Das Geheimnis der Phoenixmagi...

By Lia_Stricker

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Dies ist lediglich nur noch eine LESEPROBE. Wenn ihr wissen wollt, wie es weitergeht, seht doch mal im Buchla... More

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3

Prolog

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By Lia_Stricker

Kennst du diesen einen Moment im Leben, wenn man sicher weiß, dass von jetzt an nie wieder etwas so sein wird wie bisher?

Ich hatte diesen Augenblick als ich gerade einmal fünf Zyklen alt war. Ich war aus meinem Bett gekrochen, weil ich mal wieder nicht schlafen konnte und schlich mich durch die Flure. Die Ereignisse des vergangenen Tages hallten noch immer in meinem Bewusstsein wieder und ließen meinem Geist keine Ruhe. Meine Schwester Lucca und ich hatten unseren Lehrer erneut zur Weißglut getrieben - darin waren wir wirklich sehr gut.

Aber was konnte man auch erwarten, wenn zwei fünfjährige Mädchen von einem alten tattrigen Mann unterrichtet wurden? Diesmal konnte sich unser Lehrer jedoch nicht wieder beruhigen, sodass er zu unseren Eltern ging und noch am selben Nachmittag seine Anstellung bei uns aufgab.

Heute frage ich mich, ob die Ereignisse dieser grauenhaften Nacht anders verlaufen wären, wenn unser Lehrer noch bei uns gewesen wäre. Denn auch wenn er nicht richtig mit uns umgehen konnte, so verstand er sich doch auf die Kontrolle seiner Fähigkeiten. Anders als meine Schwester und ich. Wir hatten erst vor einigen Monden zum ersten Mal unsere Fähigkeiten eingesetzt - aus versehen natürlich - und dabei fast einen ganzen Wald dem Erdboden gleich gemacht.

Vollkommen in Gedanken versunken, bemerkte ich nicht wohin ich ging, bis meine Füße plötzlich auf feuchtem Gras standen. Ich lief in die Mitte des Innenhofs und lies meinen Blick zu den Bäumen schweifen, die den Garten umrahmten. Natürlich konnte ich in der Dunkelheit nichts erkennen und so beschloss ich mich schließlich ins Gras zu legen und zu den Sternen hinaufzublicken.

Mein weißes dünnes Nachthemd zog sich sofort mit Wasser voll und schon nach wenigen Wimpernschlägen war mein Rücken klitschnass, aber das war mir egal, ebenso wie die Tatsache, dass das Gras grüne Flecken hinterlassen würde und meine Mutter dadurch wieder wissen würde, dass ich nachts nicht im Bett war. Ich war zu fasziniert von dem Himmelsspiel über mir, um mir über irgendetwas dergleichen Gedanken zu machen.

Der Nachthimmel war wolkenlos und ich hatte einen perfekten Blick auf die Sternendecke. Der Vollmond schob sich langsam in mein Blickfeld und fasziniert beobachtete ich, wie er seinen Weg über unsere Dächer fortsetzte. Um mich herum zirpten Grillen ein Wiegenlied. Ich fühlte mich vollkommen sicher und spürte wie mich nun doch die Müdigkeit drohte zu übermannen.

Doch ich spürte auch noch etwas anderes.

Etwas, dass ich noch nicht genau benennen konnte. Es kam mir bekannt vor und doch kam ich nicht darauf, was genau es war.

Plötzlich zerriss das Knacken eines brechenden Astes unter einem schweren Stiefel den Frieden der Nacht. Ruckartig setzte ich mich auf und lies meinen Blick erneut zu den umstehenden Bäumen schweifen, konnte jedoch noch immer nichts erkennen. Mühsam rappelte ich mich auf. Meine Glieder waren bereits kurz davor gewesen einzuschlafen.

Still stand ich mitten im Innenhof und schloss meine Augen. Tief ein- und ausatmend lies ich meine Sinne schweifen, genau wie ich es gelernt hatte.

Zuerst kam ich nicht viel weiter als bis zu dem Gras unter meinen Füßen, also holte ich noch einmal tief Luft und lies mich ganz in meine Magie fallen. Langsam breitete sich ein Bild vor meinem inneren Auge aus. Ich sah das Gras, dass den Boden bedeckte, ich spürte die Bäume, die um mich herum standen, unbeständig, unbeugsam und alt wie die Zeit selbst.

Die Gewissheit, sie würden noch viel länger als ich hier sein, erfüllte mich. Die kalten, starken Mauern des Palastes ragten dahinter auf. Auch sie würden noch viel länger als ich existieren, wenn sie entsprechend behandelt würden.

Hinter mir kroch eine Spinne in eine der Mauerritzen und suchte sich einen neuen Schlafplatz. Auch sie wurde von dem plötzlichen Geräusch gestört. Die Grillen waren verstummt, doch ich spürte ganz genau, wo jede einzelne von ihnen sich versteckte. In den Ästen der Bäume schliefen Vögel und Käfer hatten es sich hinter losen Rindenstücken gemütlich gemacht. Ich ließ meine Magie über sie alle gleiten und spürte was sie fühlten. Sie reagierten auf mich und zeigten mir ihre Zuneigung mir gegenüber. Außerdem machten sie mich auf die Präsenz aufmerksam, nach der ich eigentlich gesucht hatte.

Dort war sie.

Zwischen den Bäumen verbarg sie sich im Schatten, doch ich hatte sie trotzdem gefunden. Jetzt wo ich wusste wo sie war, öffnete ich meine Augen und sah sie direkt an. Eine Minute verging und dann noch eine, in der sich keiner von uns beiden rührte. Die Anspannung war nahezu greifbar und als ich die Stille nicht mehr aushielt, machte ich den ersten Schritt.

»Es ist unhöflich einer Dame im Schatten aufzulauern.«

Die Gestalt im Schatten lies ein leises Schnauben hören, bevor sie antwortete: »Das wäre es in der Tat, jedoch nur, wenn Ihr auch wirklich eine Dame seid. Seid Ihr eine wahre Dame?«

Jetzt musste auch ich grinsen.

Sie ging einige Schritte und als der Vollmond Enis Gesicht beleuchtete, konnte ich sein Lächeln auch sehen. Enis ist ein Hexer und einer unserer besten Wächter. Deswegen wurde er auch von meinen Eltern zu Luccas und meinem Leibwächter ernannt. Er trug die dunkelblaue Uniform der Palastwachen. Die silbernen Knöpfe waren ordentlich poliert und reflektierten das Mondlicht.

»Was tust du hier Enis?« Auch wenn ich die Antwort bereits erahnte, wollte ich sie von ihm bestätigt wissen.

»Es ist meine Pflicht auf Euch aufzupassen, Prinzessin«, antwortete er und deutete dabei eine leichte Verbeugung an.

Ich zuckte zusammen. Es war mir unangenehm, von ihm oder sonst irgendwem mit meinem Titel angesprochen zu werden. Lucca ist die Ältere von uns beiden und würde einmal Königin werden. Ich werde immer nur die zweite sein und damit habe ich mich bereits abgefunden. Um so unangebrachter finde ich es immer von allen mit Prinzessin angesprochen zu werden. Schließlich habe ich einen Namen.

»Du weißt ganz genau, dass ich es nicht mag, wenn du mich so ansprichst«, stieß ich aus. Empört verschränkte ich die Arme vor der Brust.

»Ich weiß, dennoch tue ich es gerne, Prinzessin.« Diesmal betonte er meinen Titel, damit ich ihn auch sicher nicht überhöre.

Als wenn ich das jemals könnte. Meine Sinne sind geschärfter als die der meisten anderen und so hörte ich selbst das Schnarchen meines Vaters aus seinen Gemächern, wenn ich mich konzentrierte.

»Was macht Ihr überhaupt hier draußen zu so später Stunde?«, schlug Enis ein unverfänglicheres Thema an.

»Das gleiche habe ich dich auch schon gefragt.«

»Und ich habe Euch geantwortet. Jetzt seid Ihr dran.«

Wenn er sich da mal nicht täuscht.

»Ich bin dir keinerlei Erklärung schuldig, geschweige denn eine Rechtfertigung«, gab ich trotzig zurück.

Normalerweise bin ich nicht so vorlaut, sondern eher wortkarg. Lucca ist die Schlagfertige von uns beiden. Dabei fällt mir etwas ein.

»Woher bist du dir sicher mit wem du redest?«

Normalerweise waren Lucca und ich nicht auseinanderzuhalten und wenn wir uns bemühten, konnten wir den meisten vorspielen, die jeweils andere zu sein. Es gibt kaum einen, der uns auseinanderhalten könnte. Darum packte mich jetzt die Neugier. Vergessen war seine Frage und dass er mich heimlich beobachtet hatte. Ich brannte darauf, zu erfahren wie er mich auf Anhieb erkennen konnte. Lange lies er mich zum Glück nicht auf eine Antwort warten.

»Es war die Art wie Ihr in die Sterne saht«, erklärte er mir.

Das verstand ich nicht und legte den Kopf schräg.

»Eure Schwester scheint mir nicht eine so starke Verbindung zu den Sternen zu haben wie Ihr. Ich sah Euch bereits häufiger die Sterne beobachten. Ihr wirkt dabei viel ruhiger und selbstbewusster, als sonst. Reicht Euch das als Erklärung?«

Jetzt war er es, der den Kopf schräg legte.

Ich musste mir eingestehen, dass er absolut recht hatte. Meine Verbindung zu unseren Wurzeln war schon immer ausgeprägter als Luccas. Sie verstand nie, warum ich nachts stundenlang einfach nur zu den Sternen hinaufblicken konnte. Lucca war ein echter Wildfang. Sie brauchte immer Aktion und Bewegung.

Oft wird uns gesagt, wir seien wie zwei Seiten des gleichen Amuletts. Lucca ist die ungestüme, wilde, unaufhaltsame Seite und ich die ruhige, berechnende, kontrollierte Seite. Bisher versuchten wir immer das abzustreiten und je häufiger wir es hörten, desto mehr versuchten wir dagegen anzukommen. Doch je mehr wir versuchten aus diesen Käfig auszubrechen, desto mehr wurden wir zu dem, was sie in uns sahen. Es scheint ein endloser Kreislauf zu sein, aus dem wir nicht mehr herauskamen und niemals herauskommen würden.

Ich war vollkommen in Gedanken versunken als plötzlich der Boden unter meinen Füßen zu vibrieren begann.

Eine Explosion sorgte dafür, dass alle Tiere des Innenhofes mit einem Schlag wach waren und flüchteten.

Der Geruch von Rauch wurde vom Wind zu uns heran geweht. Irgendwo musste etwas brennen, doch ich konnte nicht sagen wo es war. Ich schloss meine Augen und wollte erneut meine Magie nutzen, um die Ursache für diese Unruhe zu finden.

Noch bevor ich mich richtig konzentrieren konnte, packte mich Enis grob am Handgelenk und zog mich mit sich zu den Bäumen. Darauf war ich nicht vorbereitet, weswegen ich anfing zu stolpern. Enis zog mich kontinuierlich weiter mit sich und so fing ich mich schnell wieder.

Kaum hatten wir den Wald erreicht, erschütterte eine weitere Explosion den Garten. Ich stolperte über eine Wurzel und fiel der Länge nach in ein weiteres Wurzelgeflecht. Ein stechendes Pochen breitete sich von meinen Handballen und meinen Knien in meinem Körper aus.

Enis lies mir keine Zeit über meine Verletzungen nachzudenken. Er griff erneut nach meinem Arm, zog mich auf die Beine und gemeinsam rannten wir durch die Bäume auf einen Ausgang aus dem Garten zu.

Besser gesagt, Enis eilte voraus und zog mich hinter sich her. Mir blieb nichts anderes übrig als ihm zu folgen. Er hielt meinen Arm so fest, dass ich mir sicher war, es würden blaue Flecken zurück bleiben. Aber ich war mir auch sicher, dass ich froh sein könnte, wenn ich diese Nacht überhaupt überlebte.

Eine erneute Explosion erschütterte die Nacht und der Boden unter mir begann zu beben.

Von der Mauer vor uns fielen einzelne Kieselsteine herunter. Vielleicht hatte ich mich getäuscht. Vielleicht würde die Mauer doch nicht länger als ich existieren.

Wir erreichten eine Tür, die uns zurück ins Innere des Palastes führte. Drinnen mussten sich meine Augen nicht erst an andere Lichtverhältnisse gewöhnen.

Die Lichter, die normalerweise die Nacht über in den Fluren des Palastes brannten, waren erloschen.

Enis fluchte neben mir. Ich konnte ihn verstehen. Diese Lichter waren magisch. Sie sollten eigentlich nicht einfach so ausgehen.

»Hör mir jetzt ganz genau zu, Micah.« Enis kniete sich vor mich hin, sodass wir nun auf Augenhöhe miteinander waren.

Er konnte sich meiner ungeteilten Aufmerksamkeit sicher sein. Ich war mir bewusst wie ernst die Situation war, sonst hätte er mich nicht bei meinem Namen angesprochen.

»Micah es ist meine Pflicht dich und deine Schwester zu beschützen. Momentan sind wir zu weit von Lucca entfernt, als dass ich euch beide gleichzeitig beschützen könnte. Darum werde ich jetzt zuerst dich in Sicherheit bringen und danach zu deiner Schwester gehen und sie zu dir bringen. Hast du das verstanden?«

Ich nickte. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und die kalte Hand der Panik schloss ihre Klauen um mein Herz. Meine Schwester war ganz alleine in unserem Zimmer am anderen Ende des Schlosses. Ich hätte auch da sein sollen. Wäre ich nur nicht aufgestanden und in den Garten gegangen, dann wären wir jetzt zusammen und Enis hätte uns beide beschützen können. So war er mir gefolgt und musste meine Schwester ganz allein lassen. Tränen stiegen mir in die Augen und verschleierten meine Sicht.

»Micah sieh mich an«, sanft hob Enis mein Kinn an, sodass ich ihn in die Augen sehen musste.

Er hatte Mühe seine Kräfte zu bändigen. Ich sah wie in seinen Augen ein Sturm aus Blitzen tobte. Er würde alles dafür tun, dass mir nichts passierte. Ich versuchte den Kloß herunterzuschlucken und blinzelte die Tränen weg.

Als meine Sicht wieder klarer wurde, nahm ich all meinen Mut zusammen und nickte. Das reichte Enis und er richtete sich wieder auf. Aufmerksam beobachtete er die Gänge zu unserer rechten und linken.

Wenn wir nach rechts gehen würden, kämen wir zum Ballsaal, von da aus würde uns eine Treppe direkt in die Küche führen und dort gab es einen Gang zu einem Schutzraum. Doch dieser Weg war lang und gefährlich. Da wir nicht genau wussten, wo sich die Angreifer befanden, konnten wir es unmöglich riskieren durch die große offene Fläche des Ballsaals zu laufen. Andererseits sah die Alternative auch nicht viel besser aus.

Nach links führte uns der Flur direkt zum Eingangsbereich und vermutlich zum Hauptangriffsziel der Eindringlinge.

Ich konnte es in Enis Gesicht ablesen, er rang mit sich. Eines war sicher: Hier bleiben konnten wir definitiv nicht.

Wir standen wie auf dem Präsentierteller und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis sie uns finden würden. Ich spürte die Gefahr, die uns umgab. Sowohl vom Ballsaal als auch aus der Eingangshalle strömte sie uns in heißen starken Wellen entgegen.

Aber ich spürte auch eine kühlen Luftzug und der kam nicht von draußen. Es gab einen Weg, der für uns sicherer war, als die Alternativen und es war kein Weg, den Enis kannte.

Lucca und ich hatten ihn erst vor zwei Wochen bei einem unserer Streifzüge durch den Palast entdeckt. Ich ging auf die gegenüberliegende Wand zu, missachtete dabei den Protest von Enis hinter mir. Mit etwas Kraft drückte ich gegen einen losen Stein in der Wand. Kurz darauf schwang eine kleine Tür unter mir auf. Sie war gerade groß genug, dass Enis hindurch kriechen konnte. Auch ich musste mich bücken, um hindurch zu passen.

Ich sah die Überraschung in Enis Gesicht. Auf Meinem breitete sich ein leichtes Grinsen aus.

Lucca und ich kannten Geheimnisse unseres zu Hauses, von denen niemand sonst wusste.

Aus der Eingangshalle drangen Stimmen und schnelle Schritte kamen auf uns zu. Wir krochen in den Geheimgang und hörten noch wie die Alarmglocke anfing zu läuten bevor die Tür hinter uns wieder ins Schloss fiel.

Der Gang lag in vollkommener Dunkelheit vor uns und Stille umhüllte uns. Wir lauschten gespannt auf die Geräusche, die durch die Wand drangen. Doch die Mauer war einfach zu dick und wenn wir nicht die Tür öffneten würden wir nicht hören, was da draußen vor sich ging. Doch das wiederum würde den Angreifern verraten, wo wir waren und das war nicht geplant.

Diesmal griff ich nach Enis Hand und zog ihn hinter mir her. Ich brauchte kein Licht, um mich im Tunnel zurecht zu finden. Meine Füße führten mich zielsicher hindurch ohne, dass ich einmal ins Stolpern geriet. Anders als Enis. Hier war er es, der nicht aufhören konnte mit seinen eigenen Füßen hängen zu bleiben.

Wieder konnte ich es mir nicht verkneifen zu grinsen. Ich sollte eigentlich starr vor Angst sein. Doch in diesem Geheimgang innerhalb der Mauern, die meine Vorfahren erbaut hatten, fühlte ich mich sicher. Ich spürte, wie sie bei uns waren und mich leiteten. Lucca zog mich immer damit auf, dass ich glaubte unsere Ahnen zu spüren.

Lucca.

Ich begann zu stocken und wurde langsamer, bis ich schließlich stehen blieb. Meine Schwester war ganz allein. Ich konnte ihr nicht helfen.

Was, wenn wir nie wieder gemeinsam durch die Geheimgänge schleichen werden?

Wenn wir nie wieder gemeinsam unsere Eltern ärgern würden?

Wenn sie mich nie wieder aufziehen konnte?

Ich musste zu ihr.

Jetzt.

Enis lief fast in mich hinein, als ich anhielt. Scheinbar konnte er sich denken, was ich vor hatte. Er packte mich grob an meinen Schultern und drehte mich zu sich um. Die Blitze loderten immer noch in seinen Augen aber da war noch etwas anderes, was ich nicht benennen konnte.

»Ich weiß, was du vorhast Micah. Du musst mir vertrauen. Ich werde deine Schwester beschützen, sobald ich weiß, dass du in Sicherheit bist.«

Ich schüttelte den Kopf. Er konnte sie nicht beschützen.

»Sie ist meine Schwester. Es ist meine Aufgabe auf sie aufzupassen.«

Er begann mich zu schütteln. »Komm zur Vernunft Micah. Du kannst sie nicht beschützen. Überlass das mir. Das ist meine Aufgabe.«

Ich riss mich von ihm los und rannte weiter durch den Gang. Ohne meine Führung hatte Enis Schwierigkeiten mir zu folgen. Vor mir lag der Ausgang. Durch diese Tür gelang ich wieder auf einen Flur. Hier lagen Trümmer der Tür auf dem Boden verstreut.

Wir waren jetzt auf der anderen Seite der Eingangshalle. Vorsichtig schlich ich an die Wand gedrückt in ihre Richtung.

Ich hörte Stimmen, konnte jedoch nicht herausfinden, woher sie kamen.

Plötzlich legte sich eine verschwitzte Hand auf meinen Mund und jemand drückte mich an sich. Ein raues Lachen erklang, erbebte den Körper, der mich hielt, als ich versuchte zu schreien und um mich zu schlagen. Er hob mich hoch und trug mich mühelos ins Foyer.

»Seht mal, wen ich hier gefunden habe. Dachtest wohl, du könntest uns ganz allein überwältigen, was? Tja, falsch gedacht, kleine Prinzessin.«

Der Mann begann laut zu lachen und seine Freunde stimmten mit ein. Erst jetzt konnte ich erkennen, wie viele es waren. Vier kamen von beiden Treppen aus dem ersten Stock herunter gelaufen, fünf kamen aus dem Gang zum Ballsaal und drei kamen hinter uns aus dem Gang. Zwei weitere standen zwischen den Resten der großen Eingangstür. Das würde zumindest eine der Explosionen erklären. Sie hatten die Flügeltür irgendwie aufgesprengt.

»Sie ist nicht allein.«

Enis stand mitten im Flur, ein Schwert in der Hand. Blitze zuckten über seinen Körper. Er war kurz davor seine Kraft zu entfesseln und wie ein Wirbelwind alle zu töten, die ihm im Weg standen. Das hatte ich bei ihm schon oft beobachtet. Die anderen Wächter hatten auf dem Übungsplatz keine Chance gegen ihn, wenn er erstmals richtig wütend wurde. Und jetzt, daran gab es keinerlei Zweifel, war er richtig wütend. Und er würde sich nicht zurück halten, wie gegen seine Freunde. Er würde sie alle töten.

Doch noch bevor er auch nur einen Schritt in unsere Richtung machen konnte, ragte eine Schwertspitze aus seinem Brustkorb. Seine Augen weiteten sich und unsere Angreifer begannen zu lachen. Mit einem Ruck wurde das Schwert wieder aus ihm herausgezogen. Enis befühlte mit der freien Hand die Wunde und starrte ungläubig auf das Blut auf seinen Fingerspitzen. Sein Schwert fiel ihm scheppernd aus der Hand und er fiel auf die Knie. Den Blick stur auf mich gerichtet, sagten mir seine Augen alles, wofür ihm bereits die Kraft fehlte.

Ich sah die Trauer, dass er sein Versprechen nicht halten konnte, dass er mich nicht beschützen konnte, dass er meine Schwester nicht retten konnte und die Resignation, dass er nun hier sein Ende finden würde. Aber da war noch etwas anderes in seinen Augen, es war Hoffnung.

Hoffnung, dass trotz allem alles wieder gut werden würde. Hoffnung für unser Königreich. Hoffnung für unsere Zukunft. Und dann zog sich der Schleier des Todes über seine Augen und seine Blitze verstummten.

Ich hörte weder den Aufprall seines Körpers, noch das Lachen seines Mörders. Ein dumpfer Schmerz breitete sich in mir aus und umschloss mein Herz, verbarrikadierte es hinter einer dicken Mauer, verschloss meine Gefühle. Eine Kraft baute sich in mir auf, an der ich bisher nur an der Oberfläche gekratzt hatte. Sie übernahm die Kontrolle über meinen Körper, füllte auch den letzten Winkel aus und schwoll immer weiter an.

Ich begann zu schreien und meine Magie bahnte sich einen Weg nach draußen. Sie schoss durch alles und jeden in meiner Umgebung.

Ich spürte die Siegessicherheit, die Angst, die Verletztheit, die Trauer, die Hoffnung, die Zuversicht und noch vieles mehr eines jeden. Und ich spürte ihre Lebensenergie. Ich wusste wie viel Zeit einem jeden noch bleiben würde.

Doch diese Zeit war nun um.

Dafür sorgte ich.

Niemand der Angreifer in der Halle würde überleben. Meine Magie verzehrte sie alle und ich konnte sie nicht aufhalten, selbst wenn ich es gewollt hätte.

Dies war der Moment, in dem ich wusste, dass von nun an nichts mehr so sein wird wie bisher.

Die Welt um mich herum begann sich zu drehen und als meine Magie auch den Letzten von ihnen aufgezehrt hatte, breitete sich eine undurchdringliche Schwärze von den Rändern meines Sichtfeldes aus und verschlang mich, führte mich in ein Reich ohne Träume.

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