WAS UNS HIGH MACHT | ✓

By nebelschwere

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❝Das ist es, was uns high macht. Nicht der Kick, nicht der Alkohol, nicht die Joints. Es ist das Leben. Richt... More

before we start
aesthetics
00 | Intro
01 | Freibad
02 | Schaukel
03 | Fluchtreflex
04 | Hamstern
05 | Ruhe
06 | Schlaglöcher
07 | Brezeln
08 | Revolution
09 | Telefongespräche
10 | Kindheitshelden
11 | Nachrichten
12 | Dächerwelten
13 | Sommergefühle
14 | Gedankenflüge
15 | Winkekatzen
16 | Komplikationen
17 | Großstadt
18 | Nachtwanderungen
19 | Lagerfeuer
20 | Friseurbesuche
22 | Rückblicke
23 | Glühwürmchen
24 | Outro
before it ends

21 | Regenbogen

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By nebelschwere

     ... oder wie unsere Fahrräder zu Booten wurden.

     UNÜBERLEGTE ENTSCHEIDUNGEN SIND der Ursprung aller Witze, irritierender Situationen und unangenehmer Enttäuschungen. Das stelle ich fest, als ich nach dem Aufstehen in den Spiegel starre und ein zerzaustes Etwas mit schiefem Pony zurück starrt.

     Ich weiß noch immer nicht genau, was ich von meiner neuen Frisur halten soll, aber zumindest war es mir möglich, meine Haare auf eine gleichmäßige Länge zu bringen, sodass es nun nicht mehr ganz danach aussieht, ich wäre beim Schneiden vollkommen betrunken gewesen. Dennoch betrachte ich mich nach dem Anpassen noch einige Minuten kritisch im Spiegel, bis ich zu dem Schluss komme, dass dieser mich schlechter aussehen lässt, als ich es eigentlich tue.

     Aus diesem Grund mache ich abrupt auf dem Absatz kehrt und beschließe, heute nicht einen weiteren Blick in irgendetwas Spiegelartiges zu werfen, um mein Selbstbewusstsein zu pushen. Letzteres stellt sich als erstaunlich leicht heraus, denn Ajax überhäuft seine Mitmenschen an diesem Morgen unerklärlicherweise mit Komplimenten von allen Seiten. Keiner hinterfragt es, wir nehmen einfach hin, dass er von allen Dingen, die wir tun, begeistert ist und uns lobt, wo er nur kann.

     Das Grinsen will also nicht von meinen Lippen weichen und nicht einmal Lovis könnte daran etwas ändern. Doch auch mein Bruder ist am heutigen Tag ausgesprochen entspannt und vermeidet es, Mathea und mir alle zwei Sekunden auf die Nerven zu gehen. Heute begnügt er sich mit zehn Sekunden Abstand zwischen den einzelnen Attacken.

     Die Stimmung ist dementsprechend ausgelassen, als wir uns alle zufällig im Bad von dem Schlafzimmer versammeln, welches gestern schon zu einem Friseursalon umfunktioniert wurde, und während des Zähneputzens die vier Wände in eine Bühne verwandeln.

     Nach unserem Karaoke-Morgen und einem kurzen Einkauf mit anschließendem Frühstück machen wir uns auf den Weg zu einem Fahrradverleih, der laut Mathea in der Nähe unserer Ferienwohnung liegen soll. Einen Plan gibt es mal wieder nicht, aber das ist in Ordnung. Die letzten Tage unserer Reise werden wir sicherlich auch nicht mehr mit übertriebener Planung verbringen. Dafür ist die Zeit viel zu kurz.

     »Wohin wird es denn gehen?«, erkundigt Lovis sich neugierig.

     Er läuft neben mir, Mathea und Ajax nur wenige Schritte hinter uns. Bei seinen Worten hat sich mein Bruder nach hinten umgewandt, da von mir keine Antwort zu erwarten ist. Wie auch, wenn ich mich hier genau so wenig auskenne, wie er selbst.

     »Wohin auch immer wir wollen«, antwortet Mathea vage.

     Lovis lacht. »Wow, so eine präzise Antwort hatte ich jetzt gar nicht erwartet.«

     »Ich bin eben voller Überraschungen«, entgegnet unsere Freundin gutgelaunt und ich erwische mich dabei, wie ich ungläubig die Augenbrauen in die Höhe ziehe, da sich die beiden heute noch immer nicht ein einziges Mal gegenseitig attackiert haben.

     Die Welt hat wohl doch noch das ein oder andere Wunder zu bieten.

     »Was glaubst du, wie Mum und Dad reagieren würden, wenn Zale bei uns auftauchen würde?«, fragt mein Zwillingsbruder mich aus dem Nichts, nachdem wir einige Minuten geschwiegen und unseren Gedanken nachgehangen haben.

     Irritiert werfe ich ihm einen Seitenblick zu, den er lächelnd erwidert.

     »Du meinst, wenn er bei uns Zuhause auftauchen würde?«, hake ich nach und Lovis nickt bestätigend, während seine Augen über die nahestehenden Gebäude huschen.

     Wir haben beinahe Mittag, was uns die Hitze spüren lässt. Wenn der Wetterbericht nicht vorausgesagt hätte, dass es zum späten Nachmittag ein Gewitter geben wird, wäre keiner von uns freiwillig vor die Tür gegangen. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie wir bei diesen Temperaturen Fahrrad fahren sollen.

     Dass es eigentlich viel zu warm für jegliche Aktivität ist, merkt man nicht nur daran, dass wir schwer atmen und jetzt schon schwitzen, sondern auch durch die Beobachtung, dass sich abgesehen von uns nicht viele andere Menschen auf den Straßen herumtreiben. Die meisten Bewohner der Stadt scheinen sich in ihren kühlen Häusern versteckt zu haben und es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass sich nicht mein ganzer Körper danach sehnt, mit ihnen tauschen zu können.

     »Keine Ahnung«, sage ich nachdenklich, um auf die Frage meines Bruders zu antworten. »Dad würde wahrscheinlich einen Herzinfarkt bekommen, wenn er wüsste, dass wir einen Wildfremden ins Auto gelassen haben, der jetzt einfach so vor der Haustür steht.«

     Lovis lacht leise und vergräbt die Hände in seinen Hosentaschen. »Wahrscheinlich. Aber sie würden ihn doch bestimmt nicht wegschicken, wenn sie wüssten, dass er unser Freund ist, oder?«

     Nachdenklich lege ich den Kopf schief, obwohl ich nicht lange über seine Frage nachdenken muss. »Ich denke nicht.«

     Neugierig drehe ich meinen Kopf in seine Richtung. Lovis' Blick liegt noch immer auf dem Weg vor uns; die Stadt mit ihren hübschen Häusern scheint es ihm angetan zu haben. Am Ende des Tages hat sie das uns allen.

     »Wieso fragst du eigentlich? Hast du ihn schon zu uns eingeladen?«, will ich wissen und verkneife mir ein Grinsen, als er beinahe ertappt den Kopf einzieht.

     »Na ja, nicht direkt eingeladen«, umgeht Lovis meine Frage schmunzelnd. »Ich dachte nur, es könnte ganz lustig sein, wenn er mal vorbeischauen würde. So auf unbestimmte Zeit.«

     Abwartend schielt er zu mir herüber und ich schüttle lachend den Kopf. »Auf unbestimmte Zeit also?«

     »Auf unbestimmte Zeit also.«

     »Du vermisst ihn, oder?«, frage ich leise, obwohl man es eigentlich auch als eine Feststellung hätte formulieren können.

     Schließlich kenne ich meinen Bruder und habe gesehen, dass er die letzten Tage zwar Spaß hatte, aber trotzdem etwas gefehlt hat. Und ich glaube, mir vorstellen zu können, wie schrecklich es sich für ihn anfühlen muss, dass einer seiner besten Freunde so weit weg ist, obwohl er perfekt hierher passen würde.

     Ein langsames Nicken gibt mir die Bestätigung, die theoretisch nicht nötig gewesen wäre. »Ja, sehr. Es ist fast schon komisch, aber─. Ich weiß nicht, aber er ist mir einfach verdammt wichtig geworden. Ich mein', ich kenne ihn noch nicht lange, aber es ist wie mit Ajax. Er ist einer meiner besten Freunde. Ich hab' einfach das Gefühl, dass er mich verdammt gut versteht.«

     Nachdenklich legt mein Bruder den Kopf schief, bevor er mir ein sanftes Lächeln schenkt, dass ich grinsend erwidere, bevor ich meine Gedanken ausspreche: »Ich verstehe dich immer noch am besten. Daran wird sich nichts ändern, verstanden?«

     »Ai ai«, bestätigt Lovis schmunzelnd. »Du weißt schon, was ich damit meine.«

     Zustimmend nicke ich und blinzle in die strahlende Sonne. Schweige für einen Moment, um meine Gedanken kurz zu ordnen.

     »Vielleicht solltest du das mal mit ihnen absprechen«, schlage ich vor. »Dass Zale vorbeikommt. Sonst sind die vollkommen verwirrt und rufen die Polizei.«

     Wieder beginnt Lovis zu lachen und er wendet mir erneuert den Kopf zu, sodass ich das belustigte Funkeln in seinen Augen erkennen kann. Schmunzelnd stoße ich ihn mit der Schulter an, bevor sich mein Blick auf die Straße legt und ich mich orientierungslos umsehe. Stockend bleibe ich stehe und kneife verwirrt die Augen zusammen, als wenn mir das auch nur in irgendeiner Art und Weise helfen könnte, den richtigen Weg zu erkennen.

     »Mathea, wo müssen wir lang?«, jammert Lovis auch schon so laut, dass es vermutlich die ganze Stadt gehört haben muss.

     Ich versuche, das breite Grinsen auf meinen Lippen zu unterdrücken, als Ajax und Mathea nur Sekunden später hinter uns zum Stehen kommen und beinahe zeitgleich die Augen verdrehen.

     Lovis muss echt ein Magnet für diese Reaktion sein.

     »Ich stehe zwei Schritte hinter dir, nicht am anderen Ende der Welt!«, schnaubt Angesprochene auch schon genervt. »Kein Grund, mich anzubrüllen.«

     Ahnungslos zuckt Lovis mit den Schultern und macht sich keine Mühe, seine zuckenden Mundwinkel zu verstecken. »Manchmal bist du ziemlich taub. Ich wollte nur sichergehen, dass du mich auch wirklich hörst.«

[...]

     Nach längeren Diskussionen und viel Verzweiflung haben wir uns schließlich doch für eine Route entscheiden können. Mit den frisch ausgeliehenen Fahrrädern soll es jetzt ins sogenannte Eriskircher Ried und durch den Seewald gehen. Es ist wohl nicht nötig zu erwähnen, dass Ajax, Lovis und ich absolut keine Ahnung haben, wo es lang geht. Wir wurden wohl alle mit dem Orientierungssinn eines Kieselsteins gesegnet, denn selbst nach einem Blick auf die Karte sind wir nicht schlauer, als vorher.

     Glücklicherweise scheint Mathea die Tour schon öfter gemacht zu haben oder zumindest einen Orientierungssinn zu besitzen, der selbst ohne Google Maps noch funktionstüchtig ist. Was auch immer es ist, sie fährt voran, damit wir nicht am Ende in Spanien landen.

     »Ganz ehrlich, das ist sowas von brutal«, keuche ich, während ich mich verzweifelt abmühe, mit Ajax' Tempo mitzuhalten. »Warum muss es heute auch nur so verdammt warm sein?«

     Zu meinem Glück drosselt der Franzose seine Geschwindigkeit, als er meine Beschwerde hört, sodass wir nun nebeneinander fahren können und ich ihm nicht mehr hinterherjagen muss. Ich muss stehen, dass ich wirklich entsetzt darüber bin, wie sehr meine Kondition im letzten Jahr gelitten hat.

     »Ich hätte das mit den Workouts ernster nehmen müsse«, grummle ich ─ den Blick stur nach vorne gerichtet ─, woraufhin Ajax leise gluckst und mich von der Seite amüsiert mustert.

     »Das kriegen wir schon wieder hin«, versucht er mich aufzumuntern. »Du könntest ja mal wieder mit mir laufen gehen.«

     Zweifelnd runzle ich die Stirn. »Als ob ich mit dir Schritt halten könnte.«

     »Wir gehen es einfach am Anfang langsam an, bis du besser wirst.«

     »Oder wir gehen's einfach gar nicht an«, mischt sich Lovis mürrisch von hinten ein.

     Ich gehe nicht darauf ein, dass Ajax es hasst, sich langsam fortzubewegen. Es scheint ein innerer Trieb von ihm zu sein, mit doppelter Geschwindigkeit durchs Leben zu rennen.

     »Von dir hat ja auch niemand gesprochen«, erinnert der Franzose seinen besten Freund grinsend und wirft ihm einen schelmischen Blick über die Schulter zu, während mein Bruder mühselig zu uns aufschließt.

     Er versucht es zumindest. Der Weg ist minimal zu schmal für drei nebeneinanderfahrende Fahrräder, wodurch für Lovis kein Platz mehr vorhanden ist. Dies scheint auch Ajax aufzufallen, der mir einen entschuldigenden Blick zuwirft und dann sein Tempo beschleunigt, um Mathea einzuholen, die nur wenige Meter vor uns zwischen den Bäumen über Waldweg rauscht.

     Kurz drehe ich den Kopf und schenke meinem Bruder ein möglichst aufmunterndes Nicken, bis dieser schließlich neben mir ist. Sein Blick drückt ziemlich genau aus, wie ich mich in diesem Moment fühle.

     »Ich will nicht mehr«, jammert er leise. »Das ist doch alles beschissen.«

     »Hitze ist nicht so deins, hm?«, stelle ich schmunzelnd fest, bevor sich wieder ein leidender Ausdruck auf meine Züge legt. »Da haben wir was gemeinsam.«

     Schnaubend schüttelt Lovis den Kopf, wodurch einige kupferfarbenen Strähnen in sein Gesicht fallen. Entnervt versucht er sie weg zu pusten, hat aber keinen Erfolg, bis er sich die Haare schließlich mit einer energischen Geste nach hinten streicht. »Was du nicht sagst.«

     Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem schiefen Grinsen, als Lovis diese Worte murrt und genervt mit seinen Haaren zu kämpfen hat, die einfach nicht an Ort und Stelle bleiben wollen und stattdessen wild durch die Gegend springen.

     »Immerhin ist die Aussicht schön«, sage ich und versuche damit mehr, mich selbst davon zu überzeugen, dass diese Fahrradtour eine gute Idee war, als meinen Bruder zu motivieren.

     Denn tatsächlich ist die Umgebung wirklich schön. Zwar sieht man dem Wald an, dass er sich verzweifelt einem hitzigen Hochsommer entgegenstellen muss, aber dennoch strahlt uns von allen Seiten moosiges Grün an. Wenn wir gelegentlich Stellen passieren, an denen die Baumkronen besonders dicht sind, gelangen nur noch vereinzelt Sonnenstrahlen auf den unebenen Boden. Die Temperaturen sind dann ertragbarer und vermischt mit der leichten Brise, die von Zeit zu Zeit zwischen den Baumstämmen hindurchrauscht, macht es diesen Ausflug um einiges schöner.

     Was langsam auffällt, ist, dass der Wind immer stärker wird, während dunkle Wolken immer öfter die Sonnen verdecken. Dadurch könnte einem zwischen den hohen Bäumen beinahe kalt sein, wenn die Schwüle in der Luft nicht zunehmen und uns das Atmen erschweren würde.

     Kritisch lege ich den Kopf in den Nacken und starre zum Himmel empor. »Das sieht gar nicht gut aus. Das Gewitter kommt schneller, als gedacht.«

     »Nicht auch das noch«, seufzt mein Bruder leidend.

     »Ich dachte, du magst Regen«, entgegne ich schmunzelnd.

     Lovis wirft mir einen vielsagenden Blick von der Seite zu. »Stimmt. Aber ich stell's mir trotzdem nicht ganz so super funny vor, bei Sturm durch einen Wald zu fahren.«

     »Vielleicht haben wir Glück und es zieht vorbei«, sage ich optimistisch und bekomme ein verächtliches Schnauben als Antwort.

     »Das glaubst du doch selbst nicht.«

     Tatsächlich glaube ich es wirklich nicht. Spätestens als die ersten Regentropfen auf meiner erhitzten Haut landen, verfliegt jegliches bisschen Hoffnung, das Gewitter möge erst dann eintreffen, wenn wir in der Nähe eines Unterschlupfes sind.

     Wenig vorteilhaft ist auch, dass wir einige Minuten, bevor der Sturm so richtig beginnt, den Wald verlassen und Mathea uns auf einen schier endlosen Feldweg lenkt. In der Ferne ragen die Spitzen von Häusern in die Höhe, aber ich könnte nicht sagen, um welche Stadt es sich handelt.

     Das leise Grollen, welches die Luft immer regelmäßiger erzittern lässt, scheint durch meinen gesamten Körper zu fahren, während der stärker werdende Wind den lockeren Zopf in meinem Nacken löst und das lockere T-Shirt aufbauscht, das ich heute früh angezogen habe, um mich vor einem Hitzeschlag zu schützen.

     »Was machen wir jetzt?«, brüllt Lovis über das stetige Rauschen, während wir gemeinsam an Geschwindigkeit aufnehmen, um Ajax und Mathea einzuholen.

     »Einfach weiterfahren«, ruft unsere Freundin zurück. »Was soll schon schiefgehen?«

     Zweifelnd blicke ich zu Ajax, der sichtlich unentspannt die dunkelgraue Wolkenfront mustert, die uns in besorgniserregender Geschwindigkeit entgegenkommt. Seine Hände haben sich um den Lenker seines Rades verkrampft, sodass die Fingerknochen deutlich hervortreten.

     Rasch schließe ich zu ihm auf. »Alles okay? Sollen wir umdrehen?«

    »Bringt jetzt auch nichts mehr«, bringt Ajax mit zusammengepressten Lippen hervor. »Alles gut. Ich werde es überleben.«

     Wenig überzeugt blicke ich wieder auf den Weg vor uns. Zu beiden Seiten erstrecken sich gigantische Felder, deren Pflanzen sehr gut anzusehen ist, dass sie wie der Wald unter der enormen Hitze gelitten haben. Die Stängel biegen sich gefährlich in der starken Brise und drohen, bei jedem neuen Windzug abzuknicken. Ein Gewitter wird ihnen guttun.

     »Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist«, sage ich, als der Beginn des Schauers uns erreicht und das Wetter von Sekunde zu Sekunde stürmischer wird.

    »Jetzt ist es eh zu spät«, erwidert Mathea wenig begeistert.

     Ich drehe mich zu ihr; sehe, wie sie angestrengt die Augen zusammenkneift, als der Regen heftiger wird und ich das Gefühl habe, man würde unzählige Badewannen über unseren Köpfen ausleeren.

     Der staubige Boden saugt die Flüssigkeit wie ein Verdurstender gierig auf.

     »Lass uns absteigen!«, rufe ich und stoppe mein Fahrrad.

     Als ich meine Füße auf den Boden stelle, ist dieser bereits matschig und rutschig. Während die anderen ebenfalls ihre Drahtesel zum Stillstand bringen, streiche ich mir genervt die feuchten Strähnen meines Ponys aus dem Gesicht, auch wenn ich es jetzt wahrscheinlich nur noch schlimmer mache.

     Ein weiteres Donnern jagt uns drohend entgegen und überrollt unsere Körper mit solch einer Intensivität, die sehr deutlich macht, dass wir uns genau im Zentrum des Naturspektakels befinden.

     Ohne lange zu zögern lasse ich mein Fahrrad auf dem Boden nieder und blicke mich erwartungsvoll zu Ajax um, der neben mir verweilt und mit aufgerissenen Augen in den nachtschwarzen Himmel blickt.

     Als er nach einer Weile noch immer nicht bemerkt hat, dass ich ihn ansehe, greife ich auffordernd nach seiner Hand und verschränke sie mit meiner. Sein Kopf huscht zu mir und er ringt sich ein wackliges Lächeln ab, welches beim nächsten Blitz sofort in sich zusammenfällt.

     »Es ist bald vorbei«, versuche ich Ajax zu beschwichtigen und ziehe ihn in eine Umarmung.

     Nachdem er seine Arme hilfesuchend um mich geschlungen hat, spüre ich sein schnellschlagendes Herz und höre seinen hastigen Atem, der mir nur noch verdeutlicht, wie unwohl der Franzose sich in diesem Ungewitter fühlt. Beruhigend verstärke ich meinen Griff um seinen Körper und streiche ihm mit einer Hand vorsichtig über den Rücken. Unsere beiden Oberteil haben sich schon vollkommen mit Wasser aufgesaugt und kleben an unseren Körpern. Die aufkommende Kälte lässt mich zittern.

     Stumm verharre ich in meiner Position und lausche dem Prasseln des Regens, während das Wasser an mir herab läuft, ich unheimlich froh darüber bin, mein Handy in der Ferienwohnung gelassen zu haben, und hoffe, dass ich Ajax mit meiner Umarmung irgendwie beruhigen kann.

     Tatsächlich bemerke ich, dass er jetzt nur leicht bei dem lauten Donnergrollen zusammenzuckt. Das Einschlagen der Blitze macht ihm allerdings weiterhin sehr zu schaffen und ich bezweifle, dass ich daran irgendetwas ändern kann.

     Wie aus dem Nichts legen sich plötzlich vier weitere Arme um uns und es bildet sich ein Lächeln auf meinen Lippen, als ich bemerke, das Mathea und Lovis sich unserer Umarmung anschließen, während Abermillionen Tropfen auf uns niedergehen.

     »Eigentlich doch ganz schön, oder?«, sagt Mathea.

     Ihre Stimme dringt leiser an meine Ohren, doch die Sanftheit, welche sie mit ihren Worten und ihrer Tonwahl zu vermitteln versucht, kommt deutlich bei mir an.

     »Eigentlich ja«, flüstert Ajax mit zitternder Stimme.

     Ich spüre, wie wir alle drei unseren Griff um den Franzosen verstärken und ihn noch näher an uns ziehen, als nicht ohnehin schon. Stumm bleiben wir stehen und warten, bis der Regen immer sanfter wird und schneller vorüberzieht, als erwartet. Nach einigen Minuten gehen nur noch verirrte Tropfen auf uns hinab und erste Sonnenstrahlen streifen zaghaft unsere Haut.

     Blinzelnd löse ich mich aus der Gruppenumarmung und blicke in den Himmel. Die dunklen Wolken ziehen gemächlich vorbei, obwohl sie doch so schnell und unerwartet gekommen sind, doch das Zentrum des Sturmes liegen endlich hinter uns. Die feinen Finger der Sonne berühren unsere Gesichter und schieben die Dunkelheit des Gewitters energisch beiseite. Die Wärme vermischt sich mit den wenigen kühlen Tropfen, die noch immer vom Himmel fallen.

     Euphorisch klatscht Lovis in die Hände und starrt mit leuchtenden Augen ebenfalls nach oben. »Wenn wir Glück haben, sehen wir gleich einen Regenbogen.«

     »Ich sehe einen«, meldet sich Mathea zu Wort. Aus ihrer Stimme spricht pure Begeisterung.

