Definiere Liebe

By lumosnyx

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"Du und ich, wir sind aus demselben Sternenstaub gemacht." Elizabeths Leben ist ein wahr gewordener Traum... More

Vorwort
Prolog
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Neun
Zehn
Elf
Zwölf
Dreizehn
Vierzehn
Fünfzehn
Sechzehn
Siebzehn
Achtzehn
Neunzehn
Zwanzig
Einundzwanzig
Zweiundzwanzig
Dreiundzwanzig
Vierundzwanzig
Fünfundzwanzig
Sechsundzwanzig
Siebenundzwanzig
Achtundzwanzig
Neunundzwanzig
Dreißig
Einunddreißig
Dreiunddreißig
Vierunddreißig
Fünfunddreißig
Sechsunddreißig
Siebenunddreißig
Achtunddreißig
Neununddreißig
Epilog

Zweiunddreißig

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By lumosnyx

Die Weihnachtszeit war meine liebste und gleichzeitig meine am meisten gehasste Zeit.

Ich mochte es, mich an die Tage zu erinnern, an denen meine Mom mich mit in die Mall genommen hatte, um den Weihnachtsmann und seine Elfen zu treffen. Die Tage, an denen wir zusammen heiße Schokolade tranken und Schneemänner bauten, falls wir genug Glück hatten, dass überhaupt Schnee fiel. Andererseits erinnerte es mich immer ein bisschen – oder eher ziemlich – schmerzhaft daran, dass der Dezember ihr letzter guter Monat war.

Den ganzen Januar über war sie die ganze Zeit nur müde, wollte nie spielen, nicht einmal zu Donatello's gehen.

Ich war zu dem Zeitpunkt erst sieben, natürlich hab' ich nichts verstanden. Ich war nur traurig, dass Mom mich – in meinen Augen – nicht mehr ganz so lieb hatte. Aber mit jedem Jahr, das danach kam, fiel es mir immer mehr auf.

Das ewige Schlafen. Dass sie mich mit dem Bus zur Schule fahren ließ, statt mich mit dem Auto hinzubringen. Dass sie kaum aß und wenn, dann nur Sachen aus der Dose. Dass sie nicht einmal mehr die Post aus dem Briefkasten holte und stattdessen unsere Nachbarin sie für uns mitnahm.

Marc liebte Weihnachten über alles. Nicht wirklich wegen Weihnachten, sondern wegen der Dinge, die mit der Weihnachtszeit kamen.

Normalerweise war Dezember die beste Zeit des Jahres für uns. Marc war glücklich, weil er seine Eltern nur sehr selten sah und wir nicht nur Thanksgiving, sondern auch Weihnachten, mit ihnen verbrachten. Er bekam einen Bonus von der Arbeit. Und wenn Marc glücklich war, dann war ich es auch. Ein glücklicher Marc hieß, verschont zu bleiben.

Dieses Jahr war anders. Dieses Jahr sah er mich kaum an, schlief in den meisten Nächten auf dem Sofa und ignorierte die Kekse, die ich buk.

Sorgfältig hob ich sie vom ausgekühlten Backblech und ordnete sie in der Dose an, die Marcs Mutter uns geschenkt hatte. Aus dem Radio ertönte leise Driving Home For Christmas, von der CD, die ich mir vor Jahren irgendwann gebrannt hatte. Von außen betrachtet war es bestimmt ein schönes Bild, eine Szene aus einem kitschigen Weihnachtsfilm, den ich mir ansehen würde, um für eine Weile alles zu vergessen.

„Es ist zu warm hier drin." Marc stand im Türrahmen der Küche, die Arme verschränkt, und blinzelte mich langsam an.

„Der Ofen war bis eben noch an", erklärte ich unnötigerweise. Der Anblick der frischen Kekse hatte ihm das bestimmt schon verraten.

„Ich merk's."

„Wie war die-"

„Ist uns doch eh beiden egal, oder nicht?" Er zuckte mit den Schultern und lehnte sich gegen die Wand.

„Und dein Plan ist jetzt einfach, nie wieder mit mir zu reden, oder wie?" Es kam giftiger raus als gewollt. Eigentlich wollte ich keinen Streit anzetteln, da war mir Schweigen lieber.

Aber es reichte wie immer nur ein winzig kleiner Funke, um Marc zum Brennen zu bringen. Das hätte ich mir mittlerweile schon merken können. Nein, ich zündete ihn lieber immer und immer wieder an.

Dumm.

„Natürlich nicht." Er schnaubte leise und verdrehte die Augen. Als wäre was ich gesagt hatte komplett abwegig. Wenn er malehrlich mit sich war, war nicht mit mir reden genau das, was er seit Wochen tat. Aber er war nicht gerne ehrlich mit sich selbst, denn dann würde ihm wohl bewusst werden müssen, dass er nicht wirklich ein heldenhafter Protagonist war. Das Eingeständnis vermied er mit allem was er hatte, wie es schien. „Mein Plan ist es, dass Michael eine gute Kindheit hat. Ob du es glaubst oder nicht, er ist mir wichtig." Dass Michael ihm wichtig war, wusste ich schon. Nur war ich es mittlerweile nicht mehr. Er griff nach einer der anderen Keksdosen, eine viereckige Rote mit Mistelzweig-Druck und kaute auf einem Lebkuchenmann herum. „Wenn er uns nicht sieht oder hört, muss ich nicht nett zu dir sein", sagte er mit vollem Mund, was dazu führte, dass kleine Krümel auf sein Hemd flogen. Er beförderte sie mit einer Handbewegung auf den Boden und stieß sich von der Wand ab.

„Und du, meine liebe, süße, kleine, und – verzeih bitte, aber es stimmt nun einmal – dümmliche Elizabeth", sagte er, tippte leicht mit dem Zeigefinger gegen meine Stirn und verzog die Lippen zu einem Lächeln. Es war fast warm, aber noch viel mehr war es spöttisch. Er schwieg noch ein paar Sekunden dann sprach er weiter: „Du wirst dich nicht beschweren.", beendete er seinen Satz, entschied sich aber im nächsten Moment, dass er noch nicht fertig war. „Michael braucht doch eine Mom, hm?" Er sagte es so leise, so rau, es klang fast schon sanft und liebevoll. War es aber schlicht und einfach nicht. Die Worte lagen mir schwerer im Magen als ein Burrito von dem billigen Imbissladen an der Straßenecke.

Mir wurde schlecht, ich hatte Angst, mich gleich übergeben zu müssen. Natürlich hatte er Recht. Denn egal was passieren würde, Michael stand an erster Stelle. Er verdiente es, dass ich blieb. Ihn liebte. Ich war mir vollkommen sicher, dass meine Mom mich geliebt hatte, mehr als alles andere, aber sie hatte mich trotzdem alleingelassen. Und damit war sie zu meinem allerersten Herzensbruch geworden. Marc wusste das. Er wusste, dass er mir damit Druck machen konnte. Denn er wusste: so wollte ich nicht sein. Nein, ich wollte für meinen Sohn da sein, so sehr es mir auch wehtun würde. Er hatte es verdient. Er hatte mich verdient und all das, was ich ihm geben konnte, wenn ich nur blieb. Er hatte es verdient, von mir geliebt zu werden. Vollkommen egal was Marc mir antun würde, alles war besser als Michael allein zu lassen. Alles.

Ich hielt mich an ihm fest. An dem kleinen Lichtblick in der Ferne, den Michael darstellte. Ich liebte ihn. Das tat ich wirklich, mehr als alles andere. Und gleichzeitig wünschte ich mir manchmal, dass er nicht existierte. Nicht weil ich etwas gegen ihn hatte. Er war mein kleiner Engel. Aber er war das Einzige, das mich noch bei Marc hielt.

Wäre er nicht gewesen, dann hätte ich vermutlich längst ausbrechen können, weglaufen können.

Das war feige von mir und das wusste ich auch. Es war feige, mich einfach woanders hin zu wünschen, wohin wo Marc vielleicht nicht war.

