Prolog

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Kingston, 24. August 1722

"Angeklagter erhebt euch!", krächzte die rauhe Stimme des Richters von seinem Pult. Die gepuderten Wangen, umgeben von einer dieser lächerlichen Perücken mit den weissen Locken rahmte ein markantes, aber altes Gesicht ein. Die engen Augen des Richters starrten hinab auf die Anklagebank, Schweiss perlte von der Stirn. Die Hitze in dem überfüllen Gerichtssaal lastete schwer und drückte die Luft, die aromatisiert war von den Süsslichen Parfümen der hohen Herren. Das Schlagen des Hammers unterstützte die Aufforderungen und das bis eben noch, wie ein Bienenschwarm vorhandende Murmeln starb langsam. Die Augen der Zuschauer, teils aus Neugier, teils aus Antiphatie und teils auch Sympathie heute hierher gekommen blickten gebannt auf die Gestalt auf der Anklagebank. Dicke eisenere Fesseln rasselten an Füssen und Händen. Die Kleidung war abgetragen und schmutzig, die letzten Tage im Kerker waren alles andere als eine gewohnte Umgebung zum Schlafen, aber immerhin hatte er sich mit den Ratten angefreundet. Innerlich lächelte er, hielt er die Ratten für deutlicher intelligenter als den Richter vor sich. Langsam schaute er vom Boden auf, die wachen Augen glitten über den steinernen Boden, weiter über die Vertäfelung des Richterpultes und direkt in den Blick der Person, die über ihn richten sollte.

"Wer klagt mich an?", sprach er leise, aber dennoch gut hörbar. Wie ein Entermesser durchschnitten seine Worte die schwüle Luft und seine blauen Augen, kalt wie Eis fixierten den alten Mann auf seinem Pult. Der Richter hob langsam einen Finger, gab den beiden Soldaten rechts und links vom Angeklagten ein Zeichen. "Hoch mit dir!", warnten sie ihn noch vor, bevor sie ihn von der Bank emporissen und auf seine wackeligen Beine stellten. Ja seine Kraft war man grösser gewesen, nur die Verpflegung im Kerker von Kingston war auf das nötigste beschränkt, sogar der Hund bekam mehr. Stolz regte der Angeklagte seinen Kopf empor, Sklaven waren sie alle, egal wer. Sklaven von irgendeiner Krone tausende von Meilen entfernt. Ein Hohn für jeden freien Mann mit einem Funken Verstand. "Wer klagt mich an?", fragte er erneut und ein Raunen durchzog den Gerichtssaal. "Seine Majestät Georg I., König von Großbritannien und Irland, Titularkönig von Frankreich, Erzbannermeister des Heiligen Römischen Reiches und Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg." "Da ist es ja gut, das ihr den Namen auswendig kennt, er würde ihn wahrscheinlich vergessen in seinem Alter.", kam es spöttisch aus dem Munde des Angeklagten und labte sich am rot werdenden Kopf des Richter. "Ihr fügt der Liste eurer Taten nun auch noch Majestätsbeleidigung hinzu, habt ihr denn gar keinen Respekt?" Ein wenig unschlüssig zuckte er mit den Schultern und drehte kurz den Kopf zur Menge. "Ich habe Respekt vor jedem Mann und jeder Frau, die jeden Tag ihr Brot verdienen, aber nicht vor jemanden, der die Leute verrät, die für ihn gekämpft haben."

Der Kolben der Muskete traf ihn direkt in die Seite, nahm ihm für einen Moment den Atem und nur mühsam gelang es ihm sich aufrecht zu halten. Der Schmerz strahlte in seinen Körper, aber er hatte schlimmeren erlebt und rückte er die Fesseln zurecht und blickten den Richter offen an. "Angeklagter, wie lautet eurer Name?", fuhr der Richter mit dem Protokoll fort. "Ich habe keinen.", kam die kurze aber prägnante Antwort des Blonden und seine blauen Augen frohlockten, aber der nun folgenden Reaktion. "Der Herrgott gab uns allen Namen und auch, wenn ihr als Sünder nichts von ihm erwarten könnt, so habt ihr einen solchen Namen." Die Mundwinkel zuckten, zogen sich langsam in die Höhe und verschoben die Narbe auf der linken Wange. Ein süffisantes Lächeln überzog das Gesicht des Angeklagten. "Ich habe keinen Namen, denn weder euer Gott noch der Teufel soll mich holen." Stille. Einige der Zuschauer bekreuzigten sich, leise betend, aber die Stille war beinahe drückender, als die Hitze, die herrschte. Der Richter brauchte einen kurzen Moment, um sich zu sammeln, bevor er das Wort an einen jungen nicht minder gepuderten Mann gab, der einige Dokumente in der Hand hielt. "Im Namen seiner Majestät Georg I, König von Großbritannien klagen wir...", er stutzte kurz, schien für einen Moment unschlüssig und sprach dann weiter. "Den Piraten, allseits bekannt als der Namenlose zahlreicher Verbrechen an. Von seinen vielen Untaten seien nur die wichtigsten genannt. Beleidigung seiner Majestät Georg I, Raub und Branschatzung auf Eigentum seiner Majestät in mindesten 28 Fällen, Vergewaltigung und Mord an der Tochter des Gouverneurs..." Ohne Regung nahm er die Punkte nach und nach zur Kenntnis, Tölpel dachte er, wenn sie wüssten, wie Anne wirklich war und lächelnd dachte er an die Zeit mir ihr zurück, bekam er derweil kaum mehr mit, welche Punkte noch verlesen wurden.

"Wie bekennt ihr euch?", schallte das Wort des Richters an die Ohren des Namenlosen. Er wirkte gelangweilt, führte rassend die Handfesseln an seine Nase und bohrte in ihr, schnippte seine Ernte dann in Richtung des Richters und schwieg abermals. "Angeklagter, erkennt ihr eure Schuld an?" Der Namenlose warf den Kopf in den Nacken und pustete sich selbst eine der matten blinden Strähnen aus dem Haar, legte den Kopf ein wenig schief und fixierte mit kaltem Blick den Richter. "Ich erkläre mich für unschuldig in allen Punkten", sprach er mit fester und selbstsicherer Stimme. Ein Raunen ging durch durch die Reihen, Getuschel unter den Zuschauern folgten und der Hammer des Richter sorgte für Ordnung...

Chroniken des Namenlosen ~ Winde des BlutesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt