WAS UNS HIGH MACHT | ✓

By nebelschwere

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❝Das ist es, was uns high macht. Nicht der Kick, nicht der Alkohol, nicht die Joints. Es ist das Leben. Richt... More

before we start
aesthetics
00 | Intro
01 | Freibad
02 | Schaukel
03 | Fluchtreflex
04 | Hamstern
05 | Ruhe
06 | Schlaglöcher
07 | Brezeln
08 | Revolution
09 | Telefongespräche
10 | Kindheitshelden
11 | Nachrichten
12 | Dächerwelten
13 | Sommergefühle
14 | Gedankenflüge
15 | Winkekatzen
16 | Komplikationen
17 | Großstadt
18 | Nachtwanderungen
19 | Lagerfeuer
21 | Regenbogen
22 | Rückblicke
23 | Glühwürmchen
24 | Outro
before it ends

20 | Friseurbesuche

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By nebelschwere

     ... oder wie Lovis einen Kaugummiautomaten auseinandernehmen wollte.

     MATHEA HATTE RECHT: Friedrichshafen ist schön. Das fällt spätestens dann auf, als wir durch die Straßen wandern und die Architektur der Altstadt bewundern. Die kleinen Häuser versprühen das Gefühl von verschlafenen Dörfern, in denen all die Menschen wohnen, die sich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen lassen. Ein Gefühl von Geborgenheit, ein sicherer Hafen, in einer viel zu schnelllebigen Welt, welche uns aus den Nestern wirft und orientierungslos durch die Luft taumeln lässt.

     Die Promenade ist mindestens genauso schön. Gemächlich spazieren wir den Weg entlang, denn wir haben alle Zeit der Welt und es gibt nichts, was uns jetzt noch zur Eile treiben könnte. Ajax und Lovis schlendern vorne weg, während ich mir weiter hinten von Mathea berichten lasse, welche Menschen sie hier kennt oder wo man das beste Eis ergattern kann.

     Nachdem meine besten Freundin aufgrund meines morgendlichen Angriffs eine Stunde geschmollt hat, ist sie nun so gelassen, wie ich sie zuletzt bei Ania gesehen habe. Ihre blauen Augen strahlen mit dem Wasser des Bodensees um die Wette, während ihre langen Haare munter zu ihrem Gang mitwippen.

     Wir haben kein wirkliches Ziel. Geplant ist nur, dass wir heute ein paar Läden durchstöbern, bevor wir uns morgen Fahrräder ausleihen wollen, um nicht nur die Stadt selbst, sondern auch ihre Umgebung erkunden zu können.

     Deshalb wandern wir jetzt durch die Straßen. Die Jungs weiterhin vorne weg, während sie sich lachend über Dinge unterhalten, welche die beiden verbinden. Vielleicht über Kunstgalerien mit langen Fluren und dunkle Ozeane in der Morgensonne oder über erfrischendes Wassereis an heißen Sommertagen und leere Schwimmbäder im Schein des Mondes.

     »Ich will's wirklich nicht sagen«, beginnt Mathea ein neues Gespräch, während sie sich bei mir einhakt und ich sie grinsend ansehe, »aber ich muss es tun: Ich hab's gesagt. Ich hatte Recht. Die ganze Zeit über.«

     Ich kann nicht anders, als zu lachen, nachdem sie diese Worte ausgesprochen hat. Ihre Augen funkeln amüsiert und ihre Mundwinkel haben sich zu einem breiten Lächeln verzogen, welches ihre gesamte Gestalt zum Leuchten zu bringen scheint.

     »Womit genau?«, hake ich nach, obwohl ich weiß, was sie meint.

     Die Sonne lässt unsere Haut goldbraun glänzen und ich schwitze unter ihrer Hitze.

     »Mit Ajax und dir.«

     Schmunzelnd blicke ich nach vorne und beobachte meinen Bruder und Freund dabei, wie sie munter Luftsprünge vollziehen und sämtliche Blicke der Vorbeigehenden auf sich ziehen. Es ist ihnen egal – sie lachen weiter und haben den Spaß ihres Lebens.

     Nach einer Weile sage ich leise: »Du hast mit vielen Dingen Recht.«

     Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sie irritiert eine gezupfte Augenbraue in die Höhe zieht und ein beinahe lautloses Schnauben ihren Mund verlässt. »Findest du?«

     »Schon«, antworte ich und lasse meinen Blick gedankenverloren über unsere Umgebung wandern. »Du sprichst deine Vermutungen selten aus, aber sie bewahrheiten sich oft.«

     Ein Grinsen spricht aus ihren Worten, als sie erwidert: »Zum Beispiel?«

     »Du genießt es, dass ich das zugebe, oder?«, entgegne ich schmunzelnd.

     Sie lacht. »Vielleicht. Also: Mit was lag ich zum Beispiel richtig?«

     »Zum Beispiel mit Ajax und mir«, sage ich nach einigen Sekunden. »Oder als du damals gesagt hast, dass Lovis und du für immer streiten werdet, obwohl es keinen wirklichen Grund gibt. Oder damit, dass wir irgendwann die Welt bereisen werden und dass ich irgendwann aufhören werde, meinen Wert am Durchschnitt meiner Noten zu bemessen. Oder dass wir eines Tages verstehen werden, was es bedeutet, glücklich zu sein. Was es bedeutet, am Leben zu sein. Dass wir irgendwann lernen werden, jeden Moment zu genießen, weil wir viel zu wenig Zeit haben, um Dingen hinterher zu trauern.«

     Seufzend zucke ich mit den Schultern, nachdem ich meinen Gedanken beendet habe, und betrachte eine vorbeiziehende Familie, bestehend aus zwei Männern, einem kleinen Mädchen, vielleicht sieben Jahre alt, und einem Baby, welches im Kinderwagen eingeschlafen ist.

     Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen beobachte ich das junge Mädchen dabei, wie es laut lachend einigen Seifenblasen hinterherspringt. Anstatt sie mit den Fingern zerplatzen zu wollen, versucht sie, die glitzernden Kugeln einzufangen und macht sich überhaupt nichts daraus, dass sie wenig Erfolg hat.

     Dieses Gefühl der Belanglosigkeit erschien mir eine lange Zeit über trügerisch und gefährlich, denn ich wusste, dass unsere Worten und Taten ein umfallender Dominostein sind, der ein gesamtes Leben zerstören kann. Aber dennoch zählt nicht alles. Nicht so sehr, wie ich es immer geglaubt habe. Nicht alles ist jederzeit für Bedeutung. Und wenn, dann nur für uns selbst und nicht für die gesamte Welt.

     »Wenn du das so sagst, wirkt es fast schon so, als wäre ich eine Hellseherin«, meint Mathea leise kichernd. »Dabei könnten die meisten meiner Vermutungen von Pinterest stammen.«

     »Kommt am Ende nicht alles vom Pinterest?«, erwidere ich und lenke meine Augen wieder nach vorne.

     »Gefühle nicht.«

     »Nein, die vermutlich nicht«, stimme ich ihr mit leiser Stimme zu.

     Für einige Momente laufen wir schweigend nebeneinander. Ich genieße die Laute der Stadt: Die Rufe der vorbeischlendernden Menschen, das Brummen der Autos, das Rascheln der Blätter in der sanften Brise, das leise Rauschen des Wassers. Aufmerksam betrachte ich meine Umgebung, die in der hellen Sonne zu flimmern begonnen hat. Die Wärme lockt unzählige Menschen in Gruppen oder alleine auf die Straßen, über welche sie lachend und lächelnd umherhuschen. Nur die wenigsten tragen eine ausdruckslose Miene im Gesicht.

     »Hast du mit Ania in letzter Zeit geschrieben?«, erkundige ich mich ehrlich interessiert und blicke gerade rechtzeitig zu meiner besten Freundin, um die Entstehung des sanften Lächelns zu erhaschen, welches sich bei der Erwähnung ihrer Freundin auf Matheas Lippen gebildet hat.

