WAS UNS HIGH MACHT | ✓

By nebelschwere

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❝Das ist es, was uns high macht. Nicht der Kick, nicht der Alkohol, nicht die Joints. Es ist das Leben. Richt... More

before we start
aesthetics
00 | Intro
01 | Freibad
02 | Schaukel
03 | Fluchtreflex
04 | Hamstern
05 | Ruhe
06 | Schlaglöcher
07 | Brezeln
08 | Revolution
09 | Telefongespräche
10 | Kindheitshelden
11 | Nachrichten
12 | Dächerwelten
13 | Sommergefühle
14 | Gedankenflüge
15 | Winkekatzen
16 | Komplikationen
17 | Großstadt
18 | Nachtwanderungen
19 | Lagerfeuer
20 | Friseurbesuche
21 | Regenbogen
22 | Rückblicke
23 | Glühwürmchen
before it ends

24 | Outro

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By nebelschwere

     ... oder wie wir uns entschlossen, mit der Freiheit zu fliegen.

elf Monate später

     »DU KANNST NICHT leugnen, dass das eine der besten Ideen war, die ich jemals gehabt habe!«, frohlockt Lovis grinsend, bevor er übermütig in die Luft springt und versucht, die Füße zusammenzuschlagen, wobei sein Gesicht beinahe zum fünften Mal in dieser Nacht Bekanntschaft mit dem Sand macht.

     Nicht sehr überzeugt, aber zumindest amüsiert, blicke ich zu meinem Bruder. »Reden wir gerade von der Idee, unsere alten Schulsachen zu verbrennen? Nicht sehr originell und außerdem hast du beinahe dein Abschlusszeugnis abgefackelt.«

    »Nein«, erwidert mein Bruder pikiert. »Ich rede von der absolut genialen Ideen, so hier auf dem Abiball aufzukreuzen.«

     Schmunzelnd beobachte ich, wie Lovis sich mit einem breiten Grinsen im Kreis dreht, damit ich sein Kostüm von allen Seiten bewundern kann. Wahrscheinlich habe ich in den letzten fünf Tagen nichts anderes getan.

     Nur ist es etwas komplizierter, die Klamotten meines Bruders in der nächtlichen Dunkelheit auszumachen, als tagsüber, da der Himmel noch immer schwarz ist und sich nur langsam heller färbt, aber ich lasse mir nichts anmerken und tue so, als wäre ich nach wie vor hellauf begeistert von seinem Einfall.

    »Wirklich eine verdammt tolle Idee«, lache ich.

    »Also ihm hat's auf jeden Fall gefallen«, stimmt Lovis mir selbstzufrieden zu.

     Tatsächlich war unser Schulleiter wirklich sehr irritiert, als mein Bruder und ich den Saal betreten haben und er erkannt hat, dass Lovis fast genau so aussah wie er. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Albträume ihn ein Leben lang verfolgen werden.

     Zufrieden blicke ich zum Horizont, an dem sich die Anzeichen eines Sonnaufgangs bemerkbar machen – die feinen Wolkengeschwader färben sich allmählich rot und der schwarze Himmel hellt langsam auf. Meine Füßen versinken im kühlen Sand, während ab und zu frostige Wellen meine nackte Haut streifen und mein Körper von einer Gänsehaut überzogen wird.

     Grinsend stupst Lovis mich mit dem Zeigefinger an. »Ich find's immer noch cool, dass du in Jogginghose gekommen bist.«

    »Keiner hätte mich in ein Kleid stecken können«, erwidere ich schmunzelnd. »Und außerdem ist die bequem, also was spricht dagegen?«

     Mit meinen Fingern umklammere ich noch etwas fester meine Vans, weil ich zu oft die Erfahrung gemacht habe, dass Dinge mir einfach so aus der Hand fallen. Gleichzeitig ziehe ich die Schultern etwas hoch, wodurch Ajax' Pulli, welchen ich mir vor ein paar Tagen aus seinem Schrank geklaut habe, sich etwas mehr an meinen Hals schmiegt, als ein kalter Windstoß über uns hinwegfährt.

