3. Frauen haben hier genau so viele Rechte wie überall - nämlich keine

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Otrera brachte mich in die Küche, und setzte sich auf einen Hocker gegenüber mir.  "Du kommst also aus der Zukunft, ja?" Misstrauisch sah sie mich an. "Ähm...Ja." erwiderte ich. Ihr Blick machte mich irgendwie nervös. Es lag etwas darin, was ich nicht genau deuten konnte. Eine Mischung aus unterdrückter Angst, Wut, vielleicht sogar Mordlust? Keine Ahnung...

"Gibt es in deiner Zeit keine Männer?" lautete ihre nächste Frage. Ich stutzte. In ihrer Stimme lag etwas sehnsuchtsvolles, und ich fragte mich wieso. So langsam würde mein Kopf wegen dieser vielen Fragen vermutlich explodieren.

"Natürlich gibt es auch Männer! Sonst wären die Menschen ja schon längst ausgestorben..." erwiderte ich nach kurzem Überlegen. Ich passte noch ziemlich auf meine Wortwahl auf, denn schließlich hatte Otrera immer noch ihren Pfeil.

"Leonora. Sind in der Zukunft die Männer auch so-" Otrera ließ die Frage in der Luft hängen. Ich dachte kurz nach. Dachte an die bekloppten Männer am Markt. Der Typ, dem ich (vermutlich) ein Trauma beschert hatte.

"Nein. Nicht alle." erwiderte ich. "Manche sind so - Na ja...Wie hier. Aber die meisten sind viel angenehmer." Das stimmte schließlich auch.

Otrera schaute sehnsuchtsvoll in die Ferne, bevor sie sich wieder mir zuwandte. "Ich besorg dir erst einmal etwas richtiges zum anziehen, dann gehen wir zum Markt. Schließlich muss ich noch Essen machen."

Unter "richtiges zum anziehen" verstand ich etwas anderes. Na ja - Ich war von dem Sturz mit Schlamm bedeckt, und meiner Jeans ging es auch nicht mehr so gut. Aber...

"Steht dir ausgezeichnet." bemerkte Otrera trocken. Ich trug einen knöchellangen Leinenchiton, was mich wie eine Dienstmagd aus dem antiken Griechenland aussehen ließ. 

Der Chiton war schwer, jeder Zentimeter Stoff wog gefühlt ein Kilogramm. Wieso waren noch keine Baumwoll-Kleider erfunden? Der Erfinder der Trainingsanzüge sei geheiligt...

"Haha. Keine Trainingsanzüge zur Auswahl?" fragte ich meine Gastgeberin. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sie endlich Pfeil und Bogen weggelegt, was meine Nervosität ein wenig senkte. 

"Was?" fragte Otrera verwirrt. "Was meinst du mit Tre-nings, Anzüge?" Mir wurde klar, dass es so etwas noch gar nicht gab. (Ja, manchmal brauchte ich echt lange, um Dinge zu kapieren.) Also winkte ich nur kurz ab.

Sie blinzelte noch ein mal verwirrt, dann begann sie mich aufzuklären. "Also, Leo. Frauen werden hier so schnell wie möglich verheiratet. Das heißt, dass du eigentlich schon einen Ehemann haben solltest. Hast du einen?" 

Uääh. Ich schüttelte mich, bevor ich "Nein." erwiderte. Otrera seufzte nur. "Du hast es gut. Ich wurde mit vierzehn verheiratet, an einen Mann, der die größte Morgengabe gezahlt hat." Morgengabe? Was war denn das? Ich beschloss, sie später danach zu fragen.

"Also. Generell sind keine Frauen auf dem Markt erlaubt. Seltsame Regeln von den Männern. In Ausnahmefällen, zu Beispiel wenn wir Lebensmittel einkaufen müssen, dürfen wir raus. Aber wir dürfen keine Kapuze tragen, außerdem ist es uns verboten, unnötig zu sprechen. Du hast Glück. Mein Ehemann kommt erst in drei bis vier Tagen zurück. Er ist auf Reise."

"Wow." staunte ich. "Und ich dachte, die Jungs in meiner Klasse sind schlimm." Mein Gegenüber schien verwirrt. "Jungs?" "Ähm, Buben." verbesserte ich mich. Es war unglaublich schwierig, so altmodisch zu reden. Hoffentlich würde ich mir nicht aus versehen auf die Zunge beißen.

Wir gingen barfuß zum Marktplatz. Otrera hatte mir erklärt, dass Schuhe oder Sandalen enorm teuer waren. "So was können sich nur die reichen Männer leisten." Wieder dieses Funkeln in ihren Augen, dass ich nicht richtig deuten konnte.