     Beinahe gleichzeitig drehen Lovis und ich uns zu ihr um. Ihre Hand deutet auf den Wald, über dessen Kronen sich die famosen Farben des Naturspektakels abzeichnen. Glücklich trete ich neben sie, Ajax steht zu meiner anderen Seite, während Lovis neben Mathea seinen Platz gefunden hat.

     Keiner sagt ein Wort.

     Wir betrachten die Zartheit der Natur. Der Regen ist nun vollständig verschwunden und die frischen Tropfen glitzern und glänzen unter dem Schein der wiederkehrenden Sonne, während die Kühle langsam von der brennenden Hitze ersetzt wird.

     Die ersten Vögel erheben sich wieder in die Lüfte und kreisen über einem langsam blauwerdenden Himmel, unterdessen die gigantischen Gewitterwolken von dannen ziehen. Und mittendrin, auf irgendeinem Feldweg, liegen vier verdreckte Fahrräder im Schlamm und vor ihnen stehen vier durchnässte Menschen mit der Sonne im Rücken, während sie den berauschende Glanz der Welt bewundern.

     »Diese Welt ist so verdammt schön«, sage ich leise, flüstere die Worte.

     Mathea und Ajax murmeln Zustimmendes. Lovis räuspert sich und grinsend drehen wir ihm unsere Köpfe zu. Auch auf dem Gesicht meines Bruders hat sich ein breites Lächeln gebildet. »Nicht nur die Welt ist schön. Unser Leben ist es meistens auch.«

     Dann schweigt er kurz, bevor die nächsten Worte seinen Mund verlassen: »Und wenn es das mal nicht ist, wissen wir, wie wir es schön machen können. Wie wir aus einer Schwarz-Weiß-Welt eine farbige entstehen lassen können.«

    »Klingt so, als würden wir ziemlich oft hochgradig illegale Drogen nehmen«, bemerkt Ajax grinsend und wir lachen.

     »Tun wir das nicht auch?«, erwidere ich dann nachdenklich. »Vielleicht nicht das, was man normalerweise unter eine Droge versteht. Aber vielleicht ist Euphorie auch eine Droge. Und Nervenkitzel. Und Freundschaft.«

     Wir schweigen, bis Mathea beschließt, ihre Gedanken auszusprechen: »Vielleicht sind das auch alles nur die Nebeneffekte der Droge. Vielleicht ist etwas ganz anderes die Droge.«

     »Was genau meinst du?«, hake ich neugierig nach und drei Blicke richten sich auf Mathea.

     Seufzend blickt sie geradeaus. Betrachtet die dunklen Bäume, die funkelnden Felder, den strahlenden Himmel. »Ganz ehrlich? Ich glaube nicht, dass es eine Droge braucht, damit das Leben schön ist. Am Ende des Tages ist das Leben selbst schon schön genug, wir sehen es nur nicht immer.«

     Ein sanftes Schweigen folgt ihren Worten, bevor sie leise hinzufügt: »Wisst ihr, ich glaube, das ist es, was uns high macht. Nicht der Kick, nicht der Alkohol, nicht die Joints. Es ist das Leben. Richtig gelebt, macht das Leben uns high. Der Rest sind bloß die Nebeneffekte, für die sich der Schmerz lohnt.«

____

[author's note]

echt unfassbar wie schnell die ferien auch schon wieder vorbei sein können. sechs wochen ziehen in gefühlten zwei tagen vorbei haha

ich genieße jedenfalls gerade meine letzten ferientage und verfluche mich etwas dafür dass ich das ganze schulzeug aufgeschoben habe. werd ich dann wohl später machen müssen haha

dementsprechend werd ich wohl weiterhin recht unregelmäßig updaten aber im großen und ganzen fehlen mir eigentlich nur noch drei kapitel also sollte ich recht schnell hinbekommen xD außer meine motivation packt wieder ihre koffer :(

[persönliches ziel wäre es das buch bis oktober abzuschließen und anschließend zu überarbeiten :D und mal sehen was danach kommt haha wahrscheinlich wieder etwas entspanntes, vielleicht aber auch mal etwas drama lmao]

ich hoffe euch geht's allen gut <3

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