Epilog, Teil 4: Avenge the Fallen

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Sie maskierte ihren Blick nicht. Ließ Natasha an all dem teilhaben, was sie in ihrem Inneren verspürte. Mit was sie kämpfte. Denn sie verspürte Schuld – die Schuld eines Überlebenden. Die Schuld eines Sterbenden.

Die Schuld, welche seit Jahren auf ihr lastete und der sie so lange entflohen war, bis sie nicht mehr länger davonrennen konnte.

Sie sah sich selbst, wie sie ihre Freunde - von denen sie bis dahin nicht einmal gewusst hatte, dass sie tatsächlichFreunde waren – verletzte. Wie sie Sam beinah getötet hätte. Wie sie Steve und Wanda quälte, bis diese vor Schmerzen schrien. Wie Natasha bereit dazu gewesen war, alles für sie zu opfern, während sie selbst sich nicht einmal an ihr Gesicht erinnern konnte.

Sie sah siebenundzwanzig andere Mädchen, deren Tod ihr das Leben geschenkt hatten. Und die sie eben deshalb niemals wieder vergessen durfte; ganz gleich, wie viele Jahre noch vergehen würden. 

„Ich sollte tot sein. Ich sollte überhaupt gar nicht existieren. Und dennoch bin ich hier. Scheint mir nicht besonders fair zu sein."

Für einen Moment zuckte ein frustriertes Schmunzeln über ihr Gesicht. Doch es verschwand so schnell, wie es gekommen war. Stattdessen betrachtete sie schweigsam die goldglänzende Kugel, welche an einer langen Kette um ihren Hals baumelte.

Sie sollte nicht mehr hier sein – und dennoch war sie es.

Gesund. Geheilt. Lebendig.


Sie zuckte nicht zusammen, als sie eine Berührung an ihrer Hand verspürte. Wandte sich nicht ab und entzog sich dem Griff, als sanfte Finger sich mit ihren eigenen verschränkten. Wehrte sich nicht gegen das tröstende Gefühl, welches sich in ihrem Inneren ausbreitete und die Last auf ihren Schultern ein bisschen leichter wirken ließ.

Es tat gut, nicht mehr alleine zu sein. Ihre Gedanken, die sie selbst nicht verstand, mit jemand anderem zu teilen.

Von einer Person verstanden zu werden, deren Weste blutgetränkt war – und die dennoch weitermachte. Wiederaufstand, einen Schritt nach dem anderen tat und Tag um Tag weiterkämpfe, egal wie aussichtslos der Kampf zu sein schien.

Die sich ihrer Schuld stellte und alles daran tat, um diese zu begleichen. Um die Welt etwas besser zu machen, als sie es gestern noch gewesen war.

Die Black Widow war ihr aller Vorbild gewesen. Ihr aller Antrieb. Ein Mahnmal für all diejenigen, die nach ihr kommen würden – für all diejenigen, welche blind an der Seite der Madame gestanden hatten und ihr auch über den Tod hinaus loyal ergeben waren, während sie die Strippen zog, als wären sie alle nicht mehr als Marionetten.

Als wären sie alle nicht mehr als Schachfiguren; ein Bauer, den man einfach opfern konnte. 

Doch die unwichtigsten Figuren können das Spiel entscheiden. Auch die perfekteste Kreation kann einen Riss bekommen. Die treusten Anhänger können einen verraten und die Loyalität wechseln. Und es reicht nur eine einzige, zweifelnde Person aus, um eine Kettenreaktion auszulösen.

Um einen Sturm zu erzeugen, dessen katastrophalen Ausmaße keiner zu stoppen vermag.

Sie selbst hatte diese Lektion gelernt – auf die harte Weise, wie jeder sie lernen musste.


„Ich hab mir oft die gleiche Frage gestellt", antwortete Natasha schließlich; ihre Stimme so leise, dass sie kaum mehr zu hören war. „Ich hab ständig einen Sinn gesucht, als alles völlig sinnlos erschien. Als es am einfachsten gewesen wäre, einfach aufzugeben."

Sie schwieg einen Augenblick, bevor sie ihre Hand vorsichtig drückte. Die Berührung ließ Ivana aufschauen und sie fand Natashas Reflexion.

Für einen Moment sahen sie einander an, bis die Frau schließlich ihren Blick wieder abwandte. „Aber dann bekam ich diesen Job. Diese Familie. Dieses Team. Und all das hat mich besser gemacht. Hat mir den Sinn gegeben, den ich gesucht und gebraucht habe."

Phantom 4 - the Red Room AcademyWhere stories live. Discover now