Definiere Liebe

By lumosnyx

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"Du und ich, wir sind aus demselben Sternenstaub gemacht." Elizabeths Leben ist ein wahr gewordener Traum... More

Vorwort
Prolog
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Neun
Zehn
Elf
Zwölf
Dreizehn
Vierzehn
Fünfzehn
Sechzehn
Siebzehn
Achtzehn
Neunzehn
Zwanzig
Einundzwanzig
Zweiundzwanzig
Dreiundzwanzig
Vierundzwanzig
Fünfundzwanzig
Sechsundzwanzig
Siebenundzwanzig
Achtundzwanzig
Neunundzwanzig
Dreißig
Einunddreißig
Zweiunddreißig
Vierunddreißig
Fünfunddreißig
Sechsunddreißig
Siebenunddreißig
Achtunddreißig
Neununddreißig
Epilog

Dreiunddreißig

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By lumosnyx


Marc war immer noch still. Aber es war mittlerweile keine wütende, kalte Art von Stille mehr. Es war eine Leere. Er kam nach Hause und ging sofort ins Bett. An den Wochenenden verließ er das Schlafzimmer nicht einmal, ich brachte ihm seine Mahlzeiten und die Tageszeitung. Er brauchte einfach Zeit. Zeit, bis er wusste, was mit seinem Dad passieren würde.

Sein Chef gab ihm aus welchem Grund auch immer keinen Urlaub, um nach Columbus zu fliegen, und so war er hier gefangen und auf die Anrufe seiner Mutter angewiesen. Ich konnte sehen, wie sehr es ihm zusetzte, und eigentlich wollte ich auch mehr tun. Einfach irgendwas. Ich wusste bloß nicht mehr, wie. Marc war mittlerweile fast wie ein Fremder für mich, oder höchstens ein flüchtiger Bekannter, mit dem jede Interaktion irgendwie unangenehm und steif war.

Ich war allein Zuhause, zumindest fühlte es sich so an. Marc lag stumm auf der Couch und ließ im Hintergrund eine Aufnahme des ersten Seahawks-Spiels laufen. Michael war bei seiner Nanny.

Das Telefon riss mich aus meinen Gedanken.

„Gehst du ran?", murmelte Marc. Ich hob den Hörer ab, am anderen Ende war es stumm.

„Hallo?"

„Elizabeth." Ihre Stimme brach schon, als sie meinen Namen sagte.

„Judy?"

Marcs Stimme ertönte aus dem Eck, leise und stumpf: „Richt' schöne Grüße aus oder so."
„Schöne Grüße von Ma..." Sie schluchzte laut. „Shhh. Einmal tief durchatmen", versuchte ich, sie zu beruhigen. „Sieben Sekunden lang einatmen, okay?" Sie atmete ein. „Atem anhalten. Acht Sekunden lang." Die Stille wurde durch ein leises Piepsen an ihrem Ende unterbrochen. „Wo bist du, Judy?", fragte ich. Hätte ich vermutlich als allererstes tun sollen.

„Mount Carmel."

„Bei Tom?"

„Ja." Es war nicht mehr als ein Flüstern.

„Wie geht es ihm?"

„Sie- er- sie glauben nicht, dass er wieder aufwacht." Ich musste schlucken. „Sie haben mich gebeten, über Organspende nachzudenken."

Ich suchte nach Worten und fand keine. Schweigen war ganz sicherlich nicht das, was Judy gerade brauchte. Aber etwas Besseres hatte ich gerade nicht anzubieten, so leid mir das auch tat.

„Möchtest du mit Marc reden?", schlug ich schließlich vor. Ein Blick zur Couch verriet mir, dass der mittlerweile schlief.

„Nein. Ich...ich glaube, das kann ich ihm nicht sagen."

„Ich kann versuchen, es ihm beizubringen. Wenn das für dich besser ist." Der Gedanke daran verursachte einen kalten Schauer über meinen Rücken. Marc schlechte Nachrichten zu überbringen war nie eine gute Sache. Denn obwohl ich ja absolut nichts dafür konnte, was gerade mit seinem Vater passierte, war ich mir sicher, er würde einen Weg finden, mich zur Schuldigen zu machen.