Auf dem Markt waren tatsächlich fast nur Männer zu sehen. Viele von ihnen bedachten uns mit abfälligen Blicken, oder riefen uns Schimpfwörter zu. Überall tuschelten sie über ein "gefährliches Weib, dass beseitigt werden muss." 

Zum glück hatte ich meine Kleidung gewechselt, so dass ich wie eine normale griechische Frau aussah. Sonst hätte das vermutlich wirklich nicht gut für mich geendet.

"Guten Tag. Ich hätte gerne ein Paar Feigen, ein Stück Ziegenkäse, Karotten, Zwiebeln, Knoblauch, Weizen und eingelegte Bohnen." bestellte Otrera bei dem Verkäufer.

Dieser sah sie nur missbilligend an, anschließend begann er, ihre Bestellungen in einen großen Korb zu packen. "Kein Geld?" fragte er, woraufhin Otrera den Kopf schüttelte.

"Die Rechnung geht auf meinen Mann." erwiderte sie mit einem  kleinen Grinsen. Der Verkäufer schob uns wortlos den Korb hin, und wandte sich wieder um.

"Ähm, Otrera? Ich - " Eine jähe Stimme ließ mich aufhorchen. Da Otrera den Korb mit einer Hand trug, nahm ich ihre andere, und zog sie zur Mitte des Platzes, wo sich eine Menschenmenge gebildet hatte.

Von hinten konnte ich zwar nicht viel erkennen, aber jemand ziemlich kleines schien sich in der Mitte der Menge klein zu machen. Neben mir schnappte Otrera nach Luft. "Nein. Das kann nicht sein. Das dürfen sie nicht!"

"Otrera!" rief ich. Wieso kapierte ich hier eigentlich nichts? Geschockt sah sie mich an. "Verstehst du das nicht? Da wird jemand verkauft."

"Jemand?" widerholte ich. Sie bestätigte dies mit einem finsteren Nicken. "Und es ist meine Cousine."

Ich sah sie fassungslos an. "Wieso tust du nichts dagegen?" 

"Das-" ihr Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an. "Geht leider nicht. Ich hatte zehn Cousinen! Sie sind alle..."

Ich war geschockt. Das durfte einfach nicht sein! Natürlich wusste ich, dass es im antiken Griechenland Sklaverei gab. Allerdings war es etwas ganz anderes, da zu sein und es mit zu erleben. Gerade raunte die Menschenmenge vor mir, und für eine kurze Zeit war Otreras Cousine zu sehen.

Der Moment, in dem ich mich entschied, etwas zu tun. Es war ein dummer, schlechter, und einfach schrecklicher Plan. Noch während die Menschenmenge vor mir raunte, kämpfte ich mir den Weg zu dem Mädchen frei. 

Das klingt jetzt vielleicht ziemlich heroisch, allerdings war es genau das Gegenteil. Ich schubste, und trat alle, die versuchten sich mir in den Weg zu stellen. Sagen wir es so - Viele Männer würden für ein paar Tage lang unfähig sein, sich ohne Schmerzen zu bewegen.

Als ich bei dem Mädchen angekommen war, stockte mir der Atem. Nicht, weil sie so hässlich war oder so - Nein. Genau das Gegenteil. Sie war echt hübsch. Ihre dunklen Haare fielen ihr gerade noch über die Schultern. Warme, braune Augen, die nur so vor Kampflust und Intelligenz sprühten, blitzten mich an. 

Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. Verdammt, was war nur in mich gefahren? Ohne etwas anständiges sagen zu können, stand ich neben ihr, und versuchte meinen Atem zu beruhigen. 

Das Mädchen stand auf, und sah sich hektisch um. "Irgendeine Idee, wo wir hin können? Diese vermaledeiten Männer kommen bald zu sich... Wer bist du noch mal?" 

Ich brauchte einen kurzen Moment, um mich wieder zu fassen. Vermutlich sah mein Kopf so aus, als ob er jeden Moment explodieren könnte - hochrot und glühend warm. "Äh..." stotterte ich. "Leo. Also Leonora. Und du?"

"Mein Name lautet Sofia." Sie sprach so, als ob sie aus einem alten Geschichtsbuch lesen würde. Vermutlich taten das alle im antiken Griechenland. Jedenfalls kam es mir so vor. "Übrigens hast du einen sehr bemerkenswerten Kampfstil."

Ich stammelte ein "Danke." und ging im Kopf meine Kenntnisse durch. Sofia bedeutete im griechischen so viel wie "Weisheit". In anderen Ländern aber auch "Die tugendhafte" oder "göttliche Weisheit". Der Name passte zu ihr.

"Nicht träumen! Wir müssen weg!" riss Otrera mich aus meinen Gedanken. Tatsächlich, die ersten Typen kamen schon wieder auf die Füße. Einfach nur nervig. Also folgten Sofia und ich Otrera, direkt in den Wald hinein.

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