MEIN OUTINGBRIEF

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Ich bin immer noch nicht bei meinen Eltern geoutet (also als nichtbinär). 

Aaaaaber ich habe einen Outingbrief geschrieben. Und ich dachte, ich presse den hier einfach mal rein. Sagt gerne mal eure Meinung dazu. 

Der ist halt BIIIIISSSSCHEEEENNNN lang... 

Egal, ich würde mich freuen, wenn ihr ihn lesen und mir Feedback geben würdet. 

LETS GO:

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Liebe Mama, lieber Papa,

vielleicht wundert ihr euch, dass ich euch einen Brief schreibe, aber es fällt mir so einfach leichter, euch etwas zu sagen, was ich schon länger loswerden möchte. Ich bitte euch, diesen Brief bis zum Ende zu lesen, weil ich mir wirklich Mühe gegeben habe und hoffe, dass ihr so vielleicht besser versteht, wie es mir geht und wie ich mich fühle. 

Schon bei meiner Geburt wurde mir gesagt, dass ich ein Mädchen sei. Ich wurde immer „sie" genannt und als Mädchen aufgezogen. Doch es war mir schon immer klar, dass das irgendwie nicht so richtig passt. Ich habe mich nie den Mädchen zugehörig gefühlt, aber auch nicht den Jungs. 

Es lag nicht daran, dass ich einfach nicht den Mädchenklischees entspreche. Klar, ich konnte so mit den Mädchen nicht über den neusten Pferdefilm oder mit den Jungs übers letzte Fußballspiel reden, aber darum ging es nicht. Es ging darum, dass ich einfach kein Mädchen war, da konnte man mir noch so oft sagen, dass ich aber einen Mädchenkörper hatte. 

Ich habe mich immer damit zufriedengegeben, dass ich nun mal einfach nicht den Klischees entspreche, die Mädchen zugeteilt werden. Ich liebe kein Rosa und Pink und war nie reiten oder beim Ballett. So ist das eben, und es gibt viele Mädchen, denen es so geht. Aber ich wusste selbst, dass das nicht die Lösung war. Da war immer noch etwas anderes in mir. Etwas, das sich gegen alles Weibliche sträubte. Ich konnte es nur noch nicht benennen.

Irgendwann kam dann immer mehr die Pubertät. Mein Körper begann, sich zu verändern, und ich habe mich nur gefragt, wieso er das tut, weil ich das Meiste davon gar nicht wollte. Ich weiß, dass viele Jugendliche in der Pubertät nicht zufrieden mit ihrem Körper sind, aber bei mir ist das irgendwie anders. Ich war nicht unzufrieden mit meinen Oberschenkeln oder meinem Bauch. Ich war unzufrieden mit dem, was oben bei mir wachs. DASS da oben was wachs. Ich versuche, es zu verstecken, aber das geht nun mal nicht immer (deswegen die weiten Sachen). Und das fühlt sich einfach nur schlimm an. 

Außer meinem Körper kam dazu, dass es sich jedes Mal falsch anfühlte, wenn ich „Mädchen", „sie" oder anders weiblich benannt wurde. Es war immer als würde man über eine andere Person reden. Irgendjemand, aber es konnte nicht ich sein. Trotzdem wurde mir gesagt, dass ich es sei, auch wenn es einfach nicht passte. Ich habe mich gefragt, ob ich vielleicht ein Junge bin, aber irgendwie hat das auch nicht gepasst.

Anfang März des letzten Jahres habe ich mich dann das erste Mal jemandem anvertraut. Dir, Papa. Ich hatte zuvor das halbe Internet auf den Kopf gestellt, weil ich endlich eine Antwort darauf finden wollte, was denn mit mir los ist. Und ich habe eine Antwort gefunden. Sie war „nichtbinär". Und es war die Antwort und Erklärung für all die Fragen und Gedanken, die sich Jahre lang in meinem Kopf herumgetrieben hatten. 

Ich bin einfach kein Mädchen. Aber eben auch kein Junge. Ich bin irgendwo dazwischen gefangen, ich kann selbst nicht genau sagen wo, aber ein Mädchen bin ich einfach nicht. Es ist nicht, dass ich es nicht probiert habe. Ich habe es wirklich. 

Ich habe mich in „Mädchensachen" gestopft und krampfhaft versucht, mich irgendwie an die Mädchen in meinem Umfeld anzupassen. Es hat irgendwie geklappt, aber ich habe mich nie wohlgefühlt. Es war eher wie eine Verkleidung als normale Alltagskleidung. Trotzdem habe ich krampfhaft weiter versucht, dieses Mädchen zu sein, von dem alle erwarteten, dass ich es war.

STUFF BOOKWhere stories live. Discover now