Red Snow

By MementoKore

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Der Boden dieses Landes wird seit Jahrhunderten vom Blut eines endlosen Krieges getränkt. Zwei Fraktionen, As... More

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Nachwort

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By MementoKore

Um sie herum herrschte Dunkelheit. Der Sack, den sie ihr übergestülpt hatten, kratzte unangenehm auf der Haut. Sie saß auf einem Stuhl in einem Raum, so viel war klar. Ihre Hände waren hinter der Lehne des Stuhls zusammengebunden. Das raue Seil scheuerte schmerzhaft an ihren Handgelenken. Sie wusste nicht, wieso sie hier war. Oder was sie von ihr wollten. Sie wusste nur, dass dieser Tag eine ganz andere Wendung genommen hatte als sie eigentlich gedacht hatte.

Drei Stunden zuvor

Faith lief durch die Straßen Synvas. Es war Herbst und die Luft strich angenehm frisch über ihr Gesicht. Sie genoss es, hier in den einsamen Gassen einmal etwas Frieden zu finden. Und das, obwohl es hier nicht gerade so sauber war als könne man vom Boden essen. Der Boden war schmutzig und sie war froh, dass sie nicht zu den Armen gehörte, die die Straße ihr Zuhause nannten. Sie lebte bei ihrer Tante, einer adligen Frau der Stadt. Ihre Mutter lebte in einer Hütte  weit entfernt - den Grund kannte sie nicht - und ihr Vater war früh gestorben. Wieso und an was wusste sie auch nicht. Ihre Tante hatte nie viel für dieses Thema übrig gehabt.
Sie lief weiter durch die Gassen und sah sich interessiert um. Sie kam nicht so oft aus dem Haus heraus. Ihre Tante war recht wohlhabend und kannte somit die Tücken der ärmeren Viertel. Für Faith spielte beides aber keine Rolle, weder der Reichtum noch das Risiko.
Sie sog entspannt die frische Luft ein und bog dann in eine der Nebengassen ein. Hier hielt sich kaum eine Menschenseele auf. Die meisten waren um diese Zeit zu Hause beim Essen. Das Mädchen spazierte seelenruhig durch die Straßen und genoss die Stille. Irgendwann bemerkte sie aber Schritte, die sich weder entfernten noch näherten. Sie wurde etwas unruhig und lief automatisch schneller. Man wusste nie, wer sich auf diesen Straßen herumtrieb, das hatte ihre Tante ihr klargemacht. Die Schritte schienen sich ihrer Geschwindigkeit anzupassen... Wie entkam sie am besten dem Blick der Person? Sie hatte keine gute Idee. Faith bog in die nächste Straße ein, doch da spürte sie plötzlich einen starken Schlag auf den Hinterkopf und alles um sie herum wurde schwarz...

Nun saß sie hier in diesem Raum. Ihr Kopf schmerzte noch von dem Schlag und sie hatte keine Ahnung, wie spät es war oder was das für eine Person gewesen war. Sie wartete einfach mit einem unwohlen Gefühl in der Magengegend.
Irgendwann hörte Faith Geräusche und eine Tür, die sich öffnete und wieder schloss. Dann lief jemand in den Nebenraum. Sie hörte leise, aber heftig diskutierende Stimmen.
"Und du bist dir sicher, dass es seine Tochter ist?", fragte die eine tiefe und sehr raue Stimme.
"Ja, hundertprozentig", bestätigte die zweite, weichere.
"Ich wusste nichtmal, dass er Kinder hatte", murmelte die erste daraufhin, und das Mädchen hörte Schritte, die auf sie zukamen.
"Na, Kleine? Wie geht's dir?", fragte dann diese raue Stimme mit kaltem Ton. Gleichzeitig wurde ihr der Sack unvorsichtig vom Kopf gezogen. Das Licht blendete sie, sodass sie blinzeln musste. Ein Mann stand vor ihr. Er war groß, kräftig gebaut - wortwörtlich ein Schrank. Seine matten braunen Haare hingen schlaff an seinem runden Kopf. Sie klebten ihm seitlich am Gesicht, als wären sie nass. Waren sie etwa wirklich nass? Hatte es inzwischen geregnet? Sie wusste nicht, wie lang sie nun schon hier war, und im Zwielicht konnte Faith das kaum erkennen. Einige graue Strähnen zeigten sich in seinen Haaren wie auch in seinem ebenfalls mattbraunen Bart. Er lächelte grimmig und musterte Faith abfällig. Sie fühlte sich noch unwohler als vorhin. Ihr Herz klopfte nervös, ihre Hände begannen zu schwitzen und ihre Amtung wurde flacher.
