Von Helden und Verlierern

By traumjaegerin

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In den ranzigen Vierteln von Berlin gehen in Aykans Kellerbude weder die Partys noch der Shishatabak je zu En... More

Vorwort
Z U S A T Z S Z E N E N
Hauptsache reden
Festivalstuff
Von aufgepumpten Gangstern und Anabolika
Saufen mit Jay
Das geplante Ende
Noch ein Ende
Happy Birthday, Jay!
Buon compleanno, Leonardo!
Vincent und Fede
Ich hab Kontakte
Weihnachtswahnsinn
Frohes neues Jahr
Klassenfahrt
Demo in Berlin I
Demo in Berlin II
Von Fußball und Dickpics
Ballettauftritt
Nachmittage auf dem Güterbahnhof
Festivalstuff die Zweite
Bachelorarbeit und Bazlama
Weihnachten Darian und Sino
Corona-Edition Jay
Irgendwann, in ferner Zukunft
Z E IC H N U N G E N
I
II
S O N S T I G E S
Jays und Fedes Stundenplan
Eine Liebeserklärung

Der alltägliche Wahnsinn

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By traumjaegerin

Triggerwarnung - Explizite Darstellung bezüglich selbstverletzendem Verhalten


Es war einer der Abende, die wie immer gleich verliefen. Durch die dünnen Wände klang die Stimme des italienischen Fernsehmoderators in unser Zimmer, überlagert von Alessias ausgelassenem Kichern. Gloria versuchte seit einer Weile erfolglos, sie ins Bett zu bringen, doch es misslang.

»Geh' jetzt schlafen, du kleine strega!«, war ihre genervte Stimme zu hören.

Polternde Schritte im Flur, wahrscheinlich versuchte Gloria unsere kleine Schwester einzufangen, die keinen Bock aufs Pennen hatte. Nur verständlich.

»Gloria, Alessia! State zitti! Papà non sta bene!«, kam es kurz darauf von meiner Mutter, dann Türenschlagen.

Ich saß auf meinem Bett und starrte vor mich hin. Es war einer dieser scheiß Tage, an denen ich gar nicht mehr klarkam. Nicht auf meinen verschissenen Kopf. An denen meine Gedanken an mir vorbeirasten und ich keinen von ihnen fassen konnte.

In solchen Momenten, in denen ich nicht mal wirklich sagen konnte, ob ich am Leben war oder nur eine verschissene leere Hülle. Klar, natürlich wusste ich, dass es mich noch irgendwie gab, dass ich atmete und so einen Bullshit, aber es fühlte sich nicht so an. Das machte mir eine verfickte Angst.

Meistens, wenn ich anfing über so einen Scheiß nachzudenken, war ich einer Panikattacke verdammt nah.

»Was is'n mit dir?«, fragte Fede mit einem Grinsen im Gesicht und stand von seinem Schreibtisch auf. Kurz warf er einen Blick auf sein Handy, ehe er es aufs Bett schmiss.

»Niente«, gab ich schulterzuckend zurück. Er sah mich einen Moment lang prüfend an.

»Alter, du starrst jetzt seit zehn verfickten Minuten einfach nur vor dich hin.«

Ich lachte. Wann war es eigentlich so einfach geworden, verdammt gut drauf zu sein, wenn es mir scheiße ging? »Lass mich halt nachdenken. Machen doch die ganzen Philosophen so.«

»Du bist Philosoph?«, grinste mein Bruder und hob die Augenbrauen.

»Ja, Mann«, grinste ich und schnappte mir eines der Bücher, die auf seinem Schreibtisch lagen. Naja, ursprünglich war es mal unserer gewesen, aber als ob ich halt so etwas wie einen Schreibtisch benutzen würde. Als ob ich halt seit der zweiten Klasse überhaupt ein einziges Mal Hausaufgaben gemacht hätte. »Und irgendwann schreib ich solche krass intelligenten Bücher. Wie dieser Lalande«, meinte ich mit Blick auf das Buch.

»Der war Astronom, kein Philosoph«, korrigierte er mich.

»Na und? Fakt ist, dass die ganzen Mädels auf seine Bücher masturbieren. Und du auch, wenn du ehrlich bist.«

»Definitiv«, grinste Fede und stopfte ein paar Sachen in seinen Rucksack. »Könnte mir keine bessere Wichsvorlage vorstellen.«

»Was wird das eigentlich?«, fragte ich ihn, während er den Schrank öffnet und sich dann einen Pullover über den Kopf zog.

