Kapitel 52

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Kapitel 52

„Nicht bewegen.", formten Mikéles Lippen. Als ob wir so blöd waren und jetzt anfingen zu zappeln. „Komm, lass uns weitergehen!", hörte ich einen der Uniformierten sagen. „Hier ist nichts! Die sind doch nicht so blöd und bleiben hier! Bestimmt sind die schon weit weg." Der, der gesprochen hatte, ließ genervt seine Waffe sinken. Dafür kassierte er einen Blick von dem Leiter des Suchtrupps. „Wenn ich sage, sie sind hier, dann sind sie auch hier!", herrschte der Leiter den Uniformierten an. „Und jetzt heben Sie endlich wieder Ihre verfluchte Waffe, Agent!" Ich machte mich kleiner. Leider wusste ich, dass meine Chancen unentdeckt zu bleiben, recht schlecht standen. Auf Grund meiner hellen Haare und meiner hellen Haut konnte ich mich schlecht im Wald, oder irgendwo anders, tarnen. Es sei denn, alles wäre von Schnee überzogen. Doch da es nicht so war fiel ich auf wie ein weißer Tiger im Regenwald. Wenn der Dornenbusch vollkommen dicht bewachsen gewesen wäre, hätte ich vielleicht die Chance gehabt, ungesehen zu bleiben, doch da dem nicht so war, stach mein silbern-weißes Haar zwischen den Zweigen nur so heraus. Genau in diesem Moment blickten die Männer in unsere Richtung und ihre Blicke blieben an dem Dornenbusch hängen, hinter dem wir uns versteckten. Der Leiter runzelte seine Stirn. „Da ist etwas!", meldete sich ein weiterer Uniformierter zu Wort. „Ach, was Sie nicht sagen!", höhnte der Leiter. „Und jetzt seid still! Ruft doch gleich, dass wir etwas gefunden haben!" Wütend besah er seine Agenten. Ich schluckte. Scheiße. Ich spürte die entsetzten Blicke der Jäger auf mir. Natürlich. Jetzt war ich auch noch Schuld daran, dass wir entdeckt wurden! Es war vorbei. Ich sah, wie die Uniformierten mit ihren Pistolen auf mich zielten. Hastig kramte Mikéle in seinem Rucksack, zog etwas Grünes heraus, das ich als eine Jacke identifizierte. Zur gleichen Zeit schnappte sich James einen Stein und hielt ihn fest umklammert. Als Mikéle mir seine Jacke überwarf, warf James den Stein weit von uns weg und er prallte einige Meter seitlich von den Agenten an einen Baum. Sofort drehten diese sich um und zielten in die Richtung des Geräusches. Diese Zeit der Ablenkung nutzte Mikéle um auf mich zu zu kriechen und mir seine Jacke ordentlich über zu ziehen, so gut es eben ging. Mit Hilfe der Kapuze wurden meine Haare, wie auch mein Gesicht verdeckt und er drehte mich noch so, dass nur das Grün seiner Jacke durch den Dornenbusch zu sehen war. Dadurch konnte man nichts Auffallendes mehr sehen. „Da ist nichts.", hörte ich da den Leiter wütend sagen. Sie drehten sich alle wieder zu dem Dornenbusch um, doch suchten vergeblich nach etwas weißem, das durch die Äste durchschien. „Sie sind weg!", rief der Leiter verärgert. Wütend drehte er sich zu seinen Agenten um. „Es ist Ihre Schuld! Hätten Sie nicht mit aufgepasst, würden sie noch da sein! Sie haben uns abgelenkt!" Der Leiter war wirklich ätzend! Ich wagte es nicht mich zu bewegen. „Weit können sie nicht sein.", versuchte einer der Uniformierten, den Leuter zu beruhigen. „Weit können sie nicht sein.", äffte der Leiter ihn angewidert an. „Ja, ist klar!" Drohend kam er auf den zu, der das gesagt hatte. Dieser warf seinen Kameraden einen unsicheren Blick zu. „Sie haben überhaupt keine Ahnung von diesen ... diesen Wesen!", sagte der Leiter so leise, dass es umso bedrohlicher wirkte. Mit jedem Schritt den er auf den Uniformierten zuging, wich dieser einen Schritt zurück. Fehlte bloß noch, dass der Leiter ihm die Pistole an den Kopf hielt, dachte ich finster. Abrupt ließ dieser jedoch von dem Agenten ab. Und als wäre nichts geschehen deutete er in die Richtung, in die James den Stein geworfen hatte. „Wir gehen dort lang. Sie scheinen dort entlang gegangen zu sein!" Jemand wollte etwas entgegnen, doch ein anderer Agent stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen und schüttelte still seinen Kopf. Sie verschwanden wieder hinter den Bäumen. Ich konnte den Leiter nur fassungslos anstarren. Hatte der nicht gerade eben noch gesagt, dass das nur eine Ablenkung gewesen war? Was war das denn für ein merkwürdiger Typ? Oder sollte das irgendein Trick sein, um uns aus unserem Versteck zu locken?