„Das würdest du machen?", murmelte Judy. Ich hatte fast vergessen, dass sie noch dran war.

„Natürlich."

„Danke."

„Ich sag' ihm, er soll dich dann anrufen, okay?"

„Okay."

„Okay."

Ich wollte mich schon verabschieden und auflegen, da sagte sie: „Letztes Jahr, da-" Sie verstummte und seufzte leise. „Nein, ist egal. Auf Wiederhören."

Ich war versucht, nachzufragen, aber ich tat es nicht. Stattdessen bat ich sie: „Versuch' ein bisschen zu schlafen." Ein Blick auf die Uhr ließ mich wissen, dass es bei ihr schon fast elf Uhr war.

„Ich versuch's."

„Oder iss' irgendwas. Glaubst du, du kriegst was runter?"

Sie antwortete kurz nicht, bis sie schließlich sagte: „Ja."

„Gut."

„Dann jetzt wirklich...tschüss", verabschiedete sie sich erneut.

„Auf Wiederhören", sagte ich leise und sie legte auf. Mein Herz sank noch viel tiefer als nur in meine Hose, als ich zu Marc schielte.

„Marc?" Ich beugte mich über ihn, seine Fahne schlug mir ins Gesicht. „Marc", wiederholte ich, diesmal lauter.

„Hm, was?", nuschelte er, während er langsam blinzelte. „Was isn?" Er setzte sich auf, sodass ich Platz neben ihm hatte. Ich blieb stehen.

Er hörte mir stumm zu, unterbrach mich kein einziges Mal.

Er wurde nicht wütend oder laut. Es fühlte sich nur an, als wäre er drei Universen und fünf Zeitzonen von mir entfernt. Als würde keines meiner Worte bei ihm eintreffen, dabei wusste ich, dass sie das taten.

Irgendwann zog er mich auf seinen Schoß und vergrub das Gesicht in meinen Haaren.

„Ich brauch' dich, El." Mein Kopf war so taub, dass ich ihn kaum verstand. „Ich weiß, ich tu immer so, als wäre es nicht so..." Seine Stimme erstickte und sein Oberkörper zitterte. „Aber ich brauch' dich. Mehr als alles andere. Und vor allem jetzt." Ich drehte mich um, um seinen Kopf streicheln zu können. Sein Atem wurde immer langsamer, regelmäßiger, seine Tränen verebbten.

„Ich weiß, Marc. Ich weiß."

Er kriegte nach endlosen Diskussionen mit seinem Chef schließlich fünf Tage Urlaub, die er nutzte, um nach Columbus zu fliegen. Ich blieb Zuhause, um auf Michael aufzupassen. Marc fand, er war zu klein, um schon in Flugzeugen zu sitzen, was vermutlich auch stimmte. Und auch wenn es nichts stimmte, es war am einfachsten, Marc einfach Recht zu geben.

Er rief an, sobald er gelandet war, so wie er es am Vorabend versprochen hatte. Er hatte einen Flug mitten in der Nacht genommen, den ersten, den er erwischen konnte, also war es erst kurz nach acht. Bei ihm war es schon elf, fiel mir dann ein. „El? Hörst du mich?", fragte er.

„Ja. Bin da. Wie war der Flug?"

„Ist egal."

„Wie lang brauchst du zum Krankenhaus...?"

„Zehn Minuten oder so. Wenn ich endlich mal ein Taxi krieg' zumindest", sagte er. Zwischen den hupenden Autos und lauten Menschen konnte ich ihn kaum verstehen.

„Wieso hast du angerufen?", fragte ich. Um mir von seinen Problemen bei der Taxisuche zu erzählen bestimmt nicht, und über seine Reise wollte er ja auch nicht wirklich reden.

