Kapitel 4

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Fitz schaute überrascht von seinen Unterlagen auf. Sein Hemd lag neben ihm auf dem Schreibtisch, vermutlich weil in diesem Raum gefühlte dreißig Grad waren. Mein Blick wanderte seine Arme entlang und ich entdeckte den Ansatz eines Tattoos an seinem rechten Oberarm. An seinem sehr trainierten rechten Oberarm.
Er musterte mich und ich strich mir unbewusst eine Strähne aus dem Gesicht, die mir ins Auge gefallen war. „Frau Engels", sagt Fitz überrascht: „Tut mir leid, Bolle ist gerade nicht da, ich durfte nur die Abgeschiedenheit von seinem Büro ausnutzen. Er ist ein alter Freund-"
„Aus Kindertagen", beendete ich seinen Satz und bereute es sofort. Er musste schmunzeln. „ Da hat wohl jemand Zeitung gelesen."
Verlegen blickte ich zum Boden. Super gemacht Phoebe. Wahrscheinlich hätte die peinliche Stille weiterhin den Raum gefüllt, hätte sie nicht das Schluchzen von Ben an meiner Seite gebrochen.
Ich hatte ihn beinahe vergessen, aber jetzt waren wohl alle Dämme gebrochen den die Tränen kullerten ihm nun nur so die Wangen runter. Besorgt beugte ich mich zu ihm runter und auch Fitz stand auf und kam auf uns zu.
„Hey Kumpel, alles in Ordnung. Was ist denn passiert?", sanft legte Fitz seine Hand auf Bens Schulter. „Die anderen Jungs", wimmerte Ben. „Sie sind einfach so auf mich losgegangen. Dabei habe ich nur gefragt, ob ich mit Fußball spielen kann. Ich hab noch nicht so viele Freunde, wisst ihr.." Er vergrub seinen Kopf in meine Jacke und ich nahm ihn, überrascht von dem plötzlichen Kontakt in den Arm. Ratlos blickte ich zu Fitz, der mir nur einen beschwichtigenden Blick zuwarf.
„Jungs können gemein sein", sagte dieser beruhigend. „wenn du magst, rede ich mal ein Wörtchen mit ihnen."
„Nein bloß nicht.", entgegnete ich. „Es gibt nichts Uncooleres, als von einem Lehrer verteidigt zu werden." Fitz zog eine Augenbraue hoch. Ich wusste, das meine Aussage provokant war und konnte mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen. „Aber Sie haben Recht.", fuhr ich fort. „Jungs können wirklich gemein sein. Aber das geht eindeutig zu weit. Falls so etwas noch einmal passiert kommst du sofort zu uns. Und wenn du magst, kannst du deine Pausen auch bei uns im Sani- Raum verbringen. Wenn du willst, zeigen dir Raya und ich ein paar Kniffe, dann kannst du auch bald bei uns anfangen."
Ben schniefte, sah mich dann aber mit dankbaren Augen an und wischte sich mit seinem Ärmel übers Gesicht. Jetzt lächelte er sogar, doch als seine Hand sein Auge berührte, zuckte er zusammen.

Ich erinnerte mich, warum ich eigentlich hier war. „Da ist Eis in dem kleinen Kühlschrank unter dem Schreibtisch. Damit sollte der Schmerz einzudämmen sein", sagte ich und Fitz folgte mir zu dem kleinen grauen Schrank, den man fast für einen Schreibtisch-Container halten konnte. Ich öffnete das Eisfach und griff nach einem grünen Wassereis. Da passierte es. Fitz hatte gleichzeitig nach dem Eis gegriffen, sodass sich unsere Hände berührten. Ich war überrascht, doch anstatt die Hand weg zu ziehen, trafen sich unsere Blicke. Wir hielten inne. Ein wenig zu lang. Ich schaute in seine Augen. Diese Augen.

Ein Schauder überlief mich und bevor ich mich fragen konnte, ob es ihm wohl auch so ging, räusperte Fitz sich und ich wandte seinen Blick ab. So war es noch nie. Die Berührung hatte sich angefühlt wie tausend klitzekleine Stromstöße. Und dieser Blick, so tief und irgendwie schon so persönlich. Beinahe intim. Zu kurz, als dass ich mir sicher sein konnte, dass er es auch gespürt hatte. Aber... ein wenig zu lang. Jetzt reiß dich mal zusammen Phoebe. Auch ich räusperte mich jetzt und griff nach dem Eis.

Ich verarztete Ben, schenkte ihm noch ein Cola-Wassereis und Fitz schickte ihn zu seiner nächsten Unterrichtsstunde. Wir blieben in Bolle 's Büro zurück.
„Das war wirklich gut. Ich glaube Sie haben ihn wirklich aufgeheitert.", sagte Fitz und sammelte seine Papiere zusammen. Auch ich griff nach meiner Tasche. „Wissen Sie, ich war auch nicht wirklich die Beliebteste in seinem Alter." Nachdenklich zupfte ich an einer Strähne. Als ich aufblickte sah ich, dass Fitz mich beobachtete.
„Das kann ich mir kaum vorstellen." Fitz schmunzelte und ich schaute ihn böse an. „Ihre Ironie können Sie sich sparen.", sagte ich etwas zu schnippisch, aber das war mir in diesem Moment egal. Die ersten Schuljahre waren wirklich nicht leicht für mich gewesen und ich musste mir keine ironischen Kommentare anhören. Er sah mich überrascht an.
„Das war keine Ironie", sagte er vollkommen ernst. Und da war er wieder. Dieser Blick. Dieser Blickkontakt.

Wir musterten uns kurz, dann seufzte er und zog die Augenbrauen zusammen. „Nun, Sie sollten jetzt auch zu Ihrer Stunde, sonst muss ich Sie noch ermahnen." , sagte er schließlich etwas zu überspielt. Da kam wieder der überhebliche Lehrer in ihm Raus. Na toll.

Ich schnappte mir meine Tasche, nickte ihm zu und machte mich auf den Weg zu meiner mittlerweile schon halb verstrichenen Geschichtsstunde. Ich versuchte mich den weiteren Tag auf den Unterricht zu konzentrieren. Aber meine Gedanken schweiften ab. Sie kreisten immer wieder um den Moment im Büro. Er musste es auch auch gespürt haben. Diese Verbindung...

Ob ich mir das alles nur einbilde?

Hide and SeekWhere stories live. Discover now