"Wie heißt dein Vater, Kleine?"
Sie sah ihn entgeistert an. Jedes andere Kind hätte diese Frage sicher beantworten können. Aber nicht Faith. Er war so früh gestorben... Sie erinnerte sich kaum an ihn. Eigentlich gar nicht.
"Ich... ich weiß es nicht", stotterte sie verwirrt. Wieso wollte der Typ das überhaupt wissen? Der Mann wurde ungeduldig.
"Na gut... Hat er dir irgendwas hinterlassen? Ein... Amulett vielleicht?", fragte er weiter und hatte dabei einen lauernden Klang in seiner rauen Stimme. Faith runzelte nachdenklich die Stirn.
"Nicht, dass ich wüsste."
Auch diese Antwort schien ihm nicht gerade zu gefallen. Sie sah ihn nur mit großen Augen an. An ihre gefesselten Hände dachte sie nicht. Und sie bemerkte schon gar nicht, dass im Hintergrund die Person stand, der die andere Stimme gehörte. Der Mann vor ihr atmete tief durch, als müsste er sich beherrschen, sie nicht sofort zu schlagen.
"Denk nochmal nach, Schätzchen. Irgendwo hast du doch sicher ein Amulett...", setzte er nochmal an. Wieder musste Faith stumm den Kopf schütteln. Ihr fiel an seiner Kleidung nur das Kreuz auf. Es prangte auf seiner Brust, ein rotes Kreuz, dessen Arme gleich lang waren, auf einem weißen Hintergrund. Darunter konnte man ein Kettenhemd sehen. Dieses merkwürdige Kreuz... Es kam ihr so vertraut vor, doch sie wusste nichts darüber. Wie eine Erinnerung auf die sie nicht zugreifen konnte. Diesmal wurde der Mann vor ihr aber wirklich wütend. Er holte aus und verpasste ihr eine heftige Ohrfeige. Faith sah kurz Sterne und spürte ihre linke Wange brennen. In ihren Augen sammelten sich durch den Schmerz Tränen, aber vor diesem Dreckskerl wollte sie definitiv nicht weinen. Sie beherrschte sich also und sah ihm nur mit finster funkelnden Augen entgegen. Ihre Wunde am Hinterkopf pochte wieder unangenehm. Vielleicht war sie durch den Schlag wieder aufgerissen...
"Habe ich deine Erinnerungen etwas aufgefrischt, Kleine?", fragte er nun und seine Stimme klang drohend und giftig, als wäre er eine Schlange. Faith schüttelte knapp den Kopf. Sie war eher kurz davor, in Ohnmacht zu fallen, als dass sie sich wieder an mehr erinnerte. Er bekam ein rötliches Gesicht und holte wieder aus. Sie bereitete sich schon auf den Schmerz vor - aber der kam nicht. Eine Hand hielt seine Faust dort, wo sie war. Bevor der Mann sich umdrehen konnte ragte eine silberne, mit Blut befleckte Klinge aus seiner Brust. Der Mann gab einen kurzen Laut von sich, dann kippte er um. Faith hing nun eher auf dem Stuhl anstatt auf ihm zu sitzen. Sie kämpfte mit der Ohnmacht und immer mehr schwarze Flecken sammelten sich vor ihren Augen. Sie erkannte nur noch eine Gestalt in einer weißen Montur und Kapuze. Dann sah sie nur noch verschwommen und direkt danach nichts mehr.