„Kannst du meinen alten OSU-Pulli raussuchen?", bat er mich jetzt, was mich ein wenig verwunderte.

„Der den du mir gegeben hast?"

„Genau. Der sollte irgendwo im Keller sein, in den alten Boxen." Ja. Da war er auch seit Jahren. Ich trug ihn nicht mehr. Vor zwei, drei, vielleicht auch vor vier Jahren hatte ich ihn in den Keller verbannt. Er erinnerte mich zu sehr daran, wie gut mal alles gewesen war und wie nicht mehr gut es mittlerweile war.

„Wozu?"

„Ich mocht's immer, wenn du den getragen hast", erklärte er. „Fühlte sich heimatlich an. Als wär' ich der Typ aus'm College, der vorm Einschlafen an dieses Mädchen denkt, was er bei so 'ner lahmen Party getroffen hat." Ich fand es süß. Ich fand ihn süß.

Find' ihn verdammt nochmal nicht süß-

Aber es ist süß, er ist sü-

Nein.

„Ich geb' mein Bestes", versprach ich irgendwann. Ich hatte das Gefühl, viel zu lang geschwiegen zu haben.

„Danke. Ich muss jetzt auflegen, okay? Hab' endlich ein Taxi gefunden."

„Rufst du mich an, wenn du bei ihm warst?"

„Klar. Gib' Michael einen Kuss von mir."

„Mach' ich."

„Bist die Beste." Er legte auf. Es wurde still, fast leer. In der Wohnung und in mir.

Der Pullover war nicht mehr ganz so weit und lang wie früher, ich hatte immerhin auch längst nicht mehr den Körper einer Sechzehnjährigen. Aber er hing trotzdem lose an mir herab und die Ärmel gingen weit über meine Hände. Marc hatte seine Klamotten früher extra zu groß gekauft, und er war ja auch um einiges größer als ich. Er hatte Recht gehabt. Es fühlte sich heimatlich an, in dem weichen Stoff zu versinken. Mittlerweile roch er nicht mehr nach head & shoulders und Lagerfeuer, eher nach Staub und altem Holz. Trotzdem half er mir dabei, mich wieder sechzehn zu fühlen, was mich von innen aufwärmte, wie eine Tasse Kaffee oder ein Löffel Suppe an einem Wintertag. Und zur gleichen Zeit war es irgendwie bitter. Weil ich nie wieder sechzehn sein würde und weil mein Bauch meistens nicht flatterte, wenn ich an Marc dachte, sondern sich zusammenzog.

Und ich wusste, dass ich dieses neue, dieses warme, dieses flatternde, all diese Gefühle, mit ihr haben würde. Haben hätte können. Hätte ich nicht so lang geschwiegen. Stumm Gedichte geschrieben, die sie sowieso nie erreichen würden.

Mir wurde trotz des Pullis kalt, wenn ich daran dachte.

Stunden später klingelte das Telefon nochmal. Marc schwieg geschlagene zwei Minuten, bis er letztendlich murmelte: „Sie haben ihn abgesteckt. Einfach so. Also...nicht einfach so. Meine Mom musste richtig viel unterschreiben..." Er pausierte und sagte dann: „Aber du weißt was ich meine. Hoffe ich."

„Ja. Tut mir leid", sagte ich leise. „Konntest du dich gut verabschieden?"

„Ein bisschen." Er zog tief Luft ein. „Ich bleib' noch ein paar Tage bei Mom, okay?"

„Klar. Michael und ich kommen gut zu zweit zurecht."

„Ich will, dass du – dass ihr...könnt ihr zu mir kommen?", bat er.

„Was?" Mein Gehirn fing jetzt schon an, sich zu überschlagen. „Ich dachte, du willst ihn noch nicht in ein Flugzeug setzen?", fragte ich.

„Ja, aber ihr fehlt mir. Ich würde ihn so gerne umarmen. Und dich. Ich.. bitte?" Seine Stimme klang so schwach, dass ich genau das wurde. Eine Umarmung war genau das, das er brauchte. Ein bisschen Zeit mit seinem Sohn. Michael war so ein Sonnenschein, so ein Anker, dass er vermutlich jede Lebenssituation besser machen konnte.

