LOVE LETTERS TO A STRANGER

By larellee

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Liebesbriefe an einen Fremden. »Wer bist du, hinter dem Blau deiner Tinte und dem Kratzen deines Stiftes? Wer... More

Widmung
Vorwort
Erster Schmerz ...
01 - Anfänge
02 - Sonnenstrahl
03 - Zuhause
04 - Fast überlebt
05 - Winternächte
06 - Antworten
07 - Marionette
08 - Sehnsucht und Regen
09 - Salz in den Wunden
10 - Für nichts
11 - Du bist das Feuer
12 - Freundschaft
13 - Bilder der Ewigkeit
14 - Wintermondwind
16 - Sich verlieren
17 - Einfach rennen
18 - Preis der Lüge
19 - Keine Antworten
20 - Aufziehender Sturm
21 - Sterbende Träume
22 - Der Fall
23 - Sanftes Lachen
24 - Vier Worte
25 - Briefe an einen Fremden
26 - Augen so tief wie der Ozean
27 - Kleine Schritte
28 - Die Wahrheit
29 - Nichts als Tränen
30 - Seelenheil
Loslassen ...
Nachwort

15 - Spind Sechsundachzig

731 95 83
By larellee

Das Leben ist wie eine Treppe.
Der eine steigt hinauf, der andere steigt hernieder.
- Katharina von Siena -

WARUM KANN DAS WOCHENENDE nicht fünf Tage gehen und die Schulwoche zwei Tage? Das war mein erster Gedanke, als ich heute früh aufwachte. Dann kam mir der Gedanke, dass ich heute Silas begegnen würde, was meine Stimmung etwas abhob. Zudem hatte ich nie Probleme in der Schule und bin stets gerne hingegangen, selbst wenn es natürlich Lehrer und Fächer gab, die mir nicht lagen und mir auch nie liegen werden.

Den Weg zur Schule trete ich zuversichtlich an, Can I call you Tonight von Dayglow dringt durch meine Kopfhörer in meine Ohren. Vibrierende Saiten, rauchende Stimmen, energiegeladene Töne und klangvolle Pausen. Ich wende mich der aufgehenden Sonne zu, den goldenen Strahlen, die ein leuchtendes, reines Licht auf meine Haut fallen lässt. Denn richte ich mich der Sonne entgegen, fallen alle Schatten hinter mich. Schatten, die mir sonst nur im Weg stehen – meine eigenen Schatten, die mir im Weg stehen.

Ein leichter Windhauch wirbelt meine blonden Strähnen auf, die kühle Luft färbt meine Nase rot und zerrt an meiner warmen Kleidung. Morgens, wenn die Bäume und Pflanzen alle mit einer einfachen Schicht Frost überzogen sind, reflektiert die Sonne und lässt alles wie Glitzer im Sonnenlicht funkeln. Violet wird das alles nie wiedersehen, denke ich plötzlich. Und sofort verpufft die gute Laune wieder.

Es hat ewig gedauert, auch nur irgendwas zu fühlen, außer Schuld und Schmerz.

Und nur wenige Sekundenbruchteile, um all das wieder zunichte zu machen. Das Lied wechselt, die Sonne wird von grauen, tiefhängenden Wolken verdeckt. Das triste Gebäude der Schule wartet am Ende der Straße auf mich und sieht aus, als würde es mich verspotten.

Es sieht genauso traurig aus, wie ich mich fühle. Trotzdem funktioniert mein Körper irgendwie weiter, wie eine Maschine, die auf Autopiloten läuft. Manchmal verfalle ich in eine Art emotionale Starre, in der ich zwar körperlich anwesend bin, wie sonst auch. Und ich höre alles, höre jedes Wort, jedes Lachen und jedes vorbeirauschende Auto.

Es erreicht mich nicht.

Ich versinke in meinen Gedanken und alles verschwimmt, bis es nichts mehr gibt als meine Gedanken und mich.

Wie Nebel im Kopf. Ich nehme einen tiefen Atemzug und schließe die Augen, nur ganz kurz. Schließlich betrete ich das Schulgelände. Ich sehe mich um, entdecke weder Penelope oder Kassian, noch Silas.

Ein weiteres Mal atme ich tief ein und aus. Der Nebel lichtet sich. Farben, Hektik, Chaos kehrt zurück. Warum muss man immer erst im Chaos ertrinken, bis man es nicht mehr so oberflächlich betrachtet?

Da keiner meiner Freunde hier draußen zu sein scheint, beschließe ich, meinen Unterrichtsraum einfach alleine aufzusuchen. Der metallene Türgriff ist eiskalt in meiner Hand. Als ich eintrete, schlägt mir sofort ein Schwall warmer Luft entgegen. Entweder funktionieren die Heizungen in dieser Schule gar nicht oder sie sind so unerträglich heiß, dass man genauso gut im T-Shirt dasitzen könnte.

Ich mache mich auf zu meinem Spind, aus dem ich meinen Notizblock hervorhole und die Dinge, die ich nicht brauche, aus meinem Rucksack räume. Mit einem leisen Klicken schließe ich ihn wieder und drehe mich um, um zu meinem Kurs zu kommen. Ein Schwarm Schüler läuft an mir vorbei, unter ihnen auch Seth, der mich mit seinem Blick durchbohrt.

Giftiges Grün, wie das einer Schlange. Er mich an, fixiert meinen Blick und sieht dabei so hasserfüllt aus, dass mir glatt übel wird. Seth.

Dein Lachen ist laut, als du stehen bleibst, um mit deinem Freund am Schließfach zu quatschen. So laut, dass es kribbelnd durch meinen Körper vibriert. Auf keine angenehme Art und Weise. Es fühlt sich an, als würden mit deinem Lachen tausende von Käfern über mein Inneres krabbeln, so unangenehm ist es mir.

Die Schatten in deinem Herzen hängen nun auf dem Weg deines Lebens, für den du dich entschieden hast.

Ach Seth, soll ich Mitleid mit dir haben oder dich hassen? So wie du mich?

Wobei wir beide wissen, dass du mich gar nicht hassen kannst; nicht nach allem, was war. Du willst es, mehr als alles andere; versteckst deine Gefühle, doch ich sehe hinter diese Lüge. Und wir haben nach allem noch eine Gemeinsamkeit:

Wir werden beide ertrinken; du an deinen Lügen und ich an meinem Schweigen.

Ich lege den Kopf schief, für einen Sekundenbruchteil überlege ich, irgendwas zu tun – was? Also wende ich mich ab und laufe den Weg weiter zu meinem Kurs. Ich bin zum Glück noch pünktlich, also gerate ich nicht in die Schusslinie von Mrs Jacksons starrem Blick. Kassian sitzt schon auf seinem Platz, müde und mit tiefen Augenringen, als er mich bemerkt, lächelt er leicht und zwinkert mir zu. Ich antworte nur mit einem trägen Nicken und suche den Raum nach Penelope ab, die noch nicht da ist.

Vermutlich wird sie sich wieder verspäten, was sicherlich eine hervorragende Auswirkung auf Mrs Jacksons Laune haben wird. Ich gehe auf meinen Platz zu und lasse mich auf den Stuhl fallen. Für die heutige Stunde kann ich kein kleines bisschen Energie aufbringen, so sehr ich es auch versuche. Wie von selbst gleitet meine Hand unter den Tisch, um ihn nach einer neuen Notiz abzusuchen. Es hat sich mittlerweile wie eine Routine eingebürgert.

Unterricht mit Mrs Jackson = neue Notiz.

Ich hebe den Kopf, um sicherzustellen, dass mich niemand beobachtet. Dann falte ich den Zettel auf und beginne zu lesen. Doch überraschenderweise ist es dieses Mal keine Zeile aus einem Lied oder ein Zitat oder dergleichen, sondern eine Weg-Beschreibung.

Spind 86, der ist defekt und wird deswegen von niemandem benutzt, weil die Schule sich nicht die Mühe macht, ihn instand zu setzen.

Nachdenklich schiebe ich eine Lippe vor und klopfe mit meinen Fingerspitzen eine angespannte Melodie auf das Holz, auf dem schon zig Schüler vor mir gelernt und geschrieben haben. Ist es vielleicht ein Hinterhalt? Quatsch, ich bin eindeutig paranoid. Von wem denn überhaupt? Und wozu? Es ist ja nicht so, dass diese kleinen Zettelchen von großer Bedeutung sind. Vielleicht geht es auch darum? Dass wir beide zu vorsichtig sind und deshalb nie wirklich persönliche Sachen austauschen.