Faith blinzelte. Erst erkannte sie nichts. Dann sah sie eine weiße Zimmerdecke. War sie wieder zu Hause bei ihrer Tante? Hatte sie das alles nur geträumt? Sie bewegte ihre Hände. Nicht gefesselt. Und sie lag auf einem weichen Bett. Naja, so weich auch wieder nicht. Sie blinzelte nochmal. Und die weiße Decke war auch eher grau und sah alt aus. Die vergilbte Tapete blätterte bereits ab. Faith sah nach links. Ein Fenster befand sich neben ihr, doch die Fensterläden waren geschlossen. Sie erkannte nur an den Ritzen, dass es zumindest noch Tag war, denn sanfte Lichtstrahlen fielen durch sie hindurch. Die Frage war nur, welcher Tag...
Dabei musste sie an ihren Hinterkopf denken. Er schmerzte nicht, obwohl sie darauf lag. Sie tastete vorsichtig nach der Wunde - aber man hatte ihr einen Verband angelegt. Wer? Sie wandte den Kopf unsicher nach rechts. Und erschrak. Faith gab einen überraschten Laut von sich und rückte näher an die Wand mit dem Fenster heran. Es herrschte nicht allzu helles Licht hier im Raum. Wer da saß erkannte sie trotz des mäßigen Lichtes nicht. Es war von der Statur her ein junger Mann, das konnte sie aber nicht genau sagen. Er trug ein weißes Leinenhemd mit dezenten silbernen und blauen Einarbeitungen. Über seiner linken Schulter war eine Art Schulterteil einer Rüstung aus schwarzem Leder gegurtet, an dem hinten ein schwarzer Umhang herabhing. Auf Bauchhöhe befand sich ein breiter Gurt mit metallischen Mustern darauf, die in der Mitte ein Zeichen bildeten - wie eine Art Tropfen. Was dieses Zeichen bedeutete wusste sie nicht, aber es löste dieselben Gefühle aus wie das Kreuz, das sie bei dem Mann gesehen hatte. An den Armen trug ihr Gegenüber lederne Manschetten, die teils auch metallisch waren um ihn besser zu schützen. An der rechten Hand trug er einen Handschuh aus dunklem Leder. Was aber das Irritierende war - er hatte eine Kapuze auf. Sie war ebenso weiß wie das Oberteil. Das spitz zulaufende Ende hing ihm tief ins Gesicht sodass Faith in dem Licht kaum den Mund erkennen konnte, geschweige denn die Augen. Sie hatte aber das bedrückende Gefühl dass er sie stumm anstarrte und dabei durchgehend musterte. Irgendwann stand er auf und verließ den Raum. Dabei sah sie, dass das Oberteil eher einer Robe glich und er eine helle Hose trug, die aber schon weit oben von schwarzen Stiefeln verdeckt wurde.
Irgendetwas war jedoch komisch... Komischer als die Kapuze. Ja, man hörte seine Schritte kaum, obwohl Faith eher ein Knarzen des alt wirkenden Parkettbodens erwartet hatte. Sie sah ihm verwirrt nach und ließ sich dann ins Bett zurücksinken. Eine Kapuze... Irgendwoher kam ihr das bekannt vor. Ah, ja. Die Leute, die sie befreit und vor dem Mann mit dem Kreuz gerettet hatten - die hatten auch Kapuzen getragen. Faith fiel nur kein schlüssiger Grund ein, der diese fremden Gestalten zu solch einer Heldentat bewegen könnte... Waren sie wirklich gekommen, um sie zu retten, oder diente das nur ihrem eigenen Zweck? Faith seufzte und schloss die Augen. Ihre Tante! Wusste ihre Tante schon, dass Faith verschwunden war? Hatte sie schon die Wachen alarmiert? Wie lange war es her, dass sie das Haus verlassen hatte?
Irgendwann übermannte sie die Erschöpfung, sie nickte ein und vergaß all die Fragen vorerst.

Als sie das zweite Mal erwachte blickte sie in die Gesichter zweier Personen. Nun ja, man erkannte die Gesichter kaum, sie wurden wieder verdeckt. Von Kapuzen. War das hier der neueste Trend oder so? Unsicher blinzelte Faith die beiden an. Der eine wirkte älter und größer als der junge Mann, den sie vorher gesehen hatte. Die andere Person wirkte viel jünger und eher klein. Die Kapuze des älteren Mannes - es waren alles Männer, da war sie sich sicher - war weißer und abgerundeter als die des anderen vorhin. Außerdem war seine Montur vollkommen weiß und besaß kaum Verzierungen, höchstens zwei metallische Manschetten, einen breiten Metallgürtel und - wie Faith erschrocken erkannte - die Griffe mehrerer Messer und anderer Waffen. Außerdem erkannte sie, dass er einen Bart hatte. Ein brauner, der nun schon von grauen Strähnen durchzogen wurde. Der Junge hingegen trug eine schlichte, hellgraue Robe ohne jegliche Verzierungen, Falten oder Rüschen. Ein rotes Band diente als Gürtel, außerdem trug er dezente Ledermanschetten. Auch seine Kapuze wirkte kaum aufsehenerregend. Ich sah die beiden fragend an.
