🌊Der Stern des Meeres🌊*Watt...

By Thyrala

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1601: "Die See ist nichts für Feiglinge!" - Lorena bekommt nichts geschenkt, aber das macht sie stark. Sie be... More

Personenverzeichnis
Vorwort
Schiffbruch
Gestrandet
Ein neues Leben
Gefährliche Wattwelt
Das Gold der Uthlande
Der Blanke Hans
Schicksal
Der Gast
Eilien
Unterricht
Matt
Der Luftgeist
Absturz
Zehn Tage
Die Strafe
Aussprache / Amrum
Freunde
Strandjer
Pläne
Ein Geheimnis
Abschied
Sehnsucht
Bleiben oder gehen
Hindernisse
Abfahrt
Leinen los!
Von Bilge und Back
Der Quartiermeister
Von Gesangbuch und Knoten
Hoch hinaus
Gegenwind
Der Teufel an Bord
Die schwarze Liste
Durchhalten
Der Geist
Kräftemessen
Waffenstillstand
Rivalen
In geheimer Mission
Der Schwur
Von Kanonen und Schwarzpulver I
Von Kanonen und Schwarzpulver II
Mann gegen Mann
Gerrit
Drill und Seepest
Türkisblau
Hitze
Vorzeichen
Im Auge des Sturms I
Im Auge des Sturms II
Der neue Navigator
Konfrontation

Atempause

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By Thyrala

Frei und ungehindert schoss die Zeelandia durch die Wellen, unablässig angetrieben von einem beständigen Wind. Der Rudergänger brauchte nichts anderes zu tun, als gelegentlich nachzusteuern und darauf zu achten, dass alle Segel gebläht blieben.

Dagegen gab es für die Kalfaterer reichlich Arbeit: der lange wolkenbruchartige Regen hatte den Decksplanken ziemlich zugesetzt. Bewaffnet mit Teereimern, Kalfateisen und Hammer, suchten sie die Bodenplanken nach undichten Stellen ab und und verstopften sie mit Werg. Klopf - poch, poch!

Für die übrige Besatzung bedeutete es die langersehnte Atempause. Es war vorbei mit diesen unaufhörlichen Segelmanövern, dem Auf- und abentern, mit Hahlen und Fieren! Endlich diente die Freiwache nicht mehr allein dazu, eine Mütze Schlaf zu bekommen, sondern man konnte frische Kraft schöpfen und sich anderen wichtigen Dingen zuwenden. Pütz um Pütz ging über die Reling, bis zum Rand mit Seewasser gefüllt; in einer Gemeinschaftsaktion wurde die Kleidung eifrig gewaschen und geschrubbt. Bald hing die Takelage voller Hemden und Hosen, die in der Sonne trockneten. Wie lauter kleine Segel flatterten sie im Wind.

„Wenn ihr nicht von den Läusen zerfressen werden wollt, Leute, bleibt reinlich", mahnte der Profos zwischendurch, damit auch ja niemand die eigene Körperpflege ausließ. Auch das wurde einvernehmlich erledigt und sie spritzten sich gegenseitig nass.

Spätestens da flüchtete Lorena mit der Pütz unter Deck und suchte sich eine ruhige Ecke. Die anderen hätten sonst große Augen gemacht, wenn sie ihre Brustwickel gesehen hätten! Nachdem sie sich gewaschen und umgezogen hatte - dabei vergaß sie auch nicht, einen kleinen Schmutzstreifen für den „Bart" übrigzulassen - stieg sie wieder nach oben. Ein bisschen hin und herlaufen, dann würden die feuchten Sachen am Leibe rasch getrocknet sein. Im Moment benötigte niemand ihre Hilfe, selbst der Backsdienst ruhte, die Kombüse war verwaist. Rix, der bisher ohne Pause damit beschäftigt gewesen war, die hungrige Besatzung satt zu bekommen sowie beim Segelsetzen auszuhelfen, hatte sich aufs Ohr gelegt. Und das war gut so, ein übermüdeter Koch konnte mit Leichtigkeit das ganze Schiff in Brand setzen. Am Abend würde es die Reste vom Erbseneintopf geben, das Aufwärmen konnte der Küchenjunge selbständig besorgen.

So schlenderte Lorena gemütlich übers Deck und beobachtete, was sich tat. Die Männer waren keineswegs müßig. Sie hockten auf Seekisten und flickten ihre Kleidung oder nähten sich aus einem Stück Segeltuch eine neue Hose. Sie staunte, wie geschickt sie mit Nadel und Faden umgehen konnten, und bekam Lust, es ihnen nachzutun. Bei dem warmen Klima brauchte sie über kurz oder lang leichtes Zeug. Im Unterdeck befand sich das Segellager, wo Ersatzsegel von unterschiedlicher Dicke aufbewahrt wurden. Bestimmt würde sie etwas Geeignetes finden, und wenn es irgendwelche Tuchreste waren, die ein Sturm in Fetzen gerissen hatte.