     »Jap, sehr viel. Und mit Elin und Jaron auch. Ich soll dich von ihnen grüßen.«

     »Ich vermisse die drei«, gestehe ich seufzend. »Und Zale auch. Es hat Spaß gemacht, als wir alle zusammen in der Ruine übernachtet haben. Allgemein war die ganze Zeit mit Zale wunderschön.«

     Aus den Augenwinkeln sehe ich ein zustimmendes Nicken. »Sie fehlen mir auch.«

     Mehr sagt sie nicht. Ihre Gedanken scheinen abzuschweifen; ihr Kopf hat sich gesenkt und ihre Augen haben den grauen Grund unter unseren Füßen fixiert, dem an manchen Stellen Ausbesserung guttun würde.

     »Vielleicht können wir uns ja irgendwann mal wieder alle treffen«, sage ich in dem Versuch, die Stille zwischen uns zu durchbrechen. »Die hätten bestimmt auch Lust.«

     »Mhm.«

     Frustriert werfe ich Mathea einen kurzen Seitenblick zu. Ihre Augen haben sich wieder nach vorne gerichtet, doch es liegt etwas in ihnen, das ich nicht deuten kann. Unsere Blicke kreuzen sich für einen kurzen Atemzug, aber ich kann nichts aus ihrem lesen.

     »Meine Eltern machen Stress«, erklärt Mathea schließlich und verdreht genervt die Augen. »Wahrscheinlich verstoßen sie mich aus der Familie, sobald ich zurück bin.«

     »Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie so weit nicht gehen werden«, erwidere ich aufmunternd, woraufhin meine beste Freundin lacht.

     »Weiß ich. Aber du verstehst, was ich meine, richtig?«

     Zustimmend nicke ich, bevor mein Blick über die Promenade wandert. Die Hitze lässt die Luft flimmern und mit jedem Atemzug scheinen sich meine Lungen mit purem Feuer zu füllen. So sehr ich den Sommer auch liebe, könnte ich auf diese Temperaturen getrost verzichten.

     »Haben sie angerufen?«, frage ich nach und lasse meine Augen wieder auf den Weg vor uns wandern, um das Mädchen neben mir nicht zu sehr mit meinen Blicken zu bedrängen.

     »Gefühlt tausend Mal. Vom ganzen Anrufe ablehnen hat mein Daumen wahrscheinlich schon richtige Muskeln entwickelt«, antwortet Mathea schnaubend und ich grinse.

     »Die machen sich nur Sorgen.«

     Sie seufzt. »Ich weiß.«

     Dann schweigen wir, weil es nichts weiter zu bereden gibt. Ihre Worte erklären zumindest, warum ihr Handy seit unserer Ankunft in Friedrichshafen unbenutzt auf dem Nachttisch liegt und keinen Ton von sich gibt. Wahrscheinlich hat sie es komplett runtergefahren, um sich jeglicher Störung zu entziehen.

     »Wir müssen unbedingt Motorboot fahren«, sagt Mathea plötzlich und deutet mit dem Kopf auf das schimmernde Wasser über welches vereinzelt Boote huschen.

     »Mit Lovis an Bord?«, entgegne ich grinsend. »Da laden wir doch glatt im Atlantik.«

     »Das schafft nicht einmal der.«

     »Da wäre ich mir jetzt nicht so sicher.«

     Wir lachen, obwohl es nicht wirklich witzig war, aber vielleicht ist es die Hitze, die unsere Gedanken träge macht und durch welche alles so schwer ist, dass selbst Kleinigkeiten unterhaltsam erscheinen, weil sie dafür sorgen, dass wir uns leichter fühlen.

     Dabei gibt es im Moment kein Gewicht. Keine Bürden auf unseren Schultern. Es gibt nur uns und wir tragen nichts und niemanden, außer uns selbst.

     »Wir sollten die beiden Vollidioten unter unsere Fittiche nehmen, bevor sie zu viel Scheiße bauen«, schlägt Mathea dann trocken vor, wobei sie seufzend zu Ajax und Lovis blickt, die einige Meter von uns entfernt an einem heruntergekommenen Kaugummiautomaten herumhantieren.

     Zustimmend nicke ich. »Die kannst du nicht eine Minute einlassen.«

     »Was du nicht sagst. Darauf wäre ich niemals gekommen«, erwidert Mathea ironisch. »Ich erinnere an die Sprinkleraktion auf dem Fest von Ajax' Vater.«

     »Glaub mir, das war absolut genial«, nehme ich die beiden sofort in Schutz und stoße das schwarzhaarige Mädchen spielerisch mit der Schulter an.