"Du wirst sicher viele Fragen haben", bemerkte der ältere Mann mit ruhiger Stimme. Er hatte die Hände hinter dem Rücken gefaltet und wirkte dadurch irgendwie weise und besonnen. Faith sah ihn erst verwirrt an und nickte dann hastig. Der Mann seufzte kurz.
"Ich werde sie dir später alle beantworten, versprochen...", erwiderte er daraufhin. "Ich bin Kadir."
Faith sah ihn erst zögernd an, dann lächelte sie schwach. Plötzlich trat der junge Mann von vorhin in Faiths Blickfeld.
"Aber Meister... Ich dachte wir verraten ihr nichts?"
Auch wenn er eine Kapuze trug merkte man deutlich, wie er seinen Meister argwöhnisch musterte. Anscheinend gehörten die drei zusammen und hatten eine Art Plan... Und der war es wahrscheinlich gewesen, Faith zu retten. Die Frage war - wieso?
"Der Plan war von Anfang an, sie mitzunehmen, mein misstrauischer Freund", erwiderte Kadir mit ruhiger, aber harscher Stimme. Sein Gegenüber öffnete kurz den Mund, schloss ihn dann aber und deutete eine Verbeugung an.
"Verzeiht mir, Meister", murmelte er daraufhin, doch seine Stimme klang nicht überzeugt. Faith war froh, dass dieser Kadir anscheinend auf ihrer Seite stand - und wohl auch noch auf einer hohen Position. Kadir wandte sich wieder an sie.
"Wie geht es dir, Faith?"
Das Mädchen stutzte. Woher kannte er ihren Namen? Jedoch zählte diese Frage wohl zu denen, die er noch beantworten würde. Also richtete Faith sich probeweise auf. Ihr Kopfweh meldete sich kaum.
"Ich denke... ganz gut. Wieso? Wo gehen wir hin?"
Faith erkannte ein Lächeln auf den Lippen des Mannes.
"Das erzähle ich dir auf dem Weg. Den Verband kannst du übrigens abnehmen."
Damit drehte er sich um und lief aus dem Raum. Der Junge, der die ganze Zeit ruhig im Raum gestanden hatte, verweilte kurz und folgte ihm dann. Faith sah mehr oder weniger gezwungenermaßen zum übrig gebliebenen Dritten. Er sah den beiden nach, dann zu ihr.
"Nur damit du es weißt - ich war von Anfang an dagegen, dich mitzunehmen", knurrte er schließlich kalt und verschwand ebenfalls aus der Tür.
Faith blieb verwirrt sitzen. Sie trug ihre Kleidung noch. Ihr weißes Hemd, die dunkle Hose und die hohen, hellbraunen Stiefel. An einem Haken im Zimmer hing ihre graue Jacke. Ja, sehr farbenfroh lief sie nicht herum. Da tauchte der unsympathische Typ wieder im Türrahmen auf.
"Kommst du?", fragte er ungeduldig nach, wartete kurz und verschwand dann wieder. Faith verdrehte nur die Augen, wickelte schnell den Verband ab, holte ihre Jacke und lief den anderen hinterher, während sie sich die Jacke überzog. Sie kam durch einen Gang, dessen Wände wie die in einem alten Fachwerkhaus aussahen. Dann kam sie zu einer Tür und trat hinaus auf die Straße.