»Ich geh noch zu Jay«, erklärte er mir.

»Ey, Mann, ich darf doch bestimmt mit, oder? Ist doch alles scheiße hier«, meinte ich hoffnungsvoll und war schon im Begriff aufzuspringen. Das könnte meinen Abend vielleicht retten. Mit Jay zu saufen war immer ziemlich cool.

Mein Bruder sah mich einen Moment lang an, dann schüttelte er den Kopf. »Scusa, Leonardo. Heute nicht, du musst morgen in die Schule.«

»Ja, scheiß mal drauf. Als ob's mich halt juckt.«

»Ich penn heut da ... is' echt nicht geschickt. Beim nächsten Mal, okay? Promesso.« Fede sah mich an und nahm dann sein Handy vom Bett, um es in der Hosentasche verschwinden lassen.

»Davvero? Me lo devi promettere, va bene?«

»Io giuro«, versicherte er mir.

Fede klopfte mir aufmunternd auf die Schulter, dann zog er den Reißverschluss seines Rucksacks zu. »Wir sehen uns morgen, ja?«

Ich nickte und er verließ das Zimmer. Zog meine Beine an und umschlang sie mit meinen Armen, während mein Bruder sich von unseren Eltern verabschiedete, dann die Tür hinter sich zuschlug.

Was war eigentlich mein scheiß Problem? Warum konnte ich nicht ganz normal drauf sein, wie alle anderen Menschen auch?


Ich sperrte die Badtür hinter mir ab. Aus dem Zimmer meine Schwestern klangen keine Stimmen mehr, wahrscheinlich pennte Alessia endlich und Gloria hörte Musik mit Kopfhörern, wie sie es so oft abends tat. Noch einmal drückte ich die Klinke runter, um zu überprüfen, ob die Tür auch wirklich zu war. War sie, natürlich.

Niemand würde mitbekommen, was ich tat.

Ich zog mir meinen Pullover über den Kopf und legte ihn auf dem Wäschekorb ab, dann warf ich einen kurzen Blick in den verschmierten Spiegel. Ließ ihn über meinen zu schmalen Oberkörper gleiten, das Piercing, dann meine Augen. Sie sahen traurig aus. Warum auch immer.

Ich sah weg und öffnete den Spiegelschrank. Dort, hinter den vielen Parfumfläschchen meiner Mutter, von denen sie eh immer nur eines benutzte, hatte ich das Messer versteckt.

Ich setzte mich auf den Badewannenrand. Langsam knotete ich das Bandana auf. Ein paar noch recht frische Krusten waren da und ein paar etwas ältere Narben, dünne weiße Linien, die die Ader kreuzten.

Vielleicht war es längst zur Gewohnheit geworden. Vielleicht brauchte ich die Scheiße dringender als Kippen.

Langsam setzte ich das Messer auf meiner Haut an, verstärkte den Druck. Spürte das Metall auf meiner Haut. Sah das Blut aus der frischen Wunde hervortreten. Dann erst spürte ich den brennenden Schmerz.

Ich hatte keinen Grund dazu. Mein Leben war nicht einmal besonders scheiße. Meine Kindheit war nicht besser und nicht schlechter als die anderer im Viertel gewesen. Ich hatte Probleme, aber die hatten wir alle.

Verdammt, es gab keinen Grund für meine Depritour. Hatte es nie gegeben. Es war lächerlich.

Dafür hasste ich mich noch mehr, wie für den ganzen anderen Scheißdreck. Ich war schwach. Schaffte es nicht, mit den kleinsten Sachen umzugehen.

Es gab genug Menschen hier, die wirklich ein Scheißleben hatten. Denen es richtig mies ging. Viel schlechter, als ich mir überhaupt vorstellen konnte.

Aber ich hatte 'ne Familie, die zwar irgendwie verkorkst, aber doch für mich da war. Kein Vater, der mich schlug oder meine Schwestern vergewaltigte. Wir waren arm, aber irgendwie kamen wir doch klar, und die meisten  belächelten mich zwar, doch gemobbt oder so wurde ich nicht. Viele Freunde hatte ich zwar nicht, dafür aber richtige. Wie Vince.

Es könnte mir verdammt gut gehen.

Aber ich hatte nichts anderes zu tun, als mich in meinem Selbsthass zu suhlen.