     »Das war einfach nur seltsam.«

     »Du warst nicht einmal dabei, woher willst du es wissen?«

     »Ich weiß es einfach. Meintest du nicht vorhin noch, ich hätte mit allen Dingen Recht?«

     »Mit vielen, nicht mit allen«, korrigiere ich grinsend und beschleunige meine Schritte, bevor Lovis und Ajax noch den Automaten komplett auseinandernehmen und auf dramatische Art und Weise die Flucht ergreifen können.

     Den letzten Abstand bringe ich langsam schlendernd hinter mich, wobei meine Mundwinkel amüsiert zucken, als ich meinen Bruder dabei beobachte, wie er verzweifelt versucht, den Automaten zum Laufen zu bringen.

     »Es hat schon seine Gründe, dass man solche Teile in antiken Läden kaufen kann«, bemerke ich und lehne mich an die weiße Mauer eines Gebäudes, welches nur wenige Schritte hinter dem Automaten steht.

     »Wenn du Teile jetzt noch spezifizieren könntest, um mich davon zu überzeugen, dass dein Vokabular doch nicht erschreckend limitiert ist, wäre ich eventuell gewillt, dir mit beiden Ohren zuzuhören«, entgegnet mein Bruder schnaubend, während sich sein Blick noch weiter verfinstert, als der Automat ein weiteres Geldstück schluckt, ohne auch nur einen einzelnen Kaugummi rauszurücken. »Willst du mich verarschen?«

     »Er kann dich leider nicht verstehen«, mischt Mathea sich ein und tritt neben mich. »Aber vielleicht wird's nach dem zweitausendsten Versuch ja doch was.«

     »Das wird auch was, wenn ich das Ding eintrete.«

     »Keine gute Idee«, versucht Ajax seinen Kumpel zu beruhigen, der einige Schritte zurückgeht. »Du brichst dir den Fuß.«

     Lovis schenkt ihm ein schiefes Grinsen. »Fragt sich nur, was wichtiger ist: Ein funktionierender Fuß oder ein Kaugummi.«

     Ungläubig starrt der Franzose ihn an, bevor sein Blick zu Mathea und mir huscht, als würde er sich vergewissern wollen, dass mein Bruder diese Frage gerade wirklich gestellt hat. Aber wir sprechen hier von Lovis – der Junge ist komplett durch mit der Welt.

     Besagter blickt unterdessen irritiert zwischen uns hin und her, bis ihm schließlich aufzufallen scheint, dass wir uns langsam, aber sicher, gehörige Sorgen um seine psychische Verfassung machen.

     »Das war ein Scherz, Leute«, versucht er die Situation zu entschärfen. »Was denkt ihr von mir? Dass ich gegen das Teil trete, bis ein Kaugummi eventuell, wenn die Sterne gut stehen, rausgeschossen kommt? Ihr hättet mich am Straßenrand liegengelassen, wenn ich nicht mehr hätte laufen können.«

     »Das ist korrekt«, bestätigt Mathea mit ausdrucksloser Miene.

     »Ihr seid doch alle verrückt«, murrt er und zieht dabei ein weiteres Geldstück aus seiner Hosentasche.

     »Das sagt der Richtige«, murmelt das schwarzhaarige Mädchen in mein Ohr und ich grinse, weil Lovis es nicht richtig gehört hat und uns nur einen unsicheren Blick zuwirft, bis er sich wieder dem Automaten widmet.

     »Dude, gib auf«, sagt Ajax seufzend, wobei er sich resigniert mit der Hand durch die wirren Locken fährt. »Wir haben nicht den ganzen Tag dafür Zeit, dass du dein gesamtes Kleingeld hier loswirst.«

     »Dann geht doch«, entgegnet Angesprochener zickig und wirft seinem besten Freund einen zornigen Blick von der Seite zu, der bei seiner Erscheinung nicht weniger bedrohlich wirken könnte.

