Kapitel 6

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Es passierte in der 8. Stunde Geschichte am Freitag-Nachmittag. Die ganze Klasse war absolut unmotiviert, die Sonne strahlte draußen und jeder konnte es kaum erwarten endlich ins Wochenende entlassen zu werden. Bev hatte das Zuhören schon aufgegeben und ihren Kopf auf den Tisch vor sich gelegt und so langsam hörte auch ich nicht mehr richtig zu. Ich begann den Sekundenzeiger auf der Uhr über der Tür zu verfolgen. Zwei Minuten vor Schluss, ertönte eine Durchsage über die Lautsprecher, die mich aus meiner fast meditativen Beschäftigung aufschrecken ließ. 

" Phoebe Engels wird in das Büro des Direktors gebeten. Ich wiederhole, Phoebe Engels bitte ins Büro des Direktors." 

Perplex starrte ich auf den Lautsprecher. Was genau könnte der Direktor von mir wollen? Ich hatte in meinem gesamten Leben noch nicht einmal eine Schulordnung missachtet, ich hatte noch nicht einmal in einem Test geschummelt.  "Was hast du angestellt?", fragte Bev amüsiert und stieß mir mit ihrem Ellbogen in die Seite. Das löste mich aus meiner Starre und ich packte hastig meine Sachen zusammen. Ich verließ etwas überstürzt und vor den fragenden Augen meiner Mitschüler das Klassenzimmer, während ich meiner Lehrerin eine Entschuldigung zumurmelte. Auf dem Weg zum Sekretariat grübelte ich darüber, was ich wohl falsch gemacht haben könnte, aber mir viel einfach nichts ein. Als ich angekommen war klopfte ich zaghaft an der Tür, welche sofort ruckartig geöffnet wurde. 

Der immer leicht rotgesichtiger Direktor Schneider nickte mir höflich zu und zeigte auf den großen Besprechungstisch in seinem Büro. An jenem sah ich Ben, einen mittelalten drahtigen Mann und Fitz, der mich mit einem Blick ansah, den ich nicht wirklich deuten konnte. Was zum... Ich schluckte kurz und setzte mich dann auf den noch einzigen freien Platz neben Fitz. Wie immer in seiner Nähe wurde mein Magen etwas flau und ich versuchte ihn nicht direkt anzublicken. Stattdessen schaute ich auf seine Hände, die unruhig mit einem Stift spielten. Er hatte wirklich schöne Hände... Stopp, nicht hilfreich, Phoebe

"Ich habe Sie und Herr Fitz hier hin bestellt, da wohl vor ein paar Wochen ein kleiner Unfall geschehen ist, bei dem sie anwesend waren.", sagte Herr Schneider und der Mann neben ihm nickte. Das musste wohl Bens Vater sein. Er trug einen grauen Anzug und sah alles in allem ein wenig schmierig aus. Seine Hand lag auf der Schulter von Ben, der auf seinem Stuhl hin  und her rutschte. Ich versuchte ihn anzulächeln, doch er mied meinen Blick. "Frau Engels und ich waren nicht wirklich dabei, als es passierte. Wir haben Ben nur danach geholfen. Frau Engels ist bekanntlich hier Sani und ich ging ihr beim Verarzten zur Hand." Am Ende des Satzes zuckte ein Lächeln über Fitz Lippen und kurz schaute er zu mir rüber. Wenn ich jetzt rot werde dann versinke ich in diesem Stuhl. Ich versuchte mir meine innere Gefühlswelt nicht anmerken zu lassen und nickte zustimmend: " Ben hat uns erzählt, dass seine Schulkameraden ihn verprügelt hätten." 

"Ach so eng würd ich das nicht sehen." Bens Vater lachte und klopfte Ben feste auf die Schulter. "Jungs raufen sich eben manchmal. Das ist doch ganz normal in dem Alter." Ich konnte sehen, dass sich Tränen in Ben's Augen sammelten und Wut stieg in mir auf. "Nun das sehe ich  anders..", begann ich, wurde aber von Herrn Schneider unterbrochen: "Herr Ritter ist hier, da sich Ben seit Anfang der Woche weigert in die Schule zu gehen. Wir sind der Hoffnung, dass sie die Situation etwas klarer machen könnten." Ich wurde immer wütender und als ich zu Fitz blickte, sah ich, dass sich auch seine Miene verfinstert hatte. Offensichtlich glaubte Bens Vater seinem Sohn nicht. Aber wie nur? Jedes Mal wenn ich Ben in der Schule sah, hatte er sich hinter seinen Bücher versteckt oder alleine auf einer Bank gesessen und gelesen. Die Pausen verbrachte er immer öfter bei mir und Raya,  wich aber immer wieder aus, wenn ich ihn fragte ob das Verhalten seiner Mitschüler sich gebessert hätte. Nun meldete sich Fitz zu Wort. "Man sollte sowas immer Ernst nehmen und wenn Ben sich nicht wohl fühlt, sollten wir vielleicht ein Gespräch mit den Verantwortlichen einberufen-" "Ach so ein Blödsinn" 

