1: Der Tag, an dem wir plötzlich kommunizieren mussten

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Es sollte eigentlich ein normaler Tag werden, doch eine einzige Veränderung auf dieser Welt stellte nicht nur meinen Nachmittag komplett auf den Kopf.

Wie jeden Morgen saß ich mit meinen Freunden im überfüllten Vorlesungssaal, spürte die drückende Luft in meiner Nase und musste mich bemühen, dem Dozenten zuzuhören. Die meisten meiner Vorlesungen konnte man mit zwei Worten zusammenfassen: Monolog Professor. Ein Kumpel von mir meinte einmal, dass man nur Professor werden möchte, weil man sich selbst gerne reden hören würde. Klar sind manche Inhalte nützlich, jedoch spürte ich jeden Tag mehr, dass mein Kumpel etwas Wahres sagen könnte.

Auch heute war einer dieser Tage, wo meine schweren und übermüdeten Augen jede Minute auf den Zeiger der großen Uhr im Hörsaal schielten und manchmal sogar ihn beim Drehen verfolgten. Ich fühlte mich hypnotisiert, federleicht und total konzentriert. Meine Atmung beruhigte sich. Ich blendete die Außenwelt aus, bis ich plötzlich aus meiner Träumerei entrissen wurde.

Das Licht schaltete sich aus, der Beamer übertrug kein Bild mehr. Der Hörsaal war von der einen zur anderen Sekunde dunkel geworden und der spannendste Vormittag meines Studentenlebens sollte beginnen.

Ein Raunen ging durch den Hörsaal. Manche lachten, andere begannen, zu diskutieren. Die Lautsprecher gaben mit einem schrillen Geräusch zu verstehen, dass nun eine Durchsage folgen sollte.

Eine männliche, genervte Stimme sprach zu uns. ,,Der Hochschulbetrieb ist für heute eingestellt. Wir haben einen Stromausfall.'' Meine Kommilitonen jubelten, sprangen auf, verließen den Hörsaal und ich sammelte meine Stifte zusammen, um mich innerlich zu freuen. Alle Kurse versammelten sich außerhalb der Hochschule und eine große Menschenmenge bewegte sich Richtung Bushaltestelle. Schon jetzt wurde mir klar, dass ich lange auf einen leeren Bus warten müsste, da nun alle nach Hause wollten.

Als ich durch die kleinen, angesammelten Gruppen ging, nahmen meine Ohren nur ein einziges Thema wahr. Der Stromausfall und seine Folgen. Die ersten Personen sprachen von einem mehrstündigen Stromausfall, manche verstreuten sogar das Gerücht von Tagen, was mir völlig absurd vorkam. Andere machten sich geschockt bewusst, was so ein Stromausfall eigentlich bedeuten würde. ,,Verdammt! Mein ganzer Tiefkühlschrank taut auf'', konnte ich von einer aufgeregten Frau hören. ,,Das mit dem Zocken wird wohl heute nichts'', scherzte ein Junge mit Basecap.

,,Interessant, wie viele Konsequenzen ein einziger Umstand mit sich bringt", dachte ich mir und stieg in den Bus vor mir ein. Es quetschten sich viele Menschen hinein, bis der Busfahrer die Türen schloss und wie immer auf einer seiner beliebten Knöpfchen drückte, sodass eine freundliche, elektronische Stimme uns anwies, nach hinten durch zu rücken. Ein paar Menschen pressten sich weiter nach hinten.

Ich hasse die Luft in Bussen. Obwohl die Türen immer mal wieder aufgehen, ist man einfach froh, wenn die Fahrt vorbei ist und man endlich durchatmen kann. Wie wohl ein Busparfum riechen würde? Schnell hatte ich diesen Gedanken vor lauter Ekel verworfen.

Ich wollte meine Nachrichten auf dem Handy checken, bis ich bemerkte, dass ich kein Netz hatte. Der Stromausfall hatte offenbar das Handynetz unterbrochen und meine Ohren konnten wie in einem Dominoeffekt wahrnehmen, wie sich vermehrt Menschen über ihre fehlende Internetverbindung beklagten. ,,Alter, ich habe kein Internet, Digga, was ist das für ne Scheiße'', hallte es durch den Bus. Einige hartnäckige Fahrgäste starteten ihr Handy neu, tippten auf viele verschiedenen Knöpfe rum, bis auch sie ernüchternd feststellen mussten, dass der ,,Ich habe kein Internet''-Typ Recht hatte. Wir alle hatten kein Internet und plötzlich schauten sich all die kreidebleichen Gesichter an, schwiegen und realisierten die Folgen eines Stromausfalls. Gefühlt wussten alle Menschen, dass ihnen nur noch die Kommunikation im echten Leben übrig bleib und doch traute sich niemand, den ersten Ton von sich zu geben.