     Seine Haare stehen in alle Richtungen ab, während ihm einige Strähnen durch die anhaltende Hitze im Gesicht kleben. Außerdem hat er seinen Körper vorgebeugt, um besser an den Automaten heranzukommen, wodurch er den Kopf umständlich Richtung Himmel drehen muss, um Ajax sehen zu können.

     »Damit du uns die restlichen Jahre deines Lebens damit vollheulst, wir hätten dich im Stich gelassen?«, erwidert der Franzose seufzend. »Vergiss es. Da sterbe ich lieber an einem Hitzeschlag.«

     Lovis grinst. »Siehst du? Ich wusste schon immer, dass du auf mich stehst und nicht auf das viel unattraktivere Wesen hier, welches als Baby versucht hat, mich aufzuessen.«

     »Dürfte ich dich daran erinnern, dass für solche wirren Thesen handfeste Belege nötig sind, um ihre Richtigkeit beweisen zu können?«, entgegne ich und kneife genervt die Augen zusammen.

     Der Kopf meines Bruders dreht sich ruckartig zu mir. »Wozu Beweise, wenn es mich als Zeugen gibt?«

     »Verdammt glaubwürdiger Zeuge, so ein Embryo«, brummt Mathea leise, bevor sie lauter hinzufügt: »Können wir jetzt bitte weiter?«

     »Aber ich hab meinen Kaugummi noch nicht bekommen!«, hält Lovis energisch dagegen und starrt nun mit wütenden Augen zu ihr.

     Stöhnend vergrabe ich das Gesicht in den Händen und verschwöre zeitgleich das Schicksal dafür, dass es uns mit diesem unglaublichen Sturkopf bei dieser Hitze belastet. Das kann einfach nicht fair sein.

     »Ich zerfließe gleich, als lasst uns bitte abhauen!«, knurre ich und lasse meine Arme wieder sinken.

     »Vergiss es!«

     Kurzerhand packt Ajax Lovis am Arm und zieht ihn mit sich. Das wilde Gezeter meines Bruders, welches blitzartig ertönt, lenkt noch mehr Blicke auf unsere Gruppe. Breit lächelnd winkt Ajax einigen Passanten zu, welche uns beinahe verstört mustern.

     »Halt endlich deine Klappe, bevor irgendjemand die Polizei ruft!«, zischt er Lovis dann genervt zu. »Ich kaufe dir von mir aus zwanzig Packungen Kaugummis deiner Wahl, wenn du jetzt einfach Ruhe gibst.«

     Augenblicklich klappt der Mund seines besten Freundes zu. Lovis' Mundwinkel verziehen sich zu einem selbstzufriedenen Grinsen und er klopf Ajax anerkennend auf die Schulter, nachdem er sich aus den Griff des Franzosen befreit hat und dann mit den Händen in seinen Hosentaschen weiterschlendert, als wäre nichts geschehen.

     »Ich wusste, dass auf dich Verlass ist«, säuselt er betont dankbar.

     »Manchmal hasse ich dich wirklich«, zischt Ajax mit leiser Stimme.

     Das Grinsen auf Lovis' Zügen wird noch ein Stückchen breiter, sodass ich überzeugt bin, dass ihm die Wangen wehtun müssen. »Hass ist ein Eingeständnis für Unterlegenheit. Von Fred Ammon.«

     »Mach noch einmal den Mund auf und ich hau dir eine rein. Von Ajax Lefevre.«

[...]

     »Sport ist Mord!«, jammert Mathea verzweifelt und wirft sich theatralisch auf ihrem Bett hin und her. »Ihr könnt mich nicht zwingen! Ich bin ein freier Mensch und Herrin über meinen eigenen Körper.«

     Stöhnend reibt sie sich mit den Händen über das Gesicht, während ich seufzend versuche, sie zum Aufstehen zu animieren. Ajax ist bereits auf der Suche nach einfachen Workouts auf Youtube und schenkt mir von der Seite nur ein amüsiertes Schmunzeln.

     »Stell dich nicht so an, das wird Spaß machen«, spreche ich meiner besten Freundin Mut zu. »Du wirst es lieben, versprochen.«

     »Ich habe aber Hunger!«

     »Heißhunger auf sportliche Aktivitäten. Passt doch perfekt«, entgegnet Ajax grinsend und ich verdrehe die Augen, weil das so ziemlich das Dümmste war, was er potenziell hätte sagen können.

