Tears remind you you're alive

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5 Jahre zuvor
Heute kommt Ed nach Hause!
Diesen Satz sagte ich schon den ganzen Tag vor mir her, als könnte damit die Zeit schneller vergehen. Dabei schien nur das Gegenteil der Fall zu sein. Ich hatte mal gelesen, dass man nicht ständig auf die Uhr sehen sollte, wenn man sich auf etwas freute. Ich strengte mich wirklich an, jedoch war das gar nicht so einfach, wenn man gerade im Mathe-Unterricht saß (der sowieso schon nicht vorbeiging), über Wahrscheinlichkeitsrechnung redete (das langweiligste Thema überhaupt) und der Lehrer selbst fast einschlief, so langsam wie er erzählte. Und dann war da ja noch die Sache mit Eds Rückkehr - er war die letzten Wochen nicht zuhause gewesen, weil er mit + auf einer Tournee durch Großbritannien gereist ist. Außerdem hatte er kaum Zeit zum Telefonieren oder Skypen, was die Sache nicht gerade einfacher machte. Aber heute würde er endlich wieder nach London kommen und dann fielen für die nächsten Wochen keine weiteren Konzerte mehr an.
Als endlich die Pausenklingel ertönte und meine Mitschüler und mich von dem nicht-endenden Unheil erlöste, sprang ich auf, schmiss meine Sachen in meinen Rucksack und rannte nach draußen.
Wie versprochen wartete Ed auf dem Parkplatz vor der Schule. Er war umringt von einer kleinen Scharr Mädchen, die ich beiseite drückte, als ich mich zu meinem Freund durchkämpfte. Er unterschrieb gerade die CD von meiner persönlichen Schulfeindin und lächelte ihr zu, als ich mich endlich zu ihm durchgerungen hatte.
»Hey Ed«, begrüßte ich ihn, wobei ich bis über beide Ohren strahlte.
Erst jetzt bemerkte er mich, doch sein Lächeln fiel ungewohnt kühl und zurückhaltend aus. Ich schob es auf die kleine Menge um uns herum und die Tatsche, dass er gerade von einer wochenlangen Tour über die britischen Inseln zurückkam, bei der Schlaf wohl eher an zweiter Stelle gestanden hatte.
Deshalb ging ich zu ihm, schlang meine Arme um seinen Hals und küsste ihn, die vielen uns musternden Augenpaare im Rücken.
Doch anstatt meinen Kuss zu erwidern, löste Ed meine Arme von seinem Hals und lehnte sich zurück.
»Ruby, nicht vor den Leuten«, murmelte er und lächelte entschuldigend in die Meute hinter uns.
Ich fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen und dazu kam noch der Blick der Schulbitch, der alles andere als nicht-genugtuend war. Blöde Kuh.
Ed griff nach meinem Handgelenk und zog mich auf den Rücksitz des Wagens, nachdem er seinen Fans noch einen kurzen Abschiedsgruß zugerufen hatte. Am Steuer saß Terry, die wahrscheinlich das Theater draußen beobachtet hatte und mich deshalb mitleidig ansah.
»Ich bin so froh, dass du endlich wieder da bist! Ich hab' dir so viel zu erzählen - und du mir sicher auch. Wie war's? Waren die Hallen voll besetzt? Oh, ich bin mir sicher sie waren voll besetzt. Hab' ich dir gesagt wie ich dich vermisst habe?«, plapperte ich drauf los und musste mich zusammenreißen ihm nicht am Hals zu hängen wie eine Klette.
Ed dagegen blieb vergleichsweise still und vertröstete mich mit einem »Erzähl ich dir später, ich bin müde«. Zwar hatte ich schon damit gerechnet, dass er nach seiner Anreise total k.o. sein würde, aber diese abweisende Haltung mir gegenüber war schon fast verletzend. Er hatte mich nicht einmal berührt.
Wir fuhren zu mir nach Hause und Ed begrüßte meine Mutter und Sus herzlich. Er drückte sie, gab Mom einen Kuss auf die Wange und wuschelte Sus durch die Haare - was aufgrund von Sus' höherer Körpergröße recht witzig aussah - und legte sein schönstes Lächeln auf. Mich beachtete er die ganze Zeit kaum, antwortete nur kurz angebunden auf meine Fragen und ließ sich nicht von mir berühren. Als ich ihn dann fragte, ob er bei uns schlafen wollte, wie er es immer tat, schüttelte er den Kopf und sagte, er brauche Ruhe und übernachtete deshalb ein paar Nächte in einem Hotel in der Nähe. Das versetzte mir einen Stich ins Herz, ich versuchte jedoch es hinter einem Lächeln zu verbergen.
Während ich am Abend in meinem Bett lag, grübelte ich was ich falschgemacht haben oder was Ed über die Zeit so verändert haben könnte. Dabei war er zu meiner Familie und Sus ganz normal gewesen, also musste es an mir gelegen haben. Ich schob es wieder auf seinen Schlafentzug (obwohl ich eine Menge Überzeugungskraft aufbringen musste um selbst daran zu glauben) und schlief ein, mit der Absicht ihm am nächsten Tag zur Rede zu stellen.
Als er uns am nächsten Tag besuchen kam, war sein Verhalten mir gegenüber unverändert und ich stellte ihn im Wohnzimmer zur Rede, als meine Mutter und Terry gerade in der Küche Geschirr spülten.
»Was soll das Ed? Du bist schon seit deiner Ankunft total abweisend zu mir, hast nicht einen ordentlichen Satz zu mir gesagt oder mich auch nur berührt. Was ist los mit dir? Hab ich etwas falsch gemacht?«, fragte ich aufgebracht und setzte mich zu ihm auf die Couch.
Darauf stand er auf und stellte sich ans Fenster, wo er einige Augenblicke still verharrte bevor er zur Antwort ansetzte.
»Ich glaube, ich habe mich verändert«, setzte er an, sprach jedoch nicht weiter, drehte sich zu mir und sah mir in die Augen.
Ich runzelte die Stirn. »Du glaubst? Und was lässt dich das glauben?«
Ed sah mich lange Zeit an. Sein Blick war vollkommen undurchdringlich und ich fragte mich was er wohl dachte. Gleichzeitig hatte ich auch Angst davor, was er mir sagen würde.
Bevor er weitersprach drehte er sich wieder zum Fenster und sprach so leise, dass ich ihn kaum verstand. »Ich bin reifer geworden. Ich habe gelernt was wichtig ist im Leben und wer mir wichtig ist. Und du bist es mir nicht mehr. Du bist noch zu jung für mich und ich schätze, wir sind einfach zu unterschiedlich um weiter zusammen zu sein.«
Mein Gehirn schaltete sich ab. Genau in diesem Moment war ich nicht mehr in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen und musste mir seine Worte mehrmals durch den Kopf gehen lassen bevor ich endlich verstand, was er mir damit sagen wollte. Er machte Schluss mit mir. Er schoss mich in den Wind. Schubste mich in den Abgrund. Ließ mich im eiskalten Wasser erfrieren. Er wollte mich verlassen.
Im ersten Moment spürte ich nichts als eine tiefe Leere. Ich hörte nichts, sah nichts, fühlte nichts. Dann setzte eine Eiseskälte ein, die sich durch meine Gliedmaßen fraß, mein Blut gefrieren ließ und mein Herz in einen schweren, schmerzenden Eisklumpen verwandelte. Sie hinterließ einen bitteren Nachgeschmack von Verrat in meinem Mund - dasselbe Gefühl, dass ich bei der Abreise meines Vaters empfunden hatte, nur ungefähr tausendmal intensiver.
Eine gefühlte Ewigkeit ließ ich mich von dieser Kälte einnehmen. Ich konnte nichts denken außer »Wir sind einfach zu unterschiedlich um weiter zusammen zu sein«. Diese Worte trafen tiefer als ein Schuss mitten ins Herz und schmerzten mehr als wenn mir jemand eines meiner Gliedmaßen abgerissen hätte.
In Wirklichkeit waren nur einige Minuten vergangen, doch mir erschien es wie ein ganzes Leben bis ich endlich zusammenbrach und die Trauer mich übermannte wie ein Tsunami der eine Stadt überflutete und auf seinem Weg nichts hinterließ als klaffende Leere. Ich konnte mein Herz nicht mehr spüren und gleichzeitig fühlte ich an dieser Stelle einen Schmerz, als hätte es mir jemand aus dem Körper gerissen. Ich hockte auf dem Boden und krümmte mich vor Schmerz. Wollte dass er verschwand. Wollte dass er sich in Luft auflöste oder aus meinem Körper gesaugt wurde, nur sollte er weg.


Irgendwann mussten meine Mutter und Terry ins Wohnzimmer gekommen und mich so auf dem Boden liegend gesehen haben, denn als ich das nächste Mal die Augen öffnete, lag ich in meinem Bett, zugedeckt und umgeben von einem Berg Kissen. Ich stemmte mich hoch und wollte aufspringen um Ed zu begrüßen, da fiel mir ein was passiert war und alle Empfindungen trafen mich auf einmal.
Trauer. Verlust. Verrat. Einsamkeit. Schmerz.
Und diese gähnende Leere, als würde ein Teil meiner Selbst fehlen. Als hätte er einen Teil von mir mit sich genommen, als er ging.
Es klopfte an der Tür und meine Mom kam herein.
»Hallo Schätzchen, wie geht es dir?«, fragte sie, wobei ich mir vorkam wie eine Grippepatienten statt wie eine frisch Verlassene. Nachdem mein Dad uns allein gelassen hatte, war meine Mom nie traurig gewesen. Aber sie hatten sich auch seit Jahren nicht mehr geliebt. Sie war es gewohnt allein zu sein. Aber ich war das nicht. Ed hatte mich vorher nie im Stich gelassen, sondern war immer für mich da gewesen. Und er hatte auch nicht so eine dumme Ausrede erfinden müssen um mich zu verlassen. Bis jetzt.