Frustriert schiebe ich die Gedanken von mir weg und krame stattdessen in meiner Schultasche, um mein Unterrichtsmaterial herauszuholen. Sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen hat keinen Sinn, es steigert nur meine Vorfreude auf das Unterrichtsende und senkt das Interesse am eigentlichen Unterricht. Genervt stelle ich fest, dass ich mein Buch zu Hause auf meinem Schreibtisch liegen gelassen habe. Hoffentlich brauchen wir es für die heutige Stunde nicht.

Aus Langeweile, weil Mrs Jackson gerade mit der Wiederholung des Stoffes der letzten Stunde begonnen hat, richte ich meinen Schreibblock parallel zur Tischkante aus und lege alle Buntstifte vor mir in eine Reihe. Zuerst sortiere ich sie in Regenbogenfarben, flugs hole ich auch meinen Anspitzer hervor und spitze jeden Stift einzeln an. Zumindest komme ich bis Grün, als sich vor mir der Schatten einer Person aufbaut. Ich habe schon eine leise Ahnung, um wen es sich handelt.

Unsicher blicke ich in Mrs Jacksons Gesicht und beiße mir auf die Unterlippe. »Was ist so schwer daran zu verstehen, wenn ich die Klasse auffordere, die Bücher herauszuholen und auf Seite sechsundvierzig zu öffnen?!«, fragt sie bissig. Ich antworte nicht. Das muss ich auch nicht, weil in dem Moment die Tür weit aufgerissen wird und Penelope mit gehetztem Atem im Raum steht. Kleinlich tritt sie von einem Fuß auf den anderen.

Sie ist sichtlich nervös. Jetzt reißt Mrs Jacksons Geduldsfaden, der ohnehin zart wie der Flügelschlag eines Schmetterlings ist, endgültig.

»Wo ist die Disziplin in der heutigen Jugend geblieben?!«, bellt sie zornig. »Was ist so schwer daran, pünktlich zum Unterricht zu kommen?«, richtet sie sich nun an Penelope. Die sagt nichts, sondern steht nur da, ein wenig blass um die Nase und sichtlich angespannt.

»Du glaubst wohl, weil du jetzt die Stieftochter des Direktors bist, dass für dich Sonderrechte gelten, hm?« Penelope antwortet immer noch nicht.

»Und du«, wendet sie sich an mich, »glaubst wohl, dass es in Ordnung ist, derart aus der Reihe zu tanzen! Nichts zum Unterricht beizutragen ist eine Sache, es ist schließlich deine Mitarbeit, nicht meine, aber jetzt auch noch unvorbereitet zu erscheinen?!«

Sie redet sich so in Rage, dass sie gar nicht bemerkt, wie hinter Penelope eine weitere Person den Raum betritt. Und bei dieser Person handelt es sich um niemand geringeres, als den Direktor.

Penelopes Stiefvater.

»Mrs Jackson«, grüßt er sie höflich und bedenkt sie mit seiner aalglatten Miene. Er lächelt verhalten, doch es wirkt nicht ehrlich.

»Oh«, macht Mrs Jackson nur mit heruntergeklappter Kinnlade.

Wie aus dem Nichts durchzucken mich die Worte von Penelope von vor ein paar Wochen. Sie hasst mich, weil sie eine Affäre mit dem Direktor hatte und er sie für meine Mom abserviert hat. Die ganze Klasse richtet ihre Aufmerksamkeit auf das Geschehen, mich eingeschlossen.

»Ich wollte mich nur für Penelopes Zuspätkommen entschuldigen, das ist meine Schuld, da ich heute Morgen zu spät losgefahren bin und der Berufsverkehr unseren Zeitplan ordentlich durcheinandergebracht hat«, erklärt der Direktor. Ich kann verstehen, warum Mrs Jackson bei ihm so weiche Knie bekommt. Er ist groß und schlank, zwar nicht überdurchschnittlich muskulös, dennoch trainiert.

Sein dunkelbraunes Haar ist graumeliert, es lässt ihn vornehmer und edler aussehen. Dazu die aristokratischen Gesichtszüge und die vornehme Kleidung ... Für sein Alter sieht er erstaunlich gut aus. Mrs Jackson sagt noch immer nichts, sondern scheint nach Worten zu suchen, die jedoch keinen Weg hinausfinden.