Es war eine gepflasterte Straße - so wie jede andere hier in Synva auch. Vor der Tür standen die drei Männer mit Kapuze. Keiner hatte sie abgezogen seit Faith sie gesehen hatte. Aber jetzt konnte sie nichts anderes tun als diesen Leuten zu vertrauen. In diesem Teil der Stadt kannte sie sich nicht aus. Und selbst wenn... Diese Typen hatten Waffen. Und konnten sicher auch damit umgehen, das bezweifelte Faith nicht. Kadir lächelte sie aufmunternd an, als er bemerkte dass sie nun auch anwesend war. Die wenigen Menschen, die vorbeiliefen, warfen ihnen, wenn überhaupt, misstrauische Blicke zu und liefen wortlos weiter. Der Junge stand wieder in der Nähe von Kadir, wohingegen der andere eher Abstand hielt. Kadir schien das nicht zu stören.
"Komm, Faith", wies Kadir sie an. Die drei liefen los und Faith ging einfach links neben Kadir her. Hinter ihnen lief der Junge, vor ihnen und in einigem Abstand der mit den blauen Mustern im Gewand. Faith hatte bemerkt, dass er inzwischen einen schwarzen Langbogen um den Oberkörper herum trug - und zusätzlich noch einen schwarzen Köcher, der Pfeile mit schwarzen Schäften und dunkelroten Federn enthielt. Sie fand diese Waffen wunderschön. Aber die dazugehörige Person fand das Mädchen jetzt schon unsympathisch. Faith lief schweigend neben Kadir her bis sie einfach anfing zu reden.
"Kadir, wie heißen die anderen beiden?", wollte sie wissen und sah ihn fragend an. Er wirkte kurz erstaunt, als würde er nicht oft so angesprochen werden. Dann lächelte er aber und sah Faith an.
"Der hinter uns ist Aed, der vor uns wird Cade genannt. Nur ich kenne seinen echten Namen, aber den darf ich dir nicht verraten."
Kadir zwinkerte Faith verschmitzt zu und Faith musste unwillkürlich lächeln. Kadir hatte so eine ruhige, nette Art. Ganz anders als Aed oder Cade.
"Und wer seid ihr?"
Kadir sah plötzlich nachdenklich aus.
"Das erzähle ich dir später."
Faith seufzte und sah nach vorn. Manchmal verschwand Cade zwischen den Leuten, manchmal war er wieder ziemlich nah vor ihnen.
"Und wohin gehen wir?", wollte sie wissen.
"Das bemerkst du noch früh genug."
Kadir warf ihr kurz einen amüsierten Blick zu und sah dann wieder nach vorn. Faith machte ein missmutiges Gesicht. Wieso war denn alles so geheimnisvoll?
"Und mach dir keine Sorgen, deine Tante weiß Bescheid."
Faith warf ihm einen misstrauischen Blick von der Seite zu. Woher wusste er denn so viel? Aber solange ihre Tante davon wusste... Obwohl natürlich keine Garantie bestand, dass sie eingewilligt hatte.

Plötzlich erschien Cade auf der Bildfläche und wandte sich an Kadir. Er lief auf der rechten Seite neben ihm her.
"Die Templer lassen die Tore bewachen. Wir bekommen sie da kaum ungesehen durch", berichtete er mit sachlichem Ton. Faith lauschte, verstand aber nichts. Was waren Templer? Und wieso durften sie sie nicht sehen?
Kadir nickte nur ernst, dann meldete sich überraschenderweise Aed zu Wort. Seine Stimme klang erwachsener als erwartet, wobei Faith einen neugierigen Blick auf ihn warf. Doch da waren wieder nur die Kapuze und ein Schatten von Gesicht.
"Wir müssen über die Mauer. Am besten gleich hier."
Kadir blieb stehen. So auch die anderen drei. Die Stadtmauer ragte hinter einer Reihe Häuser empor. Und das geschätzte zehn Meter, vielleicht auch zwanzig. Kadir nickte dann.
"Okay, Cade? Rechts. Aed, du links", wies er die beiden an. Sie nickten und liefen auf die Mauer zu. In kurzem Abstand folgten Kadir und Faith. Faith wusste nicht, was sie tun sollte. Sie war noch nie so hoch geklettert. Die vier liefen durch eine enge Gasse - sie war kaum einen Meter breit, die zwei Häuser voneinander trennte und an der Mauer endete. Cade und Aed begannen sofort, die Mauer zu erklimmen. Bei ihnen sah es so leicht aus... Faith wurde nervös und sah Kadir an. Der nickte ihr aufmunternd zu.