Nun war es Ritter, der unterbrach. "Der Junge übertreibt völlig. Wenn er nicht nur hinter seinen Büchern hängen würde, würde er vielleicht auch mal Anschluss finden. Kein Wunder dass die anderen Schüler ihn komisch finden." Jetzt konnte ich mich nicht mehr halten. "Hören Sie sich eigentlich selber mal zu? Ihr Sohn fühlt sich so unwohl hier, dass er Angst hat zur Schule zu gehen." Ich kannte das Gefühl. Jeder verspottete einen. Man hatte keine ruhige Minute, wünschte man wäre nicht mehr da. Ich kannte es viel zu gut und jetzt merkte ich, dass sich auch in meinem Augen Tränen sammelten. "Frau Engels", versuchte mich Herr Schneider zu stoppen, aber ich war noch nicht fertig. "Was wollen Sie dann überhaupt hier? Ich werde Ihnen sicher nicht sagen, dass Ihr Sohn übertreibt. Mobbing ist kein blöder Pausenscherz. Ben ist ein toller Junge und gerade Sie sollten ihn unterstützen, anstatt ihn in Frage zu stellen." 

Herr Ritters Stirn bekam eine komische Falte und ich sah wie er rot wurde. Empört blickte er zu Herr Schneider, der aber nur hilflos seine Papiere auf dem Tisch hin und herschob. "Nun", sagte er schließlich "Wir beobachten die Situation weiter, Herr Ritters, entschuldigen Sie die Umstände. Und Ben, du erscheinst wieder regelmäßig zum Unterricht." "Hörst du Sohn.", schnaubte Ritter und nun rann Ben eine Träne über die Wange. "Ich glaubs nicht", stieß ich hervor. Wütend und hilflos blickte ich zu Fitz, der aber nur starr auf dem Tisch vor sich schaute. Seine Hände spielten nun nicht mehr mit dem Kugelschreiber, sondern waren geballt, sodass man die Sehnen an seinen Armen sehen konnte. Unter anderen Umständen hätte ich das wohl sehr attraktiv gefunden, aber gerade prasselte eine Mischung aus alten Erinnerungen und Frustration dieses Gesprächs auf mich ein. Ich konnte es einfach nicht fassen. 

"Warum wird einem eigentlich immer erst geglaubt, wenn irgendwas wirklich Schlimmes passiert?!", sagte ich etwas zu laut, sodass mich alle erstaunt anstarrten. Fitz  schaute mich besonders fragend an, aber ich konnte das gerade nicht. Ich konnte grade nicht in seiner Nähe sein, nicht in diesem Raum voll mit Menschen die nichts unternahmen. Der Kloß in meinem Hals wuchs. Ich muss hier weg. Ich stand so ruckartig auf, dass mein Stuhl beinahe umfiel, blickte ein letztes Mal zu Ben, der mich hilflos ansah und verließ dann das Zimmer. 

Die Erinnerungen holten mich ein. Meine Brust schnürte sich zusammen. Die bekannte Panik stieg in mir auf, mein Atem wurde immer schneller. Hier konnte ich nicht bleiben, wenn ich nicht wollte, dass meine Mitschüler meine Panikattacke live mitbekamen. Bolle's Büro. Freitag nachmittags war er immer beim Fußballtraining, ich konnte mich also in seinem Büro zurückziehen. Schon fast blind vor Tränen und mit schnellem Atem lief ich zu seinem Raum.

Ich schaffte es grade noch die Tür hinter mir zuzuschlagen, da brach es aus mir raus. Das Gespräch hatte an einer alten Wunde gekratzt, die ich seit Jahren krampfhaft versuchte zu verstecken. Der Raum um mich herum fing an sich zu drehen und mein Atem wurde immer schneller. Ich merkte gar nicht wie sich die Tür hinter mir öffnete. Erst als sich zwei Arme fest um mich schlossen bemerkte ich Fitz. 

Er hielt mich fest. Ich ließ es zu und schluchzte in sein Shirt. Er drückte mich fester an sich. 

"Phoebe..."

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⏰ Last updated: Jan 08, 2022 ⏰

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