Jetzt weiß sie, wie es mir geht, denke ich mit Genugtuung und erschrecke im selben Augenblick vor mir selbst zurück. Ich bin kein fieser Mensch, diese Frau schafft es allerdings, die Geduld eines Gottes auf die Probe zu stellen. Und dass sie mein Schweigen angegriffen hat, gehört sich als Lehrerin einfach nicht.

»Ich wollte nicht die Kontrolle verlieren«, bringt Mrs Jackson nun mühsam hervor. Sofort frage ich mich, welche Art von Beziehung sie und der Direktor wohl hatten. Er wirkt nicht so, als würde er emotional sonderlich an ihr hängen, während Mrs Jackson wie eine zutiefst verletzte Frau aussieht. Mitleid mit ihr macht sich in mir breit.

Es gibt Menschen, die falsche Dinge tun und sagen, in fast allen Fällen hat es auch eine Ursache. Niemand wird einfach so, so dermaßen hasserfüllt. Sie wurde verletzt, vielleicht einmal zu oft, und indem sie andere abwertet, versteckt sie nur ihre eigene Verletzlichkeit. Sicherlich ist es keine Rechtfertigung. Es ist nur eben auch nicht unwichtig.

»Wie mir scheint, wurdest du gerade sehr persönlich gegenüber ...«, fragend sieht er zu Penelope, um meinen Namen zu erfahren.

»Honey. Honey Ambrosé.«

Der Direktor runzelt die Stirn über den Namen, ehe er fortfährt. »Genau. Mit ihren Ehrziehungsberechtigten wurden einige Gespräche geführt und wenn ich mich recht entsinne, habe ich die Lehrerschaft in einer Versammlung hinreichend über ihren Mutismus aufgeklärt. Bei der Sie auch anwesend waren, Mrs Jackson.«

Seine Stimme klingt tadelnd, sein Gesichtsausdruck ist frostig. So gut er für sein Alter auch aussehen mag, freundlich scheint er nicht unbedingt zu sein. Gleichzeitig hat er auch eine Aufgabe als Direktor, er trägt eine große Verantwortung und zusätzlich hat er sich gerade für mich eingesetzt, indem er Mrs Jackson hinsichtlich ihrer Unprofessionalität in ihre Schranken gewiesen hat Mrs Jackson nickt stumm. »Tut mir leid«, sagt sie zum Direktor und wendet sich mir zu. »Bei dir möchte ich mich auch entschuldigen, Honey. Ich hätte nicht einfach so die Kontrolle verlieren dürfen. Es wird nicht wieder vorkommen.«

Wie demütigend es für sie ein Muss, vor der ganzen Klasse so an dem Pranger gestellt zu werden. Und auch noch von ihrem Arbeitsgeber, an dem sie emotional hängt.

Der Direktor schnalzt missbilligend mit der Zunge. »Das will ich schwer hoffen, Mrs Jackson«, wie er ihren Namen ohne jede Gefühlsregung ausspricht, »immerhin möchte ich vermeiden, eine derart fähige Lehrerin zu verlieren.«

Die unausgesprochene Drohung entgeht niemanden.

Mit den Worten dreht er sich um, die teuren Lederschuhe quietschen leicht auf dem Linoleum, was kaum zu hören gewesen wäre, wenn es nicht totenstill im Raum wäre. Penelope wirkt völlig verstört von der gerade geschehenden Szene und setzt sich mit geweiteten Augen ohne Aufforderung auf ihren Platz. Auch Mrs Jackson ist geschockt, sie wirkt geradezu entblößt. Als hätte der Direktor ihre Gefühle vor dem ganzen Kurs offen dargelegt und mit seinen Worten zu Eis erstarren lassen. Nur um es danach mit seinen Händen zu zerbrechen, wie Glas.

Sie führt den Unterricht fort, der enttäuschte Ausdruck weicht nicht aus ihren Augen.

Da etwa die Hälfte der Stunde schon durch den Direktor verloren ist, vergeht der Unterricht schnell und das erlösende Klingeln zerreißt die unsichtbaren Fesseln, die in der Stunde an jedem einzelnen Schüler haftet. Ich schultere meinen Rucksack und warte vor der Tür auf Penelope und Kassian, die noch beschäftigt sind, ihre Sachen einzuräumen, da ich die erdrückende Atmosphäre im Raum nicht mehr aushalte.