Ich zuckte die Schultern und ließ mich zurück in meine Kissen fallen. Meine Mutter nickte nur und verließ mein Zimmer wieder. Sie wusste, dass ich mit meinem Schmerz allein bleiben wollte und keine Verwendung für ihre Trostversuche hatte.
Ich schlief erneut ein und erwachte erst, als ich die Stimme meiner Schwester neben meinem Ohr hörte. Ich öffnete die Augen uns sah sie an. Sie sah selbst völlig fertig aus und ihre Hand, in der sie eine Tasse mit Suppe hielt, zitterte leicht. Sie hatte Ed ebenfalls ins Herz geschlossen und ihn wie einen Bruder behandelt.
»Du musst etwas essen, sonst kippst du um«, säuselte sie aufmunternd und hielt mir die Suppe noch etwas weiter unter die Nase. Ich nahm sie dankbar an mich und schlürfte. Es tat gut wie die heiße Brühe durch den Körper floss, doch die Leere konnte sie nicht füllen.
»Hast du geweint?«, fragte Terry plötzlich und beäugte mich mit sorgenvollen Augen.
»Ich glaube nicht«, flüsterte ich kopfschüttelnd und nahm einen Löffel der Suppe.
»Das solltest du. Wenn du es in dich hineinfrisst wird es nur noch schlimmer und wenn sich der Schmerz anstockt, wird er umso schwerer loszuwerden«, erklärte sie traurig und senkte den Blick. Ich wusste wovon sie sprach. Das Abhauen unseres Vaters hatte sie viel mehr getroffen als mich. Ihr Verhältnis zu ihm war immer enger gewesen, während ich ein Mutter-Kind war. Und sie hatte den Schmerz in sich reingefressen. Ich habe sie seitdem allerdings auch nicht einmal richtig glücklich gesehen. Keine ihrer Freundinnen hatte es lange mit ihr ausgehalten, weil sie zu »depressiv« war.
»Ich kann nicht«, murmelte ich, was stimmte. Ich hatte versucht zu weinen, doch die Tränen waren einfach nicht gekommen. Ed hatte sie mitgenommen, wie alles andere auch.
»Wie spät haben wir es eigentlich?«, fragte ich um das Thema zu wechseln.
Terry blickte auf ihre Uhr. »Kurz nach 10 Uhr - du hast den ganzen Samstag verschlafen.«
»Oh«, machte ich leicht geschockt. Die Zeit war im Schlaf so schnell vergangen, dass ich es gar nicht bemerkt hatte. »Was ist eigentlich genau passiert?«
Terry räusperte sich - eine Angewohnheit, die sie immer tat wenn sie auf etwas ihr Unangenehmes zu sprechen kam. »Wir waren in der Küche und spülten das Geschirr vom Mittag ab, als wir die Haustür knallen hörten. Wir dachten uns nichts weiter, nur dass Sus vielleicht gekommen ist oder so, deswegen machten wir weiter. Als wir dann ins Wohnzimmer zurückkamen, war Eddie verschwunden und du hocktest auf dem Boden, eingesunken, zusammengekrümmt aber steif wie ein Brett. Wir haben versucht zu fragen was passiert ist, aber du sagtest nur immer wieder »Wir sind einfach zu unterschiedlich um weiter zusammen zu sein«. Mom und ich machten uns Sorgen, weil du nicht ansprechbar warst und immer denselben Satz vor dir her gesagt hast, aber wir wollten keinen Arzt rufen, weil wir schon ahnten was passiert war, als wir dich so sahen und feststellten, dass Eddie nicht mehr da war. Deswegen haben wir dich in dein Bett gelegt.« Sie verstummte und senkte den Blick. Sie schien eindeutig noch geschockt zu sein, wenn sie an diesen Moment zurück dachte und ich konnte es ihr nicht verübeln. Wenn ich Terry so zusammengekrümmt auf dem Boden vorfinden würde, würde ich Todesängste ausstehen.
»Tut mir leid«, flüsterte ich deshalb und griff nach ihrem Oberarm.
»Wofür entschuldigst du dich? Es war schließlich Eddie der sich dort liegen lassen hat.«
Ich zuckte die Schultern, rutschte in meinem Bett ein wenig zur Seite und bat sie sich zu mir zu legen. Sie stimmte bereitwillig zu und kurz darauf lagen wir zusammengekuschelt in meinem Bett und teilten unsere Trauer miteinander. Es mochten einige Minuten vergangen sein, da spürte ich etwas nasses, an meiner Wange. Tränen. Ich hatte unwillkürlich angefangen zu weinen und nun versiegte der Strom auch nicht mehr, sondern floss weiter und weiter. Ich schluchzte und klammerte mich an meine Schwester, die mir durch ihre reine Anwesenheit, ihre Wärme und ihr Verständnis Trost spendete.

Everything Has Changed || Ed Sheeran ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt