Januar.

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[Coverbild: ves auf Twitter, soweit ich das richtig recherchiert habe.]

Willkommen zu meinem neuen Projekt 2021.
Da dieses Jahr das große Kagehina Jahr ist, wollte ich UNBEDINGT wieder was zu den beiden schreiben. Es wird jeden Monat 1 Update geben. Ergo endet die Geschichte im Dezember 2021.

As always danke ich meiner Beta Franzi. Du machst meine Geschichten so viel besser! <3
Danke diesmal auch an Vii, die als Testleserin fungiert hat und mir noch ein paar super nützliche Tipps gegeben hat!

Begriffserklärung:
Volljährigkeitsfeier: Der Seijin no Hi (jap. 成人の日) ist ein gesetzlicher Feiertag in Japan. Am zweiten Montag im Januar werden die neuen Volljährigen gefeiert. Die Volljährigkeit wird nach § 4 des japanischen Bürgerlichen Gesetzbuches mit dem vollendeten 20. Lebensjahr erreicht.
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„... gegeben. Das Gesundheitsministerium meldet heute 4.213 neue Infektionen und 45 Todesfälle. In der Präfektur Tokyo ..."

„Hast du genügend Mundschutz eingepackt?"
„Ja, für uns beide. Zehn für jeden sollten reichen, oder?"
„Glaube schon."

„... fallen um fünf Grad. Für das Wochenende ist ein Schneesturm an der Ostküste Japans vorhergesagt. Wetterexperten rechnen mit fünfzig Zentimeter Neuschnee. Bitte achten Sie ..."

„Es soll schneien. Hast du auch genügend Pullover?"
„Jaaaa, habe ich!"
„Nicht, dass du wieder meine nimmst."
„Ich dachte, du magst es, wenn ich deine Hoodies trage?"
„Aber nicht, wenn ich dann selbst keine mehr habe", murrte es aus dem anderen Zimmer über den Fernseher hinweg.
„Das ist erst einmal vorgekommen!" Mit vor der Brust verschränkten Armen erschien Shouyou im Türrahmen.
Tobio, vollends auf den Fernseher fokussiert, winkte nur ab und verhinderte weitere Einwände mit einem „Ruhe, jetzt kommen die Sportnachrichten."
Kopfschüttelnd pflanzte sich Shouyou neben ihn.

„Guten Tag und herzlich willkommen zu den Sportnachrichten. In der zweiten Liga gewannen am gestrigen Tag die Sendai Frogs mit einem spannenden 2 zu 1 gegen die Tamaden Elephants. Die Spielstände 25-20, 23-25 und 25-21 zeigen, unter welchem dauerhaften Druck beide Mannschaften standen. In der ersten Liga begegneten sich wieder die Schweiden Adlers und EJP Raijin. Nach einem unglücklichen Sturz des Libero Toshiro Heiwajima, der sich dadurch einen Kreuzbandriss zuzog, musste das Team auf ihren unerfahrenen Neuzugang Watanabe Takahiro zurückgreifen, der so sein erstes offizielles Spiel ..."

Fassungslosigkeit.
Das beschrieb Tobios Gefühl wohl am ehesten. Wie erstarrt saß er vor dem Bildschirm und versuchte das Gehörte zu verarbeiten. Heiwajima war der Libero seines ehemaligen Teams. Der Beste der japanischen Liga. Er war das Rückgrat der Adlers und hatte eine Annahmequote von 94 Prozent. Normal waren im Profisport 87-92. Er war ein Grund dafür, dass die Schweiden Adlers meist triumphierten. Tobio hatte von Anfang an tiefe Bewunderung für den Spieler empfunden. Und ebenjener sollte sich jetzt einen Kreuzbandriss zugezogen haben? Das war bitter. Es könnte das Aus für seine Sportkarriere bedeuten. Mit erst 29 Jahren.
Seine Gedanken kreisten. Was wäre, wenn ihm das selbst passieren würde? Wenn er aufgrund von einer Verletzung irgendwann kein Volleyball mehr spielen könnte?

Tobios Mund verzog sich zu einer geraden Linie, die Zähne fest aufeinandergedrückt. Er spürte Shouyous Blick auf sich. Auch ihm war klar, was so eine Verletzung bedeuten konnte.
„Er schafft das schon", sagte Shouyou leise. „Ganz bestimmt! Davon bin ich überzeugt. Die Schweiden Adlers haben doch die besten Physiotherapeuten, oder nicht? Das hast du doch immer gesagt."
Shouyous aufbauendes Lächeln strahlte ihm entgegen wie die Sonne an einem kalten Wintertag. Hoffnung schenkend.
„Hm", war alles, was er darauf erwidern konnte.
„Du hast doch bestimmt noch seine Nummer. Schreib' ihm doch mal. Aber zeig's mir vorher, nicht, dass du es noch schlimmer machst." Shouyou grinste.
„Boke! Das ist mir bisher nur einmal passiert! Außerdem bin ich nicht mehr der Gleiche wie damals in der Schulzeit."
„Das stimmt, aber in Sachen ‚soziale Interaktion' liegst du immer noch auf dem gleichen Level wie Ushijima", gab Shouyou unschuldig zu bedenken.
„Was ist falsch daran? Ushijima würde nie etwas sagen, was nicht stimmt."
„Faktisch gesehen, ja. Alles andere ist eine absolute Vollkatastrophe. Er hat überhaupt kein Taktgefühl und sein Einfühlungsvermögen geht auch Richtung null."
„Pfft! Es kann eben nicht jeder so ein sozialer Schmetterling sein wie du!"
Als Antwort prustete Shouyou los. Dieser Ausdruck begleitete ihn schon eine Weile. Sugawara hatte damals angefangen ihn so zu nennen. Es war zu einem Running Gag geworden, immer, wenn sie auf ein neues Team trafen. Erst später hatte Shouyou herausgefunden, dass Nishinoya und Tanaka interne Wetten abgeschlossen hatten, wer sich zuerst in Hinata vergucken würde. Doch von seinem Freund war er noch nie so genannt wurden, obwohl er es echt niedlich fand, entschied Shouyou.

„Ich mag deine unbeholfene Art." Er machte eine Pause. „Also ... inzwischen."
Pikiert zog Tobio eine Schnute, wovon sich Shouyou aber nicht beirren ließ. Er kannte die sprunghaften Launen seines Lieblingszuspielers und drückte ihm nur einen frechen Kuss auf die Wange, bevor er wieder aufstand, um seine Tasche weiter zu packen.

~

Menschenmassen drängten sich auf engem Raum. Geschäftsleute, die sich schnellen Schrittes mit ihren großen Aktentaschen einen Weg durch die Menge bahnten. Schüler, die in Grüppchen aus Zügen stiegen und lachend in Richtung der Straßenbahnen gingen. Familien, die mit ihren schreienden Kindern Tobios Nerven strapazierten.
Suchend blickte er sich auf dem Bahnsteig um.
„In welchem Wagon sitzen wir?"
Sein Kopf dröhnte und es war als hätte Shouyou ihm wieder einen Ball gegen den Kopf geschmettert - wie damals in der Oberschule. Im Zug würde er sich direkt eine Tablette einwerfen, um dem quälenden Schmerz ein Ende zu bereiten.
Tobio hasste dieses Gedränge in den Großstädten. Wenn er zu Hause bei seinen Eltern in Sendai war, liebte er die entspannte Atmosphäre der Kleinstadt.
Das Leben entschleunigte sich.
Aber in Tokyo fühlte er sich immer wie der weiße Hase aus Alice im Wunderland - gehetzt und immer zu spät.
Daher war seine Ungeduld, endlich in dem Zug gen Heimat zu sitzen, endlos.

