute wiederzusehen und in Erinnerungen zu schwelgen, brauche ich schon jetzt eine Pause davon. Seitdem ich vor zwei Jahren zum Studieren nach München gezogen bin, war ich zwar unregelmäßig an den Wochenenden und in den Semesterferien hier, um meine Familie zu besuchen oder in der Firma auszuhelfen, trotzdem ist dieses Zusammentreffen nach dem gemeinsamen Friedhofsbesuch ungewohnt. Nicht nur für mich, sondern für uns alle. Und da ich schon den ganzen Sommer in München verbracht habe, macht sich so langsam eine gewisse Erschöpfung bemerkbar.

Mühsam kämpfe ich mich an den Leuten vorbei. Es ist noch relativ früh an diesem Freitagabend, trotzdem ist Bernets Bar völlig überfüllt. Gefühlt ist die halbe Stadt da. An den Tischen sitzen dieselben alte Kerle und spielen Poker, die schon zu meiner Schulzeit da saßen, wenn ich mich heimlich reingeschlichen habe. Am anderen Ende des Raums findet ein Junggesellenabschied statt. Die glückliche Braut ist Eva-Maria Schmitt. Jahrgangsbeste im Abschlussjahr unter mir und neben Vivi und viel zu vielen anderen Leuten eine weitere Person, die es nicht aus Köln raus geschafft hat.

Falling fastWhere stories live. Discover now