WAS UNS HIGH MACHT | ✓

Von nebelschwere

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❝Das ist es, was uns high macht. Nicht der Kick, nicht der Alkohol, nicht die Joints. Es ist das Leben. Richt... Mehr

before we start
aesthetics
00 | Intro
02 | Schaukel
03 | Fluchtreflex
04 | Hamstern
05 | Ruhe
06 | Schlaglöcher
07 | Brezeln
08 | Revolution
09 | Telefongespräche
10 | Kindheitshelden
11 | Nachrichten
12 | Dächerwelten
13 | Sommergefühle
14 | Gedankenflüge
15 | Winkekatzen
16 | Komplikationen
17 | Großstadt
18 | Nachtwanderungen
19 | Lagerfeuer
20 | Friseurbesuche
21 | Regenbogen
22 | Rückblicke
23 | Glühwürmchen
24 | Outro
before it ends

01 | Freibad

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Von nebelschwere

     ... oder wie wir § 244 StGB herausforderten.


     MAN KÖNNTE MEINEN, Lovis Idee, in eine Eisdiele einzubrechen, um uns still und heimlich an der Vielfalt der Sorten zu vergreifen, um am Ende nur herauszufinden, dass das Eis über Nacht nicht in der bekannten Theke aufbewahrt wird, wäre ein schlechter Einfall gewesen. Die Enttäuschung war, nebenbei bemerkt, entsprechend groß.

     Allerdings bin ich nicht umsonst mit Mathea und Ajax befreundet und nenne Lovis gelegentlich meinen Zwillingsbruder, wenn wir nicht auf noch genialerer Pläne kommen würden. Ich weiß zwar nicht genau, wie es jedes Mal, wenn wir uns für einen Nachmittag verabreden, damit endet, dass wir nachts die Flucht ergreifen müssen, aber ich bin definitiv nicht abgeneigt, es jeden verdammten Tag wieder zu tun.

     Unser Plan, diese gottverdammte Stadt hinter uns zu lassen, ist erst vor wenigen Stunden entstanden, doch vorher gilt es, noch ein paar andere Punkte von unserer Liste abzuhaken, bevor wir uns diesem widmen.

     Also wie gesagt: keine Ahnung, was wir hier genau tun. Und noch weniger Ahnung, wie wir plötzlich hierhin gekommen sind. Fakt ist, dass wir vor dem öffentlichen Schwimmbad stehen und Ajax damit beschäftigt ist, seinen überdimensionalen Körper über den Zaun zu wuchten.

     Mathea, Lovis und ich beobachten den Basketballspieler bloß aufmerksam, aber natürlich würde niemand von uns je auf die absolut absurde Idee kommen, unserem Freund zu helfen. Dafür kann man sein Jammern einfach zu gut genießen.

     «Stell dich nicht so an!», kommentiert Mathea die Kletteraktion unseres Kumpels grinsend. «Wofür trainierst du viermal die Woche, wenn du nicht einmal so einen lächerlich kleinen Zaun hochkommst?»

     «Noch ein Wort und ich komme zurück und werfe dich drüber», ist Ajax' angepisste Antwort, die allerdings ziemlich dumpf zu uns hinunterschallt. «Denn dafür hab' ich definitiv trainiert.»

     «Dann wäre zumindest irgendjemand drüben», meint Mathea schulterzuckend.

     «Ich wusste gar nicht, dass man neuerdings mit Menschen Körbe wirft», wirft Lovis möglichst unbeteiligt ein und zupft an dem Saum seines Pullis, von dem er sich trotz der Sommertemperaturen nicht trennen kann.

     «Tut man auch nicht», erwidert Mathea spöttisch. «Man gibt sie ihnen nur.»

     «Der war schlecht», ertönt augenblicklich Ajax' Gemecker, gemischt mit seinem angestrengten Schnaufen.

     «Also genau in deiner Liga, Kletteräffchen», ruft das schwarzhaarige Mädchen zurück und verdreht ihre saphirblauen Augen. «Und jetzt beeil dich verdammt noch mal! Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.»

     «Es war nicht meine Idee», protestiert unser Kumpel genervt. «Außerdem: wer ist hier gerade derjenige, der hochklettert?»

