vier autoren - eine story │ P...

Bởi imagine-fairies

1.4K 110 105

Wie würde es aussehen, wenn mehrere Autoren ein und dieselbe Grundidee hernehmen, dann aber jeweils ihre eige... Xem Thêm

vorwort
perfectly well
they never know
matchmaker
auflösung

weingummihochzeit

233 20 22
Bởi imagine-fairies

2️⃣0️⃣0️⃣6️⃣


KYUNGSOO und ich waren gerade mal vierzehn und fünfzehn Jahre alt, als wir uns verlobten. Ich war seit Tagen (Wochen, wenn man Kyungsoo fragte, aber das war pure Übertreibung) schlecht gelaunt, weil meine dreiwöchige Beziehung zu der Liebe meines Lebens in die Brüche gegangen war, und so lag ich auch an dem Tag wieder mit dem Rücken auf Kyungsoos Bett und warf der Decke vorwurfsvolle Blicke zu, während mein bester Freund unsere Hausaufgaben erledigte.

Irgendwann legte er sich zu mir (selbstverständlich gerade, parallel zum Bettrand, während ich mich quer über das halbe Bett ausgebreitet hatte) und rutschte näher, bis sich unsere Köpfe berührten.

»Baekhyun?« Er klang eigenartig kleinlaut und holte mich damit auf den Boden der Tatsachen zurück, genau wie er es immer tat.
»Ja?« Für einen Moment herrschte Stille, bis ich meinen Kopf in seine Richtung drehte. »Was ist?«

Kyungsoo pikste mich in die Wange, sodass ich den Blick wieder abwendete, bevor er zu sprechen anfing. »Hyung, ich glaube ich mag Jungs.«
In meinem Kopf ratterte es. »Na und? Wäre ja auch schlimm, wenn nicht«, erwiderte ich blauäugig und konnte förmlich hören, wie sich Kyungsoos Stirn in Falten legte.
»Ich mag sie mehr als Mädchen«, betonte er und in dem Moment ging auch bei mir die Glühbirne an.

»Du bist schwul«, stellte ich fest und Kyungsoo antwortete nicht, aber ich spürte ihn nicken.
»Hmm«, brummte ich und drehte meinen Kopf wieder, bis ich ihm ins Gesicht sehen und ihn neugierig mustern konnte. »Also«, begann ich in einem nachdenklichen Singsang, »dann wäre es nicht seltsam, wenn ich dich jetzt küssen würde.«

In Anbetracht der Tatsache, dass meine Lippen Kyungsoos in dem Moment so nah waren, dass ich meine Drohung ohne Weiteres hätte wahrmachen können, zog er den Kopf so weit es ging nach hinten und sah mich mit großen Augen an. »Doch?!«
Ich rollte mich auf den Bauch und kam Kyungsoos Gesicht noch näher.

»Baekhyun.« Das war eine Warnung. Ich grinste schelmisch. »Ich hab gesagt, dass ich Jungs mag. Deswegen gilt das nicht gleich auch für dich.«
»Ich mag dich«, sagte ich ungezwungen und bewegte mich keinen Zentimeter zurück, beobachtete mit Belustigung, wie Kyungsoo immer röter und immer saurer wurde. »Na komm schon, Soo.«

Ich schürzte theatralisch die Lippen und stützte mich auf meinem Unterarm ab, um das letzte winzige Stückchen, das uns noch trennte, näher zu rücken.
Kyungsoo wählte den eher uneleganten Abgang über die Bettkante.

Ich schob beleidigt meine Unterlippe vor und setzte mich auf, streckte eine Hand aus, um Kyungsoo aufzuhelfen. »Autsch«, sagte ich. »Meine Gefühle.«
Kyungsoo beäugte mich böse. »Du bist schrecklich.« Er strich sich die Hosenbeine glatt und setzte sich dann im Schneidersitz wieder zu mir aufs Bett. »Aber du hasst mich nicht.« Ich hatte ihn kaum gehört, so leise sprach er.

»Natürlich nicht«, versicherte ich ernst. »Wieso sollte ich?«
Kyungsoo machte ein Gesicht, wie ein alleingelassener Welpe. »Ich fühle mich wie ein Alien.«
Das brachte mich zum schmunzeln. »Du bist wohl kaum das einzige Alien in Seoul.« Das war intelligent und pragmatisch, genau wie Soo. Innerlich klopfte ich mir selbst auf die Schulter.

Für einen Moment zeigte meine Argumentation die erwünschte Wirkung. Kyungsoo hob den Blick, sowie einen belustigten Mundwinkel. »Ach so?«, fragte er und seufzte dann aber doch wieder. »Trotzdem, Seoul ist riesig. Wieso sollte gerade ich jemanden finden?«
Ich seufzte ebenfalls und stützte das Kinn auf meinen Händen ab. »Ich verstehe dich. Ich werde wohl auch nie wieder jemanden so perfektes, wie Taeyeon finden.«

Ich sah, wie Kyungsoo mit den Augen rollte und beeilte mich, mich selbst von dem Thema abzulenken, indem ich meinem besten Freund eine Idee mitteilte, über die ich noch keine Zeit gehabt hatte, nachzudenken. »Hör zu, Soo, wir schließen einen Pakt, okay?«

Aufmerksam beobachtete Kyungsoo, wie ich aufstand, quer durch das Zimmer lief und die Schublade öffnete von der er wusste, dass ich wusste, dass er dort seinen geheimen Süßigkeitenvorrat aufbewahrte. Ich fand eine Tüte mit Weingummiringen und fischte zwei heraus, bevor ich zurückging. Kyungsoo sah mit einer gehobenen Augenbraue zu mir hoch.

»Wenn wir, bis wir dreißig sind, niemanden gefunden haben, heiraten wir einfach einander.« Das war genial, aber Kyungsoos Blick nach zu urteilen, verstand er die Brillanz hinter meinem Plan nicht. »Du spinnst doch.«

Ich schüttelte mit dem Kopf und hielt ihm den roten Weingummiring entgegen. »Du willst doch wohl nicht bis ans Ende deiner Tage, allein bleiben.«
Zögerlich verneinte Kyungsoo, die Augen fest auf den Ring zwischen meinen Fingern fixiert. »Aber die andere Frage ist, ob ich mir dich bis ans Ende meiner Tage ans Bein binden will.«

»Soo!«, maulte ich und verzog das Gesicht. »Warum musst du immer gemein sein, wenn man versucht, dich aufzumuntern?« Nicht, dass das häufig vorkommen würde, es war wohl meist eher andersherum, aber nichtsdestotrotz.

»Schon gut«, beschwichtigte Kyungsoo schnell und nickte letztlich. »Schön, aber nur wenn du mich ordentlich fragst.« Weil ich ihn nur verständnislos ansah, wies Kyungsoo auf den Boden vor sich und ich verstand, grinste und kniete mich folgsam hin.

»Do Kyungsoo.« Er hatte ein dummes Lächeln auf den Lippen und hob die Brauen. »Wirst du mich heiraten?«, fragte ich mit all der Ernsthaftigkeit, die ich aufbringen konnte. und hing dann schnell ein »Mit dreißig«, an.
Das Lächeln wurde breiter und verschmitzter. Er nickte. »Ja.«

Kyungsoo streckte die Hand aus und ließ sich von mir den Ring anstecken, dann verlangte er nach dem anderen, gelben Stück Weingummi in meiner Hand und steckte es wiederum mir an den Ringfinger.

Für einen Augenblick betrachteten wir unsere beiden Hände mit den Ringen daran und ich spürte, wie sich langsam meine Mundwinkel hoben, bis Kyungsoo den Mund öffnete. »Kitschig«, sagte er und wir beide fingen zu lachen an.


2️⃣0️⃣1️⃣1️⃣


KYUNGSOO schaffte seinen Abschluss mit Bravour. Wie es nicht anders von ihm zu erwarten war, beendete er die Schule als einer der Besten und heimste eine Urkunde ein. Für ihn aber, war das nicht mehr als ein angenehmer Nebeneffekt. Kyungsoo hatte sich in der Schule angestrengt, weil er ein Ziel vor Augen gehabt hatte und genau nach Plan, schrieb er sich kurz darauf, zum Wintersemester für BWL an der Uni ein.

Mein Abschluss hingegen, verlief holpriger. Mit Ach und Krach (sowie der finanziellen Unterstützung meiner Eltern) bekam ich es auf die Reihe, einen Notendurchschnitt zu erreichen, der mich gerade noch für die medizinische Fakultät qualifizieren konnte. Und so nahm ich dank dessen und dank des Motivationsschreibens, das mein Vater für mich verfasst und ich unterschrieben hatte, zum darauffolgenden Wintersemester mein Medizinstudium auf.

Nicht, dass ich je Arzt werden wollte. Es gab nur, wenn es nach meinen Eltern ging, gar keine andere Möglichkeit, meine Zukunft zu gestalten. Nicht, nachdem mein älterer Bruder, Baekbeom, bereits auf seinen, von unseren Eltern sorgfältig verfassten Lebensplan verzichtet hatte und mit seiner Freundin in die USA ausgewandert war.

Immerhin überließen sie mir die Entscheidung für eine Fachrichtung selbst. Ich hatte spaßeshalber die Pathologie vorgeschlagen, aber mein Vater war wesentlich weniger entsetzt darüber gewesen, als ich gehofft hatte. Letztlich würde ich wohl die Pädiatrie wählen.
Vorausgesetzt es käme jemals dazu.


»Du bist wirklich ein hoffnungsloser Fall, Baekhyunnie«, murmelte Kyungsoo kopfschüttelnd und klang belustigt, weswegen ich die Stirn in verzweifelte Falten schlug.
Er hatte mich vorhin aus dem Krankenzimmer abgeholt und sich, obwohl ich eigentlich längst wieder stabil war, bereiterklärt, mich Huckepack zurück zu unserem Zimmer im Wohnheim, einmal quer über den Campus zu tragen.

Ich seufzte auf und legte mein Kinn auf seinem Kopf ab. »Ich musste einen Fuß sezieren, Soo. Einen Fuß.« Ich spürte eine Gänsehaut meine Arme hinaufklettern. »Als wären Füße so schon nicht eklig genug. Nein, ich muss auch noch reinschneiden.«

Tatsächlich hatte ich minutenlang in Schockstarre mit dem Skalpell in der Hand dort gestanden und auf den Fuß gestarrt, hatte irgendwann wie in Trance den ersten systematischen Stich gesetzt und dann doch wieder das Bewusstsein verloren.

»Ach, Baekhyun«, seufzte Kyungsoo, machte vor unserer Tür halt und ließ mich aufschließen. »Du solltest wirklich mit deinen Eltern reden.«
»Das geht nicht.« Ich warf einen betrübten Blick zu Kyungsoo hoch, nachdem er mich auf meinem Bett abgesetzt hatte, welchen er mit mitleidigen Augen erwiderte.

»Wenn du es nicht tust, wird das früher oder später einer deiner Professoren übernehmen. Dich mit einem Skalpell herumhantieren zu lassen, ist unter diesen Umständen ein viel zu großes Risiko. Ein Wunder, dass du noch niemanden damit verletzt hast.«

Mit einem eisigen Blick auf Kyungsoos sich bewegende Lippen hatte ich versucht, den Redeschwall des Jüngeren aufzuhalten, doch offensichtlich hatte ich keinen Erfolg gehabt. Aber so wahr Kyungsoos Bedenken auch waren, sie änderten trotzdem nichts an meiner Situation.

»Soo, ich bin tot, wenn meine Eltern davon Wind bekommen. Ich muss es schaffen und dieses verfluchte Studium durchstehen.«
Kyungsoo hob lediglich die Augenbrauen und nickte dann. »Tu was du nicht lassen kannst, aber behaupte hinterher nicht, ich hätte es dir nicht gesagt.«

Stöhnend ließ ich mich zurück in meine Kissen fallen. Erwachsen werden war schwer.


ANDERS als mit meinem Studium, lief es mit Kyungsoos Liebesleben wesentlich besser, als er erwartet hatte. Der Campus war, mit all seinen Cafés und Studentenpartys, eine einzige Hochburg für Dates und flüchtige Bekanntschaften, von denen Kyungsoo so einige hatte.

Kyungsoos erste richtige Beziehung war ein Kollateralschaden. Ich erstickte sie im Keim, bevor ich wusste, dass sie überhaupt eine war.


Zu meinem Entsetzen war es nicht mal ein Professor, es war der Dekan selbst gewesen, der Kontakt zu meinen Eltern aufgenommen und ihnen knallhart vor den Kopf geworfen hatte, dass ich offensichtlich nicht für ein Medizinstudium geeignet war.

»Baekhyunnie«, hatte meine Mutter ins Telefon geflötet und doch schwang dieser warnende Unterton in ihrer Stimme mit. Zudem hatte ich meinen Vater im Hintergrund schnauben gehört. »Komm doch heute nachmittag zum Kaffee nachhause, wir haben etwas mit dir zu besprechen.«

Der Kaffee, sowie die Torte, die meine Mutter extra bestellt und aufgetischt hatte, blieben unangetastet. Unser Gespräch eskalierte zu einem einzigen Geschrei und endete in einem Rausschmiss seitens meines Vaters und meiner Mutter, die unter Tränen in der Küche verschwand, wie ein beleidigtes Kind.

Resigniert machte ich mich auf den Heimweg.


Ich hatte den Typen, den ich mit Kyungsoo zusammen auf seinem Bett überraschte, schon ein paar Mal gesehen, aber wohl nie bewusst wahrgenommen. Er war recht groß, hatte schwarze Haare und sah zerzaust und sauer aus, als ich verfrüht und unter Tränen unser Zimmer betrat.

Kyungsoo schien sofort zu wissen, was passiert sein musste, rappelte sich umgehend auf und kam zu mir. Er fing mich in seinen Armen auf und ließ zu, dass ich an seiner Schulter schluchzte, auch wenn ich damit sein Oberteil durchnässte.

Während er mich mit einer mir über den Rücken streichenden Hand zu beruhigen versuchte, brachte Kyungsoo dem anderen Kerl schonend bei, dass er jetzt besser gehen sollte, worauf er sich widerwillig einließ.
»Ich schreibe dir später, Chanyeol«, beschwichtigte er, während der Große in seine Jacke schlüpfte, sich zur Tür begab und kurz darauf endgültig aus dem Raum verschwand.

Kyungsoo hielt mich eine ganze Weile lang einfach nur fest im Arm und wog mich besänftigend hin und her, ohne etwas zu sagen.
Irgendwann schlief ich, müde und völlig erschöpft vom Weinen, mit dem Kopf auf seiner Schulter ein.

In den nächsten Wochen hatte sich Kyungsoo dazu verschrieben, mir wieder auf die Beine zu helfen und sagte Chanyeol die Worte »Ich kann nicht, ich muss mich um Baekhyun kümmern«, ein paar Mal zu oft. So oft, dass Chanyeol irgendwann genug davon hatte und Schluss mit Kyungsoo machte.

Dass mein bester Freund deswegen wirklich niedergeschlagen war, bemerkte ich erst viel zu spät.

Aufgrund meiner eigenen Sorgen schlief ich schlecht, wurde häufig wach und erinnerte mich dann an das wütende Gesicht meines Vaters und die hysterisch kreischende Stimme meiner Mutter.

Eines Nachts aber, kam das traurige Schniefen zur Abwechslung mal nicht von mir, sondern aus Kyungsoos Richtung. »Soo?«, fragte ich kleinlaut und konnte hören, wie seine Bettdecke raschelte und das leise Schluchzen verstummte.
»Was ist? Hast du wieder schlecht geträumt?« Seine Stimme klang sehr gefasst, dafür, dass er eben noch geweint hatte.

»Es tut mir leid, wegen Chanyeol«, sagte ich unvermittelt und schuldbewusst und überging seine Frage einfach.
Kyungsoo blieb einen Moment lang still. Wahrscheinlich hätte er wie immer geleugnet, dass es auch ihm mal schlecht ging und mir von seiner Allergie erzählt. Eine Allergie, die nur äußerst sporadisch und fernab jeglicher Saison ihre Effekte zeigte. Aber diesmal hatte ich ihn auf zu frischer Tat ertappt, hätte ihm ohnehin keine Ausrede abgekauft. »Es ist nicht deine Schuld, Hyung.«

»Na irgendwie schon«, murmelte ich und spielte mit dem Saum meiner Bettdecke herum.
Kyungsoo seufzte. »Du kannst nichts dafür, dass ich dich so gern hab.« Für andere Ohren hätten seine Worte viel zu bitter und sarkastisch geklungen, aber ich hörte das Schmunzeln in der Stimme meines besten Freundes und verstand das Kompliment auch als solches. Ein Lächeln machte sich unwillkürlich auf meinen Lippen breit.

»Und gerade weil ich dich so mag, solltest du mir vertrauen, wenn ich dir sage, dass du so langsam aus den Puschen kommen musst.«

Missmutig zog ich die Mundwinkel wieder nach unten. Ich hatte mich zuletzt äußerst wohl in meinem kleinen Sumpf aus Selbstmitleid gefühlt, aber der Punkt, an dem Kyungsoo das nicht mehr billigen würde, war abzusehen gewesen und nun wohl tatsächlich da.

»Wenn du weiterhin nur hier herumhängst verlierst du deine Immatrikulation. Dann musst du aus dem Wohnheim ausziehen und ich habe wirklich keine Lust darauf, mir einen neuen Mitbewohner suchen zu müssen«, fuhr Kyungsoo mit seiner Intervention fort. »Schreib dich vorerst für irgendetwas Belangloses ein, damit du wenigstens offiziell immer noch studierst und dann sehen wir weiter, ja?«

»Von welchem Geld denn?«, warf ich ein. Meine Eltern hatten nicht nur den Kontakt zu mir abgebrochen, sondern selbstverständlich auch den Geldfluss auf mein Konto. »Ich werde unter der Brücke landen.« Ich gab einen maulenden Laut von mir.

Der Ton, der von Kyungsoos Seite des Zimmers kam, klang nicht minder gequält. »Du hast zwei gesunde Hände, Baekhyun. Du kannst arbeiten, wie jeder andere normale Mensch auch.« Da war ich definitiv nicht scharf drauf, sagte allerdings nichts dazu, weil Kyungsoo dann wieder behaupten könnte, ich sei verhätschelt.

»Jaja«, murrte ich also stattdessen.
»Mhm, nichts jaja. Mach dir Gedanken und dann regeln wir alles Weitere, okay?« Kyungsoos Stimme klang streng, aber manchmal war das genau das, was ich hören musste.
»Ist gut«, willigte ich folglich ein. Kyungsoo gab ein zufriedenes Brummen von sich.

»Soo?«, fragte ich in die Dunkelheit herein, als er wahrscheinlich fast schon eingeschlafen war.
»Hm?«
»War Chanyeol deine erste große Liebe?«

Für einen Moment herrschte Stille, ich dachte schon, er sei tatsächlich nicht mehr wach gewesen, als Kyungsoo dann doch antwortete.
»Nein«, sagte er. »Wir beide sind verlobt, also warst es natürlich du.«
Er lachte und machte es damit offensichtlich, dass er nur gescherzt hatte, mich allerhöchstens hatte abschrecken wollen.

Das Gegenteil war der Fall.


2️⃣0️⃣1️⃣2️⃣


SO jedenfalls kam es also, dass ich nicht viel später in meiner ersten Pädagogik-Vorlesung saß, ganz ohne dass ich drohte, das Bewusstsein zu verlieren.
Nebenher hatte ich einen Aushilfsjob im Starbucks auf dem Campus angenommen und war (zu meiner eigenen, sowie zu Kyungsoos Überraschung) äußerst gut darin, mir die noch so ausgefallensten Bestellungen zu merken und Namen auf den Bechern grundsätzlich falsch zu schreiben.

Zu dieser Zeit war es auch, dass ich mir das erste Mal die Haare rot färbte, jetzt, wo da niemand mehr war, der mir weismachen wollte, das wirke unseriös. Letztlich bereute ich es aber trotzdem bereits einen Monat darauf.

»Du solltest wirklich etwas dagegen unternehmen«, riet mir Sehun, einer meiner Freunde aus Kindertagen, dessen Eltern gute Bekannte meiner Eltern waren, während er missbilligend meine ausgewaschenen Locken und den deutlich erkennbaren dunklen Ansatz begutachtete. »Dringend.«

Ich verdrehte die Augen in Sehuns Richtung. »Es sind meine Haare. Ich muss doch damit leben und das kann ich sehr gut.«
Der Blonde rümpfte die Nase. »Du musst ja diesen Anblick auch nicht ständig ertragen.«

»Frech, Oh Sehun. Dir sollte man mal Respekt beibringen«, tadelte ich ihn, doch meine Mühen fruchteten nicht, das hatten sie bei dem Jüngeren noch nie.
Sehun zuckte ungerührt die Achseln. »Meine Manieren sind gut. Ich bin hier nicht derjenige, der von seinen Eltern rausgeschmissen wurde.«

Sehun war die einzige Person, der ich es würde durchgehen lassen, darüber Witze zu machen. Er war wohl derjenige, der mich noch am besten verstehen konnte. Zwar ging Sehuns Plan, nach dem Studium die Firma seiner Familie zu übernehmen, absolut mit seinen Eltern d'accord, aber zumindest war er in ähnlichen Verhältnissen und mit einem ähnlichen Druck im Nacken aufgewachsen, wie ich und mein Bruder.

Ich schnaubte empört und wollte gerade eine zynische Bemerkung machen, als mir auffiel, dass Sehun mir schon keine Beachtung mehr schenkte. Er war vollends von seinem Handy eingenommen, in das er im Sekundentakt Nachrichten zu tippen schien.
Ich hatte ihn eine Weile lang dabei beobachtet, bis ich belustigt das Wort ergriff. »Willst du mir jemanden vorstellen, Sehunnie?«

Er sah fast peinlich berührt aus, als er den Blick hob und mir blinzelnd ins Gesicht sah. Dann schoben sich seine markanten Augenbrauen zusammen und er wich meinen Augen aus. »Ich muss mich ihr selbst noch vorstellen, wir schreiben erst seit etwas über zwei Wochen. Am Wochenende treffen wir uns auf einen Kaffee.«

Erfreut klatschte ich in die Hände. »Wie gut, dass ich am Samstag arbeiten muss!«
Sehun warf mir einen entsetzten Blick zu. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass wir zu dir in den Starbucks kommen.«

»Och, aber warum denn nicht? Ihr bekommt auch Mitarbeiterrabatt.« Ich wackelte einladend mit den Augenbrauen, doch Sehun sah weiterhin unbeeindruckt aus. »Ach komm schon! Jetzt wo Kyungsoo weg ist, brauche ich dringend Gesellschaft.«

Kyungsoo verbrachte die Semesterferien zuhause und hatte eine Praktikumsstelle in einem Autohaus ergattert, in dem er nun arbeitete. Er schrieb mir ab und zu, um sich nach meinem Befinden und unserem Wohnheimzimmer zu erkundigen, das ich mich zu hüten bereiterklärt hatte, allerdings hatte er so gut wie nie Zeit, vorbeizukommen.

Sehun seufzte und rollte mit den Augen. »Du klingst wie dieser eine seltsame Onkel in der Familie, den niemand besuchen möchte. Das ist unser erstes Date, ich hatte nicht vor, sie direkt abzuschrecken, weißt du?«

»Abschrecken«, schnaubte ich. »Ich kann dir höchstens helfen. Du bist doch sicher weniger aufgeregt, wenn eine Vertrauensperson dabei ist.«
Sehun machte große Augen. »Da wo du bist, fängt meine Nervosität erst an«, behauptete er kritisch. »Ohne dich an den Hacken wäre ich wesentlich entspannter.«

»Du Miesepeter«, seufzte ich. »Du sollst sie mir doch nur kurz vorstellen und dann könnt ihr ja gehen, ich hänge doch sowieso hinterm Tresen fest.«
Sehun blieb lange, mit einem vorwurfsvollen Blick auf dem Gesicht still, aber gegen meinen Sturkopf kam er nicht an.

»Schön«, murrte er.
Meine Miene erhellte sich unmittelbar. »Na also! Du wirst es nicht bereuen, Sehunnie.«


Und tatsächlich erblickte ich am Samstag darauf Sehun mit einem erdbeerblonden Mädchen im Schlepptau in meiner Warteschlange.

»Hey!«, begrüßte ich die beiden, sobald sie vor mir standen, mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht. Das Mädchen erwiderte mein Lächeln, doch Sehun sah weniger begeistert aus. »Chaeyoung, das ist Baekhyun; Baekhyun - Chaeyoung«, stellte er uns zwangsläufig einander vor.

»Hi, freut mich«, sagte sie, zeigte eine Reihe perfekter Zähne und reichte mir die Hand über den Tresen hinweg.
Ihre Haut war weich und gepflegt, das würde Sehun mögen. »Mich auch«, erwiderte ich wohlwollend, dann sah ich wieder zu meinem Freund herüber. »Was kann ich euch bringen?«

Sehun bestellte einen White Chocolate Mocha mit Sojamilch, Chaeyoung nahm einen einfachen Cappuccino. Der Jüngere bestand darauf, den vollen Preis zu bezahlen, allerdings schob ich ihnen - mehr oder weniger zu meiner eigenen Belustigung - einen Brownie mit zwei Gabeln am Tellerrand hin. »Eine Aufmerksamkeit des Hauses für junge Turteltauben wie euch.«

Wenn Sehuns Blick tatsächlich hätte töten können, wäre ich in dem Moment nach hinten weggekippt. Chaeyoung jedoch wirkte allenfalls belustigt und lächelte so breit, dass ihre Augen ganz schmal wurden. »Das ist doch super nett, nicht?«

Ein bittersüßes Schmunzeln breitete sich auf Sehuns Lippen aus, sobald Chaeyoung ihn ansah. Zustimmend nickte er. »Total nett.« Trotz seines Lächelns funkelten mich seine Augen noch immer böse an. Dann ergriff er seinen Becher und den Teller, Chaeyoung nahm ihre eigene Tasse in die Hand und winkte mir noch, bevor sie sich abwandten und zu einem der Tische am anderen Ende des Cafés hinübergingen.

Von dort aus konnte ich zwar nicht verstehen, was sie sagten, dazu war die Geräuschkulisse in der kleinen Starbucksfiliale allgemein zu laut, aber ich konnte sie in ruhigen Momenten immer mal wieder beobachten.

Sie schienen sich gut zu verstehen, ich sah Sehun selten so viel lächeln, wie er es auf diesem Date tat. Chaeyoung war scheinbar entspannt und genügsam genug, um Sehuns Angespanntheit verfliegen zu lassen und seine komfortable, ungezwungene Seite herauszulocken. Es war herzerwärmend zu sehen.

Ich konnte es nicht genau sagen, aber es musste wohl über eine Stunde später gewesen sein, dass Sehun und Chaeyoung sich von ihren Plätzen erhoben.
So wie ich Sehun kannte, hätte er sein Geschirr stehengelassen, aber Chaeyoung bestand wohl darauf, es zurück zum Tresen zu bringen und sich im selben Atemzug bei mir zu verabschieden.

Sehun schlurfte mit den Händen in den Manteltaschen und tiefen Falten auf der Stirn hinter Chaeyoung her und blieb auch knapp hinter ihr stehen. Ich bedankte mich bei Chaeyoung dafür, dass sie meine Arbeit erleichterte und stellte die zwei Tassen und den Teller in die Spüle.

»Es war schön, dich kennengelernt zu haben, Baekhyun«, lächelte Chaeyoung höflich und verbeugte sich leicht, was ich erwiderte.
»Fand ich auch«, gab ich zurück. »Aber wir werden uns sicher noch öfter sehen, Sehunnie hat dich ja offensichtlich sehr gern.«

Der Blonde brach in einen überraschten Hustenanfall aus und hielt sich eine Hand vor den Mund. Chaeyoung kicherte und klopfte dem rot anlaufenden Jüngeren fürsorglich auf den Rücken. Während Sehun sich wieder beruhigte, antwortete Chaeyoung noch immer schmunzelnd, aber doch pragmatisch auf meine Bemerkung. »Das fände ich sehr schön.«

Ich nickte lächelnd. »Dann bis bald mal!«, verabschiedete ich sie.
»Bis bald«, erwiderte Chaeyoung und lief dann voraus zum Ausgang. Sehun folgte ihr und schüttelte über seine Schulter hinweg vorwurfsvoll den Kopf in meine Richtung.

Trotz Allem aber sah ich - und deswegen hätte Sehun mir auch lieber dankbar, statt böse sein sollen - wie seine und Chaeyoungs Finger miteinander verschränkt waren, als sie den Laden verließen.


DAS neue Semester begann und mit ihm, sowie mit dem Aufblühen der ersten Knospen des Frühlings, keimte auch Kyungsoos nächste Romanze auf.

Er hatte Junmyeon bei der Arbeit kennengelernt.
Zwar hatte Kyungsoo seine meiste Zeit in den Büros mit der Buchhaltung verbracht, während Junmyeon vorne im Verkauf tätig war, aber sie waren sich dennoch immer mal wieder über den Weg gelaufen, hatten angefangen, ihre Mittagspausen zusammen zu verbringen und sich irgendwann über einem Caesar Salat und einer Portion Pommes ineinander verliebt.
Kyungsoo hatte mir nicht allzu viele Details erzählt, bloß, dass er es vermissen würde, Junmyeon tagtäglich in einem Anzug zu Gesicht zu bekommen.

Junmyeon war derjenige, der Kyungsoo zeigte, was es hieß, eine richtige Beziehung zu führen. Er war derjenige, der Kyungsoo sich wirklich geliebt fühlen ließ. Junmyeon war ein Gutmensch, mit makelloser Moral und nur den allerbesten Absichten. Er war tausendmal perfekter als ich, oder jeder andere Mensch, was das betraf.
Letztlich würde es mir um ihn wirklich leidtun.

Wenn Junmyeon bei uns zu Besuch war und Kyungsoo wie immer für uns kochte, würde er bemerken, wie vorzüglich sein Essen schmeckte - was auch tatsächlich so war.

Wenn Kyungsoo so lange an einer Hausarbeit oder Präsentation für die Uni gesessen hatte, dass er sichtlich müde und erschöpft davon war, würde Junmyeon lobend bemerken, wie fleißig er war, ihm dann aber mit einem Kuss auf seine Schläfe raten, sich auch mal auszuruhen.

Wenn Kyungsoo einfach nur dasaß, in einem übergroßen Kapuzenpulli, mit seiner Brille auf der Nase und seiner Unterlippe zwischen den Zähnen und vom farbenfrohen Licht des Fernsehers angestrahlt wurde, würde Junmyeon sagen, wie schön er war. Und dann würde Kyungsoo lächeln und noch um ein Vielfaches schöner aussehen.

Das Problem an Junmyeon war, dass er nicht nur Kyungsoo vor Augen führte, was für ein toller Mensch er war, sondern gleichzeitig auch mir.


Es war äußerst irritierend, wie Kyungsoo und Junmyeon sich für ihr Kinodate fertigmachten, während ich an meiner Hausarbeit über die Freudsche Entwicklungstheorie verzweifelte.

Nicht, dass die beiden zu laut waren, nein, sie waren generell die wohl ruhigsten Menschen, die ich überhaupt kannte, aber dennoch erwischte ich mich immer wieder dabei, wie ich den Blick von meinem Laptop hob, um sie böse anzufunkeln.

Junmyeons Augen klebten an Kyungsoo, während er gedankenverloren durch das Zimmer tigerte und sich dabei anzog. Er knöpfte sein Hemd bis zum Kragen zu und warf einen Cardigan aus dicker Wolle über, dann schlüpfte er in seine Schuhe.

Kyungsoo bemerkte Junmyeons Blick, als er aufsah. Dieser irgendwie faszinierte Blick, der es so scheinen ließ, als sei jede von Kyungsoos Bewegungen etwas Besonderes. Junmyeon hatte eins seiner perfekten Lächeln aufgesetzt und sah aus, wie ein über beide Ohren verliebter Charakter aus einem Drama. Kyungsoos Mundwinkel schoben sich unwillkürlich nach oben.
Der Moment war so seltsam intim, dass mir nichts anderes übrig blieb, als zu blinzeln und die Augen wieder auf meine Tastatur zu senken, auf der ich bereits seit einigen Minuten alibimäßig herumgetippt hatte, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.

Kyungsoos Bett quäkte kläglich, als Junmyeon sich, auf seine Aufforderung hin und mithilfe der ihm hingestreckten Hände, von der Matratze erhob und Kyungsoo im Aufstehen einen Kuss auf die Lippen drückte. »Fertig?«, fragte er sanft und musterte aufmerksam Soos Gesicht, während seine Daumen zärtlich über seine Handrücken strichen.

Mein bester Freund nickte. »Sehe ich okay aus?«
»Immer«, flötete ich bittersüß, bevor Junmyeon es tun konnte und richtete damit die Aufmerksamkeit der beiden anderen auf mich. Kyungsoo verdrehte sarkastisch die Augen und Junmyeon sah belustigt aus, bevor er die Stimme erhob.

»Ja, fast. Allerdings würde ich es nicht bei ›okay‹ belassen.« Junmyeon klang selbstironisch und nervte mich damit, wie sympathisch er eigentlich war.
Nun war ich es, der mit den Augen rollte. »Danke, aber ich brauche keine Flirttipps von dir.«

Junmyeon schmunzelte und hob eine Augenbraue. »Ist das so?« Fragend sah er erst mich und dann Kyungsoo an.
Der Schwarzhaarige zuckte die Achseln und gab nach kurzem Zögern eine Antwort. »Ich schätze schon.« Er warf mir ein verschmitztes Grinsen zu. »Immerhin hat es Baekhyunnie einmal geschafft, mich dazu zu überreden, ihn zu heiraten.«

Ich war beinahe überrascht darüber, dass Kyungsoo das Thema anschnitt, immerhin war das Versprechen, das wir uns damals machten, mittlerweile über sechs Jahre her. Nichtsdestotrotz erfüllten mich die Worte mit einem gewissen Stolz, der sich in einem überheblichen Lächeln auf meinem Gesicht zeigte.

Junmyeon legte einen Arm um Kyungsoo und sah ungerührt und doch interessiert aus. »Ihr seid verlobt? Wieso weiß ich nichts davon?« Er hatte ein schiefes Lächeln aufgesetzt.
Kyungsoo lachte. »Weil es nichts zur Sache tut.« Autsch. Mein Lächeln gefror und mein Blick senkte sich erneut auf den Bildschirm.

»Gut, Baekhyun«, sagte Kyungsoo dann. »Wir hauen ab. Mach keine Dummheiten während ich weg bin und kümmere dich endlich ernsthaft um deine Hausarbeit.«
Meine Augen wurden zu schmalen Schlitzen und mein Mund verzog sich zu einer verstimmten Schnute. »Das ist nicht so einfach!«

Kyungsoo seufzte und sobald ich verstanden hatte, dass er zu mir herüberkam, um auf meinen Laptop zu sehen, klappte ich ihn eilig zu, um den sinnlosen Buchstabensalat, den ich in meinem Dokument hinterlassen hatte, zu verstecken.

Kyungsoo hatte eine Augenbraue gehoben, sich neben mich gesetzt und griff nach meinem Laptop, doch ich war schnell genug und platzierte meine flache Hand auf seine, um Schlimmeres zu vermeiden. Mein bester Freund legte den Kopf schräg und hatte diesen enttäuschten, wie vorwurfsvollen Blick aufgelegt, den er mir immer zuwarf, wenn ich etwas seiner Meinung nach Albernes tat.

Dennoch gab ich nicht nach. Nicht jedenfalls, bis Junmyeon plötzlich auf meiner anderen Seite auftauchte und sich ebenfalls neben mich setzte. »Was soll das werden?«, fragte ich nervös und sah Kyungsoo nicken. Einen Moment später spürte ich Junmyeons Finger in meiner Seite.

Ich gab ein unzufriedenes Murren von mir, während Junmyeon mich piesackte und wand mich solange, bis ich resignieren und den Laptop freigeben musste.
Kyungsoo klappte ihn triumphierend wieder auf, dann wurde es kurz sehr ruhig, während wir alle auf den Bildschirm starrten. Ich beschämt, Junmyeon belustigt und Kyungsoo entsetzt.


Die Psychosexuelle Entwicklungstheorie nach Sigmund Freud

Im Rahmen der psychoanalytischen Entwicklungstheorie nach dem österreichischen Tiefenpsychologen Sigmund Freud (1856-1939) werden folgende psychosexuelle Entwicklungsphasen unterschieden:

I. Die orale Phase

In der oralen Phase ajfldankvlnavnkaenoanvjncnaeionvlyjoewncl foelanclaslklnbjlkxtzkclrdeuarculg89z8hilv zkxfzjya4rculghouobhilctxlzigu9pob iupgf


»Baekhyun.« Soos Stimme klang eiskalt. Ich traute mich weder, etwas zu sagen, noch würde ich es wagen, ihn anzusehen.
Junmyeon unterdrückte ein Kichern. »Okay, vielleicht sollte Baekhyun einfach eine Pause einlegen und auf andere Gedanken kommen«, beschwichtigte er Kyungsoo. Dann stupste er mich versöhnlich an. »Wie wäre es, wenn du einfach mit uns ins Kino kommst?«

»Nein.« Das war Kyungsoos scharfe Stimme, die durch die Angespanntheit zwischen uns schnitt, wie ein heißes Messer durch Butter. »Du bleibst schön hier, setzt dich auf deinen Hintern und schreibst diese gottverdammte Hausarbeit, hörst du? Wenn ich wiederkomme, möchte ich Fortschritte sehen.«

Ich warf einen vorwurfsvollen Blick an die Decke, dann sah ich meinen besten Freund missmutig an. »Ja, Mama.«

Kyungsoo nickte zufrieden und tätschelte mir das Knie. Junmyeon zuckte mit den Schultern und wuschelte mir durchs Haar, bevor sie beide aufstanden und sich bei der Tür trafen. »Bis später dann«, verabschiedete sich Kyungsoo, Junmyeon winkte nur und dann verließen sie Hand in Hand unser Wohnheimzimmer.

Seufzend ließ ich mich nach hinten auf mein Bett fallen und wünschte mir Junmyeon auf einen anderen Stern.


ENTGEGEN Sehuns Erwartungen hatte Chaeyoung mich scheinbar doch nicht für seltsam gehalten; eigentlich mochte sie mich sogar ziemlich gerne. So gern, dass sie eines Tages vor Kyungsoo und meiner Tür stand und mich dort mit einer Tupperbox in der Hand erwartete.

»Guck nicht so, ja ich bin alleine hier«, grinste sie und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr.
Ich musste wohl deutlich überrascht ausgesehen haben, immerhin hatten wir bis jetzt noch keinmal etwas ohne Sehun unternommen. Nichtsdestotrotz lächelte ich, weil ich kein Problem damit hatte, das zu ändern. »Entschuldige, komm rein.« Ich trat zur Seite und drückte sie kurz, während sie unser Zimmer betrat.

»Ich habe Käsekuchen mitgebracht.« Sie hob die Plastikdose in ihrer Hand an, sodass ich durch die transparenten Seiten erahnen konnte, was sich darin befand, dann stellte sie sie auf dem Tisch ab, bevor sie aus ihrem gelben Regenmantel und den Gummistiefeletten schlüpfte.

Ich lächelte erfreut. »Perfekt! Kaffee dazu?« Natürlich nickte sie eifrig. Chaeyoung liebte die süße Bitterkeit von Kaffee, beinahe so sehr wie ich selbst. Während ich mich also zur Kaffeemaschine begab und frische Bohnen zum Mahlen hinein füllte, machte Chaeyoung es sich auf meinem Bett bequem und sah mir dabei zu.

»Also«, sagte ich, nachdem ich Chaeyoung einen Teller und ihre dampfenden Tasse in die Hand gedrückt und mich ihr gegenüber gesetzt hatte. »Jetzt sag schon, warum bist du wirklich hier?«

Sie sah unschuldig von ihrem Kuchen auf und machte den Mund leer, bevor sie mir antwortete. »Deine Haare«, säuselte sie und schürzte die roten Lippen.
»Nein!« Ungläubig, aber auch belustigt sah ich sie an. Sehun war wirklich unverbesserlich.

Sie hob kapitulierend beide Hände. »Nicht meine Meinung, aber Sehun wird regelmäßig nachts deswegen wach und bekommt Schweißausbrüche.«
Meine Augenbrauen schossen unwillkürlich in die Höhe. »Dein Ernst?«

Chaeyoung kicherte. »Natürlich nicht, aber er nervt trotzdem ständig damit.« Ich stimmte in ihr Lachen mit ein. »Wenn du magst, mache ich sie dir. Ich hatte früher auch immer rote Haare.« Sie zeigte auf ihren erdbeerblonden Haarschopf. »Wie man leider immer noch sieht.«

»Ach quatsch, das ist nicht gewollt?« Der Rotstich in ihrem Haar war mir zwar aufgefallen, nie aber negativ.
Sie schüttelte den Kopf und seufzte. »Rot ist eine Entscheidung fürs Leben, das sage ich dir.«

Während ich grummelte, dass sie mir das ruhig mal eher hätte erzählen können, obwohl das faktisch gar nicht möglich war, nahm Chaeyoung ihren letzten Bissen Kuchen und stand auf, um ihren Rucksack zu holen und dessen Inhalt auf meinem Bett auszuleeren.

Farbe, Bleichmittel, Gummihandschuhe, sowie einige Pinsel und alte Plastikschüsseln purzelten heraus und formten ein kreatives Chaos auf meiner Bettdecke. »Ich komme vorbereitet«, sagte Chaeyoung stolz.

»Du bist unglaublich«, erwiderte ich fassungslos und sie strahlte, wie die Sonne persönlich, als hätte ich ihr ein Kompliment gemacht. »Na dann, bitte. Tob dich aus.«
Mit dem Zeigefinger meiner freien Hand zeichnete ich einen imaginären Heiligenschein über meinem Haarschopf und entschloss, sie einfach machen zu lassen. Schlimmer als wenn ich es selbst machen würde, konnte es nicht werden. Und kostenloser auch nicht.

Letztlich machte Chaeyoung mit ihren Haarfärbekünsten jedem Mittelklassefriseur Konkurrenz und ich war mehr als froh über das Ergebnis. Zufrieden schoss sie ein Selfie von uns beiden mit ihrem Handy und schickte es an Sehun, der mit einem anerkennenden Daumen nach oben antwortete.

Na wenigstens einer, der glücklich war.


ICH selbst wurde stetig unzufriedener. Ich mochte Junmyeon - natürlich, wie konnte man ihn auch nicht mögen? Aber er nahm Kyungsoo vollkommen in Anspruch. So sehr, dass ich meinen besten Freund ständig vermisste, obwohl wir eigentlich zusammen wohnten. Zudem wurde ich immer eifersüchtiger und Kyungsoo bemerkte es zwar, zog allerdings die falschen Schlüsse daraus.

»Soo?« Ich drückte mich an Kyungsoos Rücken, hielt mich an ihm fest und legte das Kinn auf seiner Schulter ab. Wie es nicht anders zu erwarten war, hielt ihn das kein Stück vom Kochen ab, er warf mir einen allenfalls überraschten Blick aus dem Augenwinkel zu. »Was ist?«, fragte er dann und rührte in einem Topf mit süß-saurer Sauce herum.

Ich zögerte, schürzte für einen Moment die Lippen und plusterte die Wangen auf, bevor ich ihm antwortete. »Kommt Junmyeon heute?«
»Nein.« Kyungsoo schüttelte den Kopf und ich lächelte breit und wollte gerade etwas Freudiges erwidern, als er weitersprach. »Ich fahre gleich zu ihm, wenn ich das Essen fertig habe.«

Mein Lächeln gefror und wich einem unzufriedenen Stirnrunzeln. Natürlich war es so. Hätte ich mir auch gleich denken können.

Ich verkniff mir ein Seufzen. Mittlerweile war ich alt genug, um in solchen Situationen so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre. »Ach so, okay«, sagte ich also möglichst unbekümmert. »Essen wir denn wenigstens noch zusammen?«

Kyungsoo pikte seinen Ellenbogen in meinen Bauch bis ich ihn losließ, um sich mehr Bewegungsfreiheit zu beschaffen, die er brauchte, um jetzt die Nudeln abzugießen. »Nein«, zerschmetterte er dann auch meine letzte Hoffnung, während er seine vom heißen Nudelwasser beschlagene Brille an seinem T-Shirt säuberte. »Ich habe Junmyeon versprochen, ihm etwas mitzubringen, er wartet extra mit dem Abendessen auf mich.«

Jetzt hatte ich einen vollends grimmigen Blick aufgesetzt, aber das tat nichts zur Sache, weil Kyungsoo mich ohnehin nicht ansah. Er gab Nudeln, das in der Sauce gewendete Fleisch und etwas Kimchi auf einen Teller und füllte den Rest in eine Tupperdose ab.

Erst als er mir den Teller samt einem Paar Stäbchen reichen wollte und meine Miene sich noch immer nicht erhellt hatte, stockte Kyungsoo, legte den Kopf schief und hob eine Augenbraue. »Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«

Ich wich seinem Blick aus und zog eine Schnute. Scheinbar war ich doch noch nicht alt genug. »Wir verbringen kaum noch Zeit miteinander«, murrte ich. Leise, aber Kyungsoo hatte mich dennoch gehört.

Ich schielte hinab, um einen Blick auf Kyungsoos Reaktion zu erhaschen. Mein bester Freund wirkte zunächst verblüfft, dann schmunzelte er. »Baekhyunnie, bist du ein bisschen eifersüchtig?«

»Ja«, sagte mein Mund, bevor mein Kopf darüber nachdenken konnte, aber letztlich war ich nicht böse darum. Ehrlichkeit brachte einen immerhin in den meisten Fällen weiter.
Nun, in diesem Fall tat sie das nicht.

Kyungsoo lachte, drückte mir den Teller in die Hand und schob sich, mir auf die Schulter klopfend, an meinem zu einer Salzsäule erstarrten Körper vorbei zu seinem Bett. Er packte sein und Junmyeons Essen sorgfältig in eine Umhängetasche. »Ich hab schon lange gedacht, dass du dringend mal wieder eine Freundin brauchst. Die Sache mit Taeyeon ist sieben Jahre her, Hyung.«

Ich verzog gepeinigt das Gesicht, versuchte allerdings auch nicht, das Ganze richtigzustellen, weil ich dafür zu viel hätte erklären müssen, das ich selbst noch nicht vollends verstand. Ich verdrehte einfach nur die Augen in Kyungsoos Richtung, schnaubte und setzte mich dann, um missmutig zu essen zu beginnen.

Wenig später stand Kyungsoo knapp vor der Tür und hatte die Klinke schon in der Hand. »Mal im Ernst, ich glaube, eine Beziehung würde dir wirklich guttun.«
Ich setzte ein bitteres Lächeln auf und blinzelte theatralisch. »Wozu denn? Ich habe doch dich als meinen Verlobten.«

Kyungsoo schnaubte verächtlich. »Dein Verlobter hat jetzt ein Date.« Er winkte und drückte die Türklinke herunter. »Ich würde es mir noch mal überlegen.« Er zwinkerte noch und war dann verschwunden, die Tür fiel hinter Kyungsoo ins Schloss.


2️⃣0️⃣1️⃣4️⃣


AM Ende war es wohl bloß purer Zufall, dass Junmyeon und Kyungsoo trotz all ihrer Perfektion kein Paar blieben. Wie so oft, sah ich meinem besten Freund beim Fertigmachen zu. Junmyeon hatte darauf bestanden, ihn noch heute auszuführen, obwohl sie ohnehin ein paar Tage später ihr zweijähriges Jubiläum feiern würden. Kyungsoo wusste nicht, was der Grund dafür war, also war er besonders aufgeregt und hibbelig, so sehr, dass ich mich beinahe mit ihm freute.

Umso geschockter war ich, als Kyungsoo weinend und völlig am Boden zerstört zurück nachhause kam und wie ein schlapper Grashalm in meinen Armen einknickte. »Soo«, murmelte ich betreten, drückte ihn an mich und strich ihm besänftigend über den Rücken, genau wie er es sonst bei mir tat. »Was ist denn passiert?«

›Was hat er getan?‹, hätte ich fragen wollen, aber gleichzeitig konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Junmyeon Kyungsoo freiwillig wehtun würde.

Das hatte er letztendlich auch nicht, aber Kyungsoo brauchte fast eine halbe Stunde, bis er es mir sagen konnte. »Er wird versetzt«, fiepte Soo, als er wieder sprechen konnte. »Er muss aus Seoul wegziehen.«

Sachte strich ich Kyungsoo durch sein dickes schwarzes Haar und setzte meine bestärkendste Stimme auf. »Das ist doch nicht so tragisch.« Die nächsten Worte taten mir im Herzen weh. »Du studierst bloß noch ein Semester lang und bis dahin könnt ihr doch pendeln und euch zumindest an den Wochenenden —«

»Nach New York«, unterbrach mich Kyungsoo und schluchzte. »Junmyeon zieht nach New York.«

Fassungslos schloss ich meinen so eben noch geöffneten Mund wieder und schluckte. So sehr es mir für meinen besten Freund und irgendwie auch für Junmyeon leid tat, so erleichtert war ich auch, dass Kyungsoo scheinbar nicht daran dachte, ebenfalls auszuwandern.

Ich hätte nichts sagen können, das irgendetwas besser hätte machen können, also hielt ich Soo lediglich fest, drückte ihm einen tröstenden Kuss auf den Haarschopf und ließ ihn weinen, bis er so erschöpft war, dass er an meiner Schulter einschlief.


DANACH begann meine Zeit als Kyungsoos Ehemann auf Probe.

Es war nicht gerade von Vorteil gewesen, dass Junmyeon Kyungsoo ausgerechnet zu Beginn seines letzten Semesters, so kurz vor den Abschlussprüfungen verlassen hatte. Für eine Weile litten seine Leistungen darunter, allerdings schaffte ich es, ihn rechtzeitig wieder auf die Beine zu kriegen, sodass er gerade noch die Kurve und nicht lang danach auch seinen Bachelor of Business Administration bekam.

Nachdem wir die Uni beendet hatten, zogen Kyungsoo und ich in eine kleine, billige Wohnung in der Stadt, die wir uns gemeinsam von unseren ersten Gehältern leisten konnten. Gerade in den ersten paar Wochen waren wir unheimlich stolz auf sie und fühlten uns wie die Könige unseres eigenen Schlosses. Doch irgendwann kehrte der Alltag ein.

Ich selbst lebte buchstäblich von der Hand in den Mund.
Neben den obligatorischen Haushaltseinkäufen gab ich was immer von meinem Geld, das ich als Erzieher im Kindergarten verdiente, für (laut Kyungsoo unnötigen) Krimskrams aus. Kleine Dinge, die ich nach und nach in unserer Wohnung verstreute und bedeutend mehr wertzuschätzen wusste, als mein bester Freund.

Den Großteil des Tages verbrachte Kyungsoo in seiner Firma mit einem Job, den ich, selbst nachdem er mir mehrmals seine Tätigkeiten aufgeführt hatte, nicht wirklich begreifen konnte. Er war ambitioniert und sparsam und kletterte binnen weniger Monate die Karriereleiter Sprosse für Sprosse hinauf.

Die Arbeit lenkte ihn von seinem unfreiwilligen Singledasein ab und wenn die nicht mehr reichte, konnte ein abendliches Glas Wein die Lücke füllen. Oder eine halbe Flasche.


An einem Abend genehmigten wir uns eben diese mit Sehun und Chaeyoung zusammen. Sehun studierte ja, genau wie Kyungsoo, BWL; sie hatten damals sogar ein paar Kurse, in denen der Jüngere aufgrund familiärer Vorkenntnisse höher eingestuft worden war, zusammen belegt und sich besser kennengelernt. Nun stand Sehun kurz vor seinem Abschlusssemester und war gekommen, um sich von Kyungsoo alte Unterlagen und Tipps für seine letzten Prüfungen abzuholen.

Ich hatte mich derweil mit Chaeyoung festgequatscht und nun, nachdem sie und Sehun schon dreimal hatten fahren wollen, saßen wir noch immer zusammen auf der Couchgarnitur in unserem Wohnzimmer, waren nicht mehr voll zurechnungsfähig und lachten über die dümmsten Kleinigkeiten.

Kyungsoo wurde ohnehin schon zu einer sentimentalen Grinsebacke, wenn er getrunken hatte und die Tatsache, dass Sehun kuriose Anekdoten aus der Uni erzählte, machte es nicht besser. In einem kurzen Moment der Stille sah ich, wie Kyungsoo Sehun und Chaeyoung, die ein Bein über Sehuns Knie gelegt hatte, mit einem Lächeln auf den Lippen beobachtete und wusste schon, dass er etwas Rührseliges sagen würde, bevor er überhaupt den Mund aufgemacht hatte.

»Ihr seid ein wirklich hübsches Paar«, sagte er mit loser Zunge und brachte Sehun offensichtlich in Verlegenheit. Weitaus mehr als Chaeyoung, die kicherte und sich immer weiter hinüberbeugte, um Sehun theatralisch auf die Wange zu küssen. Der Blonde ließ das nur widerwillig zu und räusperte sich, während wir anderen einen weiteren Lachanfall aussaßen.

Kurz darauf blieb mir das Lachen im Halse stecken.

»Warum seid ihr eigentlich nicht zusammen?«, fragte Chaeyoung dann nämlich an mich und Soo gewandt. Ich biss mir auf die Zunge, während Sehun schnaubend lachte und wartete mit klopfendem Herzen Kyungsoos Antwort ab.

Mein bester Freund starrte sie für einen Augenblick mit offenem Mund an, dann grinste er und wandte den Blick zur Decke ab. »Na, weil Baekhyunnie nicht auf Männer steht.«

Noch immer hielt ich die Luft an und beobachtete mit großen Augen, wie Chaeyoung alles aus dem Gesicht fiel, als sie mich ansah. »Wa— sicher?«, blubberte es aus ihr heraus, bevor sie wohl wirklich darüber nachdenken konnte. Letztlich war die Frage gar nicht mal unangebracht, aber das sagte ich natürlich nicht.

Sehun prustete ungehalten los und auch Kyungsoo konnte sich sein Lachen nicht verkneifen. Ich kratzte mich am Hinterkopf und setzte ein peinlich berührtes Grinsen auf. Chaeyoung wirkte nicht minder beschämt.

»Oh, tut mir leid«, druckste sie herum. »Ich habe das wirklich gedacht.« Sie kicherte und ich beeilte mich, abzuwinken. »Schon gut!«, sagte ich schnell. »Sowas nehme ich dir doch nicht übel.«
Kyungsoos Schläfe war an meine Schulter gesunken und ich hörte ihn leise glucksen. Sehun beruhigte sich ebenfalls wieder und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel.


Wenig später hatten die beiden sich ein Taxi gerufen und waren heimgefahren. Es war wirklich spät geworden und wir alle wurden langsam müde.

Kyungsoo kam gerade aus dem Badezimmer und roch nach minziger Zahnpasta und meinem Gesichtswaschgel, als er auf mich zukam. Er hatte ein dummes Grinsen aufgesetzt. »Chaeyoung hat dich für schwul gehalten«, kicherte er und ich verdrehte seufzend die Augen.

»Keine Ahnung, warum gerade du dich darüber lustig machst«, stichelte ich zurück, kam aber auch nicht umhin, zumindest müde zu lächeln, als ich seine zu fröhlichen Halbmonden verzogenen Augen sah.
»Weil ich betrunken bin«, gab Kyungsoo ehrlich zur Antwort, zuckte die Achseln und biss sich auf die Unterlippe.

Dann trat er einen weiteren Schritt auf mich zu und griff nach den beiden Enden meines aufgeknöpften Flanellhemdes, um mich ebenfalls näher zu ziehen. »Wenn du wirklich schwul wärst«, begann er mit ruhiger Stimme und verschmitztem Unterton, »dann hätte ich mir dich schon längst geschnappt, ich meine sieh dich an.«

Er machte nur Spaß. Ich wusste, dass er nur Spaß machte, aber mein Blick senkte sich trotzdem für den Bruchteil einer Sekunde und fokussierte Soos hübsche, volle Lippen. Meine Stimme war kaum mehr als ein Hauchen, als ich ihm antwortete. »Dann mach das doch.« Ich wich nicht zurück. Im Gegenteil, ich überbrückte Zentimeter für Zentimeter, bis kaum noch eine Hand zwischen unsere Gesichter gepasst hätte.

Kyungsoo sah kurz perplex aus, dann unschlüssig und als ich seine Nasenspitze schon an meiner spüren konnte, ließ er mein Hemd los und entfernte sich von mir.
In einem schwachen Seufzer ließ ich die Luft, die sich in meiner Lunge angestaut hatte, heraus und schmunzelte amüsiert.

Kyungsoo zupfte am Saum seines Schlafanzugoberteils herum und bekam rosarote Wangen. »Mein ganzer Kopf dreht sich«, murmelte er und hielt sich die Schläfen. »Sei mir nicht böse, Hyung, aber ich sollte jetzt wirklich ins Bett gehen.« Seine Zunge schien mir weitaus weniger schwer, als noch kurz zuvor, aber natürlich nickte ich dennoch.

»Sicher«, ich lächelte. »Schlaf schön, Soo.«
Er lächelte zurück. »Du auch.« Und damit verschwand er in seinem Schlafzimmer.


VIER weitere Jahre vergingen in denen Kyungsoo fleißig arbeitete und ich eben mein Leben vor mich hinlebte.

In beinahe regelmäßigen Abständen feierten wir zuhause, wenn Kyungsoo um eine weitere Position in der Firma aufgestiegen war und ihm mehr Verantwortung zugetragen wurde. Gleichzeitig aber, wurden auch seine Arbeitstage länger und sein Stresslevel höher.

Obwohl es eigentlich eher Kyungsoos Part war, würde ich also immer wenn er besonders lange im Büro saß, eins der drei Gerichte, die ich risikofrei kochen konnte, für ihn zum Abendessen zubereiten und Kyungsoo dankte mir jedes Mal dafür.

In den vier Jahren wurde es immer normaler, dass wir abends auf der Couch beim Fernsehen so nah beieinander saßen, dass sich unsere Oberarme berührten, oder dass Kyungsoo auf meiner Schulter oder mit dem Kopf auf meinem Schoß einschlief, während ich meine Finger durch sein weiches Haar kämmte.

Es war auch nicht mehr komisch, dass wir morgens zusammen im Bad waren, um uns fertigzumachen, weil es von unseren Arbeitszeiten her gar nicht mehr anders möglich war.

Es war normal geworden, sich wegen der Feinheiten des Alltags in den Haaren zu liegen; darüber, wer nun den Müll rausbringen, oder die trockene Wäsche zusammenlegen sollte. Und es war noch normaler, dass wir meist Minuten später schon wieder ein Herz und eine Seele waren.

Meinetwegen hätte sich nichts ändern müssen. Doch das tat es.


2️⃣0️⃣1️⃣9️⃣


»BAEKHYUN!«, rief Minseok, mein Arbeitskollege, aus der gläsernen Hoftür hinaus in meine Richtung und winkte mich zu sich. Jaesung meckerte zwar darüber, dass ich ihn und die Sandburg, die wir gerade gemeinsam aufgebaut hatten, verlassen musste, ließ mich aber, nachdem ich ihm durchs Haar gewuschelt und versichert hatte, dass er den Rest auch ohne mich schaffen würde, dann doch gehen.

»Was gibts?«, fragte ich, als ich in Minseoks Hörweite kam und musterte ihn aufmerksam.
Der Kleinere hielt sich eine Hand vor den Mund und unterdrückte ein Kichern. »Dein Mitbewohner wartet auf dich.« Minseok wies mit dem Daumen hinter sich in das Spielzimmer. »Er wurde quasi direkt beim Eintreten von Yeongja und Minji in Beschlag genommen und fühlt sich glaube ich nicht sonderlich wohl damit.«

Das konnte ich mir vorstellen. Soo war noch nie besonders gut mit Kindern gewesen und hatte auch nie mehr als ein Kopfschütteln für meine Berufswahl übrig gehabt. Umso mehr überraschte es mich, dass er jetzt hier war. Und das auch noch vor Feierabend.
Ich grinste und ging an Minseok vorbei, hinein. »Na dann will ich ihn mal retten.«

Kyungsoo sah unheimlich erleichtert aus, sobald er mich zu Gesicht bekam. Yeongja hatte sich an seinem Bein festgeklammert und Minji zog unentwegt an seiner Hand, um seine Aufmerksamkeit zu ergattern, weil sie Soo offensichtlich Wichtiges zu erzählen hatte.

»Baekhyun.« Seine Stimme klang beinahe verzweifelt und ich musste mir mein Grinsen verkneifen. Hilfsbereit wie ich war und obwohl das Ganze ein Bild für die Götter war, pflückte ich Minji von ihm ab und nahm sie auf den Arm, was sie nur widerwillig aber immerhin mit sich machen ließ.

»Na na, ihr beiden, den könnt ihr nicht haben, das ist meiner«, tadelte ich scherzhaft und Minji sah wirklich so aus, als hätte ich damit ihre Pläne zerstört, als sie schmollend die Unterlippe vorschob.

Kyungsoo lächelte gequält und Yeongja sah mit großen Augen zu ihm hoch. »Heiratet ihr etwa, Baekhyunnie?«, fragte sie ehrfürchtig, ihre kleinen Finger an Soos maßgeschneiderter Anzughose zupfend.

»Noch nicht«, antwortete ich lachend, die Vorstellung, Kyungsoo würde mich gerade zu unserer Hochzeitsfeier von der Arbeit abholen, einfach zu amüsant. »Ob ihr es glaubt oder nicht, Soo sieht immer so gut aus.« Ich zwinkerte ihm belustigt zu und der Schwarzhaarige kratzte sich am Hinterkopf. »Aber mal im Ernst«, begann ich dann an Kyungsoo gewandt, weil mich noch immer der wahre Grund für seinen Besuch interessierte, »was machst du hier?«

Kyungsoo räusperte sich. »Ich habe mir heute eher freigenommen und dachte, ich hole dich ab. Ich wollte etwas mit dir besprechen, Hyung.«
Minseoks Stimme ertönte, bevor ich etwas darauf erwidern konnte. »Geh ruhig schon, Ich schaffe die letzte halbe Stunde auch allein.«

Ich sah, wie Kyungsoo ein »Danke« mit den Lippen in Minseoks Richtung formte und eine Verbeugung andeutete. Minseok lachte und kam herüber, um mir Minji ab und Yeongja bei der Hand zu nehmen. »Einen schönen Nachmittag euch!«
»Danke dir«, sagte ich, verabschiedete mich noch bei den Kindern und zog dann Soo hinter mir her zum Aufenthaltsraum, um mir meine Sachen zu holen.

»Wie machst du das nur den ganzen Tag mit?«, fragte Kyungsoo, noch immer sichtlich mitgenommen von seiner Begegnung mit den Mädchen.
»Oh, man muss nur wissen, woran man bei ihnen ist«, gab ich achselzuckend zurück, während ich mir meinen Schal um den Hals legte.

»Kinder sind süß, aber in ihnen stecken verkommene Seelen«, fuhr ich mit meiner besten Erzählstimme fort. Kyungsoo sah mich bloß fragend und irgendwie angewidert an. »Wiedergeburt, Soo. Je jünger der Mensch, desto jünger die Erinnerungen an sein früheres Leben. Manche von diesen Kindern tragen großes Leid in sich und wenn du Pech hast, schreien sie es dir ins Ohr.«

Kyungsoo hatte einen missfälligen Gesichtsausdruck aufgelegt. »Ich besuche dich nie wieder auf der Arbeit«, drohte er und ich folgte ihm lachend aus dem Gebäude.


Gemeinsam schlenderten wir die Straße hinunter. Mein bester Freund schien keine Eile zu haben und wenn ich mutig gewesen wäre, hätte ich seine Hand nehmen können. Stattdessen sprach ich ihn auf sein eigentliches Vorhaben an. »Also, was wolltest du mit mir besprechen?«

Kyungsoo steckte die Hände in die Manteltaschen und vergrub das Gesicht in seinem Schal. Ich beobachtete ihn von der Seite doch sein Blick war stur nach vorne gerichtet. »Du weißt ja, dass ich ein bisschen gespart habe«, begann er dann zögerlich und durch den Kaschmir gedämpft zu sprechen. Ich nickte und brummte zustimmend zur Antwort. »Und heute bekam ich einen Anruf von meinem Chef. Er hat mir einen Posten als Abteilungsleiter angeboten.«

Kyungsoo merkte erst nach ein paar Schritten, dass ich stehengeblieben war und ihn ungläubig anstarrte. »Was?«, schoss es aus mir heraus, nachdem er ebenfalls angehalten hatte und sich zu mir umsah. »Soo, das ist großartig!«

Mit einem breiten Lächeln schloss ich wieder zu ihm auf, drückte ihn fest an mich und auch ich spürte einen Augenblick später Kyungsoos Arme um meine Taille. Er lächelte, als wir uns wieder voneinander lösten, seine Wangen und Nasenspitze zierte ein sanfter Rosaschimmer. »Das ist es wohl.«

Ich hätte ihm sagen wollen, wie stolz ich auf ihn war, aber Kyungsoo zog mich schon weiter und fuhr gleich darauf fort. »Jedenfalls habe ich gespart, weil ich vorhatte, eine größere Anschaffung zu machen und die Gehaltserhöhung und der Bonus, den ich bekommen habe, machen das jetzt endlich möglich.«

Meine Augenbrauen schossen aufmerksam nach oben und ich zog aufgeregt an Soos Arm, als ich mir ausmalte, was die Anschaffung sein könnte, die er zu machen plante. »Oh mein Gott, sag nicht, wir kriegen endlich einen Hund!«, rief ich und obwohl es nur ein Scherz sein sollte, schwang doch etwas Hoffnung in meinen Worten mit.

Kyungsoo warf mir seinen mitleidigen Blick zu. »Nein, Baekhyun.« Er schüttelte den Kopf und schob meine Hände weg. Dann vergrub er seine eigenen erneut in den Taschen und richtete die Nase zum klaren Herbsthimmel. »Ich habe mir ein Haus angesehen.«

Ich verstand nicht, was er mir damit sagen wollte, nicht bis er einfach fortfuhr, ungeachtet dessen, dass er mich verloren hatte. »Es liegt etwas außerhalb, ruhig und im Grünen, ein bisschen vereinsamt, aber ich liebe das. Es wird mir helfen, meinen Kopf freizukriegen, dem Trubel und der Hektik der Stadt zu entkommen.«

Ich war wieder stehengeblieben und Kyungsoo sah mich aufmerksam an, musterte mein Gesicht. »Baekhyunnie?«
»Du willst ausziehen«, stellte ich zeitgleich fest, Verzweiflung mehr als deutlich in meinem Ton.
»Das habe ich vor, ja«, bestätigte Kyungsoo nickend und mit einer niederschmetternden Ernsthaftigkeit.

»Du willst mich einfach so alleine lassen.« Panik stieg in mir hoch. »Wie soll ich das machen? Ich kann nicht kochen, ich stelle die Waschmaschine immer auf die falsche Stufe, Herrgott, Soo, ich kann mir die Wohnung nicht mal ohne dich leisten!«

Kyungsoo legte seine Hände auf meine Oberarme und brachte mich damit ein wenig zurück ins Gleichgewicht, erinnerte mich daran, dass ich atmen musste. »Natürlich bekommst du das hin«, beschwichtigte er mit Ruhe und Vernunft, fast wie damals, als ich im Streit mit meinen Eltern auseinandergegangen war.

»Und du könntest dir die Wohnung sehr wohl alleine leisten, würdest du deine Ansprüche ein wenig herunterschrauben.« Kyungsoo musste es wissen, immerhin hatte er vier Jahre lang die Steuererklärung für mich gemacht. »Aber selbst wenn du das nicht willst, macht es mir nichts aus, die Wohnung weiterhin mitzufinanzieren. Zumindest bis du ein kleineres Apartment oder einen neuen Mitbewohner gefunden hast.«

Ich machte ein gequältes Gesicht. An so etwas wollte ich überhaupt nicht denken. »Wenn du das sowieso machen würdest, denkst du nicht es wäre leichter, wenn ich mir einfach ein Zimmer in deinem Haus einrichte? Es kann ruhig winzig sein, wirklich, das macht mir nichts aus.«

Kyungsoo schmunzelte und ließ von mir ab. »Das würde für dich keinen Sinn machen. Du wärst viel zu weit von der Arbeit entfernt, dafür dass du kein Auto hast. Und außerdem liebst du die Stadt. Du würdest dich dort draußen nur langweilen.«

Das stimmte in der Theorie, aber Kyungsoo nicht zu verlieren, war mir wichtiger als alle rationalen Gründe dafür, in der Stadt wohnen zu bleiben. »Das ist mir egal, Soo«, versicherte ich also. »Wenn es für dich besser ist, ziehen wir eben in die Einöde. Damit kann ich mich schon arrangieren.«

Kyungsoo seufzte und wich meinem Blick aus. »Hyung«, sagte er und sein Tonfall verhieß nichts Gutes. Mein Herz schlug so doll, dass ich befürchtete, Kyungsoo würde es hören können. »Wir hängen seit der Grundschule permanent aufeinander. Es wird Zeit, dass wir langsam eigene Wege gehen; unsere eigenen Leben beginnen.«

Jetzt sah er mich an und mein Herz hörte auf, zu hämmern und zerbrach in zwei Teile.


EIN paar Wochen blieben mir letztlich noch mit Soo, dann war sein Haus fertig renoviert und eingerichtet und er konnte einziehen.

Es war ein großes Grundstück und Kyungsoo hatte nicht übertrieben, was die Abgelegenheit anging - der nächste Nachbar wohnte einen knappen Kilometer weit weg. Kyungsoo hatte sich ein Auto angeschafft (schlicht, aber mit ordentlich Power), um damit zur Arbeit und zurück pendeln zu können, konnte allerdings in seiner neuen Position auch viel von zuhause arbeiten.

Das Haus selber war groß und modernisiert, hatte aber trotzdem mit seinen hohen Decken und einigen dunklen Holzbalken noch diesen gewissen gemütlichen Charme, der einfach zu Soo gehörte. Ich fühlte mich viel zu schnell, viel zu wohl dort.

Natürlich hatte ich rasch gemerkt, an wie vielen Stellen mir mein bester Freund im Alltag fehlte, nachdem er nicht mehr jeden Tag bei mir war.

Meine Ernährung war recht eintönig geworden und die oberen Regale staubiger.
Beim Einkaufen musste ich nun selber abwägen, wie dringend ich etwas brauchte, während Kyungsoo sonst all die überflüssigen Kleinigkeiten, die ich nach wie vor gedankenlos in den Einkaufswagen schmiss, gleich wieder herausgefischt und zurückgestellt hatte.

Immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich aus lauter Gewohnheit morgens zwei Tassen herausstellte, bevor ich feststellte, dass ich bloß noch Kaffee für mich aufzubrühen brauchte.
Es war schlichtweg deprimierend.

Kein Wunder also, dass ich sehr bald auf den Trichter kam, Kyungsoo ständig in seinem neuen Eigenheim zu besuchen. Derart ständig, dass selbst er irgendwann einsah, dass es Sinn machte, mir einen eigenen Schlüssel zu geben. Natürlich nur für den Notfall.

Er bestand zwar darauf, dass ich klingeln sollte, wenn er da war, letztlich war es aber doch bequemer, wenn ich mich einfach selbst hereinließ, es mir auf der Couch vor dem Fernseher gemütlich machte und Kyungsoo nicht in seinem Workflow störte.
Dann würde Soo irgendwann zu mir stoßen, mich drücken und vorwurfsvoll sagen, dass es beinahe so war, als wäre ich wieder bei ihm eingezogen. Aber ernsthaft etwas dagegen unternehmen zu wollen, schien er nie.

Jetzt lag es an mir, ihm mitzuteilen, dass und warum ich es gerne wirklich so hätte.


»Aber wie?«, seufzte ich, sank tiefer in die ledernen Sitzpolster von Sehuns Couch hinein und zog die Oberschenkel dicht an meinen Körper.
Chaeyoung legte mir zögerlich eine Hand auf die Schulter und tätschelte sie. Ich hatte nicht wirklich vorgehabt, mich bei ihr auszuheulen, weil ich sie mittlerweile gut genug kannte, um zu wissen, dass ihr solche Situationen unbehaglich waren. Eigentlich hatte ich mit Sehun sprechen wollen, aber wie es der Zufall so wollte, war der nicht da und deshalb musste ich zwangsläufig mit seiner Freundin vorlieb nehmen.
Und die schien, wie erwartet, sichtlich überfordert mit mir.

»Okay, also du sagst, du bist in deinen besten Freund verliebt«, rekapitulierte sie, um zu verstehen. Ich nickte. »Obwohl du offiziell hetero bist.« Ein weiteres Nicken. Ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Und jetzt weißt du nicht, wie du es ihm sagen sollst?«
Ich gab ein zustimmendes Murren von mir und vergrub das Gesicht in meinen Knien.

»Oje.« Chaeyoung rückte ein wenig näher an mich heran und saß unbeholfen neben mir, den Oberarm an meinem und den Blick in Richtung der Wand uns gegenüber gerichtet. »Das ist eine verzwickte Situation.«

Ich wusste nicht, wer von uns beiden erleichterter war, als sich die Fahrstuhltür im Eingangsbereich aufschob und Sehun die Wohnung betrat. Er hob eine Augenbraue, als er mich erblickte. »Äh...hey?«, begrüßte er mich fragend, während er Chaeyoung einen Kuss auf die Wange drückte. »Alles in Ordnung?«

»Nein«, jammerte ich und sah, wie Sehuns Augen sich minimal weiteten und er seufzte, bevor er seine Jacke abstreifte und sie mitsamt seines karierten Kaschmirschals an die Garderobe hängte.

»Wie war dein Geschäftsessen?«, fragte Chaeyoung, als Sehun zurück zum Sofa kam und sich zu uns setzte.
»Gut«, antwortete der Blonde. »Überraschend.« Sein Blick fiel auf mich und ich erwiderte ihn fragend. »Ich wusste gar nicht, dass Kyungsoo in der Geschäftsleitung ist.«

Verblüfft zog ich die Augenbrauen hoch. »Du hast mit Soo gesprochen?«
Sehun nickte bestätigend. »Er hat auch nicht schlecht gestaunt, als ich zu ihm an den Tisch kam.«

»Habt ihr dann überhaupt über die Arbeit gesprochen?«, wollte Chaeyoung belustigt wissen.
»Flüchtig, ja«, erwiderte Sehun scherzhaft und lachte. »Nein, mit der Zusammenarbeit geht alles klar, Kyungsoo ist ein guter Verhandlungspartner.« Der Blonde klang nun ernster und in gewissem Maße anerkennend.
»Aber zugegebenermaßen haben wir uns schnell anderen Themen gewidmet. Kyungsoo schien mir fast genauso nöckelig wie du, Hyung. Bloß auf weniger nervige Art und Weise.«

»Frechdachs«, zischte ich und auch Chaeyoung warf Sehun einen missbilligenden Blick zu, immerhin wusste sie um die Qualen, die ich ausstand. »Welche Probleme plagen ihn denn?«, fragte ich nichtsahnend und beinahe ebenso pikiert darüber, dass Kyungsoo Sorgen mit Sehun besprach, die er nicht mit mir teilte.

»Er hat das Alleinsein satt.« Sehun zuckte die Achseln und lehnte sich in seinen Sessel zurück.
»Er ist nicht allein«, plärrte ich automatisch, woraufhin Sehun schnaubte.
»Du lässt ihm einfach nur keine Ruhe, das ist ein Unterschied.« Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Chaeyoung mit der linken Hand eine imaginäre Linie quer über ihre Kehle zog. »Er hat keine Lust mehr, Single zu sein, das meine ich.« Sehun ignorierte jegliche Hinweise, die darauf hindeuteten, dass er lieber den Mund gehalten hätte. »Also habe ich ihm Tinder gezeigt.«

»Wieso?!«, fragte ich empört und aus einem völlig anderen Grund, als Sehun vermutete.
»Weil es funktioniert«, erwiderte er daher ungerührt. »Chaeyoung und ich haben uns auch dort kennengelernt und mittlerweile sind wir seit sechs Jahren zusammen.«

Ich stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch und Chaeyoung erhob die Stimme zu einem vernichtend ehrlichen Fazit. »Na dann wissen wir ja jetzt, wie du es ihm sagen sollst«, sagte sie an mich gewandt und schürzte die rot glänzenden Lippen.
Sowohl Sehun als auch ich sahen sie verständnislos an.

»Schnell.«


VEHEMENT schüttelte ich den Kopf. »Der ist viel zu alt.«
»Du spinnst doch, ich werde achtundzwanzig«, murmelte Kyungsoo, schob das Bild des Mannes von dem wir bis jetzt nicht mehr als das Gesicht, den Namen und das Alter kannten, aber trotzdem zur linken Seite weg.

»Zu dünn. Komische Frisur. Schiefes Kinn. Ehrlich, Soo, ein Auberginen-Emoji in der Beschreibung kann kein gutes Zeichen sein.«

Kyungsoo hatte tatsächlich, auf Sehuns Empfehlung hin, Tinder für sich entdeckt und nun hatte ich es mir zur Aufgabe gemacht, jegliche Annäherungsversuche seitens meines besten Freundes zu vereiteln, bevor sie Früchte tragen konnten. Und je hübscher das Gesicht eines potentiellen Dates für Kyungsoo war, desto mehr Gegenargumente fielen mir dazu ein.

»Du bist viel zu anspruchsvoll, Hyung«, seufzte Kyungsoo und sah mich vorwurfsvoll an. »Ich kann es mir nicht erlauben, so wählerisch zu sein.«
»Stell dein Licht nicht so unter den Scheffel«, schnaubte ich. »Du solltest anspruchsvoll sein. Du bist ein wunderbarer Mensch, Soo.«

Wie so oft, nahm Kyungsoo mich nicht ernst. Er schüttelte mit einem schnaubenden Lacher den Kopf und wischte ein paar weitere Profile zur Seite, solange, bis uns ein unbestreitbar hübsches Lächeln entgegen strahlte.

Kyungsoos Blick ruhte eine ganze Weile lang auf mir. »Das Argument, das gegen ihn spricht, möchte ich hören.«
Ich verzog gequält das Gesicht. Der Typ war wirklich hübsch. Braune, gescheitelte Haare, große Augen, ein hübscher Mund; Modelpotential.

Missmutig tippte ich auf das kleine i, um die Profilbeschreibung aufzurufen. »Aha!«
»Was denn?«, fragte Kyungsoo und klang deutlich genervt.
»Was soll denn ›Reiter‹ heißen? Das klingt mir äußerst suspekt.« Wahrscheinlich war er ein Perversling und ich hatte ihn enttarnt. Oder auch nicht.

Kyungsoo fand ein Bild von ihm mit einem Apfelschimmel an dessen Nase er liebevoll seine eigene drückte. »Widerlicher Kerl.«
Mein bester Freund warf mir einen vernichtenden Blick zu.

»Ganz ehrlich, Soo, da stimmt doch etwas nicht. So einer ist nie im Leben Single.« Seine restlichen Bilder hätten so oder so ähnlich in jedem Modemagazin als Werbeanzeige dienen können.

Kyungsoo rollte mit den Augen. »Ganz ehrlich? Das Schlimmste, das passieren kann, wäre, dass er sich nicht für mich interessiert.« Fest entschlossen wischte er das Bild von Jongin, 26 nach rechts und automatisch sprang die App in eine andere Ansicht.

It's a match!


UNANGENEHME Stille war nach dem flüchtigen und reichlich klischeehaften Gespräch über das Wetter (»Schon schön, dass es immer noch schneit, findest du nicht?« »Naja, ich mag Schnee nicht wirklich. Ich bin mehr ein Sommerkind.« »Ah.«) eingekehrt und nun wichen meine und Jongins Blicke einander um die Wette aus.

»Kyungsoo, brauchst du Hilfe mit irgendwas?«, rief der Brünette mit einem hoffnungsvollen Blick über die Schulter hinweg in Richtung Küche, wo Soo das Abendessen für uns zubereitete.

»Nein!«, rief er zu unser beider Leidwesen zurück und ich konnte am Heben und Senken von Jongins Brust und den flüchtig geschlossenen Augen sehen, dass er geräuschlos seufzte, bevor er mir ein spitzes Lächeln zuwarf, welches ich nicht erwiderte.

Ich hatte mich unendlich darüber gefreut, als Kyungsoo eingewilligt hatte, Neujahr mit mir zu verbringen, weil er, wenn man es recht bedachte, der einzige Teil meiner Familie war, der mir noch übrig geblieben war. Das war allerdings, bevor ich gewusst hatte, dass er auch dasein würde.

Kim Jongin, seines Zeichens Instagram-Model, Pferdenarr und nun auch, seit etwas über einem Monat, Kyungsoos fester Freund. Kein Wunder, dass ich ihn von Anfang an nicht hatte leiden können.

Jongin blickte bloß flüchtig von seinem Handy auf, als ich irgendwann von der Couch aufstand und ohne ihn weiter zu beachten in die Küche ging. Kyungsoo empfing mich mit hochgezogenen Augenbrauen. »Na, versteht ihr euch gut?«, fragte er mit sarkastischem Unterton und ich verdrehte die Augen, während ich mich mit verschränkten Armen rücklings an die Kücheninsel lehnte. »Blendend.«

Kyungsoo warf mir einen mitleidigen Blick zu und stellte die Hitze der Herdplatte herunter, sodass seine Suppe nur noch leicht vor sich hin köchelte. Dann hörte ich ihn seufzen und öffnete schnell den Mund, um mich zu rechtfertigen.

»Er ist mir einfach nicht geheuer, Soo«, sagte ich ernsthaft und so leise, dass der Klang meiner Stimme definitiv nicht bis ins Wohnzimmer vordringen konnte. »Er kommt mir arrogant und oberflächlich vor. Und er sieht mich ständig mit diesem herablassenden Lächeln an.«

»Baekhyun.« Da war wieder dieser warnende Unterton in Kyungsoos Stimme.
Beschwichtigend hob ich die Hände. »Ich will nur nicht, dass du verletzt wirst.«
»Dann rede nicht so.« Soos Stirn war in Falten gelegt und sein Blick auf den Boden gerichtet. Er sah aus, als fühle er sich furchtbar unwohl und in dem Moment wurde mir klar, dass ich derjenige war, der ihm gerade am meisten wehtat.

Ich schluckte. Ich hätte ihn in den Arm nehmen wollen, aber ich wagte es nicht. »Sorry«, murmelte ich stattdessen zerknirscht und rieb mir mit der flachen Hand über den Unterarm.

Jetzt sah Kyungsoo wieder zu mir hoch und nickte. »Du hast einen falschen Eindruck von Jongin, glaub mir. Er ist der liebste Mensch, den ich kenne.«
Das Ironische an der Sache war, dass er gar nicht wissen konnte, wie weh seine Worte taten. Ich blinzelte ein paar Mal und wich seinem Blick aus, zuckte die Achseln und nickte. »Wenn du das sagst.«

»Baekhyunnie, bitte gib ihm eine Chance.« Ich schaffte es noch immer nicht, ihn anzusehen. »Ihr beide seid die wichtigsten Menschen in meinem Leben, es wäre mir viel wert, würdet ihr zumindest miteinander auskommen.« Für einen Moment herrschte Stille. »Okay?«
Ich seufzte. »Okay.«


Mein Versprechen hielt bis zum Essen an. Jongin war scheinbar wählerisch, was Gemüsesorten anging und sortierte auf seinem Teller, schob Karotten und grüne Bohnen fein säuberlich geordnet an den Rand. Das war eine Angewohnheit, die mir äußerst unsympathisch war. Zum einen, weil mir beigebracht worden war, dass man zu essen hatte, was auf den Tisch kam, aber noch viel mehr, weil sie dazu führte, dass er Kyungsoo mit seinem ungeliebten Gemüse zu füttern begann.

Ich rollte mit den Augen, doch die beiden bemerkten es nicht mal. Nicht beim Essen und auch nicht um Mitternacht, als ich Kyungsoo wie jedes Jahr drücken und ihm ein frohes neues Jahr wünschen wollte, und mir stattdessen einen furchtbar schmalzigen Kuss mit Feuerwerk im Hintergrund ansehen musste.

Bis auf die zwei Gläser, die Jongin sich selbst und Kyungsoo eingegossen hatte, leerte ich die Sektflasche allein und wünschte mich durchgehend zurück nachhause. Die Nacht in Soos Gästezimmer war die einsamste, die ich seit langem erlebt hatte.


2️⃣0️⃣2️⃣0️⃣


VON da an musste ich Jongin immer häufiger aushalten. Auf Kyungsoos achtundzwanzigster Geburtstagsfeier, auf meinem eigenen Geburtstag, wenn wir uns mit Freunden trafen; und immer öfter war er auch einfach schon da, wenn ich zu Soo nachhause kam.

Entgegen Kyungsoos Hoffnung, wurde er mir nicht sympathischer, je mehr Zeit wir zwangsweise miteinander verbrachten. Im Gegenteil, durch unsere ständigen Anfeindungen (von denen Soo selbstverständlich nie etwas mitbekam), wuchs mein Hass auf Jongin stetig weiter und gipfelte darin, dass ich ihm in einem unüberlegten Moment der Wut und Verzweiflung meine Meinung geigte.

Der Brünette empfing mich mit einem Augenrollen, als ich die Haustür öffnete und er sich von der Couch aus zu mir umdrehte. »Du bist es«, stellte er missbilligend fest und bekam ein abschätziges Grummeln von mir zur Antwort. »Kyungsoo ist nicht zuhause.«

Ich zuckte mit den Schultern und trat dennoch ein. »Dann werde ich hier auf ihn warten, wie ich es immer tue.« Böse funkelte ich ihn an, während ich meine Jacke auszog und sie über die Garderobe warf.

Währenddessen war Jongin aufgestanden und auf mich zu gekommen. »Du musst endlich lernen, allein klarzukommen, ständig tauchst du hier ungebeten auf, das ist doch nicht mehr normal«, fauchte er feindselig, woraufhin ich wütend die Lippen aufeinander presste.

Ich zwang mich zu einem gönnerhaften Schmunzeln. »Kyungsoo hat mir nicht umsonst einen Schlüssel gegeben, ich kann hier ungebeten auftauchen so oft ich will.« Ich schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust.

Den Bruchteil einer Sekunde später tat Jongin es mir gleich. »Du störst unsere Privatsphäre«, bemerkte er spitz und mir wäre beinahe der Kragen geplatzt.
»Das soll Soo mir selber sagen, wenn es wirklich stimmt.« Wütend wendete ich den Blick ab und hörte deshalb nur, wie Jongin spöttisch auflachte.

»Das tut er aber nicht, weil er ein zu schlechtes Gewissen dir gegenüber hat.« Die Antwort traf mich wie ein Pfeil direkt in die Magengegend. Es widerstrebte mir zwar, Jongin Glauben zu schenken, aber dennoch konnte ich nicht zu hundert Prozent beschwören, dass er falsch lag, auch wenn die Vorstellung mir das Herz brach. »Sieh es ein«, fuhr Jongin ungefragt fort. »Du kannst nichts dagegen tun, dass Kyungsoo und ich ein Paar sind, also fang an, es zu akzeptieren und lass uns endlich in Ruhe leben.«

Ich hätte das leise Geräusch hinter mir nicht ignorieren sollen.

»Ein tolles Paar seid ihr!«, schnauzte ich abfällig. »Kyungsoo ist zu blind, um zu sehen, wie hinterhältig du bist und zu verliebt, um zu bemerken, dass du wahrscheinlich bloß hinter seinem Geld her bist.« Jongin hatte seine Kühnheit verloren und sah mich so unschuldig schockiert an, dass es mir komisch vorkam. »Was ist? Hat es dir die Sprache verschlagen?«, wollte ich spucken, doch stattdessen hörte ich, wie hinter meinem Rücken die Haustür ins Schloss fiel und innerhalb weniger Augenblicke wurde mir alles klar.

Mit einem unbehaglichen Seufzen drehte ich mich herum und blickte wie erwartet in das enttäuschte Gesicht meines besten Freundes. »Soo...«
»Was soll das, Baekhyun?«, fragte er und klang wütend und verletzt.

»Ich sorge mich nur um dich!«, beteuerte ich ehrlich. »Ich glaube einfach nicht, dass er gut für dich ist. Kauf ihm dieses scheinheilige Getue doch nicht ab.« Ich musste schrecklich verzweifelt klingen und ich war es auch.

»Warum kannst du nicht einfach akzeptieren, dass ich glücklich bin?«, fragte Kyungsoo leise und mit dem Blick zum Boden gerichtet.
»Ich will, dass du glücklich bist.« Ich atmete einmal tief durch. Alles oder nichts. »Aber mit mir.«

Danach herrschte Stille. Kyungsoo sah mich fassungslos an und ich konnte erst wieder atmen, als er den Mund zum Sprechen öffnete. »Geh einfach, Baekhyun.« Und damit trat er an mir und dann an Jongin vorbei, lief die Treppe hoch und verschwand in seinem Schlafzimmer.

Meine Unterlippe zitterte und meine Augen begannen verdächtig zu brennen. Ohne mich noch mal umzudrehen, wollte ich das Haus verlassen, wurde aber von einer Hand an meinem Oberarm aufgehalten.

»Der Schlüssel.« Mit eiskaltem Blick hielt Jongin mir seine offene Hand entgegen und sah mir dabei zu, wie ich ihn von meinem Schlüsselbund abfriemelte und ihm wortlos überreichte.

Erst als ich die Türschwelle übertreten hatte, begannen die Tränen hemmungslos meine Wangen hinabzufließen.


UND damit war mir ein weiterer Teil meiner Familie abhanden gekommen. Mein bester Freund und gleichzeitig mein Fels in der Brandung, den ich in Momenten wie diesem eigentlich gebraucht hätte.

Die ersten paar Tage verbrachte ich einsam schmollend zuhause und wartete darauf, dass sich Kyungsoo wieder bei mir melden würde, so wie es immer gewesen war. Ich wartete solange, bis ich feststellte, dass es dieses Mal um einiges ernster war.

Kyungsoo schrieb mir nicht und er rief mich auch nicht an. Tatsächlich antwortete er nicht mal mehr, als ich mich schlussendlich dazu durchrang, ihm eine und später noch viele weitere Nachrichten zu schicken. Allesamt blieben sie unbeantwortet.

Zwei Monate später wurde mir die Wohnung aus heiterem Himmel gekündigt, weil ich offensichtlich nicht in der Lage gewesen war, die Miete zu bezahlen. Ein Blick auf meine Kontobewegungen machte mir alles klar. Kyungsoo hatte seinen Dauerauftrag aufgehoben und mir die Mietkosten allein überlassen.

Ich hatte eine verzweifelte E-Mail an den Vermieter geschrieben, in der ich versicherte, die fehlenden Beträge nachzuzahlen und von nun an besser auf meinen Kontostand Acht zu geben, doch er wollte nichts davon hören.

Ich musste ausziehen und kam für die nächste Zeit bei Sehun und Chaeyoung unter, die mittlerweile offiziell zusammenlebten.

Ich weinte so oft und so viel an Chaeyoungs Schulter, dass sie sich mittlerweile daran gewöhnt hatte, mich zu trösten und es ihr nicht mal mehr unangenehm war. Sie sah sich nach und nach alle Disneyfilme auf VHS mit mir an, weil sie der Meinung war, dass das meine Laune verbessern würde. Allerdings war ich mir nicht ganz sicher, ob sie es nicht auch ein wenig für sich selbst tat, da Sehun sich seit Jahren strikt dagegen weigerte.

Viel besser schaffte es ohnehin Chaeyoungs freudestrahlendes Gesicht, zumindest für eine kurze Weile meine Stimmung zu heben, als sie eines Abends mit Sehun von einem Date nachhause kam und mir einen funkelnden Verlobungsring unter die Nase hielt.

Überrascht und freudig hatte ich sie beide gedrückt und beglückwünscht, wir hatten noch ein wenig zusammen gefeiert, bevor Sehun und Chaeyoung sich ins Bett verabschiedet und mich auf meiner Couch zurückgelassen hatten.

So froh ich auch für die beiden war, so sehr erinnerte mich ihre Verlobung nun doch wieder an Soo, von dem ich seit Monaten nichts gehört hatte. Traurig griff ich in meine Tasche und fischte das kleine Döschen heraus, in dem ich den mittlerweile steinhart und zäh gewordenen Weingummiring verstaut hatte.
Mit sanft verschwimmendem Blick drehte ich ihn zwischen meinen Fingern hin und her.


2️⃣0️⃣2️⃣1️⃣


ES war beinahe ein ganzes Jahr ins Land gegangen seitdem Kyungsoo den Kontakt zu mir abgebrochen hatte. Mit Schrecken sah ich meinem dreißigsten Geburtstag entgegen, dem Tag an dem ich offiziell verloren hätte. Wobei, eigentlich hatte ich das doch ohnehin schon längst. Es wurde Zeit, endlich erwachsen zu werden und über die ganze Sache hinwegzukommen.
Aber das konnte ich nicht; nicht ohne endgültig mit ihm abzuschließen.

Ich hatte all meinen Mut zusammengenommen und war zu Kyungsoos Arbeitsstelle gefahren, hatte mich von der Lobby bis in die Chefetage hochgefragt und stand nun mit den Händen in den Taschen meines grünen Parkas vor seiner Sekretärin, die mich mit gehobener Augenbraue und gerümpfter Nase von oben bis unten musterte.

Zögernd, nachdem ich ihr mein Anliegen geschildert hatte, nahm sie den Hörer ihres Telefons ab, um mich über die Gegensprechanlage bei Kyungsoo anzumelden. »Herr Do? Entschuldigen Sie die Störung, hier bittet jemand darum, Sie persönlich zu sprechen.«

Ungeduldig mit dem Fuß tapsend, sah ich mich in dem kleinen Büro der Dame um. Moderne helle Farben, gemischt mit dunklen Holztönen und ein paar Grünpflanzen. Ich hätte fast schwören können, dass Kyungsoo bei der Einrichtung eine Hand im Spiel gehabt hatte.

»Ich weiß nicht«, sprach die Frau weiter und klang etwas verunsichert. »Er sagt, er sei ein Freund von Ihnen.« Sie zögerte. »Ich kann es mir aber beim besten Willen nicht vorstellen.« Ihr Ton war zwar gedämpft, aber selbstverständlich konnte ich sie trotzdem hören, immerhin war sie kaum mehr als zwei Meter von mir entfernt.

Bevor sie überhaupt auflegen konnte, öffnete sich die Milchglastür hinter der Sekretärin und ein verblüffter Kyungsoo sah mir entgegen, sowie ich ihm. Er hatte sich kaum verändert. Seine Haare waren etwas kürzer und er trug eine neue Brille, aber ansonsten war er immer noch mein Soo.

»Baekhyun?«, sah ich seinen Mund formen, bevor die Sekretärin erneut die Stille durchbrach.

»Also, kennen Sie ihn?« Aus irgendeinem Grund hielt ich die Luft an und mein Herz pochte mit dem Ticken der Wanduhr um die Wette.
»Frau Yang«, setzte Kyungsoo an seine Sekretärin gewandt an, »das ist Byun Baekhyun. Natürlich kenne ich ihn.«

Die brünette Dame wurde augenblicklich aschfahl. »Byun Baekhyun«, wiederholte sie Silbe für Silbe. »Der jüngste Sohn der Byun-Gruppe?« Kyungsoo nickte nur zur Antwort und ich war fasziniert von dem strengen Blick, den er aufgesetzt hatte. »Sie sollten besser auf Ihre Wortwahl achtgeben, wenn Sie nicht wissen, wen Sie vor sich haben.«

Beschämt senkte sie den Kopf und verbeugte sich mehrfach vor mir, was ich mit einem unterdrückten Schmunzeln quittierte. »Verzeihen Sie mir, Herr Byun.«
Ich schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln. »Schon gut, ich bin nicht nachtragend.«

Mein Blick hob sich zu Kyungsoo, der zurücktrat, um mich hineinzubitten und kurz darauf die Tür zu seinem Büro hinter uns beiden schloss.

»Ich kann nicht wirklich glauben, dass du die Karte gezogen hast«, begann ich belustigt und wusste, dass ich eigentlich andere Worte hätte wählen sollen, doch Kyungsoos Mundwinkel schoben sich nach oben und er zuckte die Achseln. »Du bist nunmal wer du bist.«

Ich senkte den Blick gen Boden. »Byun Baekhyun bin ich schon lange nicht mehr«, murmelte ich.
»Du hast dich immer noch nicht mit deinen Eltern versöhnt?«, nahm Kyungsoo an und sah wie immer, wie durch eine Glasscheibe in mich hinein.

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich zumindest. Meine Mutter hat mich ein paar Mal angerufen, aber Vater ist nicht begeistert davon, deshalb möchte sie sich nicht treffen.«

»Verstehe«, erwiderte Kyungsoo und wendete den Blick keine Sekunde lang von mir ab. »Und sonst? Wie geht es dir?« Für einen Moment musterte er meine Haare. Ach ja, das hatte ich schon beinahe wieder vergessen. »Du siehst so anders aus. Irgendwie...erwachsener.«

Ich lachte verlegen und fuhr mir mit einer Hand durch das wieder dunkle Haar. »Das war Chaeyoung«, erklärte ich. »Sehun war so genervt von meinem Ansatz, dass er mir gedroht hat, mich rauszuschmeißen, wenn ich sie nicht endlich färbe. Und Chaeyoung dachte, es wäre vielleicht leichter, würde ich einfach zu meiner Naturhaarfarbe zurückgehen.«

»Du wohnst bei ihnen?« Natürlich hatte Kyungsoo genau das herausgehört.
Ich nickte und kratzte mich mit einer Hand im Nacken. »Ja, irgendwie schon.«
Kyungsoo hatte ein sentimentales Lächeln aufgesetzt. »Du kommst echt nicht allein zurecht, oder?«

Ich presste die Lippen aufeinander und schüttelte mit dem Kopf und ehe ich mich's versah, hatte mich Kyungsoo in eine Umarmung gezogen. Meine Arme hatten sich ebenfalls um seinen Körper geschlungen und weigerten sich, auch nur ein Stückchen von ihm abzuweichen. »Es tut mir so leid«, flüsterte ich in seinen Kragen und merkte, wie mir schon wieder die Tränen kamen.

»Es ist schon gut«, beschwichtigte Soo. »Es ist alles gut, Baekhyunnie.«

Eine ganze Weile lang standen wir bloß so da, hielten uns gegenseitig und holten nach, was uns im letzten Jahr vorenthalten worden war. »Du hast mir gefehlt, Soo«, sagte ich, als wir uns schlussendlich voneinander lösten und Kyungsoo nickte. »Du mir auch.«

Ich räusperte mich und wischte mir mit dem Ärmel durchs Gesicht. »Ich sollte gehen. Du hast sicher noch zu arbeiten.« Kyungsoo nickte erneut zur Bestätigung. »Bitte—«, meine Stimme brach ab und ich musste mich räuspern, um den Satz beenden zu können. »Bitte richte auch Jongin von mir aus, dass es mir leid tut. Ich hätte das damals nicht zu ihm sagen dürfen.«

Kyungsoo schluckte, sah jetzt doch weg und fummelte am Saum seines Jacketts herum. »Jongin und ich sind nicht mehr zusammen.«
Ruckartig hatte ich den Kopf gehoben und sah Kyungsoo ungläubig an. Konnte das wirklich wahr sein?

Er deutete meinen verdutzten Blick falsch. »Ich schwöre dir, wenn du jetzt sagst, dass du recht hattest, drehe ich dir den Hals um«, drohte Soo mir mit erhobenem Zeigefinger und brachte mich damit unfreiwillig zum Lachen.

»Das wollte ich nicht sagen!«, stellte ich klar. »Ich wollte—« Ja, was wollte ich denn eigentlich? Ich schmiss alle Zweifel über Bord. Ein letztes Mal alles oder nichts. »Kann ich dich heute Abend nach Feierabend abholen?«

Kyungsoos herzförmiges Lächeln erschien auf seinem Gesicht und mein Herz schlug einen Purzelbaum. »Ich mache um sechs Uhr Schluss.«


Letztendlich war es dann doch Kyungsoo, der mich abholte, weil er immerhin das Auto hatte und seine Arbeit nicht allzu weit von Sehuns Wohnung entfernt war, und mich mit zu sich nachhause nahm. Ich hatte Soos Haus wirklich vermisst, bemerkte ich, sobald ich den großen Eingangsbereich betreten hatte. Es fühlte sich an, als würde ich endlich heimkehren.

Genau wie früher kochte Kyungsoo für uns, während ich schon mal eine Flasche Wein öffnete und die rote Flüssigkeit wohlwissentlich viel zu großzügig auf zwei Gläser verteilte.

»Okay, ich habe dein Essen fast noch mehr vermisst, als dich selbst«, scherzte ich und bekam einen Tritt vor das Schienbein dafür. An seinem Lachen aber, sah ich, dass er mir nicht wirklich böse war. »Du siehst nur erwachsener aus, bist es aber gar nicht«, stichelte Kyungsoo eifrig zurück.

Es war so schnell wieder so normal zwischen uns geworden; fast so, als hätte es die letzten Monate überhaupt nicht gegeben.

Später am Abend saßen wir zusammen auf der Couch, der Fernseher lief zwar, aber keiner von uns beiden schenkte ihm allzu viel Beachtung. Ich lehnte mit dem Rücken an Kyungsoos Seite und er kraulte mir mit sanften Fingern den Kopf. »Alles Gute zum Geburtstag nachträglich«, sagte ich unvermittelt, als mir einfiel, dass ich dieses Jahr noch keine Gelegenheit gehabt hatte, ihm zu gratulieren. »Du wirst alt.«

Die Hand, die vorher noch so sanft durch meine Haare gefahren war, versetzte mir einen Klaps mitten auf den Kopf. »Du wirst alt«, schoss Kyungsoo zurück. »Und das schon in zwei Wochen.«

Ich kicherte leise. »Stimmt. Und dann musst du mich heiraten, weil wir beide immer noch Single sind.« Dass das Versprechen noch galt, konnte ich nicht wissen, geschweige denn, dass es je wirklich gegolten hatte.

Kyungsoo wurde sehr still und seine Finger hielten ebenfalls inne. Für den Bruchteil einer Sekunde wünschte ich, ich hätte den Mund gehalten. »Soo?«
»Hast du das wirklich ernst gemeint?«, fragte er im selben Moment.

Ich räusperte mich und druckste herum. »Keine Ahnung, Soo, ich war fünfzehn Jahre alt und —«
»Nicht das«, fiel Kyungsoo mir ins Wort. »Nach der Sache mit Jongin. Du hast gesagt, du willst, dass ich mit dir glücklich werde.«

Oh, das also. »Ja«, kam es wie aus der Pistole geschossen von mir. »Das war ernst gemeint.« Ich setzte mich auf und drehte mich herum, sodass ich Kyungsoo ins Gesicht sehen konnte.
Sein Blick barg immer noch Zweifel. »Aber du magst doch gar keine Männer«, sagte er kleinlaut und musterte mich aufmerksam.

»Ich mag dich

Kyungsoo sah mich mit großen Augen an, während ich mich langsam, fast schleichend zu ihm herüber beugte und unsere Gesichter näher und näher zusammenbrachte. »Ich mag dich schon so lange.« Meine Stimme war nicht mehr als ein sanftes Hauchen.

Und endlich, endlich nach all den vergangen Jahren, all den missverstandenen Avancen und all der Frustration, trafen sich unsere Lippen. Kyungsoos Augen flatterten zu und er ließ sich von mir küssen, wieder und wieder, und sich rücklings in die Polster drücken.





»Okay«, fiel Kyungsoo mir kurzerhand ins Wort, nahm mir das Mikrofon ab und hielt mit einer Hand meinen Mund zu. »Was Baekhyun eigentlich sagen will, ist: das Büffet ist eröffnet.«

Unsere Freunde, sowie Kyungsoos Familie lachten beherzt und applaudierten, während Kyungsoo, mein Ehemann, das Mikrofon ausstellte und zur Seite legte und dabei auch meinen Mund wieder freigab.

»Ich war noch nicht fertig mit meiner Rede«, protestierte ich, klang aber nicht ernst genug, weil ich das Grinsen nicht aus meinem Gesicht bekam, es wohl heute auch nicht mehr würde.
»Du solltest eine kurze Ansprache halten, nicht unsere gesamte Lebensgeschichte erzählen«, tadelte Kyungsoo mich belustigt.

»Ich erzähle sie aber gern.« Er lachte und beugte sich vor, um mich flüchtig zu küssen, dann griff er nach dem weißen Keramikmesser, das auf dem Tisch lag. »Willst du mir jetzt drohen?«

»Spinner«, murmelte er und gab mir eine sanfte Kopfnuss, bevor er seine Hand mit dem Messer darin (die, an der seit vorhin ein ganz echter, goldener Ring prangte) anhob und mit einem Kopfnicken darauf wies. »Na komm.«

Ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus und ich legte meine, ebenfalls beringte Hand auf seine, um mit Kyungsoo gemeinsam die Torte anzuschneiden.

Eine Torte mit weißem Fondant und zwei kleinen Gummibärchen ganz oben auf der Spitze.

Đọc tiếp

Bạn Cũng Sẽ Thích

14.3K 988 95
Kaum wurde ein junges Mädchen zu einer Kunoichi, genauer gesagt, zu einer Chunin, welche erst gerade etwa sechs Jahre alt war, kam es schon dazu, das...
8.2K 2K 22
»οиgοιиg« Es ist ein heißer Sommer und das Ende der 1970er in Korea. Jimins Eltern haben einen Freund der Familie für besagten Sommer aufgenommen, da...
16.7K 370 49
Fallon Gilbert ist die ältere Schwester von Elena und Jeremy Gilbert. Seit ihrem 15. Lebensjahr ist sie mit ihrer ersten Liebe Tyler Lockwood zusamm...
85K 11K 68
Wenn Jisung in seinem Leben eines gelernt hat, dann dass Aufgeben nie eine Option ist. Doch was passiert, wenn er in eine Welt gestoßen wird, die sei...