Aber irgendwie war es fast noch feiger, zu bleiben. Es war der sicherste – und zugleich gefährlichste – Weg. Der, der keinen Mut benötigte. Der, bei dem ich mich nichts trauen musste. Ich nutzte meine Chancen nicht. Obwohl Marc fast jeden Tag weg war, und ich einfach so hätte gehen können, blieb ich bei ihm.

Ich hatte viel zu großen Schiss vor ihm, als dass ich mich tatsächlich getraut hätte, zu gehen. Manchmal stand ich vor dem Wohnhaus, Michael im Arm und eine Tasche in der Hand. Und dann hörte ich jedes Mal in meinem Kopf Marcs Stimme.

Wo immer ich auch hinging, er verfolgte mich, auch wenn er nicht anwesend war. Seine Stimme in meinem Hinterkopf, das Gefühl, seinen Atem auf meiner Haut zu spüren, sie ließen mich nicht los.

Und wenn ich wirklich gehen würde?

Wohin denn überhaupt?

Und wie? Ein fehlendes Auto würde Marc sofort auffallen – gut, es war nicht so, dass eine fehlende Familie ihm nicht auffallen würde, oder?

So leicht, wie ich es mir immer vorgestellt hatte, war das mit dem Entkommen anscheinend doch nicht. Dads Wohnung zu verlassen war viel leichter gewesen. Vielleicht, weil ich damals einen ordentlichen Plan gehabt hatte. Auch wenn dieser Plan Marc hieß. Ich hatte zumindest einen.

Jetzt nicht.

Ich hatte nicht das genügende Geld, um einfach woanders hin zu ziehen. Und schon gar nicht eine Ahnung, wie ich mich durchschlagen könnte. Zu Lucie, die früher immer mein Plan gewesen war, traute ich mich nicht mehr. Nicht seit letztem Mal, nicht jetzt. Das hätte mich lediglich noch mehr kaputt gemacht.

Ich war so vertieft und Planung – und Selbstmitleid –, dass mir entging, wie die Tür aufging. Marc zog erst seine Aufmerksamkeit auf mich, als er seine Aktentasche in eine Ecke pfefferte. Ich wusste immer noch nicht so richtig, wieso er die mit sich rumtrug, sie war fast immer leer.

„Hey", murmelte ich. Michaels Gesicht wurde hell, er freute sich immer, seinen Dad zu sehen.

Marc schwieg und leerte die Whiskeyflasche, ohne sich überhaupt ein Glas einzuschenken.

Normalerweise ging er es langsamer an. Außer ich hatte irgendwas getan. Ich konnte mich an nichts erinnern, also blieb ich still und wartete lieber darauf, dass er mir von sich selbst aus sagen würde, was los war. Oder ob überhaupt was los war. Vielleicht wollte er auch einfach seine Routine ändern, effektiver werden. Wenn er zu war, verstand er ja nicht, was ich sagte. Das war bestimmt angenehm.

„Bringst du ihn ins Bett?" Er nickte zu Michael und stützte sich an der Marmortheke ab.

„Es ist erst halb sechs, er ist noch nicht müde."

„Bring ihn ins Bett. Ich will mit dir reden." Er klang fordernder als vorher, nicht mehr so zärtlich.

Marc wollte nie wirklich reden, besonders nicht, während er im Schrank nach einer neuen Flasche kramte. Ich wollte nochmal widersprechen, aber andererseits wusste ich, dass das hier nicht gut enden würde. Und die Vereinbarung war, vor Michael zivil zu bleiben. Und ich glaubte, dass das heute schwer für Marc werden würde. Also nickte ich und hob Michael hoch, trug ihn in sein Zimmer. Gerade wenn es so früh war, brauchte er extra lang, um einzuschlafen.

Ich versuchte es mit einer Geschichte, einem Lied, einer zweiten Geschichte, und mit der schaffte ich es dann schließlich. Er sah so friedlich aus, wenn er schlief. Als könnte ihm nichts und niemand etwas anhaben. Ich war ein bisschen versucht, einfach bei ihm zu bleiben und Marc somit zu vermeiden, aber auf Dauer würde das wohl kaum funktionieren. Er wartete immerhin auf mich. Wie ein Löwe auf eine Gazelle oder eine Spinne auf die Fliegen, für die sie extra ihr Netz gesponnen hatte. Ich fühlte mich jetzt schon quasi tot.

