🌊Der Stern des Meeres🌊*Watt...

Oleh Thyrala

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1601: "Die See ist nichts für Feiglinge!" - Lorena bekommt nichts geschenkt, aber das macht sie stark. Sie be... Lebih Banyak

Personenverzeichnis
Vorwort
Schiffbruch
Gestrandet
Ein neues Leben
Gefährliche Wattwelt
Das Gold der Uthlande
Der Blanke Hans
Schicksal
Der Gast
Eilien
Unterricht
Matt
Der Luftgeist
Absturz
Zehn Tage
Die Strafe
Aussprache / Amrum
Freunde
Strandjer
Pläne
Ein Geheimnis
Abschied
Sehnsucht
Bleiben oder gehen
Hindernisse
Abfahrt
Leinen los!
Von Bilge und Back
Der Quartiermeister
Von Gesangbuch und Knoten
Gegenwind
Der Teufel an Bord
Die schwarze Liste
Durchhalten
Der Geist
Kräftemessen
Waffenstillstand
Atempause
Rivalen
In geheimer Mission
Der Schwur
Von Kanonen und Schwarzpulver I
Von Kanonen und Schwarzpulver II
Mann gegen Mann
Gerrit
Drill und Seepest
Türkisblau
Hitze
Vorzeichen
Im Auge des Sturms I
Im Auge des Sturms II
Der neue Navigator
Konfrontation

Hoch hinaus

233 36 73
Oleh Thyrala

Wie gewohnt hatte Rix die Mahlzeit und das Geschirr bereitgestellt, unverzüglich brachte Lorena alles in die Back. Kaum stand die Schüssel mit der dick gekochten Gerstengrütze sowie die Kanne Wasser auf dem Tisch, tauchten die Freunde auf.

„Moin, moin!", murmelten sie schlaftrunken und setzten sich.

„Moin, moin", grüßte sie zurück und wünschte lächelnd „Goed appetit!"

Außer einem gebrummten „Hmm ..." – was wohl „Danke" heißen sollte, brachten sie kein Wort mehr heraus und konzentrierten sich allein aufs Essen. Lorena verstand sie nur zu gut. Kein Wunder – abwechselnd vier Stunden Dienst, vier Stunden Schlaf, ob Tag oder Nacht, durchschlafen nur jede vierte Nacht – vorausgesetzt, es kam kein Unwetter dazwischen, dann hieß es „alle Mann an Deck!" und die Ruhepause war vorbei. So gesehen, hatten es Schiffsjungen besser; sie waren vom Wachdienst ausgenommen.

„Wo ist eigentlich der Backsmeister?", erkundigte sie sich. „Und wo bleiben die anderen beiden?"

„Die pennen lieber noch und begnügen sich mit Zwieback", nuschelte Ove während des Kauens.

Einen Augenblick lang stellte sie sich vor, wie der Backsmeister, den Zwieback zwischen die Zähne geklemmt, gleichfalls am Tau zog ... eine drollige Vorstellung! Gleichzeitig erkannte sie die günstige Gelegenheit, dass sie ungestört miteinander reden konnten. Sie wartete ein wenig, bis die Freunde munterer wurden und berichtete knapp, wie es ihr heute ergangen war – im Flüsterton, damit nicht etwa der Wind ihre Worte an fremde Ohren weitertrug.

Sjard raunte zurück: „Finde ich gut vom Quartiermeister, dass er dich zum Einarbeiten ans Tauwerk geschickt hat. Da lernst du mehr."

„Schön wär's", entgegnete sie, „genau das ist mein Problem." Sie musste bitter geklungen haben, denn ihre Bemerkung weckte Janko aus seinem Halbschlaf.

Er schüttelte sich kurz und richtete sich kerzengerade auf. „Wieso?", verlangte er zu wissen.

„Pschscht! Sei leiser", mahnte Sjard, was Janko mit einem Schnauben quittierte.

„Niemand will mir etwas zeigen oder erklären", fuhr sie fort. „Nur heute gab es mal eine Ausnahme."

Janko wechselte mit Sjard einen grimmigen Blick. „Das geht gar nicht! – Heute machen wir das anders: Sjard, du lernst Ove und mich an, und Roluf kümmert sich um Lyka ... äh, Timo allein."

Nachdenklich rieb sich Roluf das Kinn. „Das ist aber so üblich, Janko. Seeleute machen nicht viel Worte; die warten geradezu darauf, dass sich ein Moses blöd anstellt, um ihn dann nach Strich und Faden zu veralbern. Es kann dauern, bis einer Lust hat, eine Unterrichtsstunde zu geben."

Statt einer Antwort trommelte Janko mit dem Fingern auf die Tischplatte. Eine steile Falte stand auf seiner Stirn.

Da gab Roluf nach. „Du hast recht, unsere Lyka soll nicht zum Gespött werden. Ich versuche mein Bestes, aber ich muss auch meine Arbeit tun."

„Bleib' in ihrer Nähe und erklär' ihr soviel wie möglich", erwiderte Janko. „Einfach jede Gelegenheit nutzen."

„Ich mach' alles mit!", beteuerte Lorena. „Egal, was."

Roluf nickte, aber er schien nur halb überzeugt. „Na, ich nehme dich beim Wort. Also kommst du mit mir."

„Dann ist es abgemacht!", stellte Janko fest. Seine Züge entspannten sich.

„Hatte Thorsson nicht gesagt, wir Friesen sollen zusammenhalten?", bemerkte Sjard.

„Eben!", gab Janko flugs zurück, zischte „Eala Frya Fresena", und berührte den Bernsteinanhänger an seinem Hals.

Ohne zu zögern, machten Ove, Sjard und Roluf es ihm nach und nickten einander feierlich zu. Auch Lorena hatte ihren Bernstein berührt. Mehr als je begriff sie die Charaktereigentümlichkeit der Friesen. Das ‚Heil, freie Friesen!' war in ihrem Herzen tief verwurzelt, so sehr, dass sie die strengen Regeln auf dem Schiff zwar akzeptierten, aber davon innerlich unberührt blieben. Für sie gab es nur eine einzige Regel, die über allem stand: Ein Friese bleibt immer frei! Hoffentlich ging es gut und die einstigen Strandjer hielten sich an den Bordkodex. Thorsson würde nicht mit sich spaßen lassen, und dieser Bulle von Hochbootsmann hatte etwas Gewalttätiges an sich.

Bing-bing!", schrillte es durchdringend von achtern.

Die Schiffsglocke!

„Bing ... bing ... biing...!!"

Am Ende waren es vier Doppelschläge. Der Schichtwechsel stand an, Zeit für die Vormittagswache. Sie dauerte von acht bis zwölf Uhr mittags.

„Komm' nach, sobald du aufgeklart hast", sagte Roluf zu ihr.

Sie nickte. „Bis gleich!"

Nun trafen auch die übrigen Backsmitglieder ein, die Freunde sprangen auf und schlossen sich an. Gemeinsam hasteten sie zum Hauptdeck; dabei kam ihnen schon die abtretende Wache entgegen, die ihnen „Goede Wach!", zurief, woraufhin sie ein kräftiges „Goede Ruh!", zurückgaben.

Mit diesem Begrüßungsritual war der Wachwechsel abgeschlossen, und für Lorena begann das Abbacken und Aufklaren, was sie eilig, aber dennoch gründlich erledigte. Pfusch wurde nicht geduldet, sonst hagelte es von der nächsten Backschaft Beschwerden, wenn sie Schmutzflecken oder gar Speisereste am Platz vorfand.

In der Kombüse war Rix in eine Beratung mit dem Bottelier – dem Proviantmeister – vertieft. Sie verglichen Listen und besprachen die Ration von Graupen und Erbsen sowie die Verteilung der Getränke. Während sie das Geschirr spülte, hörte sie mit einem halben Ohr zu und schnappte auf, wie der Bottelier ankündigte, dass er gleich dem Schipper Bericht erstatten wolle. Aha, so weiß Bakker stets Bescheid und kann für Notzeiten vorsorgen, dachte sie. Es war ein gutes Gefühl zu wissen, wie akribisch der Mundvorrat überwacht und eingeteilt wurde. Solange der Koch abgelenkt war, konnte sie sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren. Bald war auch der letzte Teller sauber und ordentlich in die Mulde des Regals gesteckt. Zufrieden verließ sie die Kombüse, von Rix unbemerkt, der dem Bottelier den Küchenzettel erklärte.


Auf dem Hauptdeck hielt sie nach Roluf Ausschau. Sie entdeckte ihn vor den Nagelbänken, wo er sich anscheinend mit dem korrekten Sitz der Belegung beschäftigte. Sjard, Janko und Ove waren nirgendwo zu sehen, vermutlich arbeiteten sie im Zwischendeck.

Sie lief auf Roluf zu. Auch er hatte sie wohl längst im Blickfeld gehabt und sie erwartet. Kaum stand sie neben ihm, fragte er im beiläufigen Ton: „Was habt ihr heute Morgen genau gemacht?" Er hielt den Blick von ihr abgewandt und „überprüfte" weiterhin gewissenhaft die Belegnägel. Sie begriff sein scheinbares Desinteresse sofort – der Profos oder der Backsmeister sollten nicht mitbekommen, dass sie in Wahrheit nur herumstanden. Sie ihrerseits tat nun so, als gehorchte sie seiner Anweisung und steckte hier und da ein Tau fest.

„Wir zogen an einem Seil", antwortete sie, „und -"

„Ein Seemann sagt niemals Seil dazu, sondern Tau", verbesserte er sie gleich. „Ein Tauende ist ein kurzes Seil. Die Taue laufen über Flaschenzüge – den Taljen – und Blocks. Und es waren Brassen, die ihr gezogen habt, damit werden die Segel nach rechts, steuerbord, oder links, backbord, gedreht ..."

„Äh, ja. Dabei riefen sie etwas Merkwürdiges, es klang wie ‚haul, haul' ..."

Er ließ ein unterdrücktes Lachen hören. „Damit ist hahlen gemeint. Es bedeutet ganz einfach: ziehen!"

„Ziehen?! Nichts weiter? – ‚Ich hahle dir die Ohren lang', sagt man das auch?"

Fast hätte er einen Schluckauf bekommen. „Nee, das gilt nur für das Ziehen oder Holen des Taus!"

„Oh, danke, nun weiß ich viel mehr. Aber ich mache mir Sorgen ..."

„Sorgen? Wieso?"

„Was ist, wenn ich es nicht schaffe?", vertraute sie ihm ihren geheimen Kummer an. „Bis jetzt habe ich Glück gehabt. Aber ich fürchte, ich bin zu schwach, zu ungeschickt ... die Arbeit an Bord ist härter, als ich dachte."

Roluf drehte sich zu ihr um und sah sie verständnislos an. „Nu' hör mal, jammer' nich' so 'rum! Hast du beim Brassen Schläge kassiert? Oder wurdest angebrüllt?"

„Nichts von alldem. Ich habe die ganze Zeit gezogen und gezogen ..."

Er hielt den Daumen hoch. „Na also! Dann scheinst du tüchtig gewesen zu sein, und alle waren zufrieden mit dir. Manche Schiffsjungen schaffen es noch nicht mal, vernünftig am Tau zu ziehen, ohne auf die Nase zu fallen, sie sind viel schwächer als du! Und sie drücken sich vor der Arbeit, wo es nur geht; kein Wunder, dass sie geschlagen werden. – Das wird schon, hab' Geduld. Seeleute pflegen einen rauen Umgangston, trotzdem können sie ganz feine Kerle sein. Wirst schon sehen."

„Meinst du?"

„Klar. Trau dir mehr zu!"

TRAU DIR MEHR ZU. Ein Knoten platzte ... was hatte sie an jenem Morgen auf Süderoog, bei der Beratung, geschworen? ‚Mitten durch dunkle See und die Hölle hinab'?  Und nun war sie so verzagt? Beim blanken Hans, sie war sich selbst untreu geworden! Sie holte tief Luft und straffte sich. Schluss jetzt mit dem Selbstmitleid und beweisen, dass sie den Mund nicht zu voll genommen hatte!

„Danke, Roluf, du hast so recht damit. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist."

„Schon gut", winkte er ab und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Nagelbank zu. „Was willst du weiter wissen?"

„Gibt es irgendeinen Kniff, wie man lernen kann,  sich diese unzähligen Seemannsknoten und ihre Namen zu merken? Das ist so kompliziert!"

„Den gibt es tatsächlich – nämlich eine Knotentafel! Das ist ein Brett, auf dem vielerlei Knoten mitsamt den Namensschildern befestigt sind. Ich zeige dir noch, an welcher Wand diese Knotentafel hängt ... schau dir alles an, suche dir einen freien Belegnagel und übe daran mit einem Tau."

Sie nickte froh. „Das ist doch mal eine Lösung! – Außerdem schreibe ich mir auf, welches Tau auf welchen Belegnagel gehört."

„Dann notiere auch gleich die Bezeichnungen der Segel dazu. Die Zeelandia ist mit folgenden Segeln ausgestattet: Rahsegel, Lateinersegel und einer Blinde."

„Blinde??"

„Die Blinde befindet sich unter dem Bugspriet. Dadurch lässt sich das Schiff leichter steuern. Außer bei hohem Seegang, dann schaufelt sie nur Wellen statt Wind."

„Aha. Dann erkläre mir noch: was bedeuten Wenden und Halsen? Davon habt ihr gestern in der Back gesprochen."

„Das sind Segelmanöver zur Kursänderung. Bewegt man das Schiff mit dem Bug durch den Wind, heißt das Wenden, soll es mit dem Heck durch den Wind, so nennt man das Halsen. Gerade am Anfang der Reise werden viele Handgriffe zum Segelsetzen eingeübt, bei Sturm müssen wir alles im Schlaf beherrschen. Noch ist die Mannschaft nicht aufeinander eingespielt, es sind viele neue Männer hinzugekommen, von denen wir nicht wissen, wie sie sich einfügen werden."

„Das ist ja sehr aufwendig ..."

„Ist es auch. Momentan bläst der Wind aus der Gegenrichtung, so müssen wir kreuzen, also mehrmals wenden. Ein solcher Zick-Zack-Kurs kann uns mehrere Wochen kosten."

„Uff, das klingt nicht gut!"

Bisher waren alle Fragen und Antworten in großer Hast erfolgt, nun schwiegen sie eine Weile, gingen ein paar Schritte auseinander, näherten sich einander langsam wieder an, als würden sie sich zufällig begegnen, wobei sie auf genügend Abstand achteten. Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme, damit es nicht aussah, als ob sie die Köpfe zusammenstecken und etwas aushecken wollten. Ein Profos war darauf gedrillt, überall Meuterei zu wittern.

Nach einem verstohlenen Seitenblick begann Roluf von neuem mit seinen Erklärungen. „Wenn zum Beispiel das Kommando ‚Heiß auf' gegeben wird, dann bedeutet das Segelsetzen und -"

„Klar zum Aufentern!", schallte es von achtern. „Reffen! Das ist eine Übung!"

Unvermittelt packte Roluf ihren Arm und zog sie zu den Wanten. „Aufentern heißt hinauf ins Rigg, Also 'rauf!"

Entsetzt schüttelte sie den Kopf, ihr Herz trommelte. „Was, ich auch? Jetzt?" Sie blickte hoch in das Gewirr von Seilen, Tauen und mächtigen Segeln. Bis auf die Dünenberge von Amrum und den Kirchturm von St. Salvator hatte sie nur das flache Land gekannt – abgesehen von den Wellenbergen, die der blanke Hans auftürmte.

„Ja, jetzt!", blaffte er sie an. „Noch kann ich dir helfen und zeigen, wie man in den Masten herumklettert. Oder willst du warten, bis man dich allein hinaufjagt?!"

„N ... nein."

„Na los. Wir steigen nebeneinander hoch." Er griff in die Wanten und und war mit einem Satz in der Takelage.

Sie krallte ihre Hände ins Tau und stieg nach oben, bis sie neben ihm war.

„Merke es dir gut, zu deiner eigenen Sicherheit", redete er ihr weiter zu, „es befindet sich immer nur eine Hand oder ein Fuß in der Luft! Das heißt, du hältst dich entweder mit beiden Händen und einem Fuß, oder mit einer Hand und zwei Füßen in den Wanten. Und niemals auf der Lee-Seite aufentern, sonst drückt dich der Wind weg. – Guck' her, wie ich es mache ..."

Jede seiner Bewegungen beobachtend, setzte sie wie er die Füße, suchte den Rhythmus zu finden, zwei Füße – eine Hand – zwei Hände ... Geh weiter, immer weiter, spornte sie sich an. Die Wanten sind nur Strickleitern, sonst nichts.

Auf diese Weise stiegen sie gemeinsam aufwärts, im langsamen, aber stetigen Tempo, hoch und höher.

"Nicht nach unten sehen, sonst kommst du ins Straucheln", mahnte Roluf und setzte zu einem neuen Schwung an. Bewundernd verfolgte sie, wie er im Rigg  herumkletterte. Wie gewandt und geschmeidig das aussah! Das wollte sie auch können.

Nicht nach unten sehen. Leicht gesagt.  Doch zu ihrem eigenen Erstaunen gewöhnte sie sich recht schnell an die neuartigen Bewegungen. Ihr Körper ließ sie nicht in Stich; die Waden waren ausreichend kräftig, das jahrelange Training der Wattwanderungen machte sich bemerkbar und erleichterte ihr, sich hochzuhangeln. Dank der Schwielen an den Händen konnte sie geradewegs zupacken, obwohl der kalte Wind die Taue hart und steif gemacht hatte. Es machte ihr überhaupt nichts aus. Mit neuem Mut stürmte sie Roluf nach.

Er jedoch schrie ihr eine Warnung zu: „Laangsam! Sonst rutschst du ab!"

Da zügelte sie das Tempo. Er hatte recht. Mit Bedacht stieg sie weiter, achtete auf jeden Griff und Tritt, hielt sich dicht hinter Roluf, der sie führte. Allmählich schlug ihre Beklemmung in Begeisterung um. Es war so schön hier oben! Sie fühlte sich frei wie ein Vogel – unter sich das weite Meer, das Schiff, das sich gleichmäßig hob und senkte, die Segel ringsum, die im Wind knarrten und ächzten. Das Salz auf den Lippen, ein herrlicher Geschmack nach Freiheit ... wie gerne hätte sie die Arme ausgebreitet, als wären sie Flügel!

„Halt, bleib' da", riss Rolufs Stimme sie aus den Träumen. „Reffen dürfen nur Toppgasten, also Matrosen, die im Rigg erfahren sind. Schau du nur zu!"

Sie suchte sich einen sicheren Halt und klammerte sich an einem Tau fest. Atemlos sah sie zu, wie Roluf zusammen mit anderen Seeleuten ein schwankendes Tau unterhalb der Rah bestieg, sich dann bäuchlings über die Querstange legte und die Segel einholte. Das sah nach einem  Balanceakt aus – wie anstrengend und gefährlich mochte es erst sein, sie bei Sturm und Gewitter zu bergen? Ihr wurde flau.

Nachdem die Segel mittels der Seilschlaufen unter der Rah endlich befestigt waren, gellte ein neuer Zuruf – daraufhin wurden sie wieder entrollt und heruntergelassen. Damit war die Übung beendet, und der Abstieg begann. Diesmal blieb Lorena besonnen und konzentrierte sich auf den frisch erlernten Rhythmus. So ging alles gut, und als sie endlich unten angelangt war, zitterten ihre  Arme und Beine, sie war durchgefroren, aber glücklich. Sie hatte es geschafft!

Ein Matrose, der nach ihnen heruntergeklettert kam, pflaumte sie direkt an: „He – bist du nicht der Moses? Der Grünschnabel? Und dann oben 'rumturnen? Bist du irre?"

„Warum nicht?", schoss Roluf zurück. „Timo kann mehr als nur die Suppe 'rumtragen. Freu dich doch, bald habt ihr einen Leichtmatrosen mehr!"

„Pah, dazu muss der noch viel lernen!"

„Pah, das bin ich gewöhnt", entgegnete Lorena und sah den Matrosen fest an.

Der zuckte vor ihrem Blick zurück. „Eh, werd' nicht frech, Moses!"

Sie beeilte sich, ihn wieder gnädig zu stimmen und entschuldigte sich in aller Form, was der andere nur widerwillig akzeptierte. „Aber mach' das ja nicht nochmal!"

„Aufentern, meinst du?", fragte Roluf provokant.

„Nee, mir gegenüber das Maul aufreißen. Von mir aus kann der Lange aufs Deck klatschen", grummelte der andere und zog achselzuckend von dannen.

„Das also ist ein ‚feiner Kerl'", meinte Lorena ironisch, in Anspielung auf Rolufs Worte von vorhin.

„Ja, nicht wahr? Seeleute sind überaus höflich. Aber ich muss schon sagen, du hast ganz schön giftig geguckt, da kann einem nur schlecht werden!"

„Ach ja?", sagte sie gedehnt. Das war gar nicht gut, da hatte sie sich nicht mehr im Zaum gehabt. Was hatte Eilien einmal gesagt? „Es ist die Art, wie du jemand ansiehst ... deine Augen verraten dich." – Unter anderem war es genau ihr Blick gewesen, woran die Strandinger sie als Fremde erkannt und abgelehnt hatten. Ich muss lernen, die Leute nicht so anzustarren, sonst mache ich mir keine Freunde an Bord.

Sie sandte Roluf ein verlegenes Lächeln zu, das er mit einem lustigen Zwinkern erwiderte.

Deine Augen verraten dich.


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