     »Kannst du fassen, dass jetzt einfach das alles vorbei ist?«, frage ich nachdenklich und ziehe unbewusst die Augenbrauen zusammen. »Zwölf Jahre Schule, einfach vorbei. Und irgendwie kam es mir immer so lange vor und jetzt fühlt es sich so an, als wäre das alles in wenigen Tagen passiert. Jetzt hat sich gefühlt alles in Luft aufgelöst.«

     »Puff«, sagt Lovis verstehend nickend.

     »Puff«, stimme ich ihm lächelnd zu.

     Wir verständigen uns lautlos. Laufen immer weiter am Wasser entlang, während der Himmel immer heller und der Mond immer durchsichtbarer wird. Lovis holt sein Handy raus und es dauert nicht lange, bis sanfte Musik aus dem Lautsprecher ertönt.

     Ich lausche Lovis' aktuellen Lieblingsliedern und meine Gedanken hängen ein Jahr zurück, denn es ist fast genau 365 Tage her, dass Mathea, Ajax, Lovis und ich unseren Roadtrip angetreten haben. Und irgendwie ist es seltsam, weil es mir so vorkommt, als wären wir erst gestern zurückgekehrt, dabei haben wir zwischendurch sogar unser Abitur gemacht und, zu Lovis' großer Verwunderung, auch alle ziemlich gut bestanden.

     Vielleicht war es die Reise, die dafür gesorgt hat, dass wir alle etwas entspannter an unser letztes Schuljahr rangegangen sind. Denn die Welt geht nicht unter, wenn man etwas nicht schafft. Dafür ist keiner von uns wichtig genug. Alles läuft weiter, abgesehen von uns, denn wir bleiben stehen und hoffen, dass auch der Rest innehält. Aber das tut er nicht.

     Und immer, wenn ich angehalten und verängstigt nach Rettung Ausschau gehalten haben, brauchte es nur ein paar Schritte zu meinem Nachttisch, um das Fotoalbum zu finden, das Ajax und Mathea sowohl für mich, als auch für Lovis zum Geburtstag angefertigt haben.

     Es braucht nur ein paar Minuten, in denen ich die verschiedenen Bilder und Matheas Texte betrachte, bis ich wieder verstehe, dass die Welt nicht auf mich warten wird und es auch keinen Grund für mich gibt, stehenbleiben zu müssen. Denn letztendlich geht es immer voran, egal, wie unwahrscheinlich es auch scheint. Und irgendwann wird man dort ankommen, wohin man wollte.

     »Ajax hat geschrieben, dass er und Mathea noch kurz vorbeikommen«, teilt mir Lovis plötzlich mit und träge hebe ich den Kopf, hänge mit den Gedanken immer noch an den warmen Erinnerungen unseres kleinen Abenteuers.

     »Hm?«

     Mein Bruder schnalzt gespielt missbilligend mit der Zunge. »Mathea und Ajax kommen vorbei.«

     Meine Mundwinkel heben sich zu einem Lächeln. »Cool. Dann sollten wir uns beeilen.«

     »Sind doch eh nur noch fünf Minuten bis nach Hause«, entgegnet Lovis unmotiviert, während er seinen dünnen Mantel noch etwas enger um seinen Oberkörper schlingt.

     Wer hätte gedacht, dass es im Hochsommer gelegentlich noch so kühl werden kann. Schon der Tag war frisch, aber die Nacht könnte mit ihren niedrigen Temperaturen auch gut in den Herbst passen.

     »Wenn wir rennen, wird uns schneller warm«, werfe ich grinsend ein.

     »Dann ist mir lieber kalt.«

     Ich lache und hake mich bei ihm ein, bevor ich meine Schritte beschleunige. Lovis leistet kaum Widerstand, aber jammert leise, als wir zu rennen beginnen, obwohl von Rennen wohl nicht wirklich die Rede sein kann. Wir kommen nur langsam auf dem nassen Untergrund voran und lachen mehr, als dass wir uns auf eine höhere Geschwindigkeit konzentrieren.

     Sechs Minuten später berühren meine Füße kalten Asphalt, als wir die Straße betreten und die wenigen Schritte auf das Haus zulaufen, in welchem wir vor einem Jahr von zwei sehr erleichterten Eltern empfangen wurden.