     Lovis und Mathea tauschen einen kurzen Blick und sie müssen ihre Gedanken nicht einmal aussprechen. Wenn Ajax das Klettern nennt, sind wir beim Morgengrauen noch hier.

     Zweifelnd lege ich den Kopf schief, während ich beobachte, wie er verzweifelt versucht, weiter nach oben zu gelangen. «Ich würde es anders machen.»

     «Dann mach's doch anders!», stöhnt Ajax und ich höre die wachsende Frustration in seiner markanten Stimme.

     Seufzend trete ich einige Schritte näher an den Zaun und betrachte die Absperrung aus zusammengekniffenen Augen. Das Gelände dahinter liegt in getrübter Dunkelheit - die nächste Straßenlaterne ist allerdings nur wenige Schritte von uns entfernt.

     Durch eine höchst unelegante Bewegung, die ich Ajax aufgrund seiner nicht vorhandenen Flexibilität nicht in meinen kühnsten Träumen zugetraut hätte, blickt der Franzose zu mir hinab.

     Einige Strähnen seines blonden Haares fallen ihm ins Gesicht, doch er ignoriert sie geflissentlich und begegnet meinem Blick mit einer ungeduldigen Aufforderung.

     «Also? Kommst du heute noch?»

     Ich atme tief ein, nähere mich dem Zaun noch ein kleines Stückchen und rücke dann abrupt wieder ab – ein schadenfrohes Grinsen auf den schmalen Lippen. «Passt schon. Mach deine Yogaübungen mal schön selber weiter.»

     «Ich hasse dich», brummt Ajax bloß und versucht dann weiter, den Zaun zu erklimmen.

     «Übrigens kommt dein Hintern da oben perfekt zur Geltung», fügt Lovis hinzu.

     «Gott, ihr könnt mich alle mal», flucht Ajax.

     Gespielt angewidert verzieht mein Bruder das Gesicht. «Nein, danke.»

     Ajax' Antwort bleibt aus – oder wir hören sie einfach nur nicht.

     Das wäre kein Wunder bei dem stetigen Rauschen der Autos, die über die nahliegende Autobahn rasen. Zu unserem Glückt liegt das Freibad abseits der meisten Zivilisation und ist gut zwischen den Bäumen versteckt.

     Ein weicher Wind rauscht durch den Wald, er ist eine willkommene Abkühlung.

    «Habe ich eigentlich erwähnt, dass ich hier seit kurzem arbeite und einen Schlüssel für den Eingang habe?»

     Für einen kurzen Moment herrscht Stille, die Ajax schließlich mit monotoner Stimme unterbricht: «Den hast du nicht.»

     Seufzend schüttelt Mathea den Kopf. «Stimmt, hab' ich nicht. Aber arbeiten tue ich hier trotzdem.»

     Genervt stöhnend legt Lovis den Kopf in den Nacken und fährt sich gleichzeitig mit der Hand durch die kupferfarbenen Haare, die so ziemlich das einzige äußerliche Merkmal sind, das wir uns teilen. «Fantastisch. So wird das nie was. Aber danke für die Information.»

     «Hast du einen besseren Plan?», faucht Mathea augenverdrehend, woraufhin mein Bruder abwehrend die Hände hebt.

     «Wir könnten die Aktion einfach abbrechen», schlägt er schließlich schulterzuckend vor und verschränkt die Arme vor der Brust, während sein Blick wieder zu Ajax huscht, der nach wievor auf halber Strecke feststeckt.

     «Ausgeschlossen», lehnt Mathea den Vorschlag sofort ab.

     Auch ich protestiere: «Nein, ich freu' mich jetzt schon die ganze Zeit drauf!»

     «Gott behüte mich», murmelt Lovis verzweifelt, mehr zu sich selbst, als an uns gerichtet.

     Schnaubend angelt Mathea eine Kaugummipackung aus ihrer Jackentasche. «Der bringt dir jetzt auch nichts mehr. Du hast den Vertrag mit dem Teufel bereits unterschrieben.»

     «Oh», sagt mein Bruder und legt gespielt nachdenklich die Stirn in Falten. «Kann ich kündigen?»

     Seufzend schüttelt Mathea den Kopf und wickelt einen Kaugummi aus dem glitzernden Papier. «Nein. Nächstes Mal solltest du mal das Kleingedruckte lesen. Vertrag gilt ab jetzt, bis in alle Ewigkeit.»

     «Auf dass der Tod sie niemals scheidet», füge ich grinsend hinzu.

     Über meinen schlechten Witz schmunzelnd, unterbricht meine beste Freundin ihre Bewegung und blickt amüsiert zu mir hinüber: «Im wahrsten Sinne des Wortes, schätze ich.»

     «Immerhin könnt ihr zwei mir Gesellschaft leisten», meint Lovis und blickt wieder zu Ajax hinauf, der von unserem Gespräch nichts mitzubekommen scheint. «Dann muss ich zumindest nicht für immer in der Hölle schmoren. Sie werden mich ganz schnell gehen lassen.»

     Theatralisch legt er die Hand auf seine linke Brust und schließt schmerzerfüllt die Augen.

     Amüsiert hebt Mathea eine Augenbraue. «Wie kannst du dir da so sicher sein? Wer garantiert dir, dass du da wieder rauskommst?»

     «Die Tatsache, dass wir zusammen ankommen werden», meint Lovis grinsend und blickt zu unserer Freundin hinüber, die sich seufzend einen Kaugummi in den Mund schiebt. «Dann wird jeder merken, dass nur einer von uns es verdient hat, dort unten zu vergammeln. Im Gegensatz zu dir bin ich das süße, kleine Lamm.»

     «Keine große Kunst, mein Freund», erwidert die Angesprochene achselzuckend. «Auch wenn ich das süß nicht unterschreiben würde.»

     Ich ignoriere Lovis' Antwort und lasse seufzend meine Schultern rollen, um die Anspannung in meinem Rücken zumindest ansatzsweise zu lindern.

     Ungeduldig beginne ich loszulaufen, wobei ich Ajax nicht aus den Augen lasse, der sein Ziel beinahe erreicht hat. Stöhnend fahre ich mir über das Gesicht, als mein Körper die ersten Anzeichen von Müdigkeit zeigt. Normalerweise habe ich keine Probleme damit, ein oder zwei Tage ohne Schlaf auszukommen, aber die letzten Nächten habe ich wahrscheinlich insgesamt fünf Stunden die Augen geschlossen gehabt – Blinzeln eingeschlossen. Und so langsam macht sich das auch bemerkbar.

     Wer kam eigentlich auf die absolut bescheuerte Idee, in ein verdammtes Freibad einzubrechen? Wahrscheinlich ich.

     Resigniert lasse ich mich auf dem grasbedeckten Boden nieder und bete, dass an meiner schwarzen Jeans später keine allzu großen Spuren auffindbar sein werden. Meine Sorge stellt sich als begründet heraus, denn das Gras ist vertrocknet und die Erde ebenso. Aber ich bin zu faul, um wiederaufzustehen.

     Der diesjährige Sommer ist so hart und unachtsam wie der letzte – und der davor. Eine Hitzewelle nach der anderen, die die Haut verbrennt und dafür sorgt, dass man allein durch den Gedanken einer simplen Bewegung ins Schwitzen gerät.

     Ich mag den Sommer. Sommernächte sind die besten Erinnerungen – und mitunter auch die einzigen – die sich nachhaltig in meinen Kopf eingebrannt haben.

     Denn Sommer ist vor allem eines: schön. Sommer bedeutet Ruhe, Zufriedenheit und Frieden. Sommer bedeutet lachen, rennen und frei sein. Sommer bedeutet Wärme auf der Haut, strahlende Augen und Freude am Leben. Sommer bedeutet Eis, Strand und bis abends in kurzen Klamotten durch die Gegend spazieren. Sommer bedeutet mit Freunden umherstreunen, Sonnenuntergänge bewundern und sich gegenseitig mit Wasser abspritzen. Sommer bedeutet bis fünf Uhr morgens durch die Straßen rennen, die Musik laut aufzudrehen und stundenlang die Natur zu genießen. Sommer bedeutet glücklich sein.