Ich überlege, wann ich zu Spind 86 gehen sollte. Am besten nicht während der Pause, denn es könnte sein, dass ich beobachtet werde. Vermutlich, wenn ich mich nach der Pause, wenn alle zu ihrem nächsten Kurs gehen, zum Spind begebe. Ich würde zu spät kommen, was soll's. Kassian und Penelope kommen auf mich zu. »Wow«, sagt Kassian nur und lacht aus Nervosität.

»Das kannst du laut sagen ...«, murmelt Penelope nur und starrt auf die Schuhspitzen ihrer ausgelatschten Chucks.

»Soll ich?«, neckt Kassian sie. Penelope rollt mit den Augen. »Untersteh dich.«

»Wo ist Silas überhaupt?«

Kassian zuckt mit den Schultern. »Der hat Biologie im anderen Gebäude, wir sehen ihn bestimmt gleich.«

Gemeinsam verlassen wir das Schulgebäude, um frische Luft zu schnappen. Es ist kalt und beim Luft holen bilden sich leichte Atemwolken. Doch die beißende Kälte fühlt sich gut in meiner Lunge an, lässt meinen überhitzten Körper wieder etwas runterkommen und auf Normaltemperatur abkühlen. Silas kommt auf uns zu und hebt grüßend die Hand. Sein schwarzes Haar ist vom Wind etwas zerzaust, es lässt ihn natürlicher und wilder aussehen. Anders als der Direktor hat seine Schönheit nichts glattes, ebenes an sich. Er ist nicht perfekt, dafür vollkommen.

»Nett, dass ihr extra für mich rauskommt«, sagt er frech grinsend.

Dann sieht er zu mir und legt besorgt den Kopf schief.

»Nimm's mir nicht übel, alter, das hat wenig mit dir zu tun. Wir hatten gerade mit Mrs Jackson Unterricht und da ging die Hölle ab.«

Verwirrt sieht Silas ihn an. Wir begeben uns wieder in Richtung Schulgebäude, immerhin sind zwischen den Stunden nicht mehr als fünf Minuten Pause vorgesehen.

»Der Direktor kam dazu. Ich erzähl dir das alles in Technik, da sitzen wir ja zusammen.«

Silas nickt nur. Es klingelt zum ersten Mal zum Unterricht und wir vier trennen uns. Penelope hastet zu ihrem Fotografie Kurs, Silas und Kassian müssen in den Technikraum und ich habe jetzt kreatives Schreiben. Doch statt gleich zu meinem Kursraum zu gehen, folge ich der Reihe mit Schließfächern.

111, 110, 109, 108, 107 ...

Ich biege rechts ab und folge dem Flur fast bis zum Ende.

91, 90, 89, 88, 87 ...

Es klingelt ein zweites Mal und der Flur ist in wenigen Augenblicken völlig leer.

86.

Unerklärlicherweise pocht mein Herz gegen meine Rippen. Fast, als wäre der Bogen einer jeden Rippe ein Gefängnis, dass mein Herz in meinem Körper gegangen hält. Und vielleicht ist es auch so. Wird es jemals freikommen?

Der Spind wirkt genauso wie alle anderen. Er ist metallblau, schon etwas älter, sonst unscheinbar. Was soll an ihm denn defekt sein? Vielleicht war es nur ein Scherz und ich breche gleich in einen benutzen Spind ein. Schnell schiebe ich die Befürchtung beiseite. Ich inspiziere zuerst die Schlitze, durch die man problemlos einen Brief einwerfen kann, auch wenn das nicht der ursprüngliche Zweck ist.

So werde ich die Briefe also hineinwerfen ... Und wie komme ich an sie ran?

Ich rüttle am Schloss, es ist verzogen und lässt sich daher schlecht öffnen. Das ist bestimmt das Problem an diesem Spind. Er lässt sich nicht öffnen. Oder eben doch ... Ich denke an ein Buch, das ich vor Ewigkeiten Mal mit Violet zusammengelesen habe. Die weibliche Protagonistin konnte ihr Schließfach nicht öffnen und der Typ war so nett, ihr einen Trick zu zeigen. Dabei hat er gegen eine bestimmte Stelle geschlagen und die Tür ist einfach aufgesprungen.

Einen Versuch ist es wert.

Ich balle die Hand zur Faust und schlage gegen den Spind. Nichts. Ich schlage wieder gegen den Spind. Wieder nichts. Ich probiere es immer wieder, bis plötzlich jemand an mir vorbeiläuft. Vermutlich hat sich die Person verspätete oder so. Mit weit aufgerissenen Augen sehe ich den Jungen an, der etwas kräftiger gebaut ist, sonst eher normal wirkt. Er verzieht das Gesicht verstört und geht weiter, ohne mich aus den Augen zu lassen. Er sieht mich an, als wäre ich geistesgestört.