     »Nur weil du unter Talias ganz besonderen Schutz stehst, heißt das noch lange nicht, dass du dir alles erlauben kannst«, grollt das schwarzhaarige Mädchen auch schon und wirft ihm einen zornigen Blick zu, den er gekonnt ignoriert.

     Ein weiteres Seufzen entflieht meinen Lippen und ich lasse mich auf dem ungemachten Bett nieder, wobei ich mir frustriert durch die Haare fahre, die ich noch zu einem Pferdeschwanz binden sollte, bevor wir anfangen. Wenn wir denn anfangen. Davon ist nämlich bisher nichts zu sehen.

     Lovis lungert auf einem Sessel herum und kaut stumm Kaugummis, während er Ajax aus teilnahmslosen Augen beobachtet, welche als Einziger wirklich motiviert ist, Sport zu machen. Irgendwie konnte er mich nach stundenlangen Wanderungen durch Friedrichshafen dazu animieren, am späten Abend das Zimmer der anderen zu stürmen und sie von einem kurzen Workout zu überzeugen. Mittlerweile hält sich jedoch auch meine Begeisterung in Grenzen.

     »Ganz ehrlich, Ajax«, beginnt Mathea schnaubend, »ich glaube, wir hätten dich mal öfter Gassi gehen schicken sollen oder so. Dann wärst du jetzt vielleicht nicht so verdammt hibbelig.«

     »Ich bin nicht hibbelig, nur weil ich meinem Körper mal was Gutes tun möchte«, gibt der Franzose schmunzelnd zurück. »Du bist einfach nur überdurchschnittlich faul.«

     Grummelnd schließt Mathea die Augen, bevor sie Ajax ihren Mittelfinger präsentiert, womit sie ihm ein kurzes Lachen entlockt.

     »Vielleicht war das wirklich eine doofe Idee«, murmle ich und lege mich auf den Rücken.

     Die Decke über mir ist langweilig und weiß.

     »Jetzt fang du nicht auch noch an«, stöhnt Ajax verzweifelt, bevor er sich Hilfe suchend an Lovis wendet. »Sag doch auch mal was.«

     »Ich bin nicht der Vater«, protestiert mein Bruder genervt. »Außerdem war das hier auch nicht meine Idee, also zieh mich nicht mit rein, danke.«

     »Könnten wir statt Sport nicht was anderes machen?«, will Mathea seufzend wissen und ich drehe den Kopf, um sie sehen zu können.

     Ihre zerzausten Haare haben sich auf der weißen Bettdecke ausgebreitet und ihre Augen wandern nachdenklich über die Decke, an der es eigentlich nichts zu betrachten gibt. Wahrscheinlich sieht sie wieder Formen, die keiner von uns wahrnimmt.

     »Zum Beispiel?«, murrt Ajax und klappt lautstark seinen Laptop zu, was sowohl Mathea, als auch mich zusammenzucken lässt.

     »Zum Beispiel«, sagt das Mädchen neben mir spitz, »könnten wir es schon einmal unterlassen, so aggressiv zu sein. Vielleicht hilft ja meditieren.«

     Als Reaktion atmet der Franzose geräuschvoll ein und aus, als müsse er sich wirklich beherrschen, Mathea keine reinzuhauen. Wir wissen alle, dass die Lebewesen, die er zusammenschlägt, nur Mücken sind. Diese Viecher sind wirklich die Einzigen auf diesem Planeten, die den Blondhaarigen gewalttätig machen können.

     »Vielleicht gibt es ja noch ein besseres Beispiel?«, gehe ich dazwischen und unterbreche damit Matheas und Ajax' hitzigen Blickkontakt, den meine beste Freundin sonst eigentlich nur mit Lovis austauscht.

     Wahrscheinlich hocken wir alle einfach schon eine Weile zu lang aufeinander.

