3 (Jo)

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Der Anblick des kleinen Mädchens hatte Jo vollkommen aus der Bahn geworfen. Er wagte es nicht einmal mehr in die Akte des Falles zu blicken. Nur seine Waffe starrte er seit zwei Stunden unentwegt an. Immer wieder führte er sie zu seinem Mund und fand doch nicht den Mut, den verdammten Abzug zu drücken. Ein kleiner Junge wurde ermordet und wen rief man für eine solche Anklage alles Guten? Natürlich ihn. Kein Mensch mit gesundem Verstand ausgestattet würde sich diese Dinge freiwillig antun.

Die Grünschnäbel taten es vielleicht freiwillig, doch sie wussten es nicht besser. Jo wusste es und dennoch konnte er nicht damit aufhören. Vielleicht war er für immer dazu verdammt, nach den Stücken des „verrückten Geigers" zu tanzen. Gab es überhaupt noch einen Ausweg aus dem Ganzen?

Wahrscheinlich gab es nur einen Weg all dies hinter sich zu lassen, einen Ausweg, der in seinen Händen lag. Konnte ihn dieser mit dem Verlorenen vereinen oder würde er für immer alles von ihm nehmen? Beides wäre wohl besser als das Hier und Jetzt.

Jos Verzweiflung schlug in Wut um und die Öffnungen seiner Nase bebten unter den machtvoll eingesogenen Luftzügen. Wieso hatte er sie ausgerechnet heute sehen müssen? Ihm waren wichtige Dinge auf dem Friedhof entgangen, war er überhaupt noch der richtige für diesen Fall oder irgendeinen Fall? Er war so unendlich müde.

Gefolgt von einem markerschütternden Schrei warf er den Revolver gegen die Wand seines kleinen Zimmers. Seit den Achtzigern wurde in diesem Raum nichts mehr verändert, das Bett, der Nachttisch und alle Schränke waren aus dunklem Holz und Blumenmuster verzierten die Wände. Außer dem Bett gab es noch einen kleinen Tisch und vier passende Stühle dazu. Das Bad war in Ordnung, er brauchte nicht viel. Alles, was er brauchte, war Ablenkung und diese lag auf dem Tisch. Gedankenverloren blickte Jo zu den Akten.

Gerade als er sich aufsetzen wollte, klopfte es an der Tür. Wer mochte dies nun schon wieder sein? Eben erst war doch die Besitzerin des Gasthauses hier und strapazierte seine Geduld. Die neugierigen Fragen hallten noch immer in seinem Ohr. In einem Dorf mit 2.000 Seelen blieb eben kein Geheimnis verborgen, doch woher seine Gastgeberin wusste, dass er für die Polizei arbeitete, war ihm ein Rätsel.

Mit knackenden Knien machte er sich auf den Weg zur Tür und wollte schon lospoltern, doch es handelte sich um Fred und nicht um die geschwätzige Frau von eben. Trotzdem öffnete Jo die Tür nur äußerst widerwillig.

„Alles in Ordnung?", fragte Fred und quetschte sich an ihm vorbei in das Zimmer hinein. Man sollte das Recht haben, jemanden nach einer solchen Frage erschießen zu können. Sein Freund würde keine Entschuldigung zulassen, er konnte verdammt hartnäckig sein.

„Alles in Ordnung. Dachte nicht, dass du noch kommst", gab Jo trocken als Antwort.

Fred inspizierte den Raum und sein Blick verweilte nur kurz bei dem Stapel Zeitungen, die auf dem Tisch lagen und der Waffe, die von der Wand wieder zurück in den Raum geprallt war.

Sein Freund schaute ihn nicht mehr an, zögerlich ging Fred zur Waffe hin, während Jo die Tür schloss und wieder die Mitte des Raums betrat. Sein Freund hob den Revolver an und strich über die vordere Öffnung, tiefe Schatten zogen sich danach über sein Gesicht. Abneigung spiegelte sich in Freds Miene wider und er kam zu Jo herüber.

„Was ist los?", fragte Jo. So hatte er seinen Freund noch nie gesehen, Wut gehörte eigentlich nicht zu seinem emotionalen Repertoire.

Ohne die Frage zu beantworten schlug Fred ihm mit der flachen Hand gegen die linke Wange, Jo taumelte einen Schritt zurück und führte reflexartig eine Hand an die schmerzende Stelle.

„Was soll der Scheiß?", fragte Jo wutentbrannt.

„Das sollte ich dich fragen, du undankbares Stück Scheiße", polterte Fred los. „Reicht es dir schon nicht mehr dich selbst zu bemitleiden? Wenn du tot bist, bringt das niemanden zurück und deine Leiden enden dann auch nicht."

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⏰ Last updated: Oct 01, 2019 ⏰

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Für immer schlafende Kinder - Gerechter ZornWhere stories live. Discover now