     Deshalb habe ich den Sommer immer geliebt. Er lässt mich vergessen, was mich zu überwältigen droht. Im Sommer ist kein Platz für Angst, Unsicherheit und Verzweiflung. Im Sommer kann und soll man vergessen, was einem das Herz krampfhaft zusammenziehen lässt. Im Sommer hat man Hoffnung und Zuversicht, dass die Dinge sich bessern werden und nach Tagen voller Regen, Sonnenstrahlen sich den Weg durch den Schauer erkämpfen können und werden.

     Und genau deshalb liebe ich den Sommer.

     «Hey! Ich hab's geschafft!»

     Ajax' begeistertes Rufen reißt mich aus meinen trägen Sonnenblumengedanken und veranlasst mich, neugierig den Kopf zu heben.

     Der hochgewachsene Junge kommt just in diesem Augenblick auf der anderen Seite auf dem Boden auf und taumelt einige Schritte zurück, ehe er schließlich sein Gleichgewicht findet und zufrieden zu uns hinüber blickt.

     Sein Gesicht ist gerötet und einige Strähnen seines Haares kleben ihm an der Stirn, doch das hält Ajax nicht davon ab, sein selbstzufriedenstes Grinsen aufzusetzen.

     «Okay, reicht!», ruft Lovis, sobald Ajax wieder sicher auf beiden Beinen steht. «Wir haben's kapiert – du bist toll. Und jetzt halt' dich bitte weiter an den Plan, danke.»

     «Entspann dich», ruft Ajax grinsend zurück und macht sich mit der Gelassenheit eines blutroten Sonnenuntergangs auf den Weg, der uns wieder ein Stücken näher an das Ziel unseres Planes bringt.

     Rasch erhebe ich mich, klopfe meine Hose ab und folge meinem besten Freund mit schnellen Schritten. Wir laufen auf zwei Geraden, doch anders, als es deren Eigenschaft vorsieht, werden wir uns demnächst treffen und einen Schnittpunkt bilden.

     Ich freue mich darauf, endlich das Tor zu überwinden und mit dem Gewissen am Beckenrand zu stehen, dass wir etwas verdammt Gutes und definitiv Illegales getan haben. Dabei erscheint mir der Aspekt der Illegalität nicht ganz so wichtig.

     «Und ihr seid euch ganz sicher, dass sie hier ist?», erkundigt Ajax sich, während er den Arm in eine Nische zwischen den beiden Verkaufshäuschen zwängt und die Stirn angestrengt in Falten legt.

     «Definitiv», sage ich und beobachte seine Bewegung.

     Endlich scheint er das Gesuchte zwischen die Finger zu bekommen, denn ein erleichtertes Lächen tritt auf seine markanten Züge und seine Muskeln spannen sich an, während er die Leiter zu sich zieht.

     «Thank god!», ruft Mathea erleichtert aus und tritt an meine Seite.

     Ihre langen Haare streifen meinen nackten Arm, was mich daran erinnert, die schwarzze Jeansjacke, die mir mal wieder von den Schultern gerutscht ist, zurück in die richtige Position zu bringen.

     Dann geht alles ziemlich schnell: Ajax schiebt die Leiter durch die Lücke unter dem Tor hindurch, Lovis baut sie auf und Mathea ist die Erste, die hinaufklettert und sich dann auf der anderen Seite hinunterfallen lässt.

     Schnell bin auch ich auf der anderen Seite, Lovis befördert die Leiter durch die Lücke wieder auf unsere Seite zurück und hangelt sich dann wie Ajax, nur etwas schneller, als erwartet, über den Zaun, sodass wir vier schließlich alle im Inneren des Freibads stehen.

     «Warum hast du jetzt dafür eigentlich so lang gebraucht?», erkundigt Lovis sich grinsend und stößt seinem Kumpel spielerisch an.

     Dieser lacht nur leise, erwidert nichts.

     Mit schnellen Schritten folgen wir dem bekannten Kiesweg, der uns zum Becken führen wird. Die Taschenlampen aus Matheas Rucksack sind nützlich und sorgen dafür, dass wir nicht bei jedem Schritt hoffen müssen, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben.

     «Warum haben wir das nicht schon viel früher gemacht?», erkundigt Mathea sich und joggt die letzten Meter auf das Becken zu – ein breites Grinsen auf den Lippen.

      Lächelnd folge ich ihr. «Keine Ahnung. Aber das könnte wir öfter machen.»