     Ächzend richtet das schwarzhaarige Mädchen sich auf und grinst in die Runde. »Zum Beispiel könntet ihr mir eine Glatze schneiden.«

     Für einige Sekunden herrscht Stille, bis Lovis in prustendes Gelächter ausbricht. An Ajax' zuckenden Mundwinkeln erkennt man, dass auch er die Worte unserer Freundin nicht ernstnehmen kann. Und obwohl ich weiß, dass ihre langen Haare Mathea immer unglaublich wichtig waren, sehe ich das Funkeln in ihren Augen, welches mir zu verstehen gibt, dass sie es ernst meint.

     »Ich glaube, das war kein Witz«, flüstere ich den beiden Jungs zu, als sie sich nach einigen Momenten immer noch nicht beruhigt haben, und erhalte ein zustimmendes Lächeln von dem Mädchen neben mir.

     »Das war kein Witz?«, hakt Ajax schließlich irritiert nach.

     Lovis grinst noch immer, doch es verblasst, als er sieht, wie Mathea energisch den Kopf schüttelt und auffordernd das Kinn reckt. Rasch tauscht er einen Blick mit Ajax, bevor sie beide wieder zu unserer Freundin und mir starren, als wären wir – beziehungsweise sie – komplett verrückt geworden.

     »Nein, ich mein's ernst«, bestätigt Mathea unsere Vermutungen. »Ich will mir eine Glatze schneiden. Und ihr werdet mir helfen.«

     »Hier und jetzt?«, hake ich schmunzelnd nach.

     »Hier und jetzt«, bestätigt Mathea nachdrücklich.

     Euphorisch kommt Ajax auf die Beine und klopft sich imaginären Staub von der Sporthose, bevor er dem schwarzhaarigen Mädchen auffordernd eine Hand hinhält: »Na dann. Worauf warten wir? Hat jemand einen Rasierer dabei?«

     »Ich hab einen«, meldet sich Lovis munter zu Wort, während er einen weiteren Kaugummi aus einer neuen Packung zieht. »In der Waschtasche im Bad.«

     »Aufstehen ist nicht so deins, oder?«, ziehe ich ihn grinsend auf.

     »Ne, heute nicht so«, antwortet mein Bruder zufrieden. »Aber euch viel Spaß. Ich bewerte dann das Endergebnis. Verkackt's bitte nicht zu sehr.«

     Lachend erhebe ich mich, um Ajax und Mathea ins angrenzende Bad zu folgen, welches mit uns drei im Raum ziemlich eng wird. Aber es reicht aus. Und dann schneiden wir die Haare unsere Freundin erst grob mit einer Schere ab, bevor wir mit einem Rasierer ihre Haarpracht auf etwa einen halben Zentimeter reduzieren.

     Und weil wir schon einmal dabei sind, verpassen wir nicht nur mir einen Pony, sondern kürzen sowohl meine, als auch Ajax' und sogar Lovis' Haare um einige Zentimeter, während wir laut zu Liedern mitsingen.

     Das Fenster im Bad steht offen und lauwarme Sommerluft strömt herein. Wir tanzen in Sportklamotten durch das Schlafzimmer, lachen über unser schreckliches Taktgefühl und die schiefen Schnitte unsere Frisuren, bevor wir diese ausbessern und nur noch mehr lachen, weil alles so leicht ist, dass wir fliegen können.

     Ajax schießt Fotos und Lovis wirft mit zusammenhangslosen Zitaten um sich. Mathea huscht immer wieder zu ihrem Notizbuch, um flüchtige Gedanken einzufangen, und ich sehe vor meinem inneren Auge, wie meine nächsten Zeichnungen aussehen werden.

     Und ich bin mir sicher, wenn das Fenster noch ein Spaltbreit mehr geöffnet wäre, würden wir alle hinausschweben und zum Himmel emporsteigen, um zwischen den Wolken zu tanzen, bis wir müde werden und nach dem Aufstehen wieder von vorne auffangen.

____

[author's note]

ja ja dieses kapitel war mal wieder eine schwere geburt hahah die hitze und der dazugehörige schlafmangel wirken sich nicht gerade positiv auf meine motivation aus uff

allerdings denke ich trotzdem dass ich in den nächsten paar wochen »was uns high macht« abschließen werde. und irgendwie freu ich mich darauf danach mit der überarbeitung zu beginnen und endlich ein buch beendet zu haben hehe.

ich hoffe ihr hattet alle einen schönen tag :D

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