Meine Knie wurden weich, als ich zurück ins Wohnzimmer ging. Wenn ich Michael bei mir hatte, war alles gut. Ich war sicher, Marc konnte mir gar nichts tun. Nicht vor seinem Sohn. Aber sobald ich allein mit ihm war, war ich die perfekte Angriffsfläche.

Marc saß mittlerweile am Esstisch, ich ließ mich gegenüber von ihm nieder. „Worüber wolltest du reden?"

„Über etwas", antwortete er knapp. Daraus wurde ich kein bisschen schlauer.

„Was?", hakte ich nach.

„Lässt du mich jetzt mal bitte ausreden?", zischte er und ich schluckte. „Geht doch. Danke."

„Du redest nicht gerne viel", sagte ich. Ich hatte nicht einmal den Mumm, um ihm in die Augen zu sehen, starrte stattdessen einfach auf das dunkle Holz vor mir. „Zumindest meistens nicht."

„Jetzt schon. Beschwer' dich nicht, du redest eh gern."

„Vielleicht. Kommt darauf an." Ich sah auf. Sein Blick war nicht einmal wütend. Nicht halb so scharf wie vorhin. Er war nur...tief. „Was ist los, Marc?"

„Mein Dad." Kryptischer konnte er sich wohl nicht ausdrücken, oder? Das sagte ich nicht, natürlich nicht. Das wäre unangebracht gewesen. Stattdessen fragte ich leise: „Was ist mit deinem Dad?"

„Er ist im Koma. Schlaganfall oder so", nuschelte er. So verletzlich hatte ich ihn das letzte Mal gesehen, als sein Hund gestorben war. Damals war er neunzehn.

Marc, nicht der Hund.

„Ich- das tut mir leid", war das Erste was mir einfiel. Vermutlich auch das Dümmste.

„Wenn er..." Ich wusste, dass ihm stirbt auf der Zunge lag und ich wusste, dass es viel zu schwer war, das Wort tatsächlich auszusprechen. Wenn ich über meine Mom redete, dann benutzte ich immer nur den Spruch von uns gegangen. Alles andere tat zu sehr weh. „Dann ist das Letzte, was ich zu ihm gesagt, dass ich mir nächstes Jahr eine bessere Saison für die Comets wünsche. Was sind das bitte für beschissene letzte Worte zu jemandem, hm?" Er öffnete die Wodkaflasche, die er sich vorhin bereitgestellt hatte. Ein Schluck, dann zwei, dann drei.

„Das sind nicht die...nicht die schlimmsten letzten Worte, die ich je gehört hab", versuchte ich, ihn aufzumuntern.

„Ach ja? Nenn' mir noch dümmere."

„Ich hab' zu meiner Mom nur Gute Nacht gesagt. Das ist auch nicht spannend."

„Gilt nicht. Du warst'n Kind, Kinder sagen nie irgendwas Cooles."

„Vielleicht sind es gar nicht deine letzten Worte gewesen. Hab ein bisschen mehr Hoffnung."

„Hoffnung ist peinlich", schnaubte er. „Du bist echt schlecht darin Leute aufzubauen, weißt du das?"

„Tut mir leid."

„Ne, ist okay."

„Kann ich irgendwas...ich will was für dich tun." Ich sollte ihn eigentlich hassen. Aber ich konnte sehen, wie sehr es ihm wehtat. Und ich wusste, wie sehr es mir damals wehgetan hatte. Und ich wusste, dass ich damals einfach nur jemanden gewollt hatte, der mich in den Arm nahm. Der mich halten würde, bis alles wieder ein bisschen okay war.

Also hielt ich ihn. Bis er weinte. Er weinte in den Stoff meines Oberteils, so laut und so bitterlich. Und er war klein. Er war klein und miserabel und ich hielt ihn. Als wäre nie etwas anderes als Vertrauen zwischen uns gewesen.

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