Uralte Fassung (1): Twos - Di...

By MaraPaulie

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Achtung: Alte Fassung. Neue ebenfalls auf Account zu lesen. Nicht jedes Märchen beginnt mit »Es war einmal... More

Vorwort
Prolog
Kapitel 1 - Ticket der Freiheit
Kapitel 2 - Home Sweet Home
Kapitel 3 - Die Tallos
Kapitel 4 - Die verrückte Tanja
Kapitel 5 - Tränen aus Eis
Kapitel 6 - Verräter und Bruder
Kapitel 7 - Das Wintermädchen
Kapitel 8 - Die Herrscher der Gezeiten
Kapitel 9 - Grosser, böser Wolf
Kapitel 10 - Vom Märchen in rot
Kapitel 11 - Von Schnee im Haus und Rosen aus Feuer
Kapitel 12 - Erbe der Toten
Kapitel 13 - Von Verrückten und dem Labyrinth
Kapitel 14 - Der Bruder mit dem Schuppenkleid
Kapitel 15 - Des Winters Blut
Kapitel 16 - Der Junge, der mit der Sonne tanzt
Kapitel 17 - Augen ohne Liebe
Kapitel 18 - Die Völker aus den Büchern
Kapitel 19 - Trauriger Mörder, lass mich gehen
Kapitel 20 - Feuerraben
Kapitel 21 - Der Löwe und der Wolf
Kapitel 22 - Der Traum von Familie
Kapitel 23 - Der Pirat und die Prinzessin
Kapitel 24 - Von Barbaren und Märchen aus der Besenkammer
Kapitel 25 - Von toten Jungen und Mädchen aus Licht
Kapitel 26 - Der Lichterlord und die Antwort zum Hass
Kapitel 27 - Rote Raben und Bücher voller Schicksal
Kapitel 28 - Wer lauert in der Dunkelheit?
Kapitel 29 - Von Schläfern und Schlüsseln
Kapitel 30 - Geheimnis ohne Zeit
Kapitel 31 - Namen von Macht
Kapitel 32 - Zum Lied des irren Geigers der Dämon mit dem Teufel tanzt
Kapitel 33 - Vom Meer zu den Wolken
Kapitel 34 - Geschichten, die ein Vöglein zwitschert
Kapitel 35 - Sturmgläser, tanzende Piraten und Jungen, die vom Himmel fallen
Kapitel 36 - Klyuss' Kinder
Kapitel 37 - Blau wie der Mohn, grün wie die Hoffnung und rot wie Blut
Kapitel 38 - Das Schicksal der Verfluchten
Kapitel 39 - Gejagte der Vergangenheit
Kapitel 40 - Blut fremder Brüder
Kapitel 41 - Spiel der Könige
Kapitel 42 - Es jagt und tanzt der Geistesblitzt
Kapitel 43 - Die Wahrheit wurde von einem Lügner erschaffen
Kapitel 44 - Vom Mörder, der die schwarze Orchidee fand
Kapitel 45 - Von Herrschern mit dem Flammenhass und Helden kleiner Klingen
Kapitel 46 - Wer wir sind und was wir tun
Kapitel 47 - Einmal Monster, immer Monster
Kapitel 48 - Das Versprechen von niemals und immer
Kapitel 49 - Das Wort 'böse'
Kapitel 50 - Der Herzkasper
Kapitel 51 - Freund oder Feind, alt oder neu, beide bleiben ewig treu
Kapitel 52 - Das Gedicht des Todes
Kapitel 53 - Die Reise der Wahrheit und des Sinns hinter allem
Kapitel 54 - Von Geschwisterbanden und letzten Zeilen
Kapitel 55 - Der Tempel der Orakel
Kapitel 56 - Mondkind
Kapitel 57 - Die erste aller Schöpfungen
Kapitel 58 - Vom Intrigieren, Dechiffrieren, Konferieren und fiesen Viren
Kapitel 60 - Schattenlicht und Bernsteingold
Kapitel 61 - In der Schwebe
Kapitel 62 - Patron und Paladin
Kapitel 63 - Von Luftschlössern und Monstern unterm Bett
Kapitel 64 - Deine wunderschönen Lügen
Kapitel 65 - Von Namen und Masken
Kapitel 66 - Das blinde Recht
Kapitel 67 - Das blinde Herz
Kapitel 68 - Das blinde Glück
Kapitel 69 - Verfluchtes Kind mit Gold gekürt
Kapitel 70 - Als niemand schlief
Kapitel 71 - Der Gewissenlose
Kapitel 72 - Phönix
Kapitel 73 - Ein Goldstück für deine Gedanken
Kapitel 74 - Kriegsherr Regen
Kapitel 75 - Der Herrscher über alle Macht
Kapitel 76 - Alles ist gut
Kapitel 77 - Die Feinde des Schicksals
Kapitel 78 - Und wenn sie nicht gestorben sind...
Kapitel 79 - Lucky Strike
Kapitel 80 - ...dann leben sie noch heute
Epilog
Authornotes
Charakterverzeichnis
Illustrationen

Kapitel 59 - Glücksjagd und Königsmord

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By MaraPaulie

Kapitel 59

Glücksjagd und Königsmord


~Sabrina~

Die Rebellen hatten nicht vergessen, wie es war zu reisen. Beschwerlich, scheinbar endlos und ständig begleitet von der erdrückenden Furcht, jederzeit überfallen und ausgelöscht werden zu können. Nein, die Rebellen hatten nicht vergessen, wie es war zu reisen. Sie hatten nicht vergessen, was ihr Ziel war. Sie hatten nicht vergessen, wer ihnen keine andere Wahl liess, diese Schlachten zu schlagen, um endlich frei sein zu können. Sie hatten nicht vergessen, wer ihre Feinde waren.
Die Dunklen.
Natürlich waren sie trotzdem erstaunt gewesen, als Drosselbart sie zum Aufbruch aufgefordert hatte. Erstaunt, aber sie hatten sich schnell gefasst. Irgendwann wäre der Aufbruch gekommen, das war von Anfang an sicher gewesen. Aramesia war frei, aber auch verlassen. Die Bewohner der Stadt – alle verflucht. Die Rebellen waren nur die Gäste der Stadt des Stillen Gottes gewesen.
Viel packen hatten die Rebellen nicht müssen. Sie besassen ja auch nichts. Alles, was sie zum Überleben brauchten, war das, was sie am Leib trugen. Kleidung, die wärmte, Rüstungen, die sie schützten und Waffen, mit denen sie kämpfen und sich verteidigen konnten. Wasser und Nahrung hatte man auf Wagen und die Jolly Roger verladen. Es war nicht so, als hätten sie genug, um jeden Abend ein Festmahl zu veranstalten, aber drastisch rationieren mussten sie nun auch wieder nicht.
So ohne viel Gepäck hatte der Aufbruch nicht lange gedauert. Die Rebellen waren noch am selben Tag aufgebrochen. Das lag jetzt eine ganze Woche zurück. Seither reisten sie immer weiter in nordöstliche Richtung.
Die Landschaft war nicht sehr spektakulär. Kilometerlang erstreckte sich eine mit Wildblumen und Gräsern bewachsene Hügellandschaft. Man nannte dieses Gebiet 'Die Hohlen Hügel'. Hohl, denn es hatten sich kleinere Fabelwesen wie Wichtel, Gnome und Steintrolle in diesen Hügeln eingenistet. Sie legten Baue wie Dachse oder Füchse an. Die Eingänge dieser Bauten waren unmöglich zu entdecken, denn diese Wesen verstanden sich darauf, diese zu verstecken. Leider waren die Hügelbewohner extrem scheu und nicht die Intelligentesten, darum wären sie den Rebellen auch keine Hilfe.
Vor der Machtergreifung der Dunklen war dieses Hügelland ein wichtiger Ort für die Weissen Hexen gewesen. Auf dem höchsten der Hügel, der einfach nur der Buckel genannt wurde, hatten sie die Walpurgisnacht gefeiert. Heute hatte die Schwarze Magie die Oberhand und der Feiertag der Weissen Hexen war längst in Vergessenheit geraten.
Die Gegend hier war also ziemlich langweilig. Reckte man den Kopf in die Höhe, wurde es auch nicht viel besser. Man konnte nur in weiter Ferne den Rand des östlichen Grenzwaldes zu Virid'agru erkennen. Irgendwo hinter diesen gewöhnlichen Wäldern lag der Elfenwald.
Die Aussicht Richtung Norden war da viel interessanter. Da die letzte Woche ausnahmslos gutes Wetter geherrscht und die Sonne stets heiss und grell auf die Erde niedergebrannt hatte, war die Luft ziemlich trocken. So hatte man unverschleierte, klare Sicht auf das Land, das vor ihnen lag. Dort wucherten die Waldgärten von Wyr. Ein bunter Fleck aus unzähligen, kunterbunten Bäumen, die sich bis zum Horizont erstreckten. Das war ihr nächstes Ziel.
Die Rebellen bestanden aus circa 324'380 Wesen, die aus den verschiedensten Völkern stammten. All diese Wesen geordnet und koordiniert mobilisieren zu können, war praktisch eine Kunst, die auch wirklich nur der Rebellenführer beherrschen konnte. Wie er das jedes Mal anstellte...
Drosselbart hatte das folgendermassen gemeistert: Jedes Volk wurde von seinen eigenen Monarchen angeführt. An der Spitze ritt Drosselbart und direkt hinter ihm der Reihe nach die anderen menschlichen Führer mit ihren zugehörigen Hofstaaten. Häuptling Azzarro, dieser alte Wichtigtuer, hatte sich mit seinen Barbaren natürlich an die erste Stelle der Reiter gesetzt. Auf die Menschen folgten Königin Amiėle und die Elfen, dann König Orion mit den Zwergen und so weiter. Das einzige Volk, das keine eigene Karawane bilden konnte, war das der Vampire. Die Sonne verbrannte ihre Haut wie Säure und da das Gelände keine Möglichkeit für Schatten bot, konnten sie am Tage nicht mitwandern. Die Lösung war ebenso simpel wie ungemütlich: Wesen untot? Klappe zu!
Jeder Blutsauger bekam seine eigene Kiste, die wiederrum mit einem Duzend anderer Kisten auf einem Zugwagen gestapelt und transportiert wurden.
Die fünfundzwanzig Drachen mit ihren Reitern, die letzten, die den Rebellen geblieben waren, zogen über der Armee ihre Kreise. Sie spähten in die Ferne, um jede Hinterhalt augenblicklich entdecken zu können. Etwas weniger hoch flog das Wolkenvolk. Aus der Ferne wirkten sie wie ein riesiger Vogelschwarm, doch sah man genau hin, erkannte man ihre menschlichen Körper.
Allen voraus segelte jedoch die Jolly Roger. Die Segel der prächtigen Galeone blähten sich im Wind, den das Sturmglas entfachte. Doch es war nicht der einhändige Captain, der dort oben die Lüfte unsicher machte.
Nein, Hook ritt neben Sabrina auf einem riesigen, schwarzen Schlachtross. Falk war ziemlich schlecht gelaunt, denn er hasste es, wenn ein anderer am Steuer seines Schiffes stand. Mr. Smee hatte jetzt das Kommando, wenn auch nur vorrübergehend. Der alte Seemann hatte zwar praktisch schon sein ganzes Leben auf Schiffen verbracht, aber am Steuer gestanden war er noch nie. Schon gar nicht, auf einem Schiff, das flog! Das war aber nicht der einzige Grund, weshalb Hook so schlecht drauf war. Sein Monstrum von Pferd bockte, doch was das anging, war der Pirat selbst schuld. Er hatte sich nämlich geweigert, auf einem stinknormalen Pferd zu reiten, da sein Piraten-Macho-Ego natürlich was „Krasseres" im Sinn gehabt hatte. Auch die Tatsache, dass ein Schlachtross für die Schlacht trainiert war und nicht für Ritte über lange Strecken, hatte ihn nicht zur Vernunft bringen können.
Tja, so wurde Sabrina wenigstens nicht langweilig, denn sie amüsierte sich köstlich über den Piraten. Gerade war er mal wieder dabei, sich den Frust aus dem Leib zu schimpfen: »Bei Klyuss' Wellenhaar, dieser Gaul ist zu nichts zu gebrauchen! Mal bleibt er einfach so stehen, dann ist er so elendig lahm und dann versucht das Rindvieh, mich abzuwerfen! Ich hasse Pferde! Die sehen so... unproportioniert aus! Wusstest du, dass Poseidon voll auf die Viecher abfährt? Poseidon ist auch ein Vollidiot! Kein Wunder, bei dem ganzen Inzest, der da bei den Göttern abgeht, da müssen die doch alle 'nen Schaden haben. Jedenfalls hasse ich Pferde. Ich bin ein Pirat! Ein Kind Klyuss'. Ich gehöre auf ein Schiff, auf die See... Heiliger Klabautermann! Wieso mache ich das eigentlich?!«
Sabrina grinste in sich hinein und meinte: »Ich habe dich doch gewarnt. Du wolltest nicht hören, du sturer Pirat!«
Falk sah zu ihr herab. Sein Reittier war so gross, dass Sabrina, auf ihrem Pferd sitzend, gerade noch über den Pferdehintern des Schlachtrosses blicken konnte. Sie hatte sich eine ruhige Fuchsstute ausgewählt. Als sie noch ein Kind gewesen war, hatte sie – anders als die meisten Mädchen in ihrem Alter – nicht so viel mit Pferden anfangen können. Auf diese fanatische Vorliebe für Delfine hatte sie abgelehnt. Hatte sie jemals ein Lieblingstier gehabt? Wahrscheinlich nicht.
»Prinzessin, Ihr seid eine Klugscheisserin«, brummte Hook und zog die Nase kraus.
»Und Ihr, Pirat, seid ein Blödkopf.«
Da die Herrscher eigentlich zu gar keinem Volk gehörten, ritten sie meist etwas abseits von den anderen. Manchmal auch neben Drosselbart, es kam so drauf an, wie sie gerade drauf waren. Wie gesagt, hatte sich Azzarro mal wieder an vorderste Front begeben, was für alle gleichermassen Grund war, sich von der Spitze der Armee fern zu halten. Der Häuptling bekam in den Sitzungen des Rates genug Zeit, um über sie her zu ziehen, das wollten sie sich nicht auch noch während ihrer Freizeit antun. Also ritten Mile, Red, Hook und sie selbst ein paar Meter neben der Armee.
Nicht jeder Rebell hatte ein Pferd, dafür hatten sie einfach nicht genug. So teilten sich manche ihr Reittier. Trotzdem bremste sie das etwas. Geplant war, dass sie noch heute die Waldgärten von Wyr erreichen würden.
Falk hatte Sabrina von diesen Wäldern erzählt. Angeblich hatte die Göttin Cecily sie erschaffen, weshalb man es nur unbeschadet durchschaffte, wenn man genug Glück hatte. Dieser ganze Wald war ein riesiges Labyrinth. Man durfte die Wege unter keinen Umständen verlassen, denn ansonsten war man verloren. Die Wege selbst führten jedoch auch nicht einfach geradeaus auf die andere Seite, nein, sie waren verschlungen und unübersichtlich angelegt, was bedeutete, dass man sich wahnsinnig schnell in ihnen verirrte. Dazu trugen auch die Irrlichter bei. Wie die Ratten hatten sich diese Geisterwesen in den Waldgärten eingenistet. Es war eine Plage! Zwar waren Irrlichter nachtaktiv, aber trotzdem gefährlich. Man musste bei Nacht also höllisch aufpassen, sich von keinem der Irrlichter bezirzen zu lassen. Sie würden einen vom Weg locken und somit ins Verderben stürzen. Doch das war noch nicht einmal alles. Dieses Labyrinth veränderte sich. Die Pflanzen dort wuchsen in unglaublicher Geschwindigkeit. Ein Baum konnte innert einer Woche ganze zehn Meter hoch werden! Aber genauso schnell gingen die Pflanzen auch wieder ein, so veränderte sich das Landschaftsbild ständig. Die Wege verschoben sich, wurden abgeschnitten, zerstört oder es bildeten sich neue. Hoffentlich würden sie es dort hindurch schaffen. Zwar hatten sie ja die Drachen und das Wolkenvolk, die sie aus der Luft durch den Wald lotsen konnten, aber dieser Wald war gross. Auch aus der Luft konnte man ihn nicht völlig überblicken. Wie immer hatte Sabrina ihre Zweifel, aber sie war natürlich auch Pessimistin, wer konnte schon wissen, was geschehen würde?
Mondkind, natürlich, aber na ja... die Kleine war nicht besonders redselig, seit ihren letzten Mini-Prophezeiungen. Immer wenn Sabrina sie besuchte, sah ihre Cousine sie nur traurig an. So hatte sich in ihr eine regelrechte Paranoia aufgebaut. Irgendetwas würde geschehen. Irgendetwas Schlechtes...
Dies lenkte ihre Gedanken gleich wieder auf den Rattenfänger. Um Feivel herum war es in der letzten Zeit ruhiger geworden. Die Rebellen hatten ihn als Verbündeten akzeptiert, was wohl auch damit zusammenhing, dass Drosselbart eine Rede gehalten hatte, was für ein Geschenk des Himmels der Rattenmann doch wäre. Pha! Sie misstraute dem Flötenspieler noch immer...
Aber es war ja auch nicht alles schlecht. Die Wälder von Wyr waren für Unglücksraben eine Fallgrube und es war ein hohes Risiko, sie zu durchqueren, aber wenn sie diesen Wald erst einmal hinter sich hatten, würde sie nichts mehr aufhalten können. Der Rand der Waldgärten von Wyr wurde im Norden von einem Fluss beschrieben. Die Kaouthar floss aus dem Azifik und mündete schliesslich im Lacco Lugondon. Diesen Fluss mussten sie auch noch überqueren. Jedenfalls fungierte dieses fliessende Gewässer als natürliche Grenze zwischen den Waldgärten von Wyr und dem Ezelwald. Der Ezelwald war ein stinknormaler Mischwald. Er säumte das Tal der Ewigkeit von West, Ost und Süd. Wenn sie also den Ezelwald durchquert hatten, würden sie ihr Ziel erreicht haben. Der Marsch durch den Ezelwald würde etwa drei Tage dauern, das war bekannt. Nur wie lange sie brauchen würden, durch die Waldgärten von Wyr zu kommen, konnte niemand wirklich sagen. Das würde darauf ankommen, wie gut sie in diesem Labyrinth zurechtkommen würden, was wiederrum von ihrem Glück abhing. Verdammtes Glück!
»Wie geht es dir eigentlich? Ich habe das Gefühl, du wärst irgendwie wacher als sonst. Lassen die Alpträume nach?«, erkundigte der Pirat sich.
Sabrina lächelte und nickte. »Ja, so ist es. Und das habe ich dir zu verdanken«, stellte sie fest. Auch nach ihrem Aufbruch aus der Stadt des Stillen Gottes hatte Sabrina bei Falk übernachtet. Oder besser: Er hatte bei ihr übernachtet, denn auch in der Nacht blieb die Jolly Roger am Himmel, denn es boten sich einfach kaum Möglichkeiten zum Landen. Das Risiko, das Schiff bei so einer Kunstlandung zu beschädigen, war einfach zu gross. Also musste der Pirat sich mit ihr ein Feldbett in ihrem Zelt teilen. Sabrina bezweifelte jedoch, dass ihn das störte. Er genoss es. Und zugegeben: Sie ebenso...
Viel zu lange hatte sie ihn auf Abstand gehalten. Sie hatte befürchtet, denselben Fehler wie schon bei Eril zu machen. Nicht weil sie befürchtet hatte, Falk würde sie wie Eril nur belügen. Bei Eril war sie nicht war das anders gewesen. Bei ihm war sie in das Verliebtsein verliebt gewesen. Jemanden du haben, der einen immer bei sich haben wollte, immer für einen da war, nichts wichtigeres als sie in seinem Leben hatte... Sie war in das Verliebtsein verliebt gewesen. Bei Eril.
Doch mit Falk war es anders.
Falk gab ihr gleichzeitig Boden unter den Füssen und Flügel zum Fliegen gab.
»Ich glaube kaum. Bestimmt sind sie nur besser geworden, weil jetzt klar ist, dass du Cernunnos nicht töten wirst. Ich schätze, das hat mittlerweile sogar dein Unterbewusstsein mitgekriegt«, brummte Hook. Er wollte eigentlich noch weiterreden, doch er war gezwungen, abzubrechen, denn sein Monsterpferd bäumte sich auf.
»Noch einmal und ich lasse dich Kiel holen! Mir ist egal, dass du ein Pferd bist und mein Schiff fliegt. Ich lass dich trotzdem irgendwie Kiel holen, du blöder Gaul!«, drohte der Pirat dem Pferd.
»Ich glaube nicht, dass dein Pferd dir besser gehorcht, wenn du es bedrohst und beschimpfst.«
»Und was soll ich dann machen?«
Sabrina seufzte und ritt ein Stück vor, um mit dem Kopf des Tiers auf gleicher Höhe zu sein. Langsam hob sie ihre rechte Hand und streichelte das bebende Tier. Wahrscheinlich lag es an ihrer Telepathie, selbst wenn diese durch ihren Traumfänger abgeschwächt war, jedenfalls wurde das Pferd sofort ruhiger. Diesen Nebeneffekt ihrer Gaben hatte sie entdeckt, als Drosselbart sie letzte Woche in die Ställe geschickt hatte, damit sie sich ein Reittier aussuchen konnte. Tiere reagierten sehr sensibel auf sie. Sabrina konnte spüren, wie die Tiere sich fühlten. Das war nicht wie bei den Völkern Twos'. Jedes Wesen hatte ein komplexes Bewusstsein und neben Gefühlen auch noch Gedanken und so was. Bei Tieren war das anders. Auch sie hatten Gedanken, nur waren die um so vieles simpler. Sie dachten nicht in Worten, sondern mit Bildern, Erinnerungen und Gefühlen. Sie dachten nicht 'Essen', wenn sie Hunger hatten. Sie riefen sich die Empfindungen, die sie beim Fressen hatten, in Erinnerung. Jedenfalls hatte Sabrina so gelernt, wie sie mit Tieren umzugehen hatte. Wenn jetzt ein Löwe sie angreifen würde sie keine zwei Minuten brauchen, um die Bestie zu zähmen. Okay, erst würde sie vermutlich vor Angst sterben, aber die Wahrscheinlichkeit, einem Löwen zu begegnen, war ja auch nicht so gross.
Wobei, da war ja Astrar, Miles... Reittier... Sie musste gestehen, sie beneidete ihren Bruder ein wenig. Astrar war wirklich gewaltig.
Automatisch hielt sie Ausschau nach der schwarzen Raubkatze. Sie entdeckte Astrar etwa hundert Meter vor ihnen. Er lieferte sich gerade mit Oskar, Reds Wolfszwilling, ein Wettrennen. Sie erkannte Miles roten Haarschopf. Ihr Bruder hing sich voll rein. Den Oberkörper vorgebeugt, um möglichst jeden Luftwiderstand zu vermeiden, krallte er sich in Astrars schwarzes Fell. Es dauerte nicht lange, da hatten Löwe und Lord die Rote und den Wolf abgehängt. Schliesslich war ein Löwe kein Gegner für einen Wolf, selbst wenn er grösser als ein Pferd und dazu ein Hybride war...
»Wie machst du das?«
Die Stimme des Piraten holte sie in die Wirklichkeit zurück.
Sie wandte sich von ihrem Bruder ab und sah zu Falk hoch.
»Was gemacht?«
»Das Pferd. Es ist ganz ruhig...«, erklärte Falk und strich dem Tier verwundert über den Hals.
Sabrina nickte und liess ihre Hand, die sie noch immer auf dem Fell des Pferdes ruhen gelassen hatte, sinken. Sie meinte: »Meine Telepathie scheint sich irgendwie auszubauen. Ich glaube, ich entwickle eine Affinität zu Tieren...«
Falk sah sie forschend an. Er fragte: »Ist das gut oder schlecht?«
»Weiss nicht... Solange der Traumfänger mich beschützt und mein Zustand sich nicht verschlechtert, ist es okay.« In Gedanken fügte sie hinzu: Und wenn nicht, dann sind wir aufgeschmissen. Sollte meine Telepathie sogar zu mächtig für den Traumfänger werden, werde ich den Rebellen kaum nützlich sein...
»Mist! Jetzt geht es schonwieder los!«, knurrte Falk und riss an den Zügeln seines Hengsts. Der Rappen tat keinen Wank. Trotzig blieb er stehen und scharrte mit den Hufen.
»Tja, muss also mal wieder der Pferdeflüsterer ran...«, seufzte sie gespielt überheblich. Sie lenkte ihre Fuchsstute zu Hooks Riesenteil. Sie wollte gerade die Hand nach dem Hengst ausstrecken, um dem Tier Ruhe und Geborgenheit einzuflössen, da wurde sie auf einmal unter den Armen gepackt und hochgerissen. Erschrocken quiekte sie, dann wurde sie auch schon auf dem breiten Sattel des Schlachtrosses abgesetzt. Die Fuchsstute, die nun keinen Reiter mehr hatte, wieherte verwirrt und stob dann davon. Das blieb von den Rebellen nicht unbemerkt. Es lösten sich drei menschliche Krieger aus den marschierenden Reihen und ritten auf ihren eigenen Pferden dem entflohenen Tier hinterher.