„Wenn du das wirklich willst."

„Ja. Das will ich."

Ich hatte den Staat seit Jahren nicht mehr verlassen. In Ohio gab es schon lange keinen mehr, den ich besuchen wollte, und Freunde woanders hatte ich nicht. Bevor ich Marc kennenlernte, war ich nie gereist und ich hatte es auch kaum getan, seit wir umgezogen waren. Ich blieb Zuhause und das war auch okay für mich. Aber es waren zu viele Jahre gewesen. Mein letzter Urlaub war die Drei-Tage-Reise nach Kalifornien zum dreißigsten Hochzeitstag von Marcs Eltern. Es würde also sicher gut für mich sein, mal ein bisschen rauszukommen.

„Dann buche ich uns einen Flug. Hoffentlich einen, der bald geht." Er antwortete nicht, also fuhr ich fort: „Wir sehen uns dann, ja?"

„Danke, El", war alles was er sagte, bevor die Verbindung abbrach.

Es war komisch, wieder in Columbus zu sein. So fremd, obwohl es so vertraut war. Ich war hier aufgewachsen, es sollte sich vermutlich nicht so anfühlen, als wäre ich zum ersten Mal hier. Aber ich fühlte mich ein Eindringling, der hier nicht mehr hingehörte.

Marc hatte mir die neue Adresse seiner Eltern vorhin geschickt. Sie waren vor ein paar Jahren umgezogen, in ein kleines, altrosa gestrichenes Haus am Stadtrand. Durch das kleine Küchenfenster konnte ich Judy sehen, die am Tisch saß, den Kopf in den Händen.

Ich klingelte. Marc machte erst nach gut zwei Minuten auf. „El. Hey." Ein schmales Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er zog mich und somit auch Michael in eine Umarmung. „Wie war euer Flug?"

„Er hat erstaunlich wenig geweint. Ich glaub' er hat auch nicht wirklich verstanden was passiert."

„Komm' rein", forderte er mich auf und hob die Reisetasche, die ich dabeihatte, hoch. Er stellte sie neben der Treppe ab und streckte dann die Hände nach Michael aus. „Ich nehm' ihn dir kurz ab, okay? Mom ist in der Küche, du kannst ja Hi sagen gehen."

Sie sah nicht mal auf, als ich durch die Tür trat. „Judy?", sagte ich leise und kam ein paar Schritte näher. Sie hob den Kopf und lächelte träge.

„Elizabeth. Danke dass du gekommen bist", nuschelte sie und rieb sich die Augen.

„Wie viel schläfst du?", fragte ich.

„Nicht viel."

„Geh' ins Bett."

„Ich muss noch..."

„Geh' ins Bett", sagte ich erneut, diesmal mit mehr Nachdruck. „Du brauchst Schlaf."

„Ich weiß, aber...die Küche ist-"

„Shhhh. Kein aber. Ich kümmere mich um die Küche, du kümmerst dich um dich selbst."

Sie nickte langsam und stand auf. Marc löste sie nur wenige Minuten später ab und legte die Arme um mich, während ich die Theke abwischte. „Ich bin so froh, dass du hier bist", raunte er und streichelte über meinen Kopf. „Michael ist im Bett. Bist du nicht auch müde...? Jetlag und so."

„Ich hab' deiner Mom versprochen, dass ich die Küche mach'."

„Wenn du meinst." Er löste sich von mir und setzte sich auf einer der hölzernen Stühle. „Gehst du morgen mit mir in den Goodale?"

Im Goodale Park hatten Marc und ich unser erstes offizielles Date gehabt. In dem Park hatte er mich gefragt, ob ich seine Frau werden wollte. In dem Park hatte ich mich verloren und gedacht, mich endlich gefunden zu haben. „Wenn Judy uns denn entbehren kann", antwortete ich.

„Bestimmt."

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