Seufzend wende ich mich wieder dem Schließfach zu und treffe mit dem jetzigen Schlag genau den Punkt zwischen Schloss und Rand, wo sich theoretisch der Riegel befinden müsste. Und siehe da, die Tür springt einladend auf. Das Innere des Schließfachs ist staubig und auf einem Fach liegen zusammengeknüllte Mitschriften. Außerdem riecht es wie der Dachboden meiner Großmutter, der seit Ewigkeiten nicht mehr geputzt wurde. Ganz unten liegt eine weitere Notiz. Ein breites Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Ich bücke mich und lese den beschriebenen Zettel.

Du musst zugeben, es ist verdammt cool. Irgendwie finde ich die Vorstellung interessant, mit einer Person kleine Briefchen auszutauschen. Du könntest praktisch jeder sein. Und das mit dem Geheimversteck macht alles noch geheimnisvoller, aufregender und irgendwie auch besonderer. Außerdem kann ich dir jetzt in jeder Pause schreiben, nicht nur dreimal die Woche. :)

Das Gesicht am Ende der Nachricht sieht zwar sehr gruselig aus, dennoch strahle ich, weil ich das Gefühl habe, etwas Besonderes mit einer Person zu teilen. Schnell durchwühle ich meinen Rucksack nach einem Stift und schreibe eine Antwort.

Ich würde trotzdem gerne mehr über dich erfahren.

Ob das zu gewagt ist?

Egal, beschließe ich, lege die Antwort an die gleiche Stelle und schließe die Tür. Meine Nerven fahren Achterbahn und mein Puls rast wie ein Rennauto auf der Strecke. Ich bleibe noch ungefähr eine Minute vor dem Schließfach stehen, ohne irgendetwas zu tun. Dann drehe ich mich um und gehe zu meinem Kurs. Die Vorstellung, mit einer mir völlig fremden Person etwas zu teilen, macht mich etwas benommen; zum ersten Mal seit langem habe ich das Gefühl, irgendwas Abgefahrenes zu tun.

Vor meinem Kursraum bleibe ich stehen und klopfe an die Tür. Der untersetzte und kleine Mr Harrison öffnet mir. Er sieht mich tadelnd an, weil ich zu spät bin, erwartet keine Erklärung.

Natürlich.

Ich könnte ihm auch keine geben.

Ariella:
𝖨𝖼𝗁 𝗆𝖺𝖼𝗁𝖾 𝗆𝗂𝗋 𝖲𝗈𝗋𝗀𝖾𝗇 𝗎𝗆 𝗎𝗇𝗌𝖾𝗋𝖾 𝖳𝗈𝖼𝗁𝗍𝖾𝗋.

Carter:
𝖣𝖾𝗇𝗄𝗌𝗍 𝖽𝗎, 𝗂𝖼𝗁 𝗇𝗂𝖼𝗁𝗍?

Ariella:
𝖣𝗈𝖼𝗁, 𝗌𝖼𝗁𝗈𝗇. 𝖶𝗂𝗋 𝗌𝗈𝗅𝗅𝗍𝖾𝗇 𝗇𝗎𝗋 𝖾𝗇𝖽𝗅𝗂𝖼𝗁 𝖾𝗍𝗐𝖺𝗌 𝖽𝖺𝗀𝖾𝗀𝖾𝗇 𝗎𝗇𝗍𝖾𝗋𝗇𝖾𝗁𝗆𝖾𝗇, 𝖢𝖺𝗋𝗍𝖾𝗋. 𝖤𝗌 𝗀𝖾𝗁𝗍 𝗌𝖼𝗁𝗈𝗇 𝗓𝗎 𝗅𝖺𝗇𝗀𝖾 𝗌𝗈.

Carter:
𝖴𝗇𝖽 𝗐𝖺𝗌 𝗌𝖼𝗁𝗐𝖾𝖻𝗍 𝖽𝗂𝗋 𝗏𝗈𝗋?