     «Du kennst das Motto, Schwesterherz», wirft Lovis ein und legt einen Arm um mich. «Wir machen alles nur einmal, sonst fehlt der Adrenalinkick.»

     Just in diesem Augenblick bemerke ich aus den Augenwinkeln, dass Ajax auf uns zugerannt kommt, doch bevor ich auch nur ansatzweise reagieren kann, hat der hochgewachsene Junge uns reicht.

     Sein Ziel war es wohl, Lovis und mich ins Wasser zu befördern. Dumm nur, wenn man selber zu viel Schwung hat, ins Staucheln kommt und kurzerhand mit im Schwimmbecken landet.

     Mir entwischt ein schriller Schrei, bevor ich im kühlen Nass lande und automatisch die Augen schließe. Das Wasser ist kälter, als erwartet und für einen kurzen Moment erstarrt mein Körper, bis meine Lungen nach Sauerstoff verlangen und ich mit kräftigen Bewegung die Wasseroberfläche durchbreche, um keuchend nach Luft zu schnappen.

     Die Lampe hat die Begegnung leider nicht so gut überlebt und ertrinkt nun erbärmlich im tieferen Wasser.

     «Ihr seht so lächerlich aus», ruft Mathea uns vom Beckenrand aus zu und leuchtet mit ihrer Taschenlampe auf das schimmernde Wasser, welches in groben Wellen gegen die Wände schlägt.

     «Gleichfalls», brumme ich und unterdrücke ein Grinsen.

     Mit schnellen Bewegungen schwimme ich auf den Beckenrand zu, stütze meine Arme auf und verlasse das Wasser.

     Augenblicklich überzieht eine feine Gänsehaut meine nackte Haut, denn, wer hätte es gedacht, meine Jeansjacke hat sich mal wieder von meinen Schultern verabschiedet und hängt nun wie ein Häufchen Elend an mir herab.

     Zitternd fahre ich mir durch die Haare, denn obwohl wir angenehme Temperaturen haben, ist der Unterschied zwischen Tag und Nacht doch spürbar.

     «Du bist so ein Idiot», rufe ich Ajax zu, welcher sich mit Lovis gerade einen interessanten Kampf im Wasser liefert, der eher an zwei Seehunde erinnert, die miteinander spielen.

     Natürlich ignoriert mein bester Freund die Aussage geflissentlich und wirft sich auf Lovis Schultern, welcher mit einem Fluchen untertaucht.

     «Sie benehmen sich wirklich wie Kleinkinder», kommentiert Mathea, während sie sich Lederjacke und Hoodie abstreift und mir letzteres schließlich auffordernd entgegenhält.

     «Gott, danke», seufze ich, nehme das warme Kleidungsanstück an mich, ziehe es über und schlinge dann meine Arme um den zierlichen Körper meiner besten Freundin.

     «Mathea reicht», meint das Mädchen neben mir feixend und erwidert meine Umarmung, woraufhin wir beide lachen, wobei ich meinen Kopf schüttle.

     «Der war so schlecht.»

     «Nicht so schlecht wie Ajax' Witze.»

     Kichernd blicke ich sie an. «Niemand hat schlechtere Witze, als Ajax.»

     «Wahrscheinlich», stimmt Mathea mir nickend zu. «Vor allem, da er selber schon der größte Witz ist.»

     «Das hab' ich gehört!»

     Schmunzelnd dreht das schwarzhaarige Mädchen den Kopf: «Solltest du auch.»

     Lovis und Ajax haben es mittlerweile auch aus dem Becken geschafft und kommen gemächlich auf uns zu. Ihre durchnässten Haare hängen ihnen im Gesicht, doch Lovis ist der einzige, der verzweifelt versucht, etwas dagegen zu unternehmen, während das Wasser Ajax das Grinsen wohl ebenfalls angeklebt haben muss.

     Er war ausnahmsweise mal intelligent genug und hat sich aus Schuhen und Oberteil geschält, bevor er Lovis und mich ins Becken befördert hat. So muss Ajax sich auch nicht um einen klitschnassen Hoodie kümmern. Lovis sieht jedenfalls nicht glücklich aus.

