2 Jo

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Dieser ganze Tag war ein Hohn, den kompletten Sommer über hatte es keinen so schönen Tag gegeben. Das Wetter konnte großen Einfluss auf die Menschen haben, ihm war es jedoch völlig gleich. Alle Mitglieder der Trauergemeinde trugen schwarz, so wollte es die Konvention und er hatte sich dieser angepasst. Momentan war es nicht hilfreich aufzufallen. Denn nur wer unsichtbar war, konnte nahezu jedes Geheimnis ergründen, es gab nichts, was ein Mensch nicht einem vermeintlich leeren Raum erzählen würde. Die eigenen Sünden fraßen einen auf, irgendwann brachen die Taten aus einem heraus und man versuchte sie vor sich selbst zu rechtfertigen und nur der Unsichtbare konnte diese stummen Geständnisse hören.

Der leitende Beamte vor Ort hatte ihm einen jungen Kommissar zur Seite gestellt, der Polizeipräsident Haber, dem das Ludwigsburger Gebiet unterstellt war, wollte sich wohl weitestgehend von dem Fall distanzieren. Zwei Tote und ein verschwundenes Kind waren selten der Anfang einer Heldengeschichte. Jo sollte es recht sein, eigentlich brauchte er niemanden, die meisten standen ihm sowieso nur im Weg. Immer wieder vergaß er den Namen des jungen Kommissars, es war schwer sich Dinge zu merken, die einem vollkommen gleich waren.

Doch Jo wusste bei diesen Gedanken, dass sie nicht zu hundert Prozent der Wahrheit entsprachen. Irgendetwas war an diesem jungen Kerl, dass ihn interessierte. Dieser jugendliche Schalk in den Augen, die Gewissheit etwas Sinnvolles zu tun, Jo kannte diesen Ausdruck und es machte ihn traurig, wie hart die Realität jeden jungen Polizisten irgendwann traf.

„Wie war wieder Ihr Name?", fragte Joost den jungen Kommissar, der ihn mit glasigen grünen Augen anblickte.

„Schär", sagte der junge Mann.

Die Unsicherheit war ihm anzusehen, die blonden kurzen Haare waren streng zur Seite gekämmt, der Anzug musste mehrere Hundert Euro gekostet haben. All dies war der klägliche Versuch, über das eigene Alter hinwegtäuschen zu wollen, doch das Grün hinter den Ohren war trotz aller Mühen zu sehen.

„Nenn mich Jo", sagte Joost und nickte Schär kurz zu, um ihm zumindest einen kleinen Teil seiner Anspannung zu nehmen.

„Natürlich, wie Sie wollen", beeilte sich Schär zu sagen. Seinen Vornamen wollte er wohl nicht preisgeben, Jo schob es aber auf die Anspannung und unterstellte keine böse Absicht. „Darf ich Sie etwas fragen?"

Jo zog die Brauen nach oben und knetete sich mit der rechten Hand das Ohrläppchen, nickte dann aber. Sein Blick ruhte noch immer auf der Trauergemeinde.

„Sie sind eine Legende und ich erachte es als große Ehre mit Ihnen, ich meinte für Sie arbeiten zu dürfen", stotterte Schär sich die Einleitung seiner Frage zusammen. Jo nickte erneut geistesabwesend. „Warum will im ganzen Umkreis niemand mit Ihnen arbeiten?"

Die Frage traf Jo wie einen Schlag, man musste Eier haben, um eine solche Frage zu stellen. Doch Mut allein reicht für eine Antwort nicht aus. „Kluge Fragen kann jeder Idiot stellen, also was würdest Du sagen, wieso will niemand mit mir arbeiten?", fragte Jo und blickte dem blonden Mann in die Augen, sie waren graugrün und lagen tief. Der junge Mann überlegte, doch das Leben bot nicht genug Zeit, um über jede Frage nachdenken zu können. „Oder sind Sie womöglich doch ein Idiot?", hackte Jo nach, um seinem Gegenüber weniger Zeit zu lassen.

Schär schüttelte den Kopf, konnte aber den Mund noch immer nicht öffnen. Erst als Jo wieder zur Trauergemeinde blickte, hatte der junge Mann seine Stimme wiedergefunden. „Ich denke es hängt mit der Angst zusammen", gab Schär als Antwort und Wut stieg in Jo auf.

„Angst ist nicht der Grund für alles, wir haben viel zu viel Angst. Wirkliche Gründe gehen tiefer", sagte Jo und wollte weitermachen, wurde aber von Schär unterbrochen.

„Nicht die Angst vor Ihnen", sagte der junge Kommissar und Jo wurde hellhörig. „Es ist die Angst zu versagen. Womöglich nichts weiter, als eine derbe Niederlage zu erfahren."

Für immer schlafende Kinder - Gerechter ZornWhere stories live. Discover now