Sabrina drehte sich zu ihrem Entführer um. Sie rief: »Falk! Was soll denn das?«
Der Pirat lächelte sie spöttisch an und gab dem Rappen die Sporen. Das Schlachtross trabte los, ruhig und ohne zu bocken. »Ich dachte, das wäre ein Fall für den 'Pferdeflüsterer'...«
Gerne hätte Sabrina sich auf sein Spiel eingelassen, hätte irgendwas Schnippisches erwidert und ihrem verbalen Duell Leben eingehaucht, doch wie so oft warf sein Lächeln sie aus der Bahn.
Wie er den einen Mundwinkel leicht selbstgefällig hochzog, ebenso seine rechte Augenbraue. In seinen Augen lachte der Schalk voller Siegessicherheit.
Das schief-spöttische Lächeln, die bodenlosen Ozeanaugen und die Geschichte dahinter, die sie von Anfang an erahnt hatte. Falk hatte sie von Anfang an fasziniert...
»Wieso lächelst du eigentlich immer so?«, fragte sie nachdenklich. Sie lehnte sich an seine Schulter, hob den Arm und strich ihm über das haarige Kinn.
Falk fing ihr Handgelenk mit seinem Haken ein. Er sah sie verwirrt an. »Was meinst du?«
»Dein Lächeln«, antwortete sie. »Es ist so voller... Spott...«
Der Pirat runzelte die Stirn. »So? Ist es das?«
Sie nickte.
»Und ist das was... was Schlechtes?«, fragte er unsicher.
Sabrina lachte. »Nein, so habe ich das nicht gemeint. In gewisser Hinsicht ist es sogar ganz süss.«
Hook schüttelte den Kopf und rief: »Süss?! Das ist was Schlechtes!«
Sie verdrehte die Augen und meinte: »Nein. Ich mag dein Lächeln. Und jetzt hör schon auf mit deinem Ego-Piraten-Macho-Gehabe.«
Der Pirat grinste breit und zwinkerte ihr zu. Doch sein Gesicht verdüsterte sich schnell wieder. Er holte tief Luft und erklärte: »Dieses Lächeln... Das was du gerade gesagt hat, das... hat schon einmal jemand zu mir...« Er brach ab.
Sabrina hätte sich ohrfeigen können. Nicht schonwieder... »A-Arielle?«, krächzte sie leise.
Hook runzelte die Stirn. »Was? Nein. Wie kommst du denn darauf?«
Sabrina schüttelte den Kopf. Wieso? Wie kommst du auf so was?, fragte sie sich selbst in Gedanken. Verflucht! Hook war auf dem besten Weg, die Sache mit Arielle hinter sich zu lassen und sie erwähnte seine erste Liebe? Sehr feinfühlig...
»Wer... war es dann?«
Falks Blick verlor sich in einer fernen Erinnerung. »Es war Blackbeard. Kurz nachdem ich den Sohn des ersten Maats umgebracht hatte. Er hatte mich in die Captain-Kabine gebeten und mit mir geredet. Er hatte gesagt, ich würde einen tollen Piraten abgeben. Ich würde schon wie einer Aussehen. Wie ich lächeln würde. So spöttisch. Das sei wichtig, denn der Spott sei für die Piraten eine wichtige Waffe.«
Sabrina schmunzelte. Sie hatte auch schon mit dieser „Waffe" Bekanntschaft machen müssen. Dagegen gab es keinen Schild...
»Mit Spott können wir uns eine Maske bauen. Die eigene Furcht verstecken und sich mit dem Spott, diesem lebensmüden, wahnsinnigen, gleichgültigen, freudigen Vergnügen, über den Feind lustig machen. Mit dem Spott schüchtern wir unseren Gegner ein. Spott, dieser kleine, traurige, dunkle, feindselige Bruder der Freude. Der Spott war die erste Etappe in meiner glorreichen Laufbahn zum Piratencaptain.«
Sabrina versuchte in Falks Gesicht zu lesen, doch seine Miene war unergründlich. »Ich hätte das nicht sagen sollen. Ich schätze, du wirst nicht gern an Blackbeard erinnert.«
Der Pirat lachte und schüttelte den Kopf. »Aber nein! Sabrina, ich... ich muss dir das genauer erklären.« Er machte eine Pause. Vielleicht dachte er über seine Wortwahl nach, aber Sabrina kannte ihn zu gut. Falk hatte einen Hang zum Dramatischen, auch wenn er es sich selbst nicht richtig eingestehen konnte. Aber er genoss seine Kunstpause, um sie auf die Folter zu spannen. Schliesslich erklärte Hook: »Blackbeard war Pirat. Das Meer floss in seinen Adern. Er war Klyuss' Kind bis auf die Knochen. Ich bin auch ein Pirat. Das ist etwas, das ich für immer sein werde. Das ist meine Geschichte, mein Märchen. All meine Taten hängen an meinem Piratendasein und diese Schuld kann ich nicht ablegen. Du denkst vielleicht, dass ich Blackbeard hasse, schliesslich hat er mich zum Piraten und damit zu dem Monster gemacht, das ich so verabscheue.«
Sabrina nickte. Sie hatte tatsächlich angenommen, dass Falk den Mann, der ihn zum Piraten gemacht hatte, verabscheuen würde, doch Hooks Augen erzählten eine andere Geschichte.
»Blackbeard hat mir eine Chance gegeben. Nachdem ich den Sohn des ersten Maates getötet hatte, war ich natürlich nicht besonders beliebt bei der Mannschaft. Aber Blackbeard nahm mich unter seine Fittiche. Er lehrte mich das Kämpfen und brachte mir bei, ein Pirat mit Ehre zu sein. Ehre und Pirat, das scheint nicht zusammen zu passen, aber du täuschst dich. Auch für Piraten gibt es einen Ehrenkodex und der beinhaltet wohl die einzigen Regeln, die wir Piraten akzeptieren.«
»Du meinst also, Blackbeard hat... dir geholfen?«
Falk nickte. »Er hat mich beschützt, mich gelehrt und für mich gesorgt. Er hat mir sogar erlaubt, ihn mit seinem bürgerlichen Namen, Edward Thatch, anzusprechen, natürlich nur, wenn wir alleine waren. Er war so was wie ein Vater für mich... Als damals der Teufel, Wilhelm Grimm, auf der Jolly Roger auftauchte und die Crew auseinanderriss, hat er auch Blackbeard gebrochen. Er war nicht mehr derselbe. Er war zerstört. Ich hatte versucht, ihn dazu zu bewegen, mit mir zu kommen und die neue Crew anzuführen und die Black Swan unter sein Kommando zu nehmen, doch er wollte nicht. Also wurde ich Captain der Black Swan. Ich kannte nichts anderes und ich tat es ihm zu ehren.«
Sabrina schmiegte sich an seine Brust. »Wenn das alles vorbei ist, werden wir Blackbeard suchen. Wenn er noch lebt, soll er sehen, was aus dir geworden ist. Ihm zu Ehren hast du sein... ich muss zugeben, eher Fragwürdiges Andenken fortgeführt. Aber jetzt bist du ein Held. Vom Schurken zum Helden. Ich würde deinen... darf ich ihn als „Ersatzvater" bezeichnen?«
Falk nickte.
»Ich würde deinen Ersatzvater Blackbeard gerne kennen lernen.«
Falk sah sie forschend an, so als würde er überprüfen wollen, ob sie ihn reinlegen wollte. Als er erkannte, dass dem nicht so war, runzelte er die Stirn und fragte überrascht: »Das meinst du ernst? Blackbeard mag ein Vater für mich gewesen sein, doch er war auch ein... ein Pirat.«
»Das bist du auch.«
»Natürlich, aber... ich bin anders. Ich habe nie so kaltblütig sein können wie Blackbeard. Ich habe immer bereut, Scham empfunden und war von Selbsthass erfüllt. Blackbeard hat mir oft gesagt, das wäre eine Schwäche. Erst als meine Schwester... Das hatte mich so erschüttert, dass mir alles egal wurde. Da war auf einmal kein Mitleid mehr. Bedauern, Scham und Selbsthass waren zwar noch immer da, es war schlimmer denn je, aber ich habe den Schmerz angenommen und ihn vergraben. Ich denke heute, dass ich mich so für das war meiner Schwester passiert war, bestrafen. Ich habe mich bestraft... Blackbeard hatte das erkannt. Er hat mich gekannt. Auch wenn er Mitleid, Bedauern, Scham und Selbsthass als Schwäche bezeichnete, so kannte er mich und wusste, dass der Tod meiner Schwester mich kaputt gemacht hatte. Mitleid war ein Teil von mir gewesen, genau wie die Liebe zu... zu Arielle. Doch mit ihrem Tod ist dieser Teil von mit zerbrochen. Blackbeard hatte mich bremsen wollen, doch ich hatte das nicht zugelassen. Immer wieder hat er mich ermahnt, auf mich zu achten, damit ich mich nicht selbst verlieren würde, aber ich schlug alles in den Wind. Er hat versucht mich zu retten, aber aufhalten konnte er mich nicht.«
»Ich habe das Gefühl, du willst mich vor Blackbeard warnen, nur hast du mir noch immer nicht erklärt, wieso?«
Falk seufzte. »Blackbeard kannte mich zu gut, er wusste um mein Mitleid und meine Güte. Er hatte diese Eigenschaften als Schwäche gesehen, doch ich hatte ihm immer gesagt, dass dies keine Schwächen, sondern Tugenden wären, die ich niemals ablegen wollte. Als ich dann zerbrochen war, hat Blackbeard mich zwar versucht zu retten, alleine aus Liebe zu mir, um meinet Willen, aber... Ihm hat meine Veränderung auch gefallen. Immer hatte er meine Tugenden kritisiert und als ich sie dann verloren hatte, war ich seiner Hinsicht nach der perfekte Pirat. Blackbeard war wie ein Vater für mich, aber ansonsten war er kein guter Mensch...«
Sabrina hatte ihm aufmerksam zugehört. Schliesslich meinte sie: »Wir werden sehen. Blackbeard bedeutet dir etwas und das ist alles was zählt.«
Falk lachte und antwortete: »Wie Ihr meint, Prinzessin. Aber erst sollten wir diesen Krieg gewinnen, meint Ihr nicht?«
»Ja«, stimmte sie ihm zu. »Aber trotz allem dürfen wir das Träumen, Hoffen und Wünschen nicht vergessen...«


~Mile~

Mile liess sich den Wind durch das Flammenhaar wehen. Er musste seinen Tastsinn nur ein kleines bisschen erhöhen und die Welt fühlte sich völlig anders an. Er konnte auf einmal den Wind verstehen, wie und in welcher Form er seinen Körper umfloss, wie er sich kräuselte, wenn er sich verlor. Er fühlte Astrars Muskeln unter ihm, wie sich anspannten, lockerten und dann wieder langgerissen wurden, sich erneut spannten, lockerten und immer wieder spannten. Wenn er seine Hände in die Löwenmähne grub, wallten die Haare um seine Finger.
»Alter Angeber!«, hörte er Red hinter sich rufen. Er normalisierte seine Sinne und sah sich zu seiner roten Gefährtin um.
»Und du bist eine schlechte Verliererin!«, neckte er sie.
»Ihr seid beide bescheuert. Astrar und ich sind die, die rennen. Ihr sitzt nur auf unseren Rücken und prahlt«, knurrte Oskar, wie immer etwas grimmig.
Unter Mile vibrierte es, als der Astrar unter ihm auflachte. »Wahre Worte, Bruder Isegrim. So sind sie nun einmal, die Menschen. Selbst wenn ihr Geist zum Teil ein Tier ist.«
»Bruder Nobel, Löwe. Sie kennen es nun einmal nicht anders«, antwortete ihm Oskar.
»Oh je, was seid ihr zwei denn so trübsinnig. Vielleicht braucht ihr ja eine Pause«, meinte Red. Sie gab ihrem Bruder einen Klaps auf die rechte Flanke, zum Zeichen, dass er anhalten solle. Das tat Oskar auch und die Rote sprang von seinem Rücken. »Lust auf einen Spaziergang, Mylord?«, rief sie Mile zu und er nickte.
»Kannst du bitte stehen bleiben, Astrar?«
Der Löwe knurrte zustimmend und bremste, indem er seine Krallen, die so gross wie Miles Finger waren, in die weiche Erde gruben. Es machte einen Ruck, doch Mile klammerte sich an der Löwemähne fest. In der letzten Zeit tat Astrar so etwas dauernd. Immer wieder versuchte er, Mile mit halsbrecherischen Manövern von seinem Rücken zu schleudern und immer wenn es ihm gelang, amüsierte er sich köstlich darüber. Nicht so Mile, denn Herrscher hin oder her, weh taten seine Landungen immer...
»Muss das sein?«, brummte Mile genervt, als er von Astrars Rücken sprang.
»Irgendwie muss er nun einmal seinen Minderwertigkeitskomplex ausbügeln«, witzelte Red, die auf ihn zugeeilt kam.
»Minderwertigkeitskomplex?!«, brummte der Löwe zu gleichermassen erstaunt und beleidigt.
»Klar doch. Du wurdest nach einer Blume benannt. Nach den Astern!«, lachte Red.
Beleidigt rümpfte der Löwe die Nase. »Das ist sehr weit hergeholt, junge Wolflady. Ausserdem heisse ich Astrar und nicht Astern.«
»Ja, aber Astrar ist schwedisch und bedeutet Astern. Du, mein Freund, heisst wie eine kleine, weisslila Blume«, konterte Mile und grinste. Hier in der Märchenwelt beherrschte man einfach jede Sprache und es tat so gut, den riesigen Löwen etwas ärgern zu können. Damit würde er Astrar ab jetzt immer aufziehen, wenn er versuchte, ihn mal wieder bei einer Vollbremsung abzuwerfen oder so was...
Astrar schnaubte beleidig, murmelte irgendwas Unverständliches zum Abschied und preschte dann davon.
So blieben Red und Mile zurück. So ohne Reittier fühlten sie sich nun doch nicht so sicher auf offenem Feld, weshalb sie beschlossen, sich den marschierenden Massen anzuschliessen. Also schnappte Mile sich Red, hob sie hoch und raste mit Herrscher-Geschwindigkeit auf die Rebellenarmee zu.
Als er zum Stehen kam, applaudierten einige Rebellen – hier waren es Menschen – und lachten. Mile war drauf und dran, den erschöpften Kriegern eine kleine Feuershow zu bieten, da wurde er von einem kleinen Jungen abgelenkt, der ihm freudig zuwinkte.
An sich ist ja eigentlich nichts Sonderbares an einem kleinen Jungen, nur gab es unter den Rebellen eigentlich keine Kinder unter sechzehn. Die verlorenen Jungs waren eine Ausnahme. Alte, Schwache, Kinder und die, die sich bereiterklärt hatten, für die Hilfsbedürftigen zu sorgen, waren in LaRuh zurückgeblieben. Dort waren sie sicher. Jedenfalls so lange wie möglich. Sollten die Rebellen scheitern, würden die Dunklen bestimmt nicht lange brauchen, um jemanden zu finden, aus dem sie die Information, wo die letzten Rebellen sich versteckten, herauspressen konnten. LaRuh würde sich mit den Rebellen erheben oder fallen, doch bis dahin waren die Verletzlichen in LaRuh am besten aufgehoben.
So war es also tatsächlich etwas Ungewöhnliches, ein kleines Kind in Mitten all der Krieger zu erblicken.
Der Junge ritt etwa zwei Meter von Mile entfernt auf einem Elefanten. Da der Kleine einen grauen Kapuzenmantel trug, konnte Mile ihn nicht erkennen. Nur sein pausbäckiges Gesicht lugte unter dem Filz hervor und strahlte den jungen Lichterlord an.
»Kenne ich dich?«, rief Mile dem Jungen zu und der Kleine nickte. Mile schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern.
Der Junge zog sich die Filzkapuze vom Kopf und seine karottenroten Haare kamen zum Vorschein.
Auf einmal war Mile klar, wer dieser kleine Junge war. Wie hatte er ihn nur nicht erkennen können? Gut, als er ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er blass wie ein Laken und sein Bauch frisch vernarbt gewesen.
»Pinocchio!«, rief Mile und lachte. »Lange nicht mehr gesehen! Wie geht es dir?«
Der kleine Junge klopfte dem Elefanten mit der flachen Hand auf den Hintern und dies blieb stehen. Er wandte sich an Mile und fragte: »Fängst du mich?«
Mile lächelte und antwortete: »Klar!«
Vor Freude klatschte Pinocchio in die Hände. Vorsichtig richtete er sich auf, dann sprang er und Mile fing ihn, wie versprochen, auf.
Red begrüsste den Achtjährigen mit einem Lachen. »Hey, Kleiner«, meinte sie, hob die Hand und liess sie von Pinocchio abklatschen.
»Du scheinst ja wieder ganz schön fit zu sein«, meinte Mile, nachdem er den Jungen abgesetzt hatte. Er musterte ihn. Pinocchio schien es tatsächlich wieder blendend zu gehen. Er stand aufrecht da, so als wäre nie etwas gewesen.
Dabei hatte der kleine Junge Schreckliches durchstehen müssen. Vor unzähligen Jahren hatte sein Vater und Erschaffer Geppetto Pinocchio geschnitzt. Pinocchio, die lebendige Marionette. Doch nicht nur die Tatsache, dass Pinocchio früher aus Holz bestanden hatte und nun ein echter Junge aus Fleisch und Blut war, machte das Kind so besonders. Geppetto hatte in den Holzrumpf des Marionettenjungen etwas versteckt. Die Büchse der Pandora. Nur hatten die Dunklen das herausgefunden, Pinocchio in einen Menschen verwandelt und die Allmachtspieluhr aus seinem Bauch herausgeschnitten. So waren sie in Besitz dieser schrecklichen Waffe gekommen und Mile wurde schlecht bei der Erinnerung, wie er Pinocchio zum ersten Mal gesehen hatte. In einer Blutlache liegend, den Bauch aufgeschlitzt...
»Mir geht's super!«, stimmte der Kleine zu. Er krempelte sein Hemd hoch und gab so den Blick auf eine breite, silbern schimmernde Narbe frei. Eine ähnliche Narbe hatte auch Sabrina an ihrem Arm. Dieser silberne Schimmer kam daher, dass beide Wunden mit Magie geheilt worden war. Diese Heilmagie war eine Spezialität der Elfen.
»Du solltest dich trotzdem noch ausruhen. Unsterblich hin oder her, die haben dir den Bauch aufgesäbelt«, meinte Red besorgt.
Sie hatten sich mittlerweile wieder in Bewegung gesetzt. Sie liefen mit dem Strom aus Rebellen mit. Viele ritten auf den unterschiedlichsten Reittieren, andere gingen zu Fuss. Alle hatten sie Schritttempo eingelegt.
»Ich bin die ganze Zeit rumgelegen. Ich will nicht mehr!«, maulte der Kleine.
»Mio figlio! Solltest du aber!«, rief jemand hinter ihnen. Mile drehte sich um und erkannte, dass nun auch Geppetto zu ihnen gestossen war.
»Pinocchio! Ich habe dir doch gesagt, du sollst sitzen bleiben!«, tadelte der Schnitzer seinen Sohn.
»Das ist meine Schuld, ich habe ihn hinuntergelassen«, gab Mile zu und lächelte entschuldigend.
Geppetto winkte ab. »Pinocchio weiss ganz genau, dass er sich noch schonen muss. Dieser ragazzo cattivo!«
»Aber mir ist langweilig!«
»Io so! Darum habe ich dir ja das hier mitgebracht.« Geppetto kramte in einer braunen Umhängetasche. Er zog ein paar kleine Messerchen und ein Stück Holz heraus. Er drückte die Schnitzutensilien seinem Sohn in die Hand und lächelte stolz wie ein Vater, der gerade sein Kind samt Schultüte vor dem Schlachthaus alias Schule fotografiert. Typisches Erster-Schultag-Foto-Scene.
Pinocchio sah weniger begeistert aus. Sein Blick pendelte zwischen dem Kram in seinen Händen und seinem Vater hin und her. Verwirrt runzelte er die Stirn. »Und was soll ich damit?«, fragte er.
Geppetto grinste breit und erklärte: »Du, mio figolo, wirst il flauto, scusa, die Flöte für Feivel, den Rattenfänger von Hameln schnitzen!«
»Was?!«, riefen Mile, Red und Pinocchio gleichzeitig.
Geppetto nickte streng und meinte: »Calmati! Calmati! Wieso regt ihr euch so auf? Feivel ist doch nostro amico. Er hat sich den rebelli angeschlossen!«
Mile nickte. Das stimmte. Feivel war jetzt einer von ihnen. Trotzdem fühlte er sich nicht ganz wohl bei der Sache, Feivel schon wieder eine Flöte zu überlassen. Aber die Entscheidung war gefallen. Feivel war einer von ihnen, also mussten sie lernen, ihm zu vertrauen.
»Ich? Ich darf das machen, Babbo? Ich?« Pinocchio strahlte über das ganze Gesicht.
Geppetto nickte.
Mile lachte und half dem strahlenden Pinocchio auf seinen Elefanten. Der Kleine begann sofort, los zu schnitzen.
Red hakte sich bei Mile ein und meinte, den Blick auf Pinocchio gerichtet: »So tritt der Sohn in die Fusstapfen seines Vaters.«
Mile musterte sie und flüsterte ihr zu: »Was hältst du davon? Denkst du, die Flöte ist eine gute Idee?«
Red zuckte die Schultern. »Ich bin mir nicht sicher. Ich denke schon, schliesslich ist er ja zu uns übergelaufen...«
Mile kaute auf der Innenseite seiner Wange herum. Sobald Pinocchio diese Flöte fertiggeschnitzt hatte, würden sie also wissen, für welche Seite Feivel sich tatsächlich entschieden hatte.
Wie so oft überfiel Mile ein Anfall von Optimismus. Feivel war ein Rebell! Schliesslich hatte Mondkind das vorhergesagt!
»Flöte oder Schwert, Musik ringt sie nieder. Rattenmann schenkt den Herrschern seine Lieder. Das waren Mondkinds Worte. Feivel ist einer von uns«, meinte er überzeugt.
Red stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Er beugte sich zu ihr hinab, um ihr dies zu erleichtern.
»Mir macht die Prophezeiung von Feuer und Eis viel mehr Sorgen, Mile. Wir wissen noch immer nicht, was sie bedeutet. Feivel ist nicht der Verräter, okay. Trotzdem haben wir noch einen unter uns! Ich habe gestern Nacht noch einmal die Prophezeiung durchgelesen, weil ich nicht schlafen konnte. In der Prophezeiung wird der Verräter einmal erwähnt!«
Mile runzelte die Stirn und brummte: »In dieser Prophezeiung gibt es Einiges, was einem Sorgen bereitet. Nicht nur die Stelle mit dem Verräter.«
Sie nickte und fuhr flüsternd fort: »Ja, natürlich. Aber vielleicht können wir diese Verrätergeschichte noch abwänden... Erinnerst du dich an die Zeile mit dem Königsblut?«
Mile kniff konzentriert die Augen zusammen und zitierte leise: »Wenn Königsblut an des Mörders Händen klebt, der Verräter sich in euren Reihen bewegt.«
»Genau! Mile, wir müssen diesen Verräter finden!«
Mile grinste. »Ja, natürlich. Das ist doch klar!«
Red seufzte. So leise es ging hauchte die Rote ihm ins Ohr: »Du verstehst nicht! Hast du dir die Prophezeiung mal ganz genau angesehen? Der Teil vor der Zeile mit dem Verräter lautet: Hin, zurück, schlafen, wachen und schon müsst ihr weitermachen. Reisen, kämpfen, Kriege führen. In der Dunkelheit sich Schatten rühren. Mile, diese Worte handeln davon, wie du und Sabrina aufgewacht seid. Nach der Reise durch Mondkinds Kopf!«
Mile wurde kalt ums Herz. »Das bedeutet, als nächstes wird der Verräter zuschlagen!«
»Endlich hast du es begriffen! Das verzwickte an der Situation ist, dass wir nicht wissen, welcher König nun in Gefahr schwebt. Wir müssen also auf alle Könige ein Auge haben. Wir können ihnen aber auch keinen extra Begleitschutz auf den Hals hetzen, weil es dafür keinen triftigen Grund gibt. Abgesehen von unserem engsten Kreis weiss niemand von der Prophezeiung. Wir haben sie ja vor allen geheim gehalten!«
Mile nickte ernst. »Wir müssen diesen Verräter finden!«


~Sabrina~

Sie erreichten die Waldgärten von Wyr, als die Nacht hereinbrach.
Die Sonne war noch nicht gänzlich untergegangen. Als würde sie gegen die Dunkelheit ankämpfen wollen, sandte sich ihre letzten Sonnenstrahlen über das Land. Sie selbst bestand nur noch aus einem dünnen, glühenden Streifen am Horizont. War man ausdauernd genug, konnte man beobachten, wie die Schatten Stück für Stück die Sonne auffrassen. Der glühende Streifen wurde dünner und dünner. Biss für Biss.
Die Waldgärten von Wyr lagen nun direkt vor ihnen. Wie eine Wand aus Bäumen ragte er in die Höhe. Ein Mischwald, dessen Artenvielfalt genug Bücher für eine ganze Bibliothek füllen würde.
Sabrina und Hook hatten sich während den letzten paar Kilometern zu König Drosselbart gesellt. Der Rebellenführer hatte sie direkt zum Eingang des Waldes geführt.
Ja, dieser Wald hatte einen „Eingang". Über einen Weg, der etwa zwanzig Meter breit war, bog sich ein Tor aus Edelstahl. Zwar konnte Edelstahl bekannterweise nicht rosten, doch trotzdem sah man dem Torbogen sein Alter an. Mindestens hundert Jahre. Moos, Pilze und Gräser wuchsen überall auf dem breiten Bogen, wo nach Jahren gefallene Blätter zu Humus und nahrhafter Erde geworden waren. Der Schriftzug, der in den Edelstahl gestanzt worden war, konnte man daher nur schwerlich entziffern, doch Sabrina schaffte es trotzdem.

~Die Waldgärten von Wyr~
Betreten nur auf eigene Gefahr. Wem das Glück nicht hold ist, wird hier den sicheren Tod finden.

Sabrina runzelte die Stirn. Das würde ja lustig werden...
Aber fürs erste würden die Rebellen sich noch nicht in diese verrückten Wälder wagen. Sie würden hier übernachten. Überall wurden bereits Zelte aufgeschlagen, Lagerfeuer entfacht und Wachen und Patrouillen eingeteilt. So hatte Drosselbart es eben angeordnet. Die Rebellen sollten sich niederlassen, denn sie brauchten Ruhe. Es war eine lange Reise gewesen und sie hatten sich eine Pause verdient.
Falk stieg von dem Hengst ab. Dabei stellte er sich gar nicht so ungeschickt an. Er klinkte sich mit seinem Haken in eine Schlaufe ein und rutschte an dieser an der Flanke des Schlachtrosses hinab. Unten angekommen hakte er sich aus und hielt ihr seine Hand hin, um ihr beim Absteigen zu helfen. Sie nahm seine Hilfe nur zu gerne an, denn so klein wie sie war, wurde aus einem Abstieg schnell ein Absturz.
Falk gab dem Hengst einen Klapps auf den Hintern und das Pferd galoppierte davon. Das Tier würde sich nun zu seinen Artgenossen gesellen, die nicht weit entfernt grasten. Sie waren gut dressiert und würden den Rebellen nicht entlaufen.
»Und jetzt?«, fragte der Pirat. Er gähnte und streckte sich. Sabrina tat es ihm nach. Sie ritten nun schon sein einer ganzen Woche durchgehend auf Pferden. Sabrina hatte an Stellen in ihrem Körper Muskelkater, von denen sie nicht einmal gewusst hatte, dass dort Muskeln existierten. Überall spannte und brannte es. Natürlich war es nicht mehr so schlimm wie in den ersten Tagen nach dem Aufbruch. Da hatte sie geglaubt, sterben zu müssen. Heute war es eigentlich ziemlich erträglich.
»Nun, ich würde sagen, wir helfen beim Zeltaufbau und hauen uns dann aufs Ohr«, murmelte Sabrina. Sie reckte ihren Hals in die Höhe und spähte über die Massen an Rebellen hinweg. Die Armee hatte sich aus ihrer ordentlichen Formation gelöst. Alle strömten sie zum nächstgelegenen Lastenwagen, wo Stangen, Schnüre, Heringe und Planen für die Zelte gestapelt waren.
»Dann los«, brummte Hook, nahm sie an der Hand und setzte sich in Bewegung. Sie wollte ihm folgen, doch jemand legte ihr von hinten eine Hand auf die Schulter und hielt sie zurück.
»Entschuldigt, Eisprinzessin, Drosselbart hat mich geschickt, um Euch zu suchen. Er will eine Ratssitzung einberufen«, erklang Brees melodische Stimme.
Sabrina gab Falk ein Zeichen, auf sie zu warten, dann drehte sie sich zu ihrer Lieblingselfe um. Brees zweifarbige Augen waren auf sie gerichtet. Sie hatte das bequeme Leinenhemd und die Lederhose gegen eine leichte Rüstung aus Metall und Leder getauscht. Das Symbol der Stürmerelfen prangte auf. Ihr dunkelgrüner Umhang schützte sie vor der Kälte.
»Drosselbart will jetzt eine Sitzung abhalten? Geht das nicht auch morgen?«, maulte Sabrina.
»Ich führe nur Befehle aus.«
»Verdammt... Also gut«, seufzte Sabrina. »Und wo?«
Bree bedeutete ihr, zu folgen. Sabrina und Falk wechselten einen Blick, der wohl so viel zu sagen hatte wie: Wieso nur?!
Bree führte sie ein Stück am Waldrand entlang, weg von dem Rummel. Schliesslich erreichten sie einen kleinen Felsen, auf dem eine Linde wuchs. Der Baum hatte seine Wurzeln um den Gesteinsbrocken geschlungen, als würde er ihn mit aller Macht an sich klammern wollen. Unter der Linde flackerte ein Lagerfeuer, über dem ein Suppentopf köchelte.
Der kleine Rat hatte sich um das Feuer versammelt. Jeder hielt eine Holzschüssel in der Hand, die eine nach der anderen von Jeremy Topper mit Suppe aus dem Kessel gefüllt wurde.
Drosselbart, der mit dem Rücken zur Linde sass, entdeckte sie von weitem und winkte sie herbei.
Als sie nahe genug waren, sah Sabrina, dass Tatze, der verlorene Junge und Wendys geheime Liebe unter den Ratsmitgliedern war. Stattdessen fehlte Nimmertiger. Sabrina brauchte einen Moment, um zu verstehen, warum ihr Cousin nicht hier war: Die Sonne ging unter und Nimmertiger und seine sechs Brüder würden jeden Moment zu Raben werden. Sieben Raben, Sonnenprinzen, Sklaven der Nacht, gezwungen bei Einbruch der Dunkelheit unter Schmerzen in den Körper eines Vogels gezwängt zu werden. Darum war Tatze hier. Er vertrat die Verstossenen.
Auch Mile und Red waren bereits unter den anderen Ratsmitgliedern. Die beiden grüssten sie und Sabrina und Hook setzten sich neben sie.
»Suppe?«, fragte der Hutmacher Sabrina und Falk lächelnd. Bevor sie ihm antworten konnten, hatte er ihnen auch schon zwei Holzschüsseln in die Hände gedrückt und mit der heissen Brühe gefüllt.
»Ähm... Danke«, murmelte Sabrina und beäugte die Suppe misstrauisch. Zwar konnte sie nicht erkennen, aus was diese gelbliche Flüssigkeit bestand, doch sie wies auch keine Anzeichen irgendwelcher skurrilen Zutaten auf. Ausserdem roch sie gar nicht mal schlecht, also beschloss sie, Jeremys Suppe einfach mal zu probieren. Sie hob den Löffel aus dem Schälchen und nippte daran. Tatsächlich schmeckte es ihr.
»Ich dachte, nach der langen Reise haben wir uns was Leckeres verdient. Das ist gut für die Nerven und weckt auf«, erklärte der Hutmacher mit einem wohlwollenden Lächeln.
Drosselbart räusperte sich und meinte: »Ja, Topper, das ist wahr. Wir haben eine lange Reise hinter uns und darum will ich, wie ihr alle vermutlich auch, diese Sitzung schnell hinter mich bringen.«
»Worauf Ihr wetten könnt, König Amselbart!«, rief Rosanna wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.
Drosselbart seufzte, ging nicht weiter auf die Namensverdrehung ein und erklärte dann feierlich: »Wir sind endlich bei den Waldgärten von Wyr angelangt.«
»Wir sollten jetzt nicht zu euphorisch sein«, meinte Ikarus düster. Der Engel deutete hinter sich, wo der Wald von der Abendröte in ein schauriges Dunkelrot getaucht wurde. »Dieser Wald ist gefährlich. Das ist ein riesiges Labyrinth!«
Azzarro lachte. Er sprach mit vollem Mund, sodass Suppen-Speichel-Tröpfchen durch die Luft flogen: »Aber dafür haben wir doch euch Vogelmenschen! Ich fliegt voraus und zeigt uns den Weg!«
Ikarus schüttelte den Kopf und erklärte: »Da ist das Problem!«
Auf der Stirn des Rebellenführers bildeten sich Sorgenfalten. Er fragte: »Aber das war doch der Plan. Das Wolkenvolk und die Drachen weisen uns den Weg. Ihr könnt über das Labyrinth hinwegfliegen und uns von oben Sackgassen und dergleichen warnen!«
»Ja, eure Majestät, so war es geplant, doch ich fürchte, das ist nicht möglich.«
»Warum nicht?«, knurrte Orion, der neben Mile sass und sich auf seine Streitaxt stützte.
Ikarus griff eine braune Gürteltasche an seinen Hüften und zog eine Pergamentrolle heraus. Er rollte sie auseinander und zeigte sie den Ratsmitgliedern. »Das«, erklärte er, »sind die Waldgärten von Wyr.«
Sabrina betrachtete das Pergament. Es war eine Landkarte, die die Waldgärten, den Ezelwald und das Tal der Ewigkeit zeigte. Während der Ezelwald mit Strichen, gestrichelten Linien und Höhenangaben versehen war, waren die Waldgärten von Wyr als einziger, riesiger, bunter Fleck dargestellt. Keine Wege, keine Trampelpfade, nichts.
»Prinz Ikarus«, mischte ich Guenio ein, »es ist bekannt, dass die Waldgärten von Wyr noch nie kartografisch festgehalten wurden.«
Der Engel nickte und steckte die Pergamentrolle wieder in seine Gürteltasche zurück. »Nicht ohne Grund. Die Vegetation in diesen Wäldern ist... anders... Die Flora hat ihren eigenen Rhythmus, der sich nicht an die Jahreszeiten der restlichen Welt hält. Eine mächtige Eiche, die das Alter vieler tausend Jahre zu haben scheint, kann in diesem Wald gerademal zwei Monate alt sein. Mit dem schnellen Wachsen, Blühen, Verdorren und Sterben der Pflanzen, verändern sich auch die Wege und Strassen. Sie... scheinen sich immer wieder zu verschieben.«
»Ja, das ist bekannt. Aber so schnell geschieht das nun auch wieder nicht. Das Labyrinth verändert sich in einem Ausmass, das wir noch einigermassen einschätzen können. Diese Waldgärten sind der einzige Weg. Sie über die nordöstlichen Grenzwälder von Virid'agru sind von Moracks verseucht. Virid'agru ist neutrales Terrain und wird von keiner Armee betreten. Im Westen liegt der Lacco Lugondon, dessen Flussufer grösstenteils von Trollen besetzt sind. Aber die Waldgärten von Wyr sind von niemandem besetzt«, meinte Amiėle streng. Sabrina verstand ja, dass die Elfenkönigin ihr Land vor dem Krieg bewahren wollte, aber es wäre nun einmal wirklich das einfachste, wenn sie ihre Armee durch die Elfenwälder nach Norden bringen könnten. Aber sie konnten die Königin nicht überzeugen. Sie hatten es zwar schon versucht, aber die Elfe blieb bei diesem Entschluss. Gegen den Willen der Elfen trotzdem durch Virid'agru zu reisen, würde ihnen nur schaden, denn dann würden die Elfen die Rebellen verlassen und das konnten sie sich einfach nicht leisten! Wenn diese Elfen nur nicht so schrecklich stur und... in gewisser Weise egoistisch wären!
»Die Waldgärten sind gigantisch!«, widersprach Ikarus. »Um die Rebellen durch diesen Wald zu führen, müssten wir erst einmal einen Weg finden, der breit genug ist, damit dreihunderttausend Leute keine tausend kilometerlange Zweierreihe bilden müssen. Ausserdem müssen wir ein Bild dieses Waldes haben. Wir müssen ihn einmal komplett überfliegen, sonst wird unsere Reise im schlimmsten Fall in einer Sackgasse enden.«
»Und wieso macht ihr diesen Flug nicht?«, hakte Hook nach. Er war besorgt, das erkannte Sabrina daran, dass er mit dem linken Eckzahn immer wieder die weisse Narbe auf seiner Unterlippe entlangfuhr. Diesen Tick hatte sie erst vor Kurzem an ihm entdeckt...
»Weil«, erklärte der Prinz des Wolkenvolks, »wir dafür mehrere Tage brauchen würden und selbst dann trotzdem nicht sicher sein können werden, ob unser geplante Weg dann noch so sein wird wie zuvor, aus Gründen, die ja bereits ausreichend erläutert worden sind.«
Azzarro rülpste, wandte sich an den Engel und schnauzte: »Aber es war doch geplant, dass...«
»Ich weiss, was geplant war, Barbarenhäuptling. Aber wir haben die Situation unterschätzt«, unterbrach Ikarus ihn.
»Wie viele Tage würdet ihr denn brauchen?«, fragte Drosselbart.
»Etwa... drei bis vier Tage... Wenn wir zügig fliegen«, kam es zögernd zurück.
»In Ordnung, ich schlage folgendes vor: Das Wolkenvolk wird in den nächsten Tagen einen Weg für die Armee finden. Ich hatte eigentlich sowieso vor, uns eine Pause zu gönnen. Wir sind nun schon eine ganze Woche unterwegs. Es wird den Leuten gut tun, ein paar Tage Ruhe zu haben«, bot Drosselbart als Lösung an.
»Wieso nicht? Das klingt ganz vernünftig«, murmelte der Zwergenkönig und nickte zustimmend.
»Ist das nicht etwas riskant?«, gab Tatze, der Nimmertiger vertrat, zu bedenken. »Ich meine... In Aramesia waren wir von dicken Stadtmauern geschützt. Aber hier... wenn wir uns für ein paar Tage hier niederlassen, werden die Dunklen davon Wind bekommen und diese Chance doch ausnutzen, um uns anzugreifen.«
Löwenherz schüttelte den grossen Raubtierkopf. »Die Dunklen sind klug. Sie müssen sich nicht die Mühe machen, uns anzugreifen. Sie lassen uns zu ihnen kommen. Die Trolle im Westen und die Moracks im Nordosten würden uns auch nicht aufhalten können. Aber sie würden uns ohne Zweifel stark schwächen. Die Waldgärten von Wyr sind der sicherste Weg. Wir wollen stark wie möglich im Tal der Ewigkeit ankommen. Die Dunklen haben vor, uns dort zu zerschlagen. Sie wollen uns für alle Zeit loswerden. Sie glauben nicht, dass wir sie besiegen könnten.«
»Seid Ihr Euch da sicher?«, fragte der verlorene Junge forschend.
»Bei den Dunklen kann man sich nie wirklich voll und ganz sicher sein, aber was das angeht, bin ich zuversichtlich«, antwortete der Animanore.
»Dann sind also alle einverstanden?«, fragte Drosselbart.
Synchrones Nicken. Nur Amiėle meinte: »Wir sollten diese freien Tage aber nicht ungenutzt lassen.«
Rosanna seufzte theatralisch und maulte: »Und wie sollen wir sie nutzen?«
Die Elfe reckte das Kinn in die Höhe und verlangte: »Wir werden die Götter ehren. Die Waldgärten von Wyr sind Schöpfung der Glücksgöttin Cecily. Wir sollten die Götter gnädig stimmen, damit wir die Reise durch dieses Labyrinth auch gut überstehen.«
Azzarro grunzte und knurrte: »Ach und welche Götter sollen wir ehren? Die der Elfen? Nein, das werde ich bestimmt nicht. Die Götter von den Spitzohren anbeten, pha! Meine Götter sind rau, wild, kriegerisch und ehrenvoll! Ich habe keine anderen Götter!«
Die Augen der Elfenkönigin verengten sich zu Schlitzen. Die Spannung in der Luft war fühlbar. Sabrina sah besorgt zwischen dem Barbar und der Königin hin und her. Das würde Amiėle bestimmt nicht auf sich sitzen lassen...
»Ich finde die Idee eigentlich gar nicht so schlecht«, meinte Red, die Stimme ruhig und beschwichtigend. »Wie wäre es, wenn wir... ein Fest veranstalten? Zu Ehren der Götter?«
König Orion nickte und grinste. Er rief: »Unbedingt! Wie die alten Krieger meines Volkes! Noch heute besingen wir das in unseren Liedern. Unsere Vorfahren haben nicht nur epische Schlachten geschlagen und gewonnen, sie haben Feste gefeiert, wie kein anderes Volk. Unsere Götter waren zufrieden mit und uns...«
»Wen interessiert's?«, rief Rosanna. »Hauptsache es gibt Turniere, Festessen und ordentlich zu trinken. Und unsere Götter sollen geehrt werden, wie es ihnen zusteht!«
Löwenherz lachte sein tiefes, raues Löwenlachen und brummte: »Wir könnten alle Götter ehren! Jeden einzelnen. So werden wir sicher alle von ihnen auf unserer Seite haben. Für unsere restliche Reise, als auch für die Schlacht!«
Alle waren begeistert. Nur Sabrina und Mile warfen sich einen skeptischen Blick zu. Schliesslich meinte Sabrina vorsichtig: »Aber... ich habe gehört, die Götter würden sich seit langer Zeit aus dem Geschehen in der Welt raushalten? Was soll das alles für einen Nutzen haben?«
»Natürlich haben sich viele Götter zurückgezogen«, erklärte ihr Falk, »aber es gibt auch noch einige, die sich immer mal wieder auf der Erde zeigen. Denk an Poseidon, der die Aquaner anführt. Und Klyuss, sie liebt ihre Kinder noch immer genauso wie vor millionen Jahren.«
Auch Amiėle wandte sich ihr zu: »Es kann ganz sicher nicht schaden!«
Auf einmal jauchzte Jeremy Topper. »Und ich weiss, wie wir an Glück kommen!«
Alle sahen ihn verwirrt an.
»Glück«, wiederholte er. »Wir brauchen Glück, wenn wir durch diesen Wald wollen!«
»Und... wie willst du das anstellen?«, fragte Mile belustigt.
Der Hutmacher wirbelte herum, sodass sein Mantel in der Luft flatterte. Er streckte den Arm aus und deutete auf Rosanna. Diese schielte auf die auf sie gerichtete Fingerspitze und zischte: »Flossen weg oder ich beiss dir deine Finger ab!«
Jeremy riss seine Hand weg und sah etwas beleidigt auf die Barbarentochter herab. Schliesslich wandte er sich allen zu und erklärte: »Wie Rosanna vorgeschlagen hat, werden wir ein Tournier machen! Aber eines mit Glücksspielen! Nur die grössten Glückspilze der Rebellen dürfen teilnehmen! Der Gewinner wird an der Spitze der Rebellen reiten, wenn wir durch die Waldgärten von Wyr reisen. So haben wir auf jeden Fall das Glück auf unserer Seite!«
»Glaubst du echt, das wird funktionieren?«, fragte Sabrina skeptisch.
»Wieso nicht? Es schadet keinem und es wird die Rebellen mal wieder auf andere Gedanken bringen«, rief der Hutmacher und klatschte aufgeregt in die Hände.
»Das ist auch wieder wahr«, stimmte Drosselbart zu.
Mile grinste breit, was Sabrina ebenfalls zum Lächeln brachte. Sie wusste, wie sehr ihr Bruder auf Feste stand. Vom Schulball bis zum Laternenumzug, immer war er total aufgeregt und fröhlich, wenn die nächste Feier vor der Tür stand. Sie war weniger ein Fan solcher Events. Vor allem Schulbälle fand sie furchtbar. Da musste sie sich aufbrezeln, um dann doch nur alleine an der Bar zu stehen und sich nichtalkoholische Getränke von pickligen Siebtklässlern einschenken lassen, die sich