     «Du bist ein Biest», kommentiert Ajax mit gehobenen Mundwinkeln und tippt ihr mit dem Zeigefinger gegen die Stirn, was das schwarzhaarige Mädchen veranlasst, ihn verstört anzublicken.

     «Und was zur Hölle sollte das gerade sein?», will Mathea wissen und hebt eine Augenbraue.

     Schmunzelnd schüttelt Ajax den Kopf und wiederholt die Geste, wobei unsere Freundin genervt zurückweicht. «Weiß nicht.»

     «Dann lass es.»

     «Mal sehen.»

     Amüsiert blicke ich zu Lovis hinüber, doch mein Bruder ist leise fluchend damit beschäftigt, literweise Wasser aus seinem Hoodie zu wringen. Er könnte einem fast leidtun.

     «Wer kommt mit ins Wasser?», erkundigt Ajax sich neugierig und tritt mit leuchtenden Augen an das Becken heran.

     «Danke, aber nein», erwidert Lovis spitz und betrachtet Ajax aus zusammengekniffenen Augen.

     «Ich passe auch», sage ich und schlinge die Arme um meinen Oberkörper.

     Seufzend wendet Ajax den Kopf ab. «Ihr seid solche Langweiler. Mathea?»

     Als sich auch Angesprochene mit einem knappen Kopfschütteln von der Aktion distanziert, stößt Ajax einen weiteren, theatralisch langen, Seufzer aus. Dann dreht er dem Becken den Rücken zu, breitet die Arme aus und lässt sich ins Wasser fallen.

     Die Wellen überspielen meine Füße und mitleidig beobachte ich, wie meine Vans im Schlamm versinken. Wer kam eigentlich auch auf die bescheuerte Idee am Beckenrand ein Beet stehenzulassen?

     «Leute?», Matheas fragende Stimme lässt mich den Kopf heben und neugierig folge ich ihrem Blick.

     «Oh fuck», bringt Lovis hervor, während meine Muskeln sich anspannen. «Ich hab' euch gesagt, dass das eine dumme Idee war.»

     «Was ist los?», erkundigt Ajax sich und reckt den Kopf.

     «Komm da raus!», befiehlt Mathea grob und kommt schnellen Schrittes auf uns zu. «Beeil dich, verdammt.»

     «Hey, was ist los?», widerholt der braunhaarige Junge sich und hievt seinen Körper währendessen aus dem kühlen Nass.

     «Irgendjemand hat uns gesehen», erkläre ich und blicke zurück zum Eingang des Freibads, aus dessen Richtung unheilvolle Lichter durch die Dunkelheit schwirren.

     «Oh», kommentiert Ajax grinsend. «Wir sollten wohl los.»

     «Blitzmerker», erwidert Mathea, wobei ihre mandelförmigen Augen genervt funkeln.

     In Lovis' Körper kommt Bewegung und automatisch folge ich ihm. «Kommt, lasst uns verschwinden.»

     Die lauten Stimmen, die mittlerweile an unsere Ohren dringen, sind der Auslöser für unsere Flucht. Und während wir so schnell wir können über das dunkle Gras hasten, bricht unsere vertraute Gruppe in lautes Gelächter aus.

     Es ist dieser Moment, in dem man sich einfach so verdammt gut fühlt, dass man nicht anders kann, als es zu zeigen. Der Moment, in dem sich glitzerndes Adrenalin mit matter Angst vermischt und zusammen glänzende Freude bildet.

     Hätte uns jetzt jemand gesehen und gehört, wäre er vermutlich ziemlich verwirrt gewesen. Vier Jugendliche, die laut lachend vor huschenden Lichtern davonlaufen, sich in erstaunlicher Geschwindigkeit über den Zaun befördern und anschließend in der nächtlichen Dunkelheit verschwinden.

     Aber vielleicht – und auch nur ganz vielleicht – haben sich die Menschen hier schon an unsere Gruppe gewöhnt. Vielleicht haben sie sich daran gewöhnt, dass wir glänzende Freude fabrizieren und unsere Adern mit grellen Gelbtönen füllen. Vielleicht haben sie sich daran gewöhnt, dass wir unsere eigene lebensspendene Sonne in der verdorbenen Nacht sind.

____

[author's note]

wer bricht mit mir diesen sommer in ein freibad ein? :')

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