Ein Stück abseits von den anderen saß ein Matrose, der ein Segeltuch über sich ausgebreitet hatte. An der Seite war es eingerissen, es hatte wohl dem Winddruck nicht mehr standgehalten. Ihre Neugier war geweckt - das musste der Segelmacher sein! Sie blieb bei ihm stehen und sah zu, wie er es reparierte. Mit weitem Schwung holte er aus und stieß die Nähnadel durch das steife Tuch, wobei er nicht die Finger benutzte, sondern die Hand, die mit einem dicken Lederriemen umwickelt war.

Wie praktisch, dachte sie. Das Lederstück schützt vor Verletzungen und sorgt für den nötigen Druck auf die Nadel.

Noch zwei, drei Stiche, und der Segelmacher hielt inne, griff zum Kuhhorn neben sich. Es war bis zum Rand gefüllt mit einer festen, gelblichen Masse, in der weitere Nadeln steckten. Er schien ihr Interesse zu spüren, sah auf. „Ja?"

Es klang keineswegs, als fühlte er sich gestört, also deutete sie auf das Horn. „Was ist da drin?"

„Talg. Das Fett verhindert, dass die Nadeln rosten. Auch gleiten sie besser durch."

Sie nickte. „Ja, das kenn' ich. In der Salzluft rostet alles weg."

Er brummte zustimmend und beugte sich wieder über das Segel. Sie ließ ihn mit seiner Arbeit allein und suchte nach ihren Freunden.

Lorena entdeckte sie auf dem Vorderdeck; Sjard, Roluf und Ove standen mit dem Rücken an die Bordwand gelehnt und wärmten sich behaglich in der Sonne. Sie stellte sich wortlos dazu, um ihre Ruhe nicht zu stören. Als Roluf sie leicht in die Seite stieß und ein aufforderndes „Na du?" von sich gab, begann sie, von ihrem Erlebnis mit dem Backsmeister zu erzählen. Am Ende machten die Freunde höchst erstaunte Gesichter, damit hatten auch sie nicht gerechnet.

„Erst will er mir den Nordstern in die Wange stanzen und dann macht er mir ein Freundschaftsangebot. Was soll ich davon halten? Ich traue ihm nicht", fügte sie hinzu.

Sjard krauste die Stirn. „Das war eine harte Drohung, ja, doch sie sollte auch eine Warnung für die anderen sein. Einmal danebengegriffen und schon endet es in einem Seemannsgrab. - Aber du hast Recht, ich an deiner Stelle würde ihm auch nicht trauen. Noch nicht."

„Vielleicht will er mich nur in Sicherheit wiegen und lauert darauf, dass ich einen weiteren Fehler mache. Am liebsten würde er mich wohl in der Bilge einsperren."

„Und du könntest den lieben Tag lang mit Fenja spielen, was?", neckte Ove.

„Kein schlechter Tausch, will ich meinen." Sie schmunzelte.

Er aber zog die Brauen zusammen, musterte sie kritisch.

„Was ist?"

„Komm' mal her ..."

Verdutzt folgte sie seiner Aufforderung, und als sie nahe vor ihm stand, langte er mit seiner mächtigen Pranke nach ihrem Kinn, hob es ein wenig, drehte es nach rechts und nach links ... und wischte mit dem kleinen Finger zweimal über ihre Oberlippe. „So, jetzt ist es perfekt", meinte er zufrieden.

„Was denn?"

„Dein Bärtchen. Es sah schief aus, wie angemalt. Jetzt wirkt es echt."

Sie tat einen Stoßseufzer. „Gut, dass es noch keiner gemerkt hat!"

Ove strahlte. „Ich werde doch unsre Lyka nicht ..."

„Psst!!", zischte Sjard sofort, und Ove verstummte.

Sie blickte sich schnell um - hatte es jemand mitbekommen? Oder gar Cornelis? Glücklicherweise schien das nicht der Fall zu sein, jeder war mit seinem eigenen Kram beschäftigt.

Sjard streckte sich, gähnte, lockerte die Muskeln. „Wir sind gleich mit unserer Wache dran. Möglich, dass wir nachher fieren müssen, dann sind die Segel nicht mehr so straff gespannt und in der Nacht gibt's eine gemütlichere Fahrt."

Lorena war gerührt. Wie ein gewissenhafter Lehrmeister ließ er stets zusätzliche Erklärungen in das Gesagte einfließen; auf diese Art lernte sie ganz nebenbei den Sinn mancher Aktionen zu verstehen.

Sie nickte. „Ja, dieser Wind will uns alle Strapazen vergessen lassen. So geschwind waren wir noch nie unterwegs! Die Zeelandia fliegt ja richtig, fast wie ein Seefalke!"

Sjard verzog die schmalen Lippen zu einem Lächeln. „Du klingst wie ein Schipper, der von seinem Schiff schwärmt! Aber vergiss' nicht, wir haben noch aufzuholen. Wir fahren Raumwindkurs, das ist die Höchstgeschwindigkeit; würden wir genau vor dem Wind fahren, so dass er von achtern ins Tuch bläst, machen wir nur wenig Fahrt."

„Hm, wenig? Man sollte aber meinen, dass ..."