Ariella:
𝖨𝖼𝗁 𝗁𝖺𝖻𝖾 𝗁𝖾𝗎𝗍𝖾 𝖻𝖾𝗂 𝖾𝗂𝗇𝖾𝗋 𝖳𝗁𝖾𝗋𝖺𝗉𝖾𝗎𝗍𝗂𝗇 𝖺𝗇𝗀𝖾𝗋𝗎𝖿𝖾𝗇.

Carter:
𝖣𝖺𝗌 𝗐𝗂𝗋𝖽 𝖧𝗈𝗇𝖾𝗒 𝗀𝖺𝗋 𝗇𝗂𝖼𝗁𝗍 𝗀𝖾𝖿𝖺𝗅𝗅𝖾𝗇.

Carter:
𝖣𝗎 𝗄𝖾𝗇𝗇𝗌𝗍 𝗌𝗂𝖾 𝖽𝗈𝖼𝗁.

Ariella:
𝖨𝖼𝗁 𝗐𝖾𝗂𝗌𝗌, 𝖺𝖻𝖾𝗋 𝗂𝖼𝗁 𝖻𝗂𝗇 𝗏𝖾𝗋𝗓𝗐𝖾𝗂𝖿𝖾𝗅𝗍.

Ariella:
𝖲𝗂𝖾 𝗌𝗉𝗋𝗂𝖼𝗁𝗍 𝗌𝖾𝗂𝗍 𝖬𝗈𝗇𝖺𝗍𝖾𝗇 𝗄𝖾𝗂𝗇 𝖶𝗈𝗋𝗍 𝗆𝖾𝗁𝗋 𝗎𝗇𝖽 𝗁𝖺𝗍 𝖽𝖾𝗇 𝖳𝗈𝖽 𝗏𝗈𝗇 𝖵𝗂𝗈𝗅𝖾𝗍 𝗁𝖺𝗎𝗍𝗇𝖺𝗁 𝗆𝗂𝗍𝖾𝗋𝗅𝖾𝖻𝗍.

Ariella:
𝖲𝗂𝖾 𝗂𝗌𝗍 𝗍𝗋𝖺𝗎𝗆𝖺𝗍𝗂𝗌𝗂𝖾𝗋𝗍 𝗎𝗇𝖽 𝗏𝗂𝖾𝗅𝗅𝖾𝗂𝖼𝗁𝗍 𝗐𝗂𝗋𝖽 𝗌𝗂𝖾 𝗌𝗂𝖼𝗁 𝖺𝗇𝖿𝖺𝗇𝗀𝗌 𝗐𝖾𝗂𝗀𝖾𝗋𝗇, 𝖺𝖻𝖾𝗋 𝗅𝖺𝗇𝗀𝖿𝗋𝗂𝗌𝗍𝗂𝗀 𝗀𝖾𝗌𝖾𝗁𝖾𝗇 𝗐𝗂𝗋𝖽 𝖾𝗌 𝗂𝗁𝗋 𝗁𝖾𝗅𝖿𝖾𝗇.

Carter:
𝖤𝗂𝗇𝖾𝗇 𝖵𝖾𝗋𝗌𝗎𝖼𝗁 𝗄𝖺𝗇𝗇 𝗇𝗂𝖼𝗁𝗍 𝗌𝖼𝗁𝖺𝖽𝖾𝗇.

Ariella:
𝖵𝖾𝗋𝗀𝗂𝗌𝗌 𝗇𝗂𝖼𝗁𝗍, 𝗁𝖾𝗎𝗍𝖾 𝗋𝖾𝖼𝗁𝗍𝗓𝖾𝗂𝗍𝗂𝗀 𝖥𝖾𝗂𝖾𝗋𝖺𝖻𝖾𝗇𝖽 𝗓𝗎 𝗆𝖺𝖼𝗁𝖾𝗇.

Ariella:
𝖨𝖼𝗁 𝗋𝖾𝖽𝖾 𝗆𝗂𝗍 𝖧𝗈𝗇𝖾𝗒, 𝖻𝖾𝗏𝗈𝗋 𝖢𝖺𝗌𝗉𝗂𝖺𝗇 𝗄𝗈𝗆𝗆𝗍.

Anmerkung:

Und mir ist aufgefallen, dass ich nie erwähnt habe, was für ein Unterrichtsfach Mrs. Jackson eigentlich unterrichtet lol, Also habt ihr dafür irgendwelche Vorschläge?

Und die Kapitel werden immer länger, obwohl nicht einmal so viel passiert.
Stört euch das oder mögt ihr längere Kapitel lieber?

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