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By imagine-fairies

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Wie würde es aussehen, wenn mehrere Autoren ein und dieselbe Grundidee hernehmen, dann aber jeweils ihre eige... More

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they never know
weingummihochzeit
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By imagine-fairies

ES war der perfekte Abend für ein Liebesgeständnis. Es war mitten im Juli, die Nacht nicht sonderlich kühl und das Lagerfeuer, das sie unter Aufsicht von Junmyeons Eltern entzündet hatten, hauptsächlich dazu da, um Marshmallows auf Stöcke zu ziehen und in die Flammen zu halten, bis sie brannten.
Es war ein perfekter Sommerabend, die Luft warm, die Nacht dunkel und doch wieder hell im orangefarbenen Schein der Flammen, die knisterten und in den Himmel strebten (weil Baekhyun immer mehr Holzscheite ins Feuer gab, obwohl die Flammen bereits viel zu hoch züngelten).
Es war der perfekte Abend, um jemandem seine Liebe zu gestehen.

Das zumindest redete sich Luhan ein, während er auf dem Baumstamm neben Minseok saß und die Dose Bier zwischen seinen Handflächen zerquetschte, die Baekhyuns ältere Schwester ihnen augenzwinkernd in einer Plastiktüte überreicht hatte. Keiner von ihnen hatte wirklich daran gedacht, Alkohol zu trinken, aber wenn er schon da war...

Luhan hatte zwei Dosen gehabt, Minseok drei, aber es war offensichtlich, auf wen der Alkohol größeren Effekt ausübte. Vielleicht war es auch nicht der Alkohol, der ihn schummrig im Kopf machte, sondern der Rauch, den der Wind in ihre Richtung blies oder die Idee, dass Minseok neben ihm saß und Luhan gleich etwas sehr, sehr dummes machen würde...vielleicht war es eine Kombination aus allen drein.

»Du starrst seit Minuten finster auf deine Dose hinunter. Was hat sie dir getan?« Minseok lehnte sich leicht an ihn, während er das sagte – leise, so dass nur er ihn hörte. Luhan spürte seinen Unterarm gegen seine Seite pressen und wünschte sich, er würde nie wieder beiseite rücken.
»Oh, es ist nichts. Dosen sind cool, ich meine, sie sind wie...Freunde – haha. Von außen kahl, und innen spritzig.« Luhan wünschte sich, er hätte sich heute Mittag beim Essen die Zunge abgebissen. »Ich meine...also...«

Minseok lachte, weil er wahrscheinlich dachte, dass Luhan scherzte...und nicht, dass er ein vollkommener Volltrottel war. »Wenn es nicht die Dose ist, wieso schaust du dann so düster drein?«

Luhan war nicht wirklich düster drauf, er wartete nur auf sein Stichwort. Seinen Einsatz, um Minseok in die Augen zu sehen, tief Luft zu holen und zu sagen, dass...
Luhans Gedanken wurden von Lachen unterbrochen. Chanyeol und Irene saßen dicht nebeneinander auf dem Boden neben dem Lagerfeuer, Chanyeols Pullover über sie beide ausgebreitet. In der nächsten Sekunde beugte sich Irene zur Seite und küsste Chanyeol auf den Mund. Seine Hand fuhr in ihren Nacken, ihre Haarsträhnen rannen zwischen seinen Fingern hindurch. Luhan sah schnell wieder fort. Igitt. Er und Minseok würden bestimmt nicht zu einem dieser widerlich affektierten Pärchen werden, wenn die Zeit reif war. Sie wären zwar süß, aber vor allem süß zueinander und nur voreinander und das wäre auch gut so.

»Bist du in Ordnung damit?«, fragte Minseok vorsichtig. »Chanyeol ist Teil des Teams und Irene...«
Luhan wusste, dass Minseok schöne Lippen hatte, aber er hatte sie noch nie in diesem Licht gesehen. Angestrahlt von dem Lagerfeuer, so dass seine Wimpern lange Schatten auf seine Wangen warfen. Er fand, es stand ihm gut.
»Luhan? Bist du in Ordnung?«

»Oh, ja, auf jeden Fall.«
Minseok lächelte und aus nächster Nähe betrachtet, sah er dabei noch so viel schöner aus, als aus der Entfernung, wenn er ein Tor gegen die gegnerische Mannschaft geschossen hatte und Luhan über das ganze Spielfeld hinweg anstrahlte.

»Weil du meintest, dass du...Irene magst.«
Das war ein Missverständnis. Luhan hatte beim Wahrheit oder Pflicht spielen nur gesagt, dass es jemanden gab, den er mochte und der Rest der Fußballmannschaft hatte verkündet, dass sie definitiv gesehen hatten, wie er Irene, seine beste Freundin, dabei anschmachtete. Das war ein Jahr her.

»Oh, nein, ich bin nicht in Irene verliebt. Ehrlich nicht«, sagte er schnell. »Wir sind nur Freunde. Ich mag Chanyeol, also nicht so, das meine ich nicht. Ich mag ihn und Irene zusammen. Sie passen gut zueinander.«

Minseok seufzte, bevor er die Hände auf dem Baumstamm abstützte und sich zurücklehnte, den Kopf in den Nacken gelegt. Er hatte ein schönes Profil. Weiche Wangen, spitze Lippen, lange Wimpern... Luhan spürte, wie fest sein Herz gegen seine Brust schlug.
»Zu beneiden, nicht wahr? Die beiden sind wirklich süß.«
›Nicht so süß wie wir‹, wollte Luhan sagen. ›Wenn wir erst einmal zusammen sind.‹

»Ich denke, ich bleibe für immer Single«, setzte Minseok fort.
Luhan hielt unweigerlich inne. »Wieso glaubst du das?« Minseok war perfekt. Er war ruhig und klug, der Kapitän des Fußballclubs, witzig und beliebt bei allen, auch wenn er niemals wirklich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen schien.
Minseok zuckte die Achseln. »Nur so ein Gefühl.«

Der Alkohol machte Luhan mutig. »Gibt es jemanden, den du magst?«
»Hmmm...ich weiß es nicht. Was ist mit dir?«
»Das ist fies, du kannst der Frage nicht ausweichen und dann die gleiche stellen.« Er stieß ihn leicht zur Seite. Das hier war besser, spielerisch und zankend, so wie sie normalerweise waren. Nicht nervös und zurückhaltend, weil Luhan das Herz aus der Brust zu springen drohte.

»Ich denke, ich will gerade keine Beziehung«, sagte Minseok schließlich. »Ich wüsste nicht, was ich tun sollte.«
»O-oh«, sagte Luhan langsam. »Wieso?«
Minseok schwieg wieder, sein Blick ganz verloren in den tanzenden Flammen des Lagerfeuers. »Kann ich dir etwas erzählen, Luhan?«
»Klar«, sagte er schnell. »Alles.«
Minseok wirkte belustigt über seine übereifrige Antwort. Luhan hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. »Ich habe gestern einen Liebesbrief bekommen.«

Luhans Herz sank ihm in die Magengrube. »Oh? Von wem?«
»Eine Klassenkameradin. Ich dachte immer, sie mochte mich nicht, weil sie mir ständig aus dem Weg ging. Scheint, als hätte ich alles völlig missverstanden.« Er lachte auf, aber es war ein Klang, der schnell wieder verstorben war. »Ich habe sie heute vor dem Training getroffen.«

»Und?«
»Sie hat mir gesagt, dass sie in mich verliebt sei und ich habe geantwortet, dass ich gerade nicht auf eine Beziehung aus wäre.«
Luhan nickte langsam. Er fühlte sich schuldig dafür, aber sein Herz wurde leichter, Erleichterung durchströmte ihn. »Oh.«
»Ich habe mich schrecklich gefühlt, weil sie plötzlich angefangen hat zu weinen.«

»Das ist nicht deine Schuld.«
»Ich weiß.« Die Rinde des Baums hatte kleine, rote Abdrücke auf seinen Handflächen hinterlassen, als er sich wieder auflehnte. Er klatschte sich den Dreck von den Händen. »Aber es hat sich trotzdem schlecht angefühlt. Deshalb bleibe ich wohl Single. Es ist zu stressig, sich zu verlieben. Abgewiesen zu werden, muss wirklich schmerzhaft sein und jemanden abzuweisen, ist mindestens genauso schrecklich. Mir gehen ihre traurigen Augen nicht mehr aus dem Kopf.«

Luhan schluckte schwer. »Mh, ja, ich denke, ich kann verstehen, was du meinst.« Er sah seine Chance vor seinen Augen davonfliegen. Wie ein Drachen, dessen Schnur gekappt wurde.
»Was ist? Wieso ziehst du jetzt wieder so ein Gesicht?« Er stieß ihn leicht an. Schon wieder. Sein Arm war so warm, als er sich kurz an seine Seite presste. »Du musst dich nicht für mich schlecht fühlen.«

Luhan schüttelte schnell den Kopf. Es war sein eigenes Herz, für das er sich schlecht fühlte. »Wie könnte ich mich nicht schlecht für dich fühlen, wenn du einmal verbittert und traurig wirst, weil du für immer einsam und allein bleibst?«
»Das ist die Zukunft, in der du mich siehst?« Er lachte. »Danke auch.«
Er zuckte die Achseln. »Single für immer, also? Überleg dir das lieber noch einmal. Du wirst definitiv verbittert und einsam sein.«

Minseok schnaubte. »Du bist ein wahrer Freund, Luhan.«
»Ich weiß.« Er schwieg. Sein Herz tat wirklich weh, als würde jemand mit einem Hammer darauf einschlagen. Und er hatte gedacht, dass heute seine große Chance sei. Das andere Mädchen war ihm zuvorgekommen.
»Was ist mit dir?«

Luhan schüttelte den Kopf. »Ich bleibe auch Single. Für immer und ewig.« Wie sollte es auch anders funktionieren, wenn Minseok nicht für ihn verfügbar war?
»Nur weil ich ein trauriges Liebesleben habe, musst du nicht auch eines haben.«
»Ich bin viel ärmer dran als du, glaub mir.«
»Wieso solltest du?«
»Du bekommst wenigstens Liebesbriefe.« Er konnte ihn nicht ansehen. »Ich denke nicht, dass irgendjemand auch nur Interesse an mir hat.« Vielleicht war es der Alkohol, der aus ihm sprach, vielleicht sein kleines, erbärmliches Herz.

