Bei Tarek mitzufahren, bedeutete auch immer, sich gedanklich darauf vorzubereiten, dass man gleich abkratzen könnte. Er hatte immer genug Alk und Drogen intus, dass es echt ein Wunder war, dass wir nie von den Bullen angehalten wurden, und noch dazu hing er die meiste Zeit an seinem Handy, klärte irgendwas mit seinen Kunden.
»Was'n eigentlich passiert zwischen dir und Üzeyir?«, fragte ich, während wir über den Tempelhofer Damm fuhren. Schallschutzwände zogen vorbei, die Graffiti verschwammen zu einem einheitlichen Bunt.
Scheiß Frage, hätte ich nicht stellen sollen. Scheiß Gras, ohne das hätte ich meine Fresse gehalten. Ging mich ja auch überhaupt nichts an, was zwischen den beiden abgegangen war, das gehörte zu den Dingen, die man in unserem Viertel mit Sicherheit nicht wissen wollte. Das machte mir auch Moussas abwertender Blick klar. Obwohl er kaum eine Miene verzogen hatte, war mir klar, dass er innerlich bestimmt über mich herzog. Wie ich diesen Wichser doch hasste.
Ich würde ihn schon noch dazu bringen, auf dem Boden zu kriechen und Befehle von mir entgegen nehmen zu dürfen.
Tarek, der gerade an seinem Handy durch seine Songs scrollte, lachte nur. Obwohl seine Karre scheiße alt war, hatte sie ein neues Autoradio, das zwar nicht perfekt in die dafür vorgesehene Öffnung passte, dafür aber sogar einen Aux-Anschluss hatte.
»Was?«, fragte ich ihn gereizt, als er sich komplett zu mir umdrehte. Ich war bereit, ihm eine weitere Zahnlücke zu verpassen.
»Chill mal. Ich wollt' gerade den großen Geschichtenerzähler spielen.«
Hatte dieser Typ auch mal vor, mal wieder auf die Straße zu gucken oder war das irgendwie keine Option?
»Ey, du musst runter«, mischte Arsenij, der neben mir auf der Rückbank saß, sich ein und Tarek riss ohne runterzubremsen das Lenkrad herum, sodass ich über die halbe Rückbank rutschte, während er die Ausfahrt runterfuhr. Erst als bedrohlich nah vor uns ein Lastwagen auftauchte, kam er auf die Idee, dass Bremsen gar nicht so schlecht wär' und stieg voll in die Eisen.
Alter.
Ich könnte zuhause in meinem Bett liegen und zocken, verdammt.
Dann begann Tarek zu labern. Davon, wie er und Üzeyir gemeinsam mit dem Dealen angefangen hatten. »Verstehste? Wir waren Büder, ey, der war Familie«, erzählte er und dann davon, wie Üzeyir aus dem Geschäft aussteigen wollte und ihn deshalb um einen ganzen Haufen Kohle hintergangen hatte.
Ich hörte aufmerksam zu, während ich aus dem Fenster raussah, die nächtliche Stadt vorbeiziehen sah, aber es war nichts dabei, das ich gegen Aykan verwenden könnte.
»Ey da, seht ihr?«, sagte Tarek bald und deutete aus dem Fenster, wo zwischen einem irgendwie ranzigen Blumenladen und einer verrammelten Pizzeria ein türkischer Friseursalon lag. Das musste also der Laden von Üzeyirs Bruder sein. »Da sitzen die ganzen ach so harten Kerle drin und lassen sich wie Schwuchteln die Bärte machen.« Er lachte gehässig.
»Und drum ficken wir sie wie Schwuchteln in den Arsch«, ergänzte Arsenij.
Ein vorfreudiges Grinsen lag auf Moussas Gesicht, als wir in eine Seitenstraße fuhren und Tarek dort sein Auto parkte. Komplett schief und halb auf'm Bürgersteig, konnte ja fast als Weib durchgehen.
Es war eine Sackgasse, an deren Ende eine hohe Mauer stand. Nicht unbedingt eine gute Möglichkeit, falls wir fliehen mussten. Ich zog mir die Kapuze meines Pullovers über den Kopf, dann stieg ich aus und schlug die Tür von Tareks unauffälligen Kombi hinter mir zu. Der beißende Geruch von Pisse vermischte sich mit dem frischen des Nieselregens.
Grob stieß Moussa mich zur Seite, als er an mir vorbeiging, um den Kofferraum zu öffnen und den Baseballschläger daraus hervorzuholen.
»Für wen hältst du Wichser dich eigentlich?«, zischte ich und spuckte vor ihm auf den Boden. Moussa hob seine rechte Braue nur einen Ticken, ein verdammt provozierender Blick. Im Gegensatz zu uns waren seine Augen nicht rotunterlaufen, er hatte die Bong nicht angerührt. Gesoffen hatte er auch nicht, das tat er nie. Richtige Pussy halt.
Tarek schmiss sich seinen Rucksack über die Schulter und schob uns auseinander. »Hey hey, Jungs, wir haben 'ne Mission zu erfüllen«, sagte er wichtigtuerisch und schloss das Auto ab. »Konzentration bitte.«
Irgendwo in der Ferne heulten Sirenen, näher kamen sie nicht. Ich folgte den dreien die Seitenstraße entlang und ignorierte mein scheiß Herz, das der Überzeugung war, es wäre an der Zeit für ein bisschen Eskalation.
Als ob ich halt aufgeregt war, Alter. Auf keinen.
Mir konnte doch eh keiner was. Nicht in dieser Nacht, in der es sich so anfühlte, als würde uns die ganze Stadt gehören. Als könnten wir alles machen.
Scheiß auf Üzeyir, der nichts dagegen unternehmen konnte, dass wir innerhalb ein paar Minuten seine verfickte Existenz zerstören würden.
Scheiß auf die Bullen, die da draußen ihre Runden drehten. Die nahm in unserem Viertel doch eh keiner ernst.
Eigentlich waren die nicht anders als meine Alte. Muckten groß auf und konnten sich nicht durchsetzen.
Ich fand den Gedanken so witzig, dass ich auflachen musste.
»Schnauze«, zischte Arsenij und bekam daraufhin meinen Mittelfinger gezeigt, dann bogen wir in die Straße ein, in der der Friseursalon lag. Besonders breit war sie nicht, gesäumt von heruntergekommenen Mietskasernen und Häufen von gelben Säcken auf dem Bürgersteig.
Niemand war zu sehen, als Moussa den Baseballschläger gegen die Schaufensterscheibe donnern ließ. Ich warf einen Blick über die Schulter, hoch zu den hellerleuchteten Fenstern, doch keiner schien auf den Schlag aufmerksam geworden zu sein. Gleichmäßig klirrend fielen die unzähligen Scherben auf den Boden. Sie knirschten unter unseren Turnschuhen, als wir Moussa in den Laden folgten.
Ansonsten war nichts zu hören.
Kein näherkommendes Auto, auch wenn das in einer Gegend wie dieser den Fahrer eh nicht gejuckt hätte. Und selbst wenn, hätte er eh zu viel Schiss gehabt, sich mit uns anzulegen. Dann würde er nämlich hart auf die Fresse bekommen, so hart, dass er die Sache mit dem Autofahren erstmal vergessen konnte.
So oder so, wir hatten nichts zu verlieren.
Es war ein verdammt geiles Gefühl, als ich hinter Moussa in den Friseursalon trat. Die Scheiße gehörte mit einem Mal uns, ich konnte machen, was ich wollte. Lautes Poltern legte sich über unser Schweigen, als Moussa und Tarek damit begannen, die Stühle umzutreten, übertönte für einen kurzen Moment mein scheiß klopfendes Herz. Kurzentschlossen legte ich damit los, den ganzen Krimskrams von den Tischen runterzufegen.
Moussa ließ den Baseballschläger wieder und wieder gegen die blankgeputzten Spiegel donnern, noch mehr Scherben, die zu Boden regneten. Zu den Scheren und Rasierapparaten, den Shampooflaschen und Handtüchern, die wir dorthin geschmissen hatten.
Einen Moment überlegte ich noch, dann wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich klappte mein Messer auf und setzte die Klinge an dem schwarzen Lederbezug eines Sessels an, ehe ich sie mit einem kräftigen Ruck durchzog. genoss den Gedanken an Aykan, der ja irgendwie mit Üzeyir verwandt war. Verdammt, das würde sein aufgeblasenes Ego ein wenig schrumpfen. Ein beruhigendes Ratschen, eine gleichmäßige Bewegung – und das Adrenalin, das durch meine Adern schoss, die scheiß Aufregung.
Dann der nächste Sessel, aus dem genauso das Futter herausquillen würde wie aus den anderen. Immer noch keine Bullen, niemand, der uns bemerkt hatte.
Es war besser als der Rausch von jeder scheiß Droge, die ich bisher genommen hatte.
Ich kassierte für meine Aktion ein anerkennendes Nicken von Tarek, der sich mithilfe einer Spraydose der Verschönerung der Wände gewidmet hatte. Als ob ich halt seine scheiß Anerkennung bräuchte.
Zischend hinterließ seine Dose in schwarzer Farbe das Wort Hurensohn, ziemlich unkoordiniert, weil der Kerl viel zu besoffen war, um irgendetwas auf die Kette zu kriegen.
Als nächstes machte ich mich über den Computer her, der am Tresen stand, schmiss den teuren Flachbildmonitor runter und sprang drauf. Unter meinen Füßen zerkrachte Üzeyirs scheiß Existenz.
Tarek hatte sich mittlerweile eine Tube geschnappt und spritzte irgendeine weiße Paste herum, die einen chemischen Gestank im Laden verbreitete.
Wir hinterließen nichts als Zerstörung und die unausgesprochene Drohung, dass man mit uns besser nicht fickte.
Eigentlich war's so einfach, Menschen zu zeigen, was sie zu tun und lassen hatten.
»Scheiße, die Bullen!«, klang von draußen Arsenijs Stimme, der dort Schmiere stand. Mit einem Schlag war ich zurück in der Realität.