Ich biss die Zähne aufeinander, während ich langsam die Klinge durch meine Haut zog. Sie zerstörte. Diese scheiß Narben würden für immer bleiben und irgendwie genoss ich den Gedanken.

Ich brandmarkte meine Haut damit, was für ein erbärmlicher Wichser ich war.

Irgendwann klopfte meine Mutter gegen die Tür. »Michele, ab ins Bett mit dir! Du hast morgen Schule«, meinte sie dann auf Italienisch.

»Jaja«, gab ich leise zurück und drückte auf meinem Handgelenk herum. Sah zu, wie sich die offene Wunde ein wenig weitete, wie noch mehr Blut hervortrat.

»Du kannst dir nicht noch mehr Fehlstunden erlauben ... denkst du ernsthaft, du hast mit deinem Zeugnis irgendeine Chance?«

Ich ließ sie reden. Ich kannte ihre Worte ja schon, wusste ja, wie sie von mir dachte. Starrte einfach nur das Blut an, als ob dadurch irgendetwas besser werden würde. Und für einen Moment war es das tatsächlich. Dann verstummten meine Gedanken, die mich so oft zerstörten.

Dann war da nur noch der brennende Schmerz.

Und ich war am Leben.

Das war alles, was zählte.


»Was is' mit dir, fratellino?«, grinste Federico, als wir am nächsten Abend zu Abend aßen. Kurz drehte er sich um und sah mich fragend an, ehe er auch seinen Teller mit Essen füllte. Dabei tropfte Soße auf die Arbeitsplatte, schenkte den Flecken aber keine weitere Beachtung. Sie gingen unter all den anderen unter.

»Was soll sein?« Ich sah ihn kurz an und senkte meinen Blick wieder auf die Spaghetti alla puttanesca, die Fede gekocht hatte. Alessia neben mir panschte mit den Fingern in ihrem Essen herum und pulte die Oliven zwischen den Nudeln hervor. Gloria war bei irgendeiner Freundin, mein Vater wie immer arbeiten und meine Mutter hatte sich im Wohnzimmer verkrochen.

Jay, der mir gegenüber saß, knüllte eine der Servietten zusammen und schleuderte sie in Richtung meines Bruders, den er am Kopf traf. Fede ließ sich dann ebenfalls am Tisch niederließ, natürlich nicht, ohne seinem Kumpel den Mittelfinger zu zeigen. »Fick dich mal, du Idiot.«

»Das also ist Deutschlands Bildungselite?«, gab Jay mit skeptischem Grinsen zurück, während er schon wieder die Hälfte seiner Spaghetti verschlungen hatte. Ich dagegen stocherte noch immer ziemlich lustlos auf meinem Teller herum.

Grinsend boxte mein Bruder ihm gegen die Schulter.

Die Wunden an meinem Arm heilten langsam, begannen zu kratzen und brannten doch bei jeder ungeschickten Bewegung. Sie waren da, würden nicht einfach verschwinden.

Schon gar nicht die Narben.

»Mi mandate il cervello in fumo«, murmelte ich an meinen Bruder gewandt.

»Was sagt er?«, mischte sich Jay ein. War ja mal wieder typisch, immer musste er alles verstehen.

»Lern' halt Italienisch, wenn's dir so wichtig ist«, gab ich gereizt zurück. 

»Dass du ihm auf den Sack gehst«, übersetzte Federico ihm grinsend, der scheiß Wichser. 

»Vaffanculo, Fede! Hab ich gar nich' gesagt«, protestierte ich. »Siete entrambi degli idioti.«

»Und du bist der größte von allen«, grinste mein Bruder. Ich spürte Jays wachsamen Blick auf uns. Konnte er sich nicht mal verpissen? Heute hatte ich echt keinen Bock, mir die Scheiße zu geben.











_______________

strega – Hexe

State zitti! Papà non sta bene – Bleibt ruhig! Papa geht's nicht gut!

Niente – Nichts

Scusa – Entschuldigung

Promesso – Versprochen

Davvero? Me lo devi promettere, va bene? – Wirklich? Du musst mir das versprechen, in Ordnung?

Io giuro – Ich schwöre

fratellino – Brüderchen

Mi mandate il cervello in fumo – Ihr geht mir auf die Nerven

Vaffanculo – Fick dich

Siete entrambi degli idioti Ihr seid beide Idioten.

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