Tja, da waren wir nun. Ob der Puls bei manchen Personen gerade in die Höhe schoss?

Rumms! Ich verlor mein Gleichgewicht und hielt mich an der Schulter eines Mannes fest. Peinlich berührt, entschuldigte ich mich und auch andere Gäste versuchten sich wieder aufzuraffen. Der Bus hatte eine Vollbremsung gemacht. Meine neugierigen Augen schauten nach draußen und erst jetzt nahm ich wahr, in was für einem Chaos wir uns befanden. Autos hupten oder standen quer auf der Straße. Menschen traten vor den Autos hervor, brüllten und gestikulierten mit wilden Handbewegungen. Was war hier nur los?

Ich schaute neben mir aus dem Fenster und sah, dass der gesamte Ampelverkehr ausgeschaltet war. Der Strom achja... Auch mir wurde erst langsam bewusst, wie viele Konsequenzen aus einem Stromausfall folgten. Was war eigentlich mit dem Strom für Krankenhäuser? Oder für Freizeitparks? Steckten Menschen in Achterbahnen fest?

MIEEEEP. Neben mir hupte ein Auto auf. Die Menschen im Bus schauten gespannt aus dem Fenster, als würden sie gerade eine Actionszene in einem Film sehen. Wie ich, konnten Sie nicht fassen, was draußen wirklich los war. ,,Was denkst du, was das für Unfälle geben wird'', sprach eine Stimme neben mir. Ich drehte mich leicht verdutzt zu der Person um und erkannte, dass die Person den Satz mutig in den Raum geworfen hatte und nun auf eine Antwort wartete. Verdammt Leute! Hier ist ein Gesprächspotenzial!

,,Ja da hast du recht, und denk mal an die Krankenhäuser'', antworte ich überrascht zurück. Eine Person neben uns nahm am Gespräch teil und ergänzte, dass die Autos nun rasen könnten, wie sie wollen, da keine Blitzer im Betrieb sein können. Ebenso fielen jegliche Überwachungskameras aus. Stand uns etwa Vandalismus bevor? Gespannt kreierte ich in meinem Kopf Szenarios und begriff, dass für einen Moment unser gesamtes Leben auf dem Kopf stand. Wirtschaft, Gesundheit und soziale Netzwerke. Alle würden unter dem Stromausfall leiden. Ist das nicht Wahnsinn?

Wie ein kleines Kind schaute ich gespannt aus dem Fenster und der komplette Verkehr kam vor uns zum Erliegen. Die Menschen waren nicht mehr in der Lage sich fernab der ausgeschalteten Ampelschaltung, zu einigen, wer nun fahren dürfte. Ein blankes Chaos, welches mich irgendwie amüsierte, da jegliche Gespräche auf Social Media für ein paar Stunden der Vergangenheit angehörten. In dem Bus kam es zu einer Lautstärke, die ich seit Jahren nicht mehr gehört hatte. Die Menschen redeten miteinander, keiner hatte sein Handy in der Hand und jeder begriff, dass man aus der Not heraus zwangsweise kommunizieren musste. Ich freute mich wirklich darüber, Menschen kommunizieren zu sehen, denn das habe ich in der Vergangenheit in der Anzahl so selten wahrnehmen dürfen. Gemeinsam quatschten wir alle über die Situation und achteten nicht auf Äußerlichkeiten. Es war die schönste Busfahrt in meinem Leben, weil jedes Gespräch mein Herz erfreute.

Wie diese kleine Geschichte beweist, haben wir es nicht verlernt, zu kommunizieren. Dazu müssen wir uns nur von den künstlichen Gesprächen auf Social Media loslösen und aufmerksam zuhören. Ich glaube, das könnten wir häufiger schaffen, wenn wir es wirklich wollen würden.

Verstehe mich nicht falsch. Ich habe den Mittag wirklich genossen, einfach um zu sehen, wie abhängig wir Menschen von der Technik geworden sind. Es war erstaunlich zu sehen, dass neben vieler negativen Effekte, die ich keinem Menschen wünsche, es auch positive Effekte gab. Beispielsweise die Kommunikation miteinander.... 

5 Besondere Tage: 5 Tage, 5 Geschichten, 5 GedankenWhere stories live. Discover now