„Vom Krähennest aus würdest du es genau sehen", ergänzte er schnell. „Pass auf: der Wind schiebt von hinten, gleichzeitig drückt der Fahrtwind aber von vorn und bremst ab. Sind die Segel schräggestellt so wie jetzt, weht der Fahrtwind am Tuch vorbei und hindert nicht mehr ..." Er hob die Hände und ließ sie wie Segel flattern. „So nutzen wir die volle Windkraft und segeln viel schneller!"

„Ah, das leuchtet mir ein! Das ist der Raumwindkurs!"

„Richtig. Wir kreuzen sozusagen vor dem Wind."

„Das wurde aber auch Zeit! - Aber ... wie schnell sind wir nun wirklich? Wann können wir in der Karibik sein?"

Sjard setzte zu einer Antwort an ...

... da fuhr ihm Roluf über den Mund. „Sei still!", und sprach dann mit lauter Stimme weiter: „In etwa sechs Monaten werden wir in der Karibik sein!"

„Mensch, was faselst du da?", sagte Ove erschrocken.

Verschwörerisch legte Roluf einen Finger auf die Lippen und flüsterte: „Sprich' niemals aus, wann genau und wo wir anlanden werden! Wenn Rasmus es hört, kehrt er Voraussagen ins Gegenteil um. Er schickt  uns 'ne Flaute oder einen Orkan, so dass wir gar nie mehr ankommen! Also reiz' ihn nicht!" Aber er grinste breit dazu.

Anfangs war Lorena über seine Worte zusammengezuckt, doch nun verpasste sie ihm einen Klaps gegen den Oberarm. „Du bist vielleicht ein Spaßvogel - was soll das mit Rasmus?"

„Eigentlich heißt er Erasmus und ist ein katholischer Heiliger, er gehört zu den Nothelfern. Mit seinem Gebet soll er einen Sturm beruhigt haben, seitdem ist er der Schutzpatron der Seefahrer und auch Rasmus, der Gott des Meeres. Um ihn gnädig zu stimmen, wird ihm der erste Schluck Branntwein geopfert."

„Ach, ich habe mich schon über die Trinksprüche auf Rasmus gewundert ..." Sie lachte. „Aber schön, jetzt weiß ich Bescheid. Blanker Hans - Klabautermann - Rasmus, damit hätten wir die heilige Dreieinigkeit des Meeres komplett. Und jetzt möchte ich liebend gerne wissen: wann, meinst du, sind wir bei dieser Geschwindigkeit in Westindien?"

„Du lässt nicht locker, was? - Also: Bei diesem raumen Wind in weniger als drei Wochen, wenn er so weiterbläst. Genaugenommen hat er nicht gedreht, sondern gewechselt."

„Wie - gewechselt?"

„Das ist der Nordostpassat! Er bringt uns ganz bequem zu den Inseln und durch die gesamte Karibik. Eigentlich hätte es gereicht, stets in südöstlicher Richtung an der westafrikanischen Küste entlangzusegeln, um auf den Passat zu stoßen, aber bislang hat uns der Gegenwind einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Jetzt, nachdem wir uns freigekämpft haben, wird der Rest ein Kinderspiel!"

Lorena war nicht so überzeugt. Das klang sehr selbstsicher, doch wenn er sich irrte? Vorsichtshalber hakte sie nach: „Na, hoffentlich ist das auch wirklich dieser Passat und nicht irgendeine Laune von Rasmus. Vielleicht kehrt der Gegenwind wieder zurück."

„Ausgeschlossen! Der Passat ist stärker!"

„Ich will dir ja glauben, Roluf, aber woher weißt du so genau, dass es wirklich der Nordostpassat ist?"

„Von Janko. Neuerdings schwirrt er immer um den Rudergänger herum, fragt dies und das und hat sich deswegen von der Katze einen kräftigen Streich eingefangen. Niemand darf dem Achterdeck zu nahekommen."

„Ach - die Katze tritt wieder in Aktion?"

„Ja, Cornelis ist wieder ganz der Alte. Seine Teufeleien scheinen aber auf Janko keinen Eindruck zu machen."

Das Funkeln in seinen Augen gab ihr zu denken. Was sollte man davon halten? Janko gegen Cornelis? Der Einzige, der es mit dessen roher Kraft und Stärke aufnehmen konnte, war Ove. Andererseits war Janko mit allen Wassern der Nordsee gewaschen. Hoffentlich übertrieb er nicht, wenn er den Teufel an Bord herausforderte.

In Janko musste es gären. Im Gegensatz zu ihm waren Sjard und Roluf die Enge an Bord gewohnt, Ove war es zufrieden, solange er gutes Essen bekam. Doch ihnen allen war der Leitspruch Eala Frya Fresena heilig. Der unbändige Freiheitsdurst der Friesen konnte durchaus in einer Meuterei enden. Alles war möglich.

Sie seufzte. Der Tag hatte so heiter begonnen! Was auch geschah, sie würde ihren Lebensretter niemals im Stich lassen, selbst wenn er ihre Pläne gefährdete.

Der Passat rauschte machtvoll in den Segeln, trieb die Zeelandia weiter und weiter voran, dem Ziel und ihrem Schicksal entgegen.

Eala Frya Fresena!

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