Wir alle hockten noch eine Weile bewegungslos am Boden, bis wir uns auch wirklich sicher sein konnten, dass die Agenten fort waren. Da ich sie aber auch nicht mehr hören konnte, stand ich auf. Sofort taten es mir die Jäger gleich. Ich musste ein Schmunzeln unterdrücken. Sie vertrauten immerhin auf meine Instinkte. Und das mehr als auf ihre eigenen. „Deine Jacke.", sagte ich zu Mikéle und versuchte sie mir mit meinen gefesselten Händen von den Schultern zu ziehen. „Lass das.", sagte Mikéle jedoch nur. „Du brauchst sie anscheinend dringender als ich." Und bei diesen Worten ließ ich meine Hände sinken. Er hatte recht. Im Wald fiel ich zu sehr auf und wir würden nicht ewig im Wald herum laufen. Irgendwann würden wir auch auf andere Menschen treffen. Ich durfte nicht zeigen, was ich war. Mikéle griff erneut in seinen Rucksack und zog eine Sonnenbrille hervor, die er wortlos an Liam weiter reichte. Mikéles Blick glitt zu Kieran, als überlegte er, ob er ihm auch irgendetwas geben sollte, doch er entschied sich anscheinend dazu, dass Kieran keine Hilfe beim Tarnen brauchte und ließ es sein.

„Wir müssen schnell weitergehen!", sagte Jo. „Sonst kommen diese Idioten vielleicht noch auf die Idee, dass sie in die falsche Richtung gehen!" Erneut fragte ich mich, wie Lucius angefangen hatte, mit den Reyes-Geschwistern zusammen zu arbeiten. Doch ich sprach meine Frage nicht aus. Es war nicht der richtige Zeitpunkt dazu, falls es denn jemals den richtigen Zeitpunkt geben würde. Die Jäger begannen zügig weiter zu laufen und Kieran, Liam und ich folgten. Mikéle ging nach wie vor hinter uns. Kieran ließ sich ein wenig zurück fallen um neben mir her zu laufen. „Es wäre besser gewesen, wenn du dich so tarnen könntest, wie ich.", stellte er fest. „Bei dir wird es am schwierigsten, doch vor den Menschen zu verstecken."

„Ach, was du nicht sagst.", brummte ich schlecht gelaunt und versuchte Mikéles Jacke zurecht zu zupfen, was mir allerdings nicht so recht gelingen wollte. Kieran seufzte. „Warte.", sagte er. „Ich mach schon." Nun fummelte er ungeschickt mit seinen gefesselten Händen an der Jacke, schaffte es jedoch, sie zu richten. „Danke.", murmelte ich.

„Kein Problem.", grinste Kieran. Ich bemerkte Liams bösen Blick, der auf Kieran lag. Was hatte der denn auf einmal? Liam legte einen Schritt zu und lief nun auf der anderen Seite neben mir her. „Du solltest dir die Kapuze mehr ins Gesicht ziehen.", sagte Liam. Ich verdrehte meine Augen. „Ach und wie soll ich das bitte machen?", erwiderte ich sarkastisch. Liam seufzte und zog vorne an der Kapuze. „So zum Beispiel.", sagte er grinsend. Die Kapuze hing mir nun halb im Gesicht. „Du weißt schon, dass wir noch immer im Wald sind, oder?", fragte ich. Liam lachte. „Natürlich. Ist doch nicht zu übersehen." Ich verdrehte erneut meine Augen, grinste jedoch. Doch dann dachte ich an Aldric, an Audra und an ihr Haus. Das Grinsen verschwand abrupt aus meinem Gesicht. Das entging Liam nicht. Natürlich nicht. Auch sein Grinsen verschwand. Er wusste genau woran ich dachte. „Audra wird schon nichts passiert sein.", murmelte er. „Die werden sie nicht töten." Ich lachte freudlos auf. „Nein, aber sie werden sie wegsperren. Und Aldric- ..." Ich verstummte. Wir beide schwiegen. Der letzte Teil meines angefangenen Satzes schwebte unsichtbar um uns her. Wir wussten beide, was ich hatte sagen wollen. Und Kieran hätte sich nicht mit uns auf der Flucht befunden, wäre er einfach im Haus der Severos geblieben. Weshalb er die Flucht jedoch vorzog konnte ich ziemlich gut nachvollziehen. „Hey!", rief Kieran plötzlich nach vorne. „Du da! - Ja, genau dich meine ich!" Lucius sah Kieran fragend an. „Wo bringst du uns eigentlich hin, jetzt wo du weißt, dass sie uns suchen?" Lucius wirkte so, als wolle er nicht wirklich mit Kieran reden wollen. Er presste seine Lippen fest aufeinander, musterte Kieran feindselig. „Hey, ich rede mit dir!", rief Kieran meinem Bruder energisch hinterher, als dieser sich umdrehte und ohne Kieran eine Antwort zu geben, weitergehen wollte. „Bist du etwa schwerhörig?!" Ich sah Kieran seine schlechte Laune an. Wütend blieb mein Bruder stehen und drehte sich drohend zu Kieran um. Er bemerkte anscheinend, dass Kieran nicht aufgeben würde. „Wir gehen zu den alten Ambrosia-Laboren.", informierte Lucius Kieran widerwillig. „Dort wird man uns am wenigsten erwarten, weshalb niemand dort suchen würde." Ich zog misstrauisch meine Augenbrauen zusammen. Ich glaubte nicht, dass das der einzige Grund war, weshalb mein Bruder dorthin wollte. Er hatte irgendetwas vor. Das sah ich ihm an. Doch was? Weshalb wollte er uns zu den alten, zerstörten Laboren führen? Lucius hatte noch einen anderen Grund, weshalb er dorthin wollte. Allerdings war ich nicht in der Lage um zu sagen, weshalb. Vielleicht würde ich es herausfinden. Viel konnte man dort nicht mehr machen. Das Gebäude und alles innen drin war von meinem Eis zerstört worden. Was hatte er vor?

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now