„Wir müssen zu Wagon C", informierte ihn Shouyou und entfernte sich mit Blick auf das Smartphone von ihrem aktuellen Standpunkt. Tobio, der gerade dabei war eine eingehende Nachricht seines ehemaligen, jetzt verletzten Liberos zu öffnen, hörte seinem Partner nur mit halben Ohr zu. Als er wieder seinen Kopf hob, war da ... kein vertrauter Rotschopf mehr. Denn, wie auch auf dem Spielfeld, war Shouyou ebenso auf dem Bahngleis sein Orientierungspunkt.
Doch nirgends eine Spur von ihm.
Mit einem plötzlichen mulmigen Gefühl im Magen, blickte er sich langsam um.
Sein Freund jedoch blieb von der Masse verschluckt.
Weg.

Kalter Schweiß kroch aus seinen Poren.
Allein. Er war allein. Unter hunderten Menschen.
Zwei, drei Leute rempelten ihn von der Seite an. Köpfe drehten sich zu ihm, schüttelten mit dem Kopf. Genervt, abschätzig.
Er war verloren. Verloren auf dem Tokyoter Bahnhof.

Ein ähnliches Gefühl wie damals auf der Mittelsch-

„Tobio! Wo bleibst du denn? Komm!"
Er fokussierte sich. Seine Augen scannten die Reihen ab. Hektisch.
Seiner Größe dankend, konnte Tobio über die Köpfe der meisten hinweg schauen und das Leuchten der roten Haare unter einer schwarzen Mütze ausmachen. Erleichterung durchflutete ihn.
Bernsteinfarbene Augen zogen ihn an und Tobios Füße suchten sich einen Weg über den Bahnsteig - zu ihm.
Trotz des Trubels um sie herum, stand Shouyou für sich. Keiner rempelte ihn an oder beschwerte sich, dass er im Weg stand und nicht wie alle anderen mit dem Strom schwamm. Als würde seine kraftvolle Aura den nötigen Platz einfordern.
Bei Shouyou angekommen, fand seine Hand sofort die des Älteren. Ihre Finger verhakten sich miteinander.
Sicherheit.
„Wieso bleibst du denn stehen? Muss ich dich wie ein kleines Kind an die Hand nehmen?"
„HINATA BOKE! Dann lauf nicht einfach ohne was zu sagen los!", giftete Tobio.
„Bin ich doch gar nicht!"
„Natürlich!"
„Du hast wahrscheinlich wieder nur vor -"

„Sehr geehrte Fahrgäste, bitte beachten Sie, dass der Zug 1388 nach Onagawa über Yamamoto und Sendai in fünf Minuten von Gleis 7 abfährt. Ich wiederhole. Sehr geehrte Fahrgäste, bitte beachten Sie, dass der Zug 1388 nach Onagawa über Yamamoto und Sendai -"

„Schnell, da vorne ist Wagon C. Sonst verpassen wir den Zug!"
Zur Antwort grummelte Tobio nur.

Endlich im Abteil angekommen, ließen sie sich auf ihre Plätze fallen.
Jacke aus, Mütze ab.
Shouyou kramte Tablet, Kopfhörer, Trinken sowie Snacks aus seiner überdimensionalen Tasche und breitete alles auf dem Tisch auf.
Er verband die Kopfhörer mit dem Tablet und steckte einen Stöpsel Tobio ins Ohr, da dieser zu beschäftigt mit seinem Handy schien. Womöglich schrieb er mit seiner Schwester, die sie vom Bahnhof in Sendai abholen würde.

Es ruckelte und der Zug setzte sich in Bewegung.
Kurzerhand öffnete Shouyou die Aufzeichnung eines längst vergessenen Volleyballspiels.
Er stöpselte sich die andere Seite des Kopfhörers ein und lehnte sich dann zufrieden an Tobios Seite.

Supremacy 2021Where stories live. Discover now