"Na, los. Ab nach oben."
Faith trat unsicher auf die Mauer zu und suchte nach Steinen, die sie als Griff nutzen konnte. Irgendwie fand sie welche und zog sich hoch. Nach und nach lief es besser, sie fand schneller Halt und zog sich sicherer nach oben. Kadir kletterte direkt unter ihr. Vielleicht zu Faiths Sicherheit - jedoch hatte sie die ganze Zeit Angst, sie könnte einfach nach hinten kippen und die zehn Meter zu Boden stürzen.
Das passierte aber nicht. Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen sie oben an. Cade stand bereits erwartungsvoll oben und hielt Faith eine Hand hin. Wäre sie nicht so voller Furcht gewesen hätte sie seine Hand sicher ausgeschlagen. Aber unter diesen Umständen nahm sie sie und ließ sich den letzten Meter nach oben ziehen. Dann tauchte auch Aed auf, der sich die Hände an seiner Kleidung abwischte. Kadir stand neben ihr und lächelte warm.
"So schlecht kletterst du gar nicht", meinte er anerkennend und sah zu Aed. Der stand nur wieder schweigsam da und sah sich um. Schon interessant, dass gerade hier keine Wachen waren...
"Um ehrlich zu sein war ich nie richtig klettern...", gestand das Mädchen und sah hinter sich. Wäre da nicht die Mauer gewesen wäre sie glatt wieder hinunter gefallen. Erst hier oben wurde ihr klar, wie weit oben sie sich befanden. Sofort wandte sie den Blick wieder ab. Kadir lachte kurz.
"Dir liegt das eben im Blut."
Faith war kurz irritiert. Doch Aed und Cade waren bereits über die andere Seite der Mauer verschwunden und Kadir war im Begriff, ihnen zu folgen. Faith sah nach links und rechts. Rechts machte die Mauer einen Knick nach innen sodass man nicht weit sehen konnte. Auch auf der linken Seite begrenzte ein Wachturm die Sicht. Und bei genauerem Hinsehen... Waren das nicht Bluttropfen auf dem Boden? Faith erschauderte. Diese Männer hatten sicher auch die getötet, die sie gefangen genommen hatten. Und das ohne Skrupel. So wie eben. Faith musste einen Würgereiz unterdrücken. Sie töteten. Und sie vertraute ihnen auch noch! Kadir drehte sich mit einem fast schon väterlichen Lächeln Faith zu.
"Kommst du?"
Faith wandte ihr bleich gewordenes Gesicht von den Bluttropfen ab und Kadir zu.
"Ja ja..."
Wie konnte er nur so ruhig und nett sein, wenn er Menschenleben auf dem Gewissen hatte?! Trotzdem musste sie ihnen vertrauen. Sie hatte keine andere Wahl. Kadir nickte zufrieden und verschwand über die Mauer. Faith schluckte ihren Ekel und die Zweifel hinunter und folgte ihm. Sie dachte kaum mehr daran, dass sie nicht klettern konnte. Erst unten fiel ihr auf, dass sie weder unsicher gewesen war noch abgestürzt. Überrascht von sich selbst folgte sie den drei Männern, die sich in schnellem Tempo von der Stadtmauer entfernten. Faith folgte ihnen und gesellte sich wieder zu Kadir.
Die Sonne ging nun langsam unter und tauchte die kahlen Steinwände der Mauer in goldenes Licht. Die Gruppe überwand schnell die kleine, baumlose Fläche zwischen Mauer und Wald und lief dann auf einem schmalen Waldweg weiter. Hier war es schon dunkler und es fanden nur wenige goldene Strahlen den Weg durch das dichte Laub. Auch wenn es Herbst war hatten die Bäume hier noch viele Blätter. Faith verfiel in Schweigen. Auch Kadir sprach kein Wort. Nur Cade und Aed, die nebeneinander vorne liefen, diskutierten immer mal wieder leise. Doch auch ihre Worte verloren sich letztendlich im Wind, bis sie schließlich still durch den immer dichter werdenden Wald liefen.

