Eine Einführung

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Ich wurde eines Tages in Stuttgart, als ich auf dem Weg nach Hause war, von hunderten schwerbewaffneten Bundespolizisten begrüßt. Tags zuvor hatte ein Anschlag in Frankreich stattgefunden.

Zuerst beachtete ich es nicht, doch irgendwann begann ich mir Gedanken zu machen:

Ich interessierte mich ungewöhnlicherweise nicht für meine eigene Angst, sondern für die Motivation der Massenmörder. Ich las die Geschichten der bekanntesten Amokläufer und Selbstmordattentäter und stellte fest, dass sie alle etwas gemein hatten, sie litten, Leid war das große Thema ihres Lebens und so stapelten sich Ressentiments gegen die Gesellschaft in ihnen auf.

Es gab etwas Böses in ihnen und dieses Böse projizierten sie auf andere. Doch war dieses Böse nur in ihnen oder kann ein jeder von uns zum „gerechten" Mörder werden? Die Schrecken des 20. Jhd. schreien uns die Antwort ins Gesicht: NATÜRLICH!

Dies ist die Metaebene meines Buches. Jede Gesellschaft ist nur eine Generation vom Totalitarismus entfernt.

So ist aus dieser meiner Geschichte, diese Geschichte entstanden. Meiner Meinung nach ist sie gelungen. Letztlich verbindet uns nämlich das individuelle Leid miteinander, doch ebenso kann diese Verbindung zu zahllosen Tragödien führen.

In einem Zeitalter der Ideologien ist unser dunkler Hunger nämlich schlimmer als jemals zuvor oder kommt zumindest ohne Regulation daher.

Doch es ist noch etwas schlimmer als das, wir manipulieren uns selbst dazu zu glauben, dass es nicht Hass ist, der uns antreibt, sondern gerechter Zorn.

Eines muss uns jedoch bewusst sein: Die schlimmsten Taten der Menschheitsgeschichte wurden im Namen des gerechten Zorns verübt.

So schreiben sogar kulturkanonische Texte wie die Bibel vom Brudermord, vom „gerechten Zorn" eines Bruders über den anderen. Abels Arbeit wurde von Gott gewürdigt, jene Kains nicht.

Totalitaristen machen das „Böse" in Gruppen aus und dies lässt ihren gerechten Zorn frei. Die Nazis in den Juden, die Stalinisten in den Kulaken und die Sozialisten unserer Welt in den Profiteuren des freien Marktes. Sie sind davon überzeugt, wenn nur diese Gruppe verschwindet, rückt eine gesellschaftliche Utopie einen Schritt näher. Dies verleitet sie dazu ihren gerechten Zorn auf Ausbeuter, Monster und Parasiten zu richten.

Den Massenmördern geht es nicht anders. Dies geht aus den literarischen Hinterlassenschaften der meisten Amokläufer hervor. Sie projizieren ihren Selbsthass auf den Rest der Menschheit. Die Menschheit ist böse, schlecht, ein Virus und dies macht es nicht nur okay Menschen zu töten, es wird zur Pflicht des „Helden". Immer wenn sich Zorn gegen das „Böse" richtet, ist er doch gerecht? Dann dient er doch einer gerechten Sache?

Wir alle tendieren zu dieser Art der Selbstrechtfertigung, vielleicht weil wir nicht wissen, zu was es im schlimmsten Fall führen kann, zu was wir selbst fähig sind.

Für immer schlafende Kinder - Gerechter ZornWhere stories live. Discover now