Minseok betrachtete ihn aus den Augenwinkeln heraus. Luhan konnte es auf dem Gesicht spüren, weil er schon immer aufmerksam war, wenn es um Minseok ging. Es war sowohl Fluch als auch Segen.
Plötzlich lachte er auf. »Sieh uns an! Wir zwei sind wirklich ein trauriger Haufen.«
Auch Luhan konnte nicht anders, als leicht zu lächeln. »Vielleicht.«

»Ich würde dich daten.«

Luhans Herz setzte aus. Nein, ernsthaft, es setzte wirklich AUS. Es machte einfach verdammt noch einmal für einen ganzen, verfluchten Herzschlag lang schlapp. »Was?«
Minseok strahlte ihn an. »Wenn dich niemand anderes will...Ich würde dich nehmen.«
Autsch.

»Ich bin kein heimatloser Welpe, Minseok.«
»Nein«, er legte den Kopf zur Seite. »Aber wenn uns beide keiner will, dann müssen wir uns eben zusammentun.« Er zuckte die Achseln. »Das ist quasi ein alter Überlebenstrick.«
Es war lächerlich und Minseok hatte keine Ahnung, was das für Luhan bedeutete. »Also was? Du sagst, wir sollen miteinander ausgehen, wenn uns niemand anderes will?«
»Jap.«

Er schnaubte, aber insgeheim schlug sein Herz höher. »Und wann soll das sein?«
Minseok blickte wieder in die Flammen. »Ab wann wird es wirklich traurig, wenn man noch nie in einer Beziehung war?« Er betrachtete ihn. »In zehn Jahren? Dann sind wir 25.«
»Das ist verrückt.«
Minseok lachte. »Ich weiß.«
»Okay.«

»Hm?«
Luhan zuckte die Achseln, als wäre es ihm egal. Als wäre ihm das alles einfach völlig egal. »Ich meine, okay, wenn wir beide bis wir 25 sind, noch in keiner Beziehung waren, dann sind wir wirklich verdammt traurig. Dann müssen wir eben...einander nehmen. Überlebenstrick und so.«
Minseok lächelte, weil das hier nichts weiter als ein lustiger, kleiner Scherz war.

»Einverstanden«, sagte er. »In zehn Jahren dann, Luhan. Sei bereit.« Er spitzte die Lippen und machte obszöne Kussgeräusche. Wenn er nur wüsste, wie gerne Luhan ihm in diesem Moment seine Hand in den Nacken gelegt und ihn an sich gezogen hätte. Wenn er nur wüsste...

Aber Luhan war geduldig und er hatte sich noch nie vor einer Herausforderung gedrückt. Vielleicht war das der Grund, warum er ein so guter Fußballspieler war. Er mochte das Adrenalin in seinen Adern und er mochte das brennende Gefühl in seinen Muskeln, wenn er sich zu sehr beim Training verausgabt hatte.

›Zehn Jahre‹, dachte Luhan. Objektiv betrachtet, war das gar nicht mal so übel. Wenn es nur zehn Jahre dauern müsste, bis Minseok und er zusammenkommen könnten, dann war das wirklich, absolut in Ordnung. Trotz zehn jahrelanger Wartezeit war die Wahrscheinlichkeit, dass sie zusammenkämen, wohl dennoch höher, als wenn Luhan ihm hier und jetzt sein mickriges Herz zu Füßen legte. Das einzige, was Luhan nun garantieren müsste, war, dass Minseok bis dahin Single blieb. Und verdammt, er würde alles dafür tun.
Luhan nahm die Herausforderung an.


1.

DAS erste Jahr verging absolut unproblematisch. Minseok war so beschäftigt mit der Schule und dem Fußballclub, dass er nicht aussah, als würde er sich überhaupt für irgendjemanden interessieren. Es war perfekt und Luhan entspannt, weil ein Jahr vorüber war und alles lief wirklich, wirklich großartig. Luhan sah es schon vor sich. Wie zehn Jahre vergangen waren und er achselzuckend vor Minseok stehen würde. »Scheint, als wären es wohl wirklich wir beide«, würde er sagen und Minseok daraufhin mit großen Augen nicken. »Es muss Schicksal sein«, würde er antworten, weil er plötzlich einsah, wie viel ihm Luhan bedeutete...und dann würde Minseok näher an Luhan herantreten, bis ihre Nasenspitzen sich fast berührten und dann...

»Sabberst du? Alter, eklig.«
Luhan schloss den Mund und wischte sich vorsichtshalber mit dem Ärmel über den Mund. »Was?«
»Du bist voll abgeschweift! Worüber hast du nachgedacht?«
Luhan konnte schlecht sagen, dass er darüber nachgedacht hatte, wie es wäre Minseok an sich zu ziehen und...

»Boah, Luhan, hör auf damit.« Baekhyun zeigte anklagend mit dem Keks in seiner Hand auf ihn. »Was ist?«
»Nichts. Nichts weiter.«
Baekhyun stopfte sich den ganzen Keks augenverdrehend in den Mund. Barbar. Luhan nahm sich ebenfalls einen Keks vom Blech und tunkte ihn in das Glas Milch vor sich. »Die sind echt gut.«
»Hat mein Dad gemacht«, sagte er, kleine Krümel flogen aus seinem Mund. »Schmeckst du den Lavendel?«

»Lavendel? Da ist Lavendel drinnen? Wieso?«
Baekhyun verdrehte die Augen. »Er sagt, ich bin zu hyperaktiv. Lavendel soll dagegen helfen.«
»Er hat einen Punkt.« Ein Stück von Luhans Keks brach ab und segelte auf den Glasboden hinunter. Er verzog das Gesicht.

»Karma«, grinste Baekhyun.
»Dein Gesicht ist Karma.« Baekhyuns Gesicht war ein Schlachtfeld von roten, kleinen Pickeln. Leider sah Luhans Gesicht nicht anders aus, also war es nicht wirklich eine Beleidigung. Viel mehr war es reine Selbstironie. Verdammte Teenage-Jahre.
»Fick dich, Luhan.«

»Jungs, ernsthaft. So was will ich hier nicht hören«, rief Baekhyuns Vater vom Wohnzimmer zu ihnen herüber.
»Sorry!«, riefen sie gleichzeitig zurück und widmeten sich wieder ihren Keksen.
Aber ehrlich, während die anderen Schüler aus ihrer Klasse mittlerweile gewachsen waren und ihre Stimmen tiefer klangen, waren Baekhyun und Luhan einfach stehen geblieben. Es war frustrierend. Sogar Minseok war noch gutaussehender geworden! Das war nicht fair!

»Ich hasse es«, sagte Luhan mit Frust.
»Was?«
»Der Kleinste zu sein. Oh, sorry, das bist du. Vergiss es.«
Baekhyun verdrehte die Augen. »Wegen deinem pickligen Gesicht wirst du zumindest nicht mehr für ein Mädchen gehalten«, sagte er achselzuckend. »Oder ist das deine schlechte Persönlichkeit?«
»Fick dich, Baekhyun.«
»Jungs!«
»Sorry!«

Sie knabberten an ihren Keksen. »Aber jetzt mal ernsthaft«, sagte Baekhyun schließlich. »Was ist?«
Er seufzte und gab sich schließlich geschlagen. »Minseok.«
»Wieso? Gibt's was Neues?«
»Nope.«
»Also?«
»Also gibt es nichts zu erzählen.« Außer Baekhyun wollte wissen, was es mit Luhan machte, dass Minseok ein wenig gewachsen war, so dass seine Sporthose noch kürzer an ihm saß. Stoff, der sich über seine Oberschenkel raffte und wohlgeformte Muskeln zeigte. Minseok verbrachte viel Zeit beim Fußballtraining und jede Minute machte sich bezahlbar...Aber das waren Gedanken, die Luhan lieber für sich hielt.

»Du bist erbärmlich Luhan.«
»Nicht so erbärmlich wie du.«
»Hey, was würdest du tun, wenn ich Minseok date?«
Luhan ließ seinen Keks aus der Hand fallen. Er fiel direkt in die Milch und spritzte auf sein Shirt. Er beachtete es gar nicht. »Was? Nein, das kannst du mir nicht antun!«

Baekhyun hob die Hände an, als würde Luhan mit einer Pistole auf ihn zeigen. »Ganz ruhig, das war nur ein Scherz. Ich bin nicht interessiert.«
Luhan lehnte sich wieder gegen seinen Stuhl zurück. Der Keks in seinem Glas löste sich gerade in Keksmatsch auf. »Minseok darf in keine Beziehung kommen. Nur noch neun Jahre lang.«
»Ich kann nicht glauben, dass du dich immer noch daran klammerst. Minseok denkt bestimmt, ihr hättet nur gescherzt.« Er wurde zögerlich. »Oder glaubst du, er hat in Wahrheit Interesse an dir?«

Luhan schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er ehrlich. Als Luhan meinte, dass Minseok bislang an niemandem Interesse gezeigt hatte, dann schloss das ihn selbst ebenfalls ein. Minseok war absolut und schmerzhaft uninteressiert. »Und ich weiß, dass es wahrscheinlich nur ein Scherz war.« Er zuckte die Achseln. »Aber das ist immer noch mehr, als ich mir sonst erhoffen kann.«
Baekhyun klopfte ihm auf den Rücken. »Kopf hoch. Ich helfe dir wenn es hart auf hart kommt. Ich spanne Minseok jedes Mädchen aus, dass er sich auch nur eine Sekunde zu lang angesehen hat.«

»Hattest du nicht erst letzten Monat dein Coming Out?«
Er zuckte die Achseln. »Ich bin halt ein verdammt guter Freund?«
Luhan schnaubte, aber es war ein sanftes Schnauben. »Danke.«
»Keine Sorge, Kumpel. Auf mich kannst du zählen.«


Nur offensichtlich konnte Luhan nicht auf Baekhyun zählen, denn sonst hätte er ihm eventuell mitgeteilt, dass Kim Junmyeon (Baekhyuns Nachbar!!) und Minseok mehr Zeit miteinander verbrachten, als Luhan lieb war.

»Sie sind nur Freunde«, versicherte Irene, ohne von ihrem Handy aufzusehen. »Das sieht man doch.«
»Sie sind unmöglich nur Freunde.« Sie waren sich viel zu ähnlich, um nur Freunde zu sein. Beide waren ruhig, klug und hatten Anführer Potential. Junmyeon war Schülersprecher und Minseok Kapitän des Fußballclubs und jetzt offensichtlich plötzlich die besten Freunde aller Zeiten?? Sie verbrachten auf einmal so viel Zeit miteinander, das Luhan sich unwohl fühlte.

»Wir müssen etwas tun«, entschied er.
»Was willst du denn tun? Ihnen verbieten einander zu sehen?«
Luhan schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Tyrann. Wir müssen Junmyeon nur verkuppeln.«
Irene hörte auf zu tippen und blickte ihn stattdessen an. »Was?«

»Wenn Junmyeon erst einmal vergeben ist, dann muss ich mir keine Sorgen mehr, um seine Intentionen mit Minseok machen.«
»Inten- was zum Teufel, Luhan?«
»Kennst du jemanden, der zu Junmyeon passt?«
»Minseok.«
Luhan warf ihr einen sehr, sehr finsteren Blick zu.

»Gut. Okay, warte.« Irene wandte sich wieder ihrem Handy zu.
»Was machst du da?«
»Dein armes Herz besänftigen.« Luhan rückte näher an sie heran, um auf ihren Bildschirm sehen zu können. Sie scrollte durch Instagram. »Also, offensichtlich mag Junmyeon Bücher, Waffeln und...Hunde.« Sie sah ihn wieder an. »Kennst du jemanden, auf den diese Beschreibung auch zutrifft?«

»Ich weiß nicht...« Er hielt inne. »Hm, vielleicht? Warte.« Er zog sein eigenes Handy aus der Hosentasche und ging direkt zu seinen Kontakten. Es lebe das technisierte Zeitalter.
»Sehun?«, fragte sie überrascht, als sie bemerkte, wen Luhan anrief. »Warte, wir wissen doch nicht einmal, ob Junmyeon wirklich schwul ist?«
»Nein, aber ich meine auch nicht Sehun. Ein Freund von ihm. Und keine Sorge, für Jongin wird jeder schwul.« Er sah sie an. »Ich denke, Baekhyun hatte sein Coming Out einen Tag nachdem wir Jongin im Schwimmbad begegnet sind. Zufall? Ich denke nicht.«
Irene zog beide Augenbrauen in die Stirn.

»Sehunnie«, sagte Luhan mit einem Grinsen in der Stimme, als sein Anruf endlich durchging. »Hey, du musst mir einen Gefallen tun.«
›Wieso sollte ich?‹
Giftzwerg. »Wenn du es nicht tust, erzähle ich allen, von dem Crush, den du einmal auf mich hattest.«
Sehun klang genervt. ›Komm schon! Das war etwa vor einer Millionen Jahre und ich dachte, du wärst ein Mädchen!‹

Irene gab sich Mühe nicht loszulachen. Ihre Hände waren über ihrem Mund geschlagen.
»Das macht es nicht besser. Also?«
Sehun seufzte. ›Worum geht's?‹
»Wegen deinem Freund Jongin...er ist Single oder?«
›Ew, nein, ich organisiere dir kein Date mit Jongin, vergiss es.‹
»Ich will auch keins! Komm schon, lass mich ausreden.«
Sehun grummelte leise, schwieg ansonsten aber.

»Ich will, dass du ihm sagst, dass es jemand anderen gibt, der in letzter Zeit nur über ihn spricht.«
›Wer?‹
»Kim Junmyeon. Unser Schülersprecher. Du kennst ihn oder? Er war auf meiner letzten Geburtstagsfeier?«
›Mhm...und er mag Jongin? Ernsthaft? Er ist eine Klasse über uns.‹
»Jap«, bestätigte Luhan. »Gib Jongin Bescheid. Junmyeon ist leider zu schüchtern, um sich von sich aus bei ihm zu melden.«

Sehun schwieg. ›Ich weiß ja nicht, das klingt ein bisschen...‹
»Ich erzähle allen von dem Liebesgeständnis das du mir gemacht hast und...erinnerst du dich noch an deinen Brief? Der mit den vielen pinken Herzen? Ich habe ihn aufbewahrt und ich werde nicht zögern-«
›Stopp!‹,
unterbrach ihn Sehun panisch. ›Was auch immer. Ich gebe Jongin Bescheid.‹

»Und sag ihm, er soll Junmyeon auf ein Eis einladen oder so. Ich gebe ihm das Geld auch zurück.«
›Was auch immer‹, grummelte Sehun. ›Bye.‹
»Tschüss, Sehunnie. Danke~!«

Irene blinzelte Luhan verwundert an. »Er dachte ernsthaft, du siehst aus wie ein Mädchen?«
»Hast du Kinderbilder von mir gesehen?« Irene war erst in der sechsten Klasse zu ihnen gezogen, daher konnte sie von Luhans Metamorphose nichts wissen. »Ich sah wirklich ein ganz, ganz kleines bisschen aus, wie ein Mädchen.«
Sie legte den Kopf schief. »Ich dachte immer, dass du sehr hübsch bist, aber ein Mädchen-«
Luhan verdrehte die Augen. »Ich bin nicht hübsch.« Und er wollte wirklich nicht hübsch aussehen, wenn Minseok sich Poster von muskulösen, großen Fußballspielern an die Wand klebte.

»Wie du meinst. Und was jetzt? Denkst du das klappt?«
»Jongin ist ein Bücherwurm. Er liest die ganze Zeit Harry Potter, er mag süße Dinge und er ist praktisch ein Welpe. Sie sind perfekt füreinander.«


Eine Woche darauf, sah Luhan Jongin und Junmyeon zusammen Eis essen in der kleinen Eisdiele neben ihrer Schule.
»Erstaunlich«, sagte Irene verblüfft. »Wer hätte gedacht, dass das klappt?«
Luhan grinste. Vielleicht sollte er dafür nun wirklich den Brief wegschmeißen, den Sehun ihm damals mit roten Wangen überreicht hatte... Oder auch nicht.


Es folgte noch eine weitere Woche und Jongin verbrachte alle seine Pausen in Junmyeons Klassenzimmer. Und den Großteil seiner Freizeit bei Junmyeon Zuhause.
Luhan war offiziell wieder beruhigt. Minseok würde Single bleiben.
Nur noch achteinhalb Jahre.


2.

SEINEN ersten Tropfen Alkohol hatte Luhan mit fünfzehn getrunken, spendiert von Baekhyuns älterer Schwester, die sich einen Spaß daraus gemacht hatte, ihnen eine Supermarkt-Plastiktüte voll Dosenbier da zu lassen, während sie eigentlich nur Marshmallows über dem Feuer anbraten und ihre Klassenarbeiten des letzten Jahres darin auf übertrieben dramatische Art und Weise verbrennen wollten.

Mit siebzehn war Luhan kein Fremder mehr wenn es um Alkohol ging, vor allem nicht, weil er noch immer im Fußballclub war und sie irgendwann zu der Erkenntnis gekommen waren, dass sie jeden Sieg unbedingt mit ein wenig Alkohol feiern mussten. Oder ein wenig mehr als ein wenig.
Außerdem waren ein paar der Jungs bereits achtzehn und es somit viel einfacher, an Alkohol heranzukommen. Luhan war bestimmt kein Moralapostel und wenn Minseok trank, dann konnte Luhan es mit Sicherheit auch. Außerdem mochte er, wie Minseok ein wenig lauter sprach, wenn er betrunken war und sich nicht darum scherte, wenn er sich an Luhan lehnte oder einen Arm um ihn warf. Ganz und gar nicht.

»Wir spielen jetzt ein Spiel«, verkündete Soojung auf die Baekhyun während der fünften und sechsten Klasse den größten Crush hatte, bis ihm von heute auf morgen eingefallen war, dass er doch lieber auf andere Kerle stand. Wie das Leben so spielte.
»Oh nein«, flüsterte Minseok in seinen Nacken hinein, aber lachte. Sein Atem strich warm über Luhans Haut, süß von dem Orangensaft mit dem er den Wodka in seinem Becher hinuntergekippt hatte.

»Wahrheit oder Pflicht«, setzte Soojung fort in derselben, leicht aggressiven Manier wie eben. Minseok lachte noch einmal. Luhan wünschte sich wirklich sehr, dass er niemals damit aufhören würde.
Das Spiel war dämlich, weil alle so betrunken waren, dass ihnen einfach nichts mehr peinlich war. Baekhyun tanzte auf dem Tisch, Chanyeol erzählte von dem letzten Mal als er sich in die Hose gemacht hatte (bei einem Videospiel weil er zu viel gelacht hatte), Irene ließ Seulgi einen Shot aus ihrem Bauchnabel trinken und Sehun musste Minseok küssen.

Luhans Gehirn machte eine gottverdammte Vollbremse.

»Igitt«, sagten Minseok und Sehun gleichzeitig. »Ernsthaft Leute? Ich stehe auf Mädchen, wie oft noch!«
»Darum geht es auch nicht«, sagte Seulgi zu Sehun. »Es ist eine Pflichtaufgabe, die soll unangenehm sein. Nichts gegen dich, Minseok.«
Er lächelte sie belustigt an. Das würde sich Luhan für die Zukunft merken, aber fürs erste...
»Ich bin dagegen«, sagte Luhan entschieden. »Minseok sollte zu so etwas nicht genötigt werden.«

Sehun starrte ihn verraten an. »Und was ist mit mir?«
Sehun war Luhan gerade definitiv egal.
Minseok zuckte neben ihm die Achseln. »Was auch immer. Mir ist es egal. Komm her, Sehunnie~«

»Du kannst das Baby der Runde nicht küssen!«
»Er ist auch nur ein Jahr jünger als wir«, sagte Seulgi. Sehun war im Grunde nur auf der Party wegen Jongin und Jongin nur hier wegen Junmyeon und Junmyeon war in ihrer Stufe und mit ihnen befreundet, aber fucking Junmyeon war gerade mit fucking Jongin oben in Junmyeons Zimmer...weiß der Himmel was tuend und das ließ fucking Sehun hier bei ihnen sitzen und nun angewidert auf die Lippen starren, die Luhan jede Sekunde am Tag küssen wollte.

»Ich melde mich freiwillig!«, rief Luhan.
»Wir sind hier nicht bei den Hungerspielen«, murmelte Chanyeol. »Was zum Teufel...«
»Ich küsse Minseok, wenn es unbedingt sein muss«, sagte Luhan mit feuerroten Wangen. Es war plötzlich unfassbar heiß auf Junmyeons Wohnzimmerboden.
»Es ist aber Sehuns und nicht Minseoks Pflicht«, erinnerte Seulgi.
»Oh.« Luhan sah von Minseok, der ihn verwundert betrachtete, zu Sehun herüber, der nur noch angeekelter dreinsah. »Dann...«

»Niemals«, sagte Sehun. »Nie-Mals. Nicht er. Ew, nein. Nein, nein, nein.«
Luhan hatte die Wahl. Und es war eine schreckliche Wahl. Ein Kuss...würde ein Kuss gegen Minseoks und Luhans Vereinbarung verstoßen? Nur ein Kuss? Aber was wenn Sehun auf mystische Art und Weise doch so etwas wie guten Geschmack entwickelte und ein Kuss alles zwischen ihm und Minseok verändern würde und...nein. Nein, das konnte auf gar keinen Fall geschehen. Entschlossenheit trat in Luhans Augen.

»Also von mir aus, kann es auch Luhan sein, der Sehun küsst. Mir eigentlich egal«, sagte Seulgi und zuckte die Achseln.
»Wow, nein, mir aber nicht egal! Ich küsse Luhan nicht!«
Luhan betrachtete Sehun ernst. »Komm her.«
»Auf gar keinen Fall!«, er sprang auf die Beine. »Ich küsse Minseok! Minseok!«
Minseok lachte. »Also wenn Luhan unbedingt möchte, dann...«

Luhan packte Sehun am Shirt und hielt ihn fest, damit er nicht davonrennen konnte. »Stell dich nicht so an«, zischte er ihm ins Gesicht. »Wir beide müssen Opfer bringen.«
»Nein«, wimmerte Sehun. »Nicht du. Ich komme darüber nicht hinweg, ich schwöre es.«
Luhan wurde noch leiser. »Was? Dabei hast du mir doch einmal gesagt wie se~hr du mich lieb hast? Erinnerst du dich, Sehunnie?«
»Mir wird übel.«

»Was flüstert ihr da?«, wollte Chanyeol wissen. »Macht schon.«
Luhan nahm einen tiefen Atemzug. »Okay, das hier fällt mir genau so schwer wie dir, also halt einfach still. Kapiert?«
»Kann jemand einen Eimer bereitstellen?«, bat Sehun weinerlich. »Ich will nicht auf Junmyeons-« Ihre Zähne klirrten aneinander, als Luhan seine Lippen auf Sehuns presste und mehr von seinen Zähnen spürte, als er jemals spüren wollte. Es war so schnell vorbei wie es passiert war.

»Das habe ich auf Kamera«, sagte Jongin plötzlich, der auf der Treppe stand und sein Handy begutachtete. »Nett. Ich stelle es auf Instagram.«
Sehun stolperte noch immer zurück und hielt sich eine Hand vor den Mund. »Das war kein Kuss!«, spie Sehun. »Du hast mich mit deinem Mund geschlagen! Und Kim Jongin, lösch das verdammte Bild, sonst-« Und er rannte ihm hinterher, bevor er den Satz beenden konnte. Ihre polternden Schritte waren deutlich über ihnen zu hören.

Luhan tat so als wäre nie etwas geschehen und ließ sich elegant wieder auf seinen Platz neben Minseok sinken. »Fertig«, sagte er. »Es kann weitergehen.«
Minseok lehnte sich an ihn, während Seulgi Chanyeol eine Frage stellte (weil Sehun noch immer Jongin hinterher jagte). »Du wolltest ihn so dringend küssen?«, fragte Minseok belustigt.
Luhan wollte nicht, dass Minseok dachte, er könnte etwas von dem Baby ihrer Gruppe wollen, das wäre nur...ew. »Nein, ich wollte nicht, dass du ihn küsst.«

»Hm? Wen sollte ich sonst-«
»Luhan! Du bist: Wahrheit oder Pflicht?«
Luhan wusste, was Chanyeol ihn fragen würde, wenn es um Wahrheit ging. Er brannte förmlich darauf zu erfahren, ob Luhan früher einmal wirklich nicht auf Irene gestanden hatte (auch wenn sie längst kein Paar mehr waren). Und auch wenn das eine einfache Frage war, könnte er nicht beantworten, wer es stattdessen war, den Luhan mochte. »Pflicht«, sagte er.

Chanyeol grinste. »Ich denke, Sehunnie verdient einen zweiten Kuss von dir.«


3.

LUHAN hätte wissen müssen, dass es nicht einfach wäre, Minseok von einer Beziehung fernzuhalten. In ihrem letzten Schuljahr war es Luhan praktisch unmöglich, sich noch auf die Schule zu konzentrieren, weil es plötzlich die ganze, verdammte Welt nur auf Minseok abgesehen hatte.

Natürlich, Minseok war gutaussehend, er war unheimlich attraktiv und klug und süß und noch immer Kapitän des Fußballklubs mit neuen Muskeln und schärferen Gesichtszügen und so viel mehr...aber Minseok war IMMER gutaussehend gewesen und er hatte IMMER eine gute Persönlichkeit gehabt. Auch vor drei Jahren, als sie noch fünfzehn waren und Minseok dicke Backen und kürzere Beine hatte. Er fand ungerecht, dass jetzt da alle sehen konnten, was Luhan schon immer gesehen hatte, so viele Leute sich nun einbildeten, dass sie sich an Minseok heranschmeißen konnten. Luhan war zuerst da gewesen, in Ordnung? Sollten sie sich gefälligst hinten anstellen.

»Worüber denkst du so angestrengt nach?«, fragte Minseok lächelnd. Er strich sich mit den Fingern seine Haare zurück, damit sie ihm nicht ins Gesicht fielen. Sie waren feucht vor Schweiß und die Bewegung viel zu sexy für Luhans armes, armes Herz.
»Oh, nichts weiter.«

»Hm, nein?« Er lächelte, engelsgleich. »Tatsächlich? Dann schweifst du wegen nichts einfach mitten im Training ab? Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, Luhan.« Er tippte sich mit dem Zeigefinger derselben Hand gegen die Unterlippe. Könnte jemand Luhan endlich den Gnadenstoß verpassen? »Wie wäre es wenn du dafür sechs extra Runden um das Feld drehst? Nur um so schnell nicht wieder den Fokus zu verlieren, versteht sich.«
Luhan seufzte. »Natürlich, Kapitän. Sorry.«

Minseoks Lachen begleitete ihn, als Luhan sich in Bewegung setzte. Ehrlich, er war nicht einmal wirklich wütend, weil Luhan ohnehin nicht länger gegenüber von Minseok stehen könnte, wenn er schweißnass war und sein Shirt an seinem Oberkörper klebte. Er hatte wirklich sehr schöne Muskeln...Luhan rannte schneller.
Das Problem waren die Mädchen, die angefangen hatten, während ihrem Training auf der Tribüne zu sitzen. Luhan hatte partout natürlich nichts gegen Zuschauer, aber er wusste das mindestens eine Handvoll von ihnen für Minseok da war und das war absolut inakzeptabel...

Also tat Luhan etwas, auf das er später nicht sonderlich stolz war, aber Himmel, was auch immer. Hier ging es um ein größeres Opfer. Nach seiner sechsten Runde zog Luhan sich sein Shirt über den Kopf, weil jeder wusste, dass Mädchen nicht auf schwitzende Kerle standen und ging zur Tribüne herüber. Er lehnte sich gegen die Balustrade und lächelte strahlend.

»Hi! Wartet ihr auf jemanden?«
Es waren insgesamt fünf Mädchen, alle in Sehuns Jahrgang, eine oder zwei vielleicht noch jünger. »O-oh«, sagte eine mit pinken Wangen. »Nein, wir...wir dachten nur, wir...sehen zu?«
»Ihr seht wirklich cool aus beim Training«, sagte eine mutigere von ihnen.
Luhan strahlte noch einmal auf. »Danke! Hey, wenn ihr Lust habt...wollt ihr vielleicht nach dem Training etwas mit mir trinken gehen? Oder Eis essen? Ich lade euch ein.«
»H-hu?«

»Ich...« Er sah peinlich berührt auf seine Füße hinunter und das musste er nicht einmal vorspielen, weil das hier wirklich peinlich war und Luhan nicht gut in solchen Dingen. »Ich wollte schon immer mal mit so hübschen Mädchen ausgehen?« Er lächelte weiterhin sehr scheu. »Wartet ihr auf mich?«
»K-klar!«, bestätigte eine. Sie hatte langes schwarzes Haar und große, hübsche Augen.
»Sehr gut!«, er stieß sich vom Gerüst ab. »Ich bin gleich bei euch!«

Minseok stand in der Tür zur Halle, als Luhan sein Shirt und seine Sachen zusammengesucht hatte. Er betrachtete ihn. »Was war das?«
»Oh, ich dachte nur, ich bedanke mich dafür, dass sie uns immer zusehen?«
»Und dafür musstest du dein Shirt ausziehen?« Minseok lachte in sein Ohr, als er einen Arm, um Luhans Schultern legte. »Natürlich.«
»Ich wollte sie nicht anekeln.«
»Das ist dir bestimmt gelungen.«

Luhan betrachtete Minseok von der Seite. »Was?«
»Nichts.« Er ließ von Luhan ab und ging vor ihm in die Umkleide. Seine Sachen lagen bereits auf der Bank verteilt. Er zog sich sein Shirt über den Kopf. Seine Rückenmuskeln bewegten sich unter seiner Haut, als er die Arme wieder sinken ließ.
Luhans Mund wurde sehr, sehr trocken. »Wo sind die anderen?«
»Schon weg. Du hast ewig für deine sechs Runden gebraucht.« Minseoks Hände wanderten zu dem Elastikbund seiner Sporthose. Er sah ihn an. »Was ist? Willst du nicht duschen?«

Luhan wandte die Augen ab und streifte sich mit den Füßen seine Sportschuhe ab. »Doch, klar.« Er sah Minseok nicht an, während er sich selbst auszog und in die Dusche ging. Er sah ihn auch nicht an, als er die Dusche gegenüber von Luhans einnahm. Minseok hatte das Wasser kaum eingeschaltet, als er die Dusche wieder verließ. Shampoo klebte ihm noch an den Ohren.

»Hast du es eilig?«, rief Minseok ihm hinterher.
»Oh. Ja. Super eilig. Wirklich super eilig. Ich habe den Mädchen versprochen, mit ihnen Eis essen zu gehen. Er hatte sich kaum abgetrocknet, bevor er in sein Shirt und seine Hose schlüpfte. »Wir sehen uns Minseok!«
Er hörte Minseoks Abschiedsworte nicht, weil er bereits ziemlich erfolgreich davongerannt war. Nur sein Herzschlag war schneller als seine Füße, die über den Boden trommelten.

Er ging mit den Mädchen Eis essen und unterhielt sich mit ihnen über die Schule und ihre Clubs und die Lehrer und tausend andere Dinge. Es fiel ihm leicht, nett zu ihnen zu sein, weil er gerne nett zu Mädchen war und sie waren wirklich niedlich. Es war ganz einfach.


»Okay, eigenartig«, sagte Baekhyun eine Woche darauf und ließ sich auf den Stuhl neben Luhans sinken. »Seit jemand diesen komischen Post über dich im Schulchat veröffentlich hat, scheinen alle Mädchen dir förmlich hinterher zu rennen! Als wärst du so eine Art Idol, was zum Teufel?«
Luhan zuckte die Achseln. »Wenn sich alle Mädchen auf mich konzentrieren, dann ist Minseok nicht mehr in Gefahr.«

Baekhyun starrte ihn an. »Nein! NEIN! Das war Absicht? Ernsthaft?«
Er zuckte die Achseln. »Es ist nur noch bis zum Abschluss.«
»Luhan, alle Typen hassen dich! Ich habe von Mädchen gehört, die deinetwegen mit ihren Freunden Schlussgemacht haben, weil sie denken, dass du fucking Prince Charming bist.«
»Mir egal.«

»Du hast einen RUF, Luhan. Alle denken, du legst eine nach der anderen flach.«
»Das tue ich nicht.« Er runzelte die Stirn. Er hatte nur sehr viele neue Freundinnen dazu gewonnen, ging mit ihnen Eis essen oder ins Kino. Tatsächlich machte es unheimlich viel Spaß.
Baekhyun schüttelte den Kopf. »Wenn ich hetero wäre, würde ich dich hassen.«
Luhan lachte darüber.

Baekhyun sollte jedoch Recht behalten. Für den Rest seiner Schulkarriere wurde Luhan von wütenden Blicken seiner männlichen Mitschüler bombardiert, aber dafür waren alle Mädchen auf ihn konzentriert und Minseok blieb Single. Und darum ging es ja.


4.

LUHANS nächste Bedrohung kam von unerwarteter Seite. Minseok und Minho waren praktisch beide seit der fünften Klasse in ihrem Fußballclub, aber erst jetzt bemerkte Luhan die subtilen Berührungen, die sie auf dem Feld austauschten, oder wie sie sich auf den Partys nach einem Spiel stundenlang miteinander unterhielten...

»Er ist nicht schwul«, sagte Irene zum achten Mal an diesem Abend. »Komm schon, Luhan. Du kannst nicht denken, dass die ganze Welt eine Beziehung mit Minseok eingehen möchte.«
»Aber wenn es so ist! Er will definitiv etwas von ihm.« Luhan hatte partout überhaupt nichts gegen Minho, aber wenn er eine Bedrohung für Luhans und Minseoks gemeinsame Zukunft war, dann...

»Er hatte eine Freundin«, sagte Baekhyun und nahm sich eine Handvoll Gummiwürmer aus der Tüte um sie unzeremoniell aus der Faust zu essen. Irene betrachtete ihn angeekelt. »Zwei sogar, denke ich.«
»Na und? Schon mal was von Bisexualität gehört?«, spie Luhan zurück.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass Minseok bisexuell ist«, murmelte Irene. »Er hat so etwas in die Richtung Mal angedeutet.«

Luhan stöhnte auf. »Seht ihr! Jeder könnte eine Bedrohung darstellen!«
»Willst du damit sagen, dass Minseok nicht wählerisch ist und mit jedem ins Bett steigen würde?«
»Nein, natürlich nicht. Ich meine, JEDER könnte es bei ihm versuchen wollen, weil Minseok verdammt großartig ist.«

Irene verdrehte die Augen. »Schön, was willst du tun? Die nächste Person verkuppeln?«
Luhan nickte ernst.
»Du hast sie doch nicht mehr alle.«
»Was ist mit Seulgi?«, fragte er. »Sie ist süß und toll und Minho ist Fußballer! Das passt doch, oder?«
»Klingt logisch«, urteilte Baekhyun mit aufgeblähten Wangen.

Irene seufzte. »Was? Ich soll Seulgi sagen, dass sie sich Minho an den Hals schmeißen soll, so wie du es zu Jongin gesagt hast?«
»Ganz so habe ich es nicht getan! Und Jongin und Junmyeon sind immer noch zusammen! Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie schon darüber nachdenken, wann sie ihr erstes Kind adoptieren sollen.«
»Süß«, meinte Irene und schüttelte dann den Kopf. »Aber nein, Luhan, das klappt nicht. Du kannst nicht einfach jede Person, die Minseok zu nahe kommt, mit einer anderen verkuppeln.«

Aber Luhan konnte. Offensichtlich.

Es war auf der nächsten Party und Luhan musste eigentlich nichts weiter tun, als Seulgi zu stecken, dass Minho bei einem Marathon mitlief dessen Erlös für eine Organisation, die sich gegen die Urwaldabholzung starkmachte, ging und schon hatten beide ein Gesprächsthema und ~Wusch~, die Magie war vollbracht. Jemand sollte Luhan eine Fernsehshow geben, in der er Leuten Beziehungstipps gab. Offensichtlich hatte er ein Händchen für sowas...nur was sein eigenes Liebesleben anging, sah es ziemlich düster aus.


Er fand Minseok im Garten sitzend auf einer dieser Schaukelbänke aus Akazienholz, die sich reiche Leute auf die Terrasse stellten. Sie machte leise Geräusche, als sie hin und her schwank. Luhan räusperte sich. »Kann ich mich setzen?«
Minseok sah ihn an. »Klar, natürlich.«

Luhan setzte sich neben ihn, nur die Breite von einer Hand trennte ihre Oberschenkel. »Ich habe das Gefühl alle meine Freunde sind immer in einer Beziehung«, sagte Minseok, den Kopf gegen das Holz gelehnt, als würde er nach Sternen Ausschau halten. »Jetzt auch noch Minho.«
Luhan tat unschuldig. »Oh, wirklich? Wahrscheinlich ist das nur Zufall.«
»Natürlich. Ich will nicht verbittert klingen. Ich gönne es ihnen, aber es fühlt sich einsam an.«

Luhans Herz sank ihm in die Magengrube. »Willst du auch in einer Beziehung sein?« Was wenn Luhans Egoismus Minseok die ganze Zeit nur im Weg war? Was wenn...?
»Ich weiß nicht, manchmal?« Er sah Luhan an, dann wieder in den Himmel. »Aber es sollte natürlich geschehen. Nicht erzwungen sein oder so.«
»Oh. Klar, verstehe.«

»Weißt du schon was du vorhast? Nach der Schule, meine ich? Es ist ja nicht mehr lange.«
»Ich gehe zur Uni.« Luhan hatte sich die ganze Zeit wegen seinem Abschluss gestresst, bis er erfahren hatte, dass Minseok vorhatte, an die Uni in der Nähe zu gehen. Das passte sowohl Luhan, als auch Luhans Eltern gut in den Kram. Seit dieser Erkenntnis hatten sich sogar Luhans Noten drastisch verbessert und er war von vornherein niemals sonderlich schlecht gewesen...

»Das scheinen wohl alle zu machen. Baekhyun und Irene auch, habe ich gehört?«
»Jap. Was ist mir dir?«
Er lächelte. »Ich weiß nicht...« Er nahm einen tiefen Atemzug. »Ich habe ein Fußballstipendium für Seoul bekommen. Erinnerst du dich an die Leute, die sich gestern unser Spiel angesehen haben? Das waren Sponsoren.«
Luhan hielt den Atem an. Seoul war drei Stunden entfernt! Drei! »O-oh«, flüsterte Luhan.

»Dann...gehst du?«
Minseok zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Meine Familie ist hier und alle gehen auf die Uni in der Nähe. Meine Eltern sind schon auf diese Uni gegangen.«
Luhan nickte langsam. »Also?«

Minseok antwortete lange nicht. »Ich bin im Zwiespalt. Folge ich der Tradition meiner Eltern oder verlasse ich unser kleines Dorf und versuche mich in der Großstadt zurecht zu finden...«, er sah ihn mit müden Augen an. »Ich weiß es wirklich nicht.«
In diesem Moment hasste Luhan jede Sekunde in der er mit Minseok über das Spielfeld gerannt war, seine Füße, die über den Boden rasten, Minseoks begeisterte Rufe, wenn Luhan den Ball ins Netz schleuderte. Er hasste alles.

»Du solltest tun, was du für richtig hältst«, sagte Luhan mit brechendem Herzen. »Was auch immer, du wirklich willst.«
Minseok atmete aus, als hätte auch er den Atem angehalten. »Schade. Ich warte darauf, dass jemand mich darum bittet, dass ich hier bleibe, aber meine Eltern haben dasselbe zu mir gesagt. Scheint, als würden insgeheim alle von mir erwarten, dass ich gehe.«

Vielleicht wenn Luhan Minseok weniger lieben würde, dann könnte er ihn darum bitten zu bleiben. Dann könnte er egoistischer sein und darum bitten, dass er nicht ging, aber...Luhan war hoffnungslos verliebt in ihn. Er würde alles für ihn tun und er wünschte sich nur das Beste für ihn. Ehrlich und von Herzen.
»Nein«, sagte Luhan leise. »Ich will nicht, dass du gehst, aber es geht hier um das, was du willst.« Er lächelte. »Nur deshalb habe ich das gesagt.«

Minseoks Augen fuhren über sein Gesicht, wie Fingerspitzen, die den Flusslinien auf einer Karte folgten. Neugierig und... Er sah wieder fort. Luhan wünschte sich, er würde nur einmal lange genug hinsehen, um zu bemerken, dass Luhan niemals fort sah. Dass er gar nicht fortsehen konnte. »Na ja, ich komme wahrscheinlich oft zu Besuch und...über die Semesterferien bin ich auch hier und ganz ehrlich, so lange ist das Studiensemester gar nicht.«
Luhan nickte mit seinen Worten mit, aber sie schmerzten. Er konnte seinen Entschluss aus ihnen heraushören und wünschte sich, es würde weniger wehtun.

»Außerdem«, setzte Minseok fort. »Ist da immer noch unsere Vereinbarung, nicht wahr?«
»Was?«
Minseoks Wangen wurden rot. Oder es war das Licht, Luhan wusste es nicht. »Ah, richtig, das gilt wahrscheinlich nicht mehr. Du warst schon dutzende Male in einer Beziehung, was? Dann bin nur ich es, der bisher bitter und einsam war? Wow, wie traurig.«
»Was? Nein. Ich war noch in keiner Beziehung.« Er blinzelte mehrfach. »Ich dachte nur nicht, – ich meine, ich wusste nicht, dass du dich noch daran erinnerst.«

Minseok lachte. »Du bist praktisch meine einzige Möglichkeit nicht einsam zu verenden. Natürlich habe ich es nicht vergessen.« Er betrachtete ihn mit zur Seite geneigtem Kopf. »Aber du...ich dachte ebenfalls, du hättest es schon längst vergessen.«
Luhan hätte aufgelacht, wenn er nicht so schockiert wäre. Er und vergessen? Es war praktisch das Einzige woran Luhan überhaupt dachte! »Nein, ich weiß nicht, was du gehört hast, aber nein. Ich war bisher genau so einsam wie du.«

»Oh. Das ist bescheuert. Wir sind echt arm dran.«
Luhan nickte. »Ja, absolut.«
»Aber das beruhigt mich«, lachte Minseok. »Dann weiß ich jetzt wieder, dass ich spätestens mit 25 sicher mit jemandem zusammen komme.«

Luhans Kehle war so eng. Niemals würde Minseok ohne Luhans Sabotagen nicht von irgendjemandem angesprochen werden. Irgendjemand, der Minseok ansehen und all die wundervollen Dinge in ihm sehen würde, die Luhan schon immer sah und dann würde diese Person sich in Minseok verlieben und... Luhan schloss die Augen. Es war vorbei. Es war hoffnungslos.
Wenn er also jetzt...wenn Luhan jetzt zu Minseok sagen würde, was er mit fünfzehn nicht sagen konnte, vielleicht dann...

Aber er brachte es nicht über sich.

»Wir sollten wieder reingehen«, sagte Minseok. »Danke, dass du mir zugehört hast, Luhan.«
Luhan nickte. Er hasste sich dafür, dass er die Worte nicht über die Lippen gebracht hatte. Aber ihm blieb nicht mehr viel Zeit mit Minseok und er wollte sie nicht damit verbringen, von ihm ignoriert zu werden, wenn es schlecht ausging.


Nach der Party kamen Baekhyun und Irene mit zu Luhan nachhause, um bei ihm zu übernachten. Luhan brach heulend zusammen, sobald er seine Zimmertür hinter ihnen geschlossen hatte.
Sie nahmen ihn zwischen sich und legten sich zu dritt auf Luhans Bett, während Luhan Wasserfälle aus den Augen liefen. Luhan erzählte unter Tränen und Schluckauf, was Minseok ihm gesagt hatte und konnte einfach nicht aufhören, zu weinen, egal wie sanft Baekhyuns Hand auf seinem Rücken war, oder wie lieb Irenes Worte.

Irene und Baekhyun hielten ihn fest, als Luhan die ganze Nacht durchheulte und still eine Liebe betrauerte, die schon so lange in Luhan gedieh, dass er nicht wusste, was er ohne sie tun sollte. Nicht wusste, wer ER wäre, wenn sie nicht mehr da war. Er selbst zu sein, hatte noch nie zuvor so sehr wehgetan.


Luhans Augen waren so sehr gerötet, dass er sie am nächsten Tag kaum öffnen konnte. Seine Mutter glaubte erst, er hätte Drogen genommen, dann schob sie es auf Heuschnupfen (obwohl Luhan noch nie Heuschnupfen hatte), dann entschloss sie sich seine Bettwäsche zu wechseln und gut war.
»Oh, übrigens, das hier lag zwischen der Supermarkt Werbung. Dein Vater hätte ihn fast weggeworfen, wenn ich nicht noch einmal durch die Broschüren durchgeblättert wäre. Nächsten Dienstag sind Kugelschreiber Im Supermarkt im Angebot. Brauchst du welche?«

Sie hielt ihm einen Brief entgegen.
Luhan schielte ihn an. »Was?«
»Kugelschreiber. Brauchst du welche?«
»Nein, ich meine...was ist das?«
»Ein Brief für dich.«
Baekhyun nahm ihr den Brief für Luhan ab. »Was könnte es sein?«, fragte er, während seine Mutter wieder gegangen war. »Ein Sportverein?«, las Baekhyun. »Hast du dich bei einem Fitnessstudio angemeldet oder so?«

Luhan schrie auf und riss Baekhyun den Brief aus der Hand. Er war froh, dass er den Brief nicht beschädigte in seiner Eile, den Briefumschlag zu öffnen. Seine Hände zitterten, als er ihn durchlas.
»Ich habe ein Stipendium«, flüsterte er. »In Seoul. Ein Fußballstipendium.« Luhans Kopf schwirrte. »Dasselbe wie Minseok! Oh. Verflucht! Oh. VERFLUCHT!«
Irene und Baekhyun starrten ihn an, während er durch den Raum hüpfte. »Was? Du...du gehst nach Seoul?«
»Natürlich!«

Sie betrachteten einander, dann ihn. »Du gehst?«, flüsterte Irene.
Plötzlich erinnerte sich Luhan daran, was das bedeuten würde. Er erinnerte sich an Minseoks leise Stimme, als er Luhan von dem Stipendium erzählt hatte. Jetzt wusste er, wie er sich gefühlt haben musste. »Ich...ich weiß nicht? Ich...sollte ich nicht?«

Baekhyun schüttelte schnell den Kopf. »Doch, natürlich! Auf jeden Fall solltest du!« Luhan kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass er kein echtes Lächeln auf den Lippen trug. »Du solltest auf jeden Fall gehen. Das ist deine Chance!«
Irene nickte. »Und Minseok wird dort sein! Damit sind deine Chancen doch nicht mehr bei Null. Das ist doch großartig!«
Luhan hörte zu, während Irene und Baekhyun auflisteten, wie wundervoll Seoul war und was er alles erleben würde. Währenddessen gaben sie sich alle große Mühe, nicht zu weinen.


5.

»HIER bist du.«
Luhan öffnete die Augen und fand sich Angesicht zu Angesicht mit Minseok. Oder so ähnlich. Er stand zumindest über ihm und sah lächelnd auf ihn hinunter. Strahlend blauer Himmel bildete sich hinter ihm ab.

»Oh. Hey.« Er richtete sich auf, während sich Minseok neben ihm ins Gras fallen ließ.
»Heute ist Sonntag«, sagte Minseok. »Was treibt dich aufs Fußballfeld?«
»Ich bin ein paar Runden gelaufen...Ich...musste über ein paar Sachen nachdenken«, murmelte er.
»Störe ich?«
»Nein.« Minseok würde ihn niemals stören.

»Ich habe gehört, dass du auch ein Stipendium für Seoul bekommen hast? Baekhyun hat mir davon erzählt.«
Luhan nickte langsam.
»Was wirst du tun?«
»Ich weiß es nicht.« Luhan machte sich daran Büschel voll Grass aus der Wiese zu reißen. »Jetzt weiß ich, wie du dich gefühlt haben musst, als du mir von dem Stipendium erzählt hast. Echt mies.«

»Es ist nicht einfach, ich weiß.« Er rückte näher an Luhan heran, die Beine angezogen, damit er das Kinn auf seinen Knien abstützen konnte. »Was sagt dein Bauchgefühl?«
»Dass ich mich übergeben soll?«
Minseok lachte. »So schlimm?«

»Ich weiß nicht. Es ist alles so...verwirrend.« Und das war es. Luhan wollte seine Heimat nicht verlassen, er hatte nie darüber nachgedacht, in eine Großstadt zu ziehen, weil genau hier alles war, was er sich jemals gewünscht hatte. Seine Familie und seine Freunde, sein Fußballfeld und die Wälder in denen sie ihre alten Klassenarbeiten verbrennen konnten. Alles war genau hier. Nur Minseok würde es nicht mehr sein.

»Du solltest tun, was du für richtig hältst«, sagte Minseok sanft. »Erinnerst du dich? Das hast du zu mir gesagt.«
»Das ist so ein dummer Ratschlag. Tut mir echt leid.«
»Mir hat er geholfen.«

Luhan sah Minseok an und wünschte sich, er würde ihm die Entscheidung abnehmen. Er wünschte sich, er würde ihn ansehen und ihm sagen, dass er mit ihm gehen musste. Dass er nicht ohne Luhan sein wollte und er deshalb alles zurücklassen und mit ihm gehen musste. Aber Minseok sagte rein gar nichts in diese Richtung. Luhan wünschte sich, Minseok wäre in ihn verliebt.

»Ich weiß nicht«, wiederholte Luhan. »Ich wünschte, es wäre einfacher.«
Minseok schwieg.


Luhan hatte sich noch nicht entschieden, als Minseok ihn eine Woche vor ihrem Schulabschluss in seinem Klassenzimmer abfing. »Ich dachte, ich fahre das Wochenende nach Seoul und an die Uni, um mir alles anzusehen. Vielleicht möchtest du mitkommen? Das könnte dir deine Entscheidung erleichtern?«
Minseok und er, ein Wochenende alleine in Seoul. Oh je.

»Wie kommen wir nach Seoul?«
»Meine Eltern würden mir unseren Wagen überlassen.« Er grinste. »Keine Sorge, ich habe meinen Führerschein letzten Herbst gemacht und ich fahre regelmäßig. Lieferungen für das Geschäft meines Vaters und so weiter.«

Luhan hatte keine Sorge. Er wusste, dass Minseok niemals waghalsig handeln würde. »Ich habe im Internet nachgesehen und jemanden gefunden, der sein Wohnheimzimmer für das Wochenende vermietet. Es ist wirklich nicht teuer und dann könnten wir gleich sehen, wie es wäre im Wohnheim zu leben. Was denkst du?«
Luhan dachte, dass sein Herz ihm gleich aus der Brust springen würde. »Okay. Klingt gut.«
Minseok strahlte auf. »Sehr gut! Dann hole ich dich Samstagmorgen um acht von Zuhause ab. Wir sehen uns!«


Samstag kam schneller, als Luhan erwartet hatte. Vielleicht wegen der unterschwelligen Panik, die sich in Luhan festgekrallt hat, seit Minseok ihn dazu eingeladen hatte, mit ihm nach Seoul zu fahren...

Luhan war steif und nervös, als Minseok schließlich um Punkt acht Uhr morgens vor Luhans Elternhaus einfuhr. Ein Arm aus dem geöffneten Fester gelehnt, um ihm und seiner Mutter zuzuwinken. Seine Mutter drückte ihn an sich, als wäre Luhan bereits ausgezogen und nicht nur für zwei Tage fort, aber irgendwie war es auch ein beruhigendes Gefühl.
Luhan schwang seinen Rucksack auf die Hintersitze und stieg dann auf der Beifahrerseite ein.

»Bereit?«, fragte Minseok mit strahlenden Augen. Es war zu früh, für so viel Enthusiasmus, aber dann wiederum...es war tatsächlich aufregend. Nicht nur, dass gerade sie beide zusammen fuhren, sondern auch der reine Umstand, dass sie bald zur Uni gingen und beide noch nie zuvor in Seoul waren.
»Auf jeden Fall!«, sagte Luhan also, plötzlich viel entspannter.

Minseok fuhr aus Luhans Einfahrt heraus und steuerte den Wagen sicher und zuversichtlich aus ihrer kleinen Heimat heraus und auf die Autobahn.
Minseok erzählte von seiner älteren Schwester, die derzeit in Japan studierte und dann von dem Sportprogramm, dass er auf der Homepage der Uni in Seoul entdeckt hatte. Sie redeten die ganze Fahrt hindurch, über die Uni, über ihre Freunde, über das Wohnheim, über die Fußballspiele Zuhause, über Seouls U-Bahn-Verkehr, über den Bus, der einmal stündlich durch ihr Dorf tuckerte...und es war großartig, weil Luhan sich vorstellen konnte, das hier für immer zu tun. Für immer mit Minseok zwischen ihrer Heimat und Seoul hin und her zu fahren...

Sie kamen am frühen Mittag an, ihr Vermieter für das Wochenende begrüßte sie fröhlich, zeigte ihnen das überschaubare, aber ordentliche Zimmer, warf Luhan dann den Schlüssel in die Hände und wünschte ihnen viel Spaß. Dann zog er die Tür hinter sich zu.

»So sieht also ein Einzelzimmer aus.« Minseok betrachtete das Bett. »Das könnte eng für uns beide werden.«
Wärme schoss in Luhans Wangen. »Ich bin mit dem Boden einverstanden.«
»So war das nicht gemein«, er grinste ihn an. »Ich sagte es wird eng, nicht unmöglich. Dann kuscheln wir uns eben ein bisschen aneinander.«

Luhan würde die Nacht nicht überleben. Er war jung und zu verliebt in Minseok, um eine ganze Nacht neben ihm zu liegen, ohne innerlich zu sterben...verdammt.
Minseok ging ins Badezimmer, während Luhan weiterhin einen kleinen Zusammenbruch erlitt.


Sie wanderten über den Campus, spähten in die dutzenden Cafés, die fast an jeder Ecke zu finden waren (weil jeder wusste, dass Studenten zu 80% ihrer Zeit nur von Kaffee lebten), gingen in die Bibliothek und staunten nicht schlecht über die Reihen von Büchern, die den Raum ausfüllten. Sie gingen in die Mensa und aßen dort eine Kleinigkeit, eingepfercht zwischen Studenten, die sich euphorisch über Clubaktivitäten, das Uni-Theater und ihre Vorlesungen unterhielten.

»Irgendwie ist es genau so, wie ich es mir immer vorgestellt habe und dann wieder nicht.«
Luhan nickte. »So geht es mir auch.«

Sie schlenderten gerade über den Campus, wo Studenten auf Wiesen lagen, Bücher lasen oder mit anderen Studenten picknickten, als sie aufgehalten wurden. »Hey ihr zwei.« Ein Mädchen mit kurzen, rotgefärbten Haaren stellte sich ihnen in den Weg. Sie war kleiner als sie beide, aber deutlich energischer. »Wir schmeißen heute Abend eine Fachschaftsparty! Lehramt.« Sie drückte ihnen jeweils einen Flyer in die Hand. »Eintritt ist ab 21 Uhr, in A324, das ist hinter den Biologen, folgt den Schildern. Wenn ihr den Flyer an der Bar vorzeigt, gibt es ein Bier gratis. Wenn ihr dem Barmann sagt, dass euch Jia geschickt hat, dann gibt es gleich zwei.« Sie zwinkerte ihnen zu.

»Oh«, sagte Minseok. »Wir sind aber keine Lehramts Studenten.«
Sie lachte. »Das macht keinen Unterschied. Wir sehen uns!«
Und damit sprang sie auf die nächsten vorbeigehenden Leute, um ihre Flyer loszuwerden.
Minseok und Luhan sahen sich achselzuckend an. »Klingt lustig?«
»Wir können ja noch darüber nachdenken.«

Anschließend gingen sie auf den Sportplatz der Uni und...ja, das war wirklich beeindruckend. Es gab mehrere große Fußballfelder, dahinter einen Platz für die Basketballer und ein paar Beachvolleyball-Felder, auf denen eine Gruppe Mädchen gerade spielte.
Luhan sah wie Minseoks Augen bei dem Anblick aufstrahlen und wusste, dass er hier her gehörte. Er gehörte auf diese Felder, in dem Trikot der Uni, sein Name auf seinem Rücken, das Emblem der Universität auf seiner Brust. Es wäre perfekt für ihn.

Luhan freute sich für ihn, während sein Herz gleichzeitig wieder so unendlich schwer wurde.


Sie entschlossen sich dazu, am Abend doch noch auf die Lehramts-Party zu gehen. Der Campus pulsierte vor Leben, so viele Menschen waren hier versammelt, als wäre es Tag und nicht Abend. Alle waren locker gekleidet, in dünnen Pullovern mit dem Logo der Universität auf dem Rücken, oder Umhängetaschen voller Bücher, während sie sich eine Bierflasche an den Mund hielten.

»Ich liebe es«, flüsterte ihm Minseok zu. Und Luhan konnte es sehen, wie Minseoks Augen all das aufsogen, wie ein verdurstender an einer Quelle. Luhan konnte es vor sich sehen, wie Minseok in einem dieser Universitäts-Pullover über den Campus schlenderte, seine Bücher unter dem Arm, während er von einer Gruppe anderer Studenten eingekreist war. Vielleicht würde er einen Arm um die Taille eines hübschen Mädchens mit kurzen, welligen Haaren und einer runden Brille gelegt haben, oder die Hand eines Jungen halten, der mit ihm im Fußballklub spielte.

Luhan wurde übel, weil er all das so klar vor Augen hatte. Nur sich selbst konnte er in diesen Bildern nicht finden. Vielleicht würde er Minseok eines Tages eine Nachricht schreiben, betrunken und einsam in ihrem kleinen Dorf, verzweifelt vor Sehnsucht nach ihm. ›Du fehlst mir‹, würde er schreiben und mit schmerzender Brust darauf warten, dass Minseok die Nachricht las...nur hätte Minseok gar keine Zeit die Nachricht zu lesen, weil er eingekreist von seinen neuen Freunden und der Person, die er liebte, war und Luhan und ihre Heimat schon längst vergessen hatte...

Minseok griff nach seiner Hand. »Hier entlang, wohin läufst du denn?«
Luhan blinzelte sich aus seinen Gedanken heraus und - fuck, fuck, fuck, nicht sein ernst! Er hatte Tränen in den Augen und woah, jetzt fielen sie ihm auf die Wangen und fuck, was zum Teufel??
Minseok wurde ganz still, seine Hand hielt noch immer Luhans fest. »Luhan?«, sagte er verblüfft. »Was ist mit dir? Tut dir etwas weh?«

Luhan riss seine Hand los und wandte sich schnell ab, denn verflucht, er konnte noch immer nicht aufhören, zu weinen und das war so verflucht peinlich! Was würde Minseok jetzt über ihn denken? »Nichts, schon gut. Ich hab nur was im Auge.«
Er wischte sich verzweifelt mit dem Unterarm über die Augen, aber jetzt lief auch noch seine Nase und haha wow, wirklich großartig, Luhan, du bist so ein verdammter Volltrottel. Jetzt hatte er Rotze und salzige Tränen auf dem Gesicht und Minseok berührte sanft seine Schulter.
»Hey, schon gut. Alles gut.«

Aber es war nicht gut. Rein gar nichts war gut. Er schluchzte auf, weil alles – A L L E S – so verflucht wehtat.
Minseok navigierte ihn zu der nächsten Bank, abseits von allen anderen. Nur eine einzige Straßenlaterne strahlte auf sie hinunter. Minseok suchte in seiner Hosentasche, bis er Luhan ein Taschentuch reichen konnte. Luhan wusste nicht, was er sich zuerst wegwischen sollte.
»Sorry«, flüsterte er. »Ich-«
»Nein, schon gut. Keine Sorge.« Minseok lehnte sich nah an ihn, wahrscheinlich um Trost zu spenden, unwissend, dass das alles nur noch schlimmer machte.

»Ich...ich wollte nicht-«
»Schon gut.« Und Minseok machte es noch schlimmer, als er seinen Arm um Luhans Schultern legte und ihn an sich zog, bis Luhans Wange gegen den weichen Stoff seines T-Shirts rieb und Minseok sein Kinn auf seinem Kopf ablegen konnte. Es war so schön und so schrecklich, dass Luhan gleich noch einmal in Tränen ausbrach. Großartig.


»Hast du Heimweh?«, fragte Minseok ein paar Minuten nachdem Luhan sich wieder beruhigt hatte und Minseoks Taschentuch wahrscheinlich auswringen konnte und der Gedanke...war wirklich super eklig. »Oder ist es die Veränderung, die uns erwartet? Hast du Angst davor?«
Luhan nickte langsam. »Etwas.«

Minseok atmete tief aus. Luhan konnte es spüren, weil seine Wange noch immer an seiner Brust lag und er Minseoks Herzschlag lauschen konnte. »Mir geht es genauso«, sagte er. »Ehrlich, innerlich habe ich den ganzen Tag geschrien. Ich freue mich auf all das hier, aber...es ist auch verdammt gruselig. Ich muss praktisch alles zurücklassen.«
Er würde auch Luhan zurücklassen...der Gedanke war schrecklich.
»Ich habe mit meiner Schwester telefoniert, als ich dachte, ich würde förmlich wahnsinnig werden.« Luhan konnte das Lächeln aus seiner Stimme heraushören. »Sie meinte, es ist in Wahrheit ganz anders. Es fühlt sich an, als würde man etwas zurücklassen, aber in Wahrheit nimmt man eine Menge mit.«

Luhan richtete sich auf, um Minseok in die Augen zu sehen. »Was?«
»Sie meinte, dass ein Teil von allem immer bei ihr bleibt. Wenn sie in Tokyo ist, denkt sie an unsere Heimat, an Mom und Dad, an mich und all ihre Freunde. Sie bleiben in Kontakt und schicken sich gegenseitig Fotos von einfach allem...und wenn sie dann wieder zu Besuch kommt, ist alles genau so wie es immer war. Nur spannender, weil man jetzt von neuen Dingen erzählen kann, von neuen Freunden und neuen Erlebnissen. Es ist nicht so, dass man das eine für das andere aufgibt, sondern man kombiniert einfach beides und erhält etwas Neues. Etwas Besseres. Man kann beides haben.«

Luhan schniefte. »Deine Schwester ist echt cool.«
»Sie ist ganz in Ordnung«, lachte er. »Die meiste Zeit.«
»Ich...ich denke nicht, dass ich nach Seoul ziehen werde, Minseok. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen.«
Er nickte langsam. »Ich weiß. Ich dachte es mir.«
Luhans Schultern sanken hinunter. Das war es also. Niemals würde Minseok nicht in einer Beziehung enden und ihre Vereinbarung...sie wäre dahin.

Minseok griff wieder nach seiner Hand. »Was wollen wir tun?«, fragte er sanft. »Willst du wieder zurück ins Zimmer gehen? Wir können früh Schlafengehen?«
Luhan schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin für die Party. Für das Bier, um genau zu sein.«
Minseok lachte und drückte seine Hand einmal, bevor er losließ. »Dann mal los.«
Luhan wünschte sich, es würde ihm genau so leicht fallen, wie Minseok, ihn los zu lassen.


Die Party war lustig und sie anschließend müde genug, dass sie einfach beide in das winzige Bett fielen und sich nicht darum scherten, wie wenig Platz sie hatten. Und als Minseok mitten in der Nacht nach Luhan griff und ihn an sich zog, als wäre er ein Stofftier, schmerzte Luhans Herz nur für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er noch näher rückte und sein Gesicht in Minseoks Nacken presste, bis seine Lippen seine Haut streiften.


Den Sonntag frühstückten sie, nachdem sie den Schlüssel des Zimmers wieder abgegeben hatten, in einem der vielen Campus Cafés, streiften den ganzen Tag durch Seoul und erledigten den wichtigsten Touristen-Kram, den man innerhalb eines Tages erledigen konnte. Und als sie am Abend wieder in Minseoks Wagen stiegen, bedauerten sie die wenige Zeit, die sie hatten und Minseok ließ Luhan versprechen, dass er ihn oft besuchen kam und Luhan versprach es ihm, auch wenn er bereits wusste, dass Minseok ihn bis dahin vergessen hatte.


6.

ENDE des Sommers gab es eine Abschiedsparty für Minseok und die wenigen anderen, die zum Studieren oder Arbeiten woanders hinzogen. Luhan brachte es nicht über sich, sein Zimmer zu verlassen und achtete nicht auf die Anrufe von Baekhyun und Irene, die ihn mit Sicherheit dazu auffordern wollten, doch zu kommen.
Luhan verschanzte sich in seinem Zimmer und versteckte sich unter seinen Decken.


»Luhan«, sagte seine Mutter sanft am Abend nach der Abschiedsparty. »Schatz?«
Luhan gab ein grummelndes Geräusch von sich. Er hatte die Nacht kaum ein Auge zu getan.
»Liebling, du hast Besuch.«
»Ich will sie nicht sehen«, sagte er, vollkommen überzeugt davon, dass es Baekhyun und Irene waren.
»Aber Minseok hat sich extra die Mühe gemacht. Seine Eltern warten im Auto auf ihn und ich denke, er will wirklich dringend noch einmal mit dir sprechen.«

Luhan setzte sich auf, seine Decken noch immer um seinen Kopf gestülpt, als wäre er ein menschlicher Burrito. »Minseok?«, fragte er mit brechender Stimme.
Sie nickte. »Ich sage ihm, dass er hochkommen kann, in Ordnung?«
Er nickte steif, war aber innerlich so taub, dass er nicht einmal daran dachte, sich die Haare mit den Fingern durchzukämmen, oder die Decken von sich zu nehmen.

Minseok drückte sanft seine Zimmertür auf und trat vorsichtig ein, behutsam als würde er die Höhle eines Raubtiers betreten. Luhan blinzelte ihn verwundert an.
»Oh, hey. Wie geht es dir? Irene meinte, dir wäre gestern etwas übel gewesen. Ist es die Grippe?«
Luhan schüttelte den Kopf. »Mh, nur, ein bisschen...was machst du hier?«

Minseok wechselte unangenehm von einem Fuß auf den anderen, bis er den Raum durchquerte und sich auf die äußerste Kante des Betts setzte. »Du warst nicht da und...ich habe den ganzen Sommer wirklich wenig von dir gesehen.« Er lächelte vorsichtig. »Ich dachte, ich könnte mich zumindest bei dir verabschieden?«
»Oh. Mh, danke.« Genau davor hatte sich Luhan eigentlich gedrückt. Er wollte sich nicht von Minseok verabschieden. Er wollte so tun, als würde sich einfach rein gar nichts verändern und auch morgen würde er wieder auf das Fußballfeld gehen und Minseok dort wiederfinden. Ihm zuwinkend und breit grinsend.

»Mh, ja, also...Mach's gut. Viel Spaß in der Uni.«
Luhan nickte. Seine Augen prickelten. »Dir auch«, flüsterte er.
»Danke.«
Minseok sah auf Luhans Bettdecke hinunter. Die peinliche mit den kleinen Gänseblümchen. »Ich...Mh, du...« Er schluckte schwer, sah dann auf und lächelte. »Vergiss unsere Vereinbarung nicht, in Ordnung? Haha.«

Es war so ungerecht, so unfassbar ungerecht. Luhan sah hinunter. »Sie ist nutzlos. Ich bin mir sicher, du wirst jemanden finden, bevor du 25 bist. Vergiss unsere scheiß Vereinbarung also.«
Minseok hielt ganz still. »Oh, ja, bestimmt. Sorry, ich...tut mir leid. Ich sollte jetzt-«
Luhan explodierte. Er hielt Minseoks Hand fest, bevor er aufstehen konnte. Seine Hand zitterte. Minseok sah ihn verwundert an. »Es ist nicht fair.«

»Was?«
Luhan nahm einen tiefen Atemzug. »Wenn ich dir gleich sage, dass ich dich liebe und du mich ablehnst, dann...dann bleibe ich wirklich für den Rest meines Lebens allein, weil...weil ich niemanden so sehr wollen könnte wie dich und dann bin ich 25 und einsam und allein und du...du nicht! Und was bringt mir diese bescheuerte Vereinbarung dann, wenn...wenn du bis dahin glücklich mit einer anderen Person sein wirst und ich...« Tränen schossen ihm schon wieder in die Augen. Er blinzelte sie wütend fort. »Deshalb war diese Vereinbarung von Anfang an so verflucht unfair, weil ich der Einzige bin, der allein sein wird!«

Minseok starrte ihn fassungslos an, dann entspannten sich seine Gesichtszüge plötzlich. Er löste Luhans Hand von seinem Handgelenk und legte sie stattdessen auf seine Wange. »Wer sagt, dass ich dich ablehnen würde, wenn du mir gleich sagst, dass du mich liebst? Wer sagt, dass ich deine Gefühle nicht erwidern würde?«
Luhan starrte ihn an. »Was?«

»Verdammt Luhan!« Er lachte auf. »Ich liebe dich! Ich dachte nur...hast du nicht bemerkt, wie verzweifelt ich mich an unsere Vereinbarung geklammert habe? Obwohl ich gesehen habe, wie beliebt du bei den Mädchen warst, wie sehr du dich immer um die Leute um mich herum konzentriert hast und nie auf mich? Wie bereitwillig du Sehun vor meinen Augen geküsst hast! Ich dachte unsere Vereinbarung sei ein Scherz für dich, während sie...« Sein Gesicht wurde sanfter. »So viel mehr für mich war.«

Luhans Herz stockte. »Nein, ich...ich habe so viel Interesse an anderen gezeigt, damit sie sich von dir fernhalten«, flüsterte Luhan. »Weil ich...was? Du...du magst mich? So...so wie ich dich mag?«
»Natürlich«, sagte Minseok und legte lachend seine Stirn gegen Luhans. »Was denkst du, warum ich so verzweifelt versucht habe, dass du Seoul und den Campus magst? Ich wollte unbedingt, dass du mit mir kommst.«

»O-oh.«
»Nein, warte, das soll nicht bedeuten, dass du unbedingt mit mir kommen sollst. Ich...ich habe es mir gewünscht, aber ich akzeptiere deine Meinung und-«
»Ich liebe dich«, unterbrach Luhan. »Gehst du mit mir aus?«
Minseok lächelte. »Das verstößt aber gegen unsere Vereinbarung?«
»Mir egal«, sagte Luhan und meinte es. »Das ist völlig egal, so lange ich es bin, der mit dir ausgeht.«

Und plötzlich lehnte sich Minseok nach vorne und küsste Luhan. Und es war ein perfekter, ein wundervoller Kuss, weil Minseok perfekt und wundervoll und noch so viel mehr war.
»Wow«, flüsterte Luhan. Er küsste ihn noch einmal.
Minseok lachte, als sie sich wieder voneinander lösten. »Das ist verdammt schlechtes Timing«, murmelte er gegen seine Lippen.

»Ich weiß«, bestätigte Luhan. »Das...das wird eine Fernbeziehung, nicht wahr?«
Minseok nickte. »Jap.«
»Klappt das?«
»Ich war bereit zu warten, bis ich 25 bin«, flüsterte er gegen seine Lippen. »Und wie es klappen wird!«

»Gut«, sagte Luhan. Er schlang seine Arme um Minseoks Nacken und zog ihn an sich und wusste, dass das zwischen ihnen nicht enden würde, egal wie weit sie voneinander entfernt waren. Weil Luhan nie aufgehört hatte, Minseok zu lieben und Minseok...Minseok liebte ihn auch!
Und wenn es hart auf hart kam...würde Luhan jede Person, die Minseok zu nahe kam verkuppeln. Selbst wenn er drei Stunden von ihm entfernt war. Für jetzt jedoch, küsste er Minseok noch einmal. 

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