     Entgegen Mums Vorsatz war die Sorge um unser Wohlergehen größer, als erwartet – trotz täglicher Nachrichten und dutzender Bilder. Und Dad war sowieso schon komplett am Ende mit den Nerven, als wir schließlich komplett übermüdet vor der Tür standen und er uns überschwänglich um den Hals gefallen ist, bevor wir uns knapp eine Stunde anhören durften, wie verantwortungslos unser Verhalten gewesen war.

     Die ersten Nächte hat Ajax bei uns geschlafen, bis irgendwann auch er nach Hause gegangen ist und es ist wahrscheinlich das erste Mal gewesen, dass ich ihn wirklich glücklich in dieser Umgebung gesehen habe.

     Entgegen aller Erwartungen hat unser kleiner Ausflug keine sehr großen Konsequenzen mit sich gezogen, abgesehen davon, dass wir alle vier dazu verdonnert worden, vier Monaten im nächstgelegenen Altersheim auszuhelfen. Die Idee kam von Matheas Eltern und ich weiß noch immer nicht genau, wie das im Zusammenhang mit unserer Aktion steht.

     Allerdings war es wohl mehr Segen, als Fluch, denn die Geschichten, die einige der älteren Bewohner zu bieten hatten, bringen uns heute noch so sehr zum Lachen, dass nicht selten Tränen vergossen werden und es sich jedes Mal so anfühlt, als hätten wir ein extremes Bauchmuskelworkout hinter uns.

     »Was genau wollen die zwei denn noch machen?«, will ich von Lovis wissen, dessen Blick wieder auf den grellen Display seines Handy gerichtet ist.

     »Keine Ahnung«, seufzt mein Bruder nachdenklich. »Er meinte nur, dass sie gleich da sind und wir draußen warten soll.«

     »Aber es ist kalt und ich bin müde«, jammere ich, obwohl Lovis nichts für die Situation kann, und lasse mich auf dem Bordstein vor unserer Gartentür nieder.

     Gelangweilt stütze ich die Arme auf die Knie und meinen Kopf auf meine Hände, während ich leise ein Lied vor mich hin summe, von welchem ich seit gestern Mittag einen Ohrwurm habe, obwohl ich nicht einmal weiß, wie der Text genau geht, geschweige denn, um welches Lied es sich handelt.

     Glücklicherweise dauert es nicht lange, bis Lovis mich auf ein näherkommendes Licht am Ende der Straße aufmerksam macht. Irritiert komme ich wieder auf die Beine und beobachte mit ihm, wie die Scheinwerfer eines Wagens unsere Körper in weißes Licht tauchen.

     Geblendet kneife ich die Augen zusammen, bis das Brummen eines Motors in der Stille der Nacht verstummt und die Lichter sich im Morgengrauen auflösen. Zunächst neugierig, dann verwundert, betrachte ich den Wagen ─ den blauen VW-Bus, der noch immer eine Wäsche gebrauchen könnte, weil er zu lange Wind und Wetter ausgesetzt war.

     Die Fahrertür öffnet sich und das grinsende Gesicht das Franzosen erscheint. Seine blonden Locken werden von den ersten hauchzarten Sonnenstrahlen des Tages berührt, als er uns munter zuwinkt und Mathea die Beifahrertür öffnet, um auf die Straße zu springen.

     Fassungslos betrachten Lovis und ich unsere beiden Freunde, wobei ich mir ziemlich sicher bin, dass nicht nur ich ihr breites Grinsen mindestens genau so dionysisch erwidere. Denn da ist wieder Euphorie, die mit vor Begeisterung leuchtenden Augen eine neue Leinwand auspackt und eifrig die Farbtuben aufschraubt. Da ist wieder die kindliche Begeisterung, von der es noch immer viel zu wenig gibt.

     »Na?«, ruft der Franzose, uns verschmitzt zuzwinkernd. »Lust auf einen kleinen Ausflug? Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es sogar, Zale pünktlich vom Bahnhof abzuholen.«

─ 𝐄𝐍𝐃𝐄 ─

:,)

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