Kapitel 24

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Nach dem Englischaufsatz schafften wir gerade noch so eine Runde „Siedler von Catan", bevor Izzy auch schon wieder nach Hause musste.
„Irgendwie ist das doch echt scheiße für sie.", murmelte Akira, während sie Teller auf den Tisch stellte und ich den Topf mit der aufgewärmten Suppe von gestern dazwischen platzierte. „Am Vormittag macht sie ihre eigenen Aufgaben und am Nachmittag hilft sie uns mit unseren."
„Ohne sie wären wir komplett aufgeschmissen. Aber ja, wo du recht hast, hast du recht. Am Wochenende müssen wir unbedingt was cooles mit ihr machen. Von Freitag auf Samstag darf sie ja sicher übernachten."
„Dann können wir endlich wieder zu dritt fliegen." Beim Gedanken daran, auf dem Rücken ihres Einhorns über die Baumwipfel zu streifen fingen ihre Augen an zu leuchten.
Schon um halb neun fielen wir schließlich beide ins Bett. Ich war froh, den verlorenen Schlaf der letzten Nacht nachholen zu können.

Am nächsten Morgen weckte und ein Deja-vú. Das Telefon klingelte. Wieder polterte ich die Treppen nach unten und riss den Hörer von der Wand.
„Ja?"
„Guten Morgen, Nora." Cameron. Oh Gott.
„Was gibt's schon wieder?"
„Das gleiche wie gestern. Bei McNeil an der kleinen Weide. Kriesensitzung machen wir bei Dunnmores Wagen."
„Bis gleich." Ich hängte den Hörer stöhnend wieder an die Gabel und schlug meinen Kopf einmal gegen die Wand. Das tat weh und bewirkte absolut nichts.
Also, Treppe wieder hoch, Akira wecken, anziehen, schnell Zähne putzen und losreiten. Heute mussten wir zum Glück nicht laufen und das letzte Stück fielen die beiden Ponys sogar in einen zügigen Trab. Die ganze Zeit über hatte ich nur einen einzigen Gedanken. Scheiße. Das wird nicht gut ausgehen. Die Gedanken waren so stark, dass auch Joy sie hören konnte und sie mich ermahnte, dass Scheiße ein böses Wort war.

Bei Dunmores Wagen waren wir nicht einmal die letzten. McNeil war ein mittelalter, eigentlich sehr freundlicher Mann, der immer für einen Spaß zu haben war, aber heute war seine Mine nicht freundlich und verschmitzt, sondern das genaue Gegenteil. Auch Chap schien die ernste Stimmung zu bemerken und er kam nur schwach mit dem Schwanz wedeln auf mich zu und nicht wie sonst, freudig bellend. Ich wuschelte ihm durch das dichte Fell und er hechelte glücklich. Bis die Schäferin da war, wurde kein Wort gesprochen. Erst als sie sich fünf Minuten später neben Dunmore auf die Treppe seines Wagens gesetzt hatte, fing Cameron an zu sprechen.
„So. Hat sich eure Meinung jetzt geändert?" Seine Stimme war kalt und fordernd. Ich schüttelte den Kopf. Zu meinem Entsetzen aber, nickten die Schäferin und McNeil. Nur Dunmore schüttelte ebenfalls den Kopf.
McNeils Stimme war brüchig „Zwei Schafe in zwei Nächten. Und dann auch noch eins der Lämmer."
„Nora, sei bitte vernünftig.", wandte sich die Schäferin an mich. „Wölfe sind gefährliche Tiere."
„Warum fragen wir sie überhaupt. Sie ist doch noch ein Kind. Wir sollten ihre Mutter fragen!", fauchte Cameron.
„Erstens, hast du mich angerufen und zweitens bin ich zwar ein Kind, aber nicht dumm!", schoss ich zurück. „Ihr beiden nehmt eure Hütehunde nachts mit rein. Sie und Dunmore nicht. Ist doch klar, dass die Wölfe da keine Angst haben!"
„Du hast doch keine Ahnung, Mädchen!"
Gleichzeitig kochten Wut und Tränen in mir hoch. „Aber du, oder was!? Hast du denn irgendeine Ahnung von Wölfen?!" Ich stand aus meiner Hocke auf, in der ich Chap gekrault hatte. Ich war trotzdem zwei Köpfe kleiner als er. „Du kennst doch nur deine Schafe!"
„Nora, bitte, du verstehst nicht...", versuchte die Schäferin mich zu beruhigen, aber ich hörte sie kaum noch, so laut rauschte das Blut in meinen Ohren. Diesmal packte ich Akira am Handgelenk und zog sie mit mir weg.
Als wir außer Sichtweite waren und der sichere Wald uns umgab, schlang ich die Arme um Joys Hals und ließ meinen Tränen freien Lauf. Zitternd stand ich so vor ihr. Ich wollte einfach nur verschwinden. Oder im Erdboden versinken. Akira zog mich in eine Umarmung. Das passierte nicht oft. Akira war kein Mensch, der tröstete, sondern einer, der Lösungen fand, aber jetzt hielt sie mich einfach nur fest, während ich versuchte meine Emotionen unter Kontrolle zu bekommen.
„Ich hasse es.", flüsterte ich. „Warum behandeln die mich wie ein beschissenes Kleinkind? Warum behandeln mich alle wie ein scheiß Kleinkind?!"
„Weil für sie alles unter sechzehn nicht für sich selber denken kann." Akira streckte mich an den Schultern eine Armlänge von sich weg. „Hör auf zu weinen. Du musst drüber stehen. Beweis ihnen das Gegenteil."
Ich wischte mir die Tränen weg und schluckte mühsam den Kloß in meinem Hals herunter. „Aber wie denn bitte?"
Akiras Augen verengten sich zu entschlossenen Schlitzen. „Du beweist deinen Punkt. Wir ziehen das mit dem Schutzzauber durch."
„Aber du hast doch-"
„Ich weiß was ich gesagt habe. Vergiss es einfach. Die Wölfe sind jetzt ernsthaft in Gefahr. Wenn Dunmore klein bei gibt, dann hören sie auch nicht mehr auf dich."

Die Einhörner vom Westwald || Die Rückkehr der WölfeWhere stories live. Discover now