Als es dunkel geworden war mussten sie sich einen Platz für die Nacht suchen. Ein großer Baum abseits des Weges war die Wahl von Cade. Aed machte Feuer. So saßen abends Kadir, Aed und Faith um das Feuer herum, während Cade freiwillig die erste Wache hielt.
"Wer seid ihr denn nun?", fragte Faith irgendwann in die Stille hinein, die nur durch das Knistern des Feuers unterbrochen wurde. Aed schwieg, sah aber zu Kadir. Der starrte nachdenklich in die Flammen.
"Du wirst es dir bereits denken können", erwiderte er tonlos. Er wirkte müde. Faith dachte nach. Hatte sie schon von Leuten mit Kapuzen gehört, die eben mal so Leute töteten? Nein. Faith sah Kadir fragend an. Als er ihren Blick bemerkte lachte er kurz auf.
"Dir wird die Wahrheit nicht gefallen."
Das Mädchen sah ihn unsicher an. Nicht? Naja, immerhin töteten sie Leute. Faith schüttelte den Kopf.
"Egal", erwiderte sie nur.
Aed sorgte währenddessen dafür, dass das Feuer nicht ausging, indem er etwas Holz nachlegte. Kadir seufzte und lehnte sich an einen Baumstamm.
"Zuerst muss ich dich etwas fragen. Wärst du bereit, mit uns zu gehen?"
Er warf ihr unter der Kapuze hervor einen scharfen Blick zu. Faith bekam kurz große Augen und sah ihn dann grübelnd an.
"Ich... Weiß nicht...", murmelte sie unentschlossen.
"Nun, dann kann ich es dir nicht verraten."
Kadir sah wieder in die Flammen. Konnte er nicht?
"Wieso nicht?"
Faith legte den Kopf schief und zupfte nebenher an Grashalmen herum - eins der Dinge, das zeigte dass sie nervös oder unsicher war. Der Mann wandte seinen Blick wieder ihr zu.
"Weil diese Informationen geheim sind. Weil sie unsere Gemeinschaft gefährden wenn sie in die falschen Hände geraten. Also - wirst du mit uns gehen oder nicht?"
Faith wusste nichtmal, was er meinte. Sie ging doch schon mit ihnen mit... Oder was meinte er? Welchen Weg musste sie mit ihnen gehen oder eben nicht? Doch die Neugier siegte, sie wollte das jetzt wissen.
"Gut, ich gehe mit", willigte sie schließlich ein, ohne genau zu wissen, auf was das hinauslaufen würde. Kadir musterte sie mit einem ernsten Blick. Doch dann nickte er.
"Du darfst das niemandem verraten, verstehst du? Niemandem", bekräftigte er nochmal und Faith nickte. Kadir seufzte und lehnte sich wieder zurück.
"Gut. Nun - wir arbeiten im Dunkeln um dem Licht zu dienen. Wir sind Assassinen."
Faith sah etwas erschrocken aus. Natürlich hatte sie schon mit so etwas gerechnet - aber Assassinen? Sie hatte nur wenig über sie gehört. Sie seien hinterhältige, skrupellose Mörder, mit der Absicht, die Weltherrschaft an sich zu reißen (im Nachhinein tatsächlich etwas übertriebene Gerüchte, oder nicht?). Dabei wirkten diese Männer hier nicht so. Okay, bis auf Cade. Trotzdem ließ sie der unangenehme Gedanke nicht los.
"Assassinen?", hakte sie nach.
Kadir nickte. "Ja. Weißt du denn etwas über uns?"
Faith schüttelte den Kopf. "Kaum. Und wenn, dann nur Gerüchte."
Die Leute mieden es, über sie zu sprechen. Als würde dann gleich einer von ihnen auftauchen und sie umlegen... Kadir seufzte wieder.
"Die Menschen fürchten uns. Dabei haben wir nur Gutes im Sinn."
Faith sah Kadir argwöhnisch an. Gutes? Sie hatten doch vorhin Menschen getötet...
"Stimmt es, dass ihr die Weltherrschaft wollt?", konnte Faith es sich dann nicht verkneifen, zu fragen. Kadir wirkte daraufhin wirklich amüsiert.
"Ich glaube kaum, dass man das so bezeichnen könnte. Wir wollen einfach Frieden."
Kurz herrschte Stille. Faith wusste nicht, was sie davon halten sollte.
"Kennst du denn die Rangordnung?", wollte Kadir weiter wissen, da er eigentlich erwartet hatte, dass sie etwas mehr über die Assassinen wusste. Faith musste abermals den Kopf schütteln. Kadir lächelte leicht. Er mochte es, den Neuen die Umstände zu erklären. Und allzu viel Nachwuchs hatten sie nicht.
"Also, die auszubildenden Assassinen nennt man Novizen. Danach kommen die normalen, vollwertigen Assassinen. Leistet ein Assassine etwas Außergewöhnliches wird er zum Meisterassassinen. Diese können die Novizen ausbilden, sind also ihre Mentoren. Dann gibt es noch den Großmeister, also den Anführer. Der kann, wenn er will, auch einen Art Stellvertreter oder Nachfolger wählen - dieser Rang ist aber nicht so gern gesehen. Deswegen darf der Großmeister immer entscheiden ob er so jemanden will oder nicht... Willst du denn mal raten, was wir für Ränge haben?"
Kadir sah Faith amüsiert an. Aed hob neugierig den Kopf und blickte zwischen Kadir und dem Mädchen hin und her. Faith sah erst unentschlossen aus, nickte dann aber.
"Also... Aed ist bestimmt ein Novize... Oder?", fing sie an zu vermuten und Kadir nickte. Er trug so schlichte Kleidung... Da konnte es kaum etwas anderes sein. Aed wirkte etwas betrübt.
"Bemerkt man das denn so leicht?", wollte er wissen. Faith wollte widersprechen, aber Kadir kam ihr zuvor.
"Sieh das nicht als Kränkung. Du wirst sowieso bald zum Assassinen", meinte er mit beruhigender Stimme.
Aed nickte. "Ja, Meister."
Faith sah Kadir schief an. Meister, hm? Aber erstmal riet sie Cades Rang.
"Ist er... Assassine?", fragte Faith nach. Aed nickte direkt. Kadir sah Faith nachdenklich an.
"Man beantwortet doch eine Frage nicht mit einer Frage."
Faith sah ihn verwirrt an und lächelte dann leicht.
"Oh... ja, 'tschuldigung", nuschelte sie.
"Und was bin ich?", hakte Kadir nach.
Faith atmete tief durch. Er war mehrmals Meister genannt worden. Wenn er Meisterassassine war war es durchaus logisch, dass Aed ihn Meister nannte. Vielleicht war er ja sein Mentor. Aber Cade hatte ihn auch so genannt. Nannten Assassinen Meisterassassinen auch 'Meister'? Faith wusste es nicht. Aber sie würden wohl kaum ihren Großmeister geschickt haben, nur um sie zu retten... Oder?
"Meisterassassine?"
Faith biss sich auf die Unterlippe. Schon wieder eine Frage als Antwort. Aber sie war sich einfach nicht sicher. Aed grinste, was man im Schein des Feuers gut sah. Stimmte es? Kadir grinste ebenfalls.
"Das nicht, nein."
Faith bekam große Augen. "Aber... aber... Sie werden werden doch kaum...", murmelte sie verwirrt, doch Kadir unterbrach sie. "...einen Großmeister geschickt haben, um ein einzelnes Mädchen zu retten? Oh, doch. Er hat es selbst so entschieden."
Die beiden grinsten Faith immer noch breit an. Die machte aber nur ein entgeistertes Gesicht. Kadir war Großmeister? Was?! Das passte nicht in ihren Kopf hinein. Als ob sich irgendein Anführer irgendeiner Gemeinschaft für ihr Wohl interessieren würde. Irgendwann hörten die beiden aber auch mal auf zu grinsen und Aed löschte das Feuer. Kadir löste Cade ab und Faith legte sich hin um hoffentlich etwas Schlaf zu finden - was aber auf dem harten Waldboden schwierig werden würde. Irgendwie hatte sie keine Angst vor den dreien, obwohl sie wusste, dass das Assassinen waren. Sie hatten ihr bis jetzt nichts getan. Und das würde hoffentlich so bleiben. Irgendwann fielen Faith dann doch die Augen zu, sodass sie ihre Gedanken vertreiben und in einen traumlosen Schlaf sinken konnte.

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