Willkommen in der Karibik

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Port Royal, 3. März 1714

"Wenn man mich irgendwann fragen sollte, wann wurdest du geboren, so würde ich stets sagen... heute" (Der Namenlose)

Es war wie eine Geburt, nur ohne Blut und Schmerz, aber in der Bedeutung doch gleich. Der erste Schritt vom Schiff, eine einfache Handelsbrigg, war eben ein Schritt in ein neues Leben, analog wie der Säugling der den Schritt aus dem Mutterleib geht. Das was vorher im Bauch oder wie in diesem Falle England geschah, war nicht mehr wichtig. Es zählte nur noch die Zukunft. Die blauen und schon damals kalten Augen schweiften über die kleine Stadt Port Royal. Streng genommen war er immer noch in England, aber anfühlen tat es sich schlichtweg wie Freiheit. Alles war anders, die Luft roch salzig mit einem Hauch von Tabak und Rum, der Strand war weiss, wie die Kreidefelsen von Dover und die Palmen bogen sich in der leichten Brise mit grünen Blättern, selbst der beste englische Rasen strahlte nicht in einem solch satten Grün. Überhaupt schienen die Farben überall und an jeder Ecke zu leuchten und sogar der Union Jack schien von der Atmosphäre angesteckt zu leuchten. Das leichte plätschern der Wellen, die sich sanft an den Strand schmiegten klang, wie eine Melodie aus dem tiefsten Herzen eines jeden Mannes und die Schiffe, die tanzten dazu auf dem hellblauen und klaren Wasser.

Überall waren Gerüche und Stimmen wahrzunehmen, Klänge fremder Sprachen vermischt mit einigen Brocken Englisch und Französisch. Träger löschten die Ladung der Schiffe oder beluden sie erneut, Geflügel gackerte, Fässer mit klarem Wasser und Rum, Kisten von Obst, die er nie zuvor gesehen hatte, Brotlaibe und was auch immer man sich vorstellen konnte. Der Anblick der Köstlichkeiten löste im Magen des Blonden ein leises Knurren aus, der Appetit war erwacht. Skeptisch hob er den kleinen Beutel mit Münzen an sein Ohr liess sie klimpern und seufzte. Wenige Schilling waren übrig geblieben, aber lange würde sie nicht reichen. Aber auch diese Sorgen vertrieb er aus seinem Geiste, der Tag war viel zu schön, um sich um derlei Kleinigkeiten zu sorgen. Die Sonne strahlte in all ihrer Pracht über einem strahlend blauen Himmel, über einen nicht minder blauen Meer, nein es war eindeutig kein Tag für trübsinnige Gedanken.

"Willkommen in Port Royal....", klang es von einem gut gekleideten Mann herüber. Er begrüsste die Neuankömmlinge in freundlicher aber distanzierter Art. Die aufmerksamen Augen des Kerles suchten die Ströme von Menschen ab, prüften und fixierten dann nach und nach den einen oder anderen jungen Mann. Ein merkwürdiges Verhalten, wie der blonde Jüngling empfand, aber nicht uninteressant. Für diesen Moment war es aber unwichtig und so liess er sich mit dem Strom an Neuankömmlingen weiter treiben. Gierig nahm er die neuen Eindrücke auf, Menschen unterschiedlichster Herkunft kamen hier offenbar zusammmen und doch schienen viele den gleichen Wunsch im Herzen zu tragen, den Ruf der Freiheit. Freiheit war ihm in den letzten Monaten ein kostbares Gut geworden. Die wenigen Tage im Kerker von York hatten ihm gereicht. Kalt war es, dreckig und feucht und nachdem er eine Woche später wieder in die Freiheit enlassen worden war, gab es für ihn zwei Punkte, die er im Sinn hatte. Das eine war eine Frage, wie andere Monate oder Jahre in seinem solchen Ort überleben konnte und das zweite eine Feststellung, das England ihm nicht das bieten konnte, was er brauchte und begehrte.

Eine kleine Handbewegung in Hüfthöhe, ein vergnügtes Pfeiffen und in seiner Tasche verschwand der kleine Beutel mit klimpernden Münzen eines Händlers. Warum war dieser auch um diese Uhrzeit schon betrunken und zeigte sein Geld so offenherzig herum. Im Endeffekt hat er ihm sogar einen Gefallen getan, andere hätte sein Leben bedroht oder es gar genommen, er hingegen war elegant und wenn der arme Tölpel seinen Rausch erst ausgeschlafen hatte, würde er wahrscheinlich nicht einmal mehr wissen, ob er Geld bei sich getragen hatte. Ja, er war ein guter Mensch.

Aber auch gute Menschen mussten überleben, sie brauchten Nahrung, das ein oder andere Bier und natürlich auch eine Arbeit. Nein, er hatte kein Problem mit redlicher Arbeit, wenn sie ebenso profitabel waren, wie andere Möglichkeiten. In England war die Antwort leicht gewesen, im Dienst eines mehr oder weniger reichen Adeligen im Dreck leben und vor sich hin vegetieren oder freiberuflich tätig zu sein. Aber das Leben in Europa war härter geworden, immer wieder drückten die Kriege ihren Stempel auf und damit war die Not des kleinen Mannes grösser geworden. Hier aber in der Karibik boten sich gänzlich andere Möglichkeiten, Freibeuter, die im Sinne des jungen Mannes damit freiberufliche Händler waren, waren durchaus in einem interessanten Tätigkeitsfeld unterwegs. Es gingen Gerüchte um, das die Beute zu gleichen Teilen verteilt wurde und sogar, dass man entlohnt wurde, wenn man verkrüppelt aus der Schlacht wiederkehrte. Alles in allem klang das durchaus akzeptabel.

Chroniken des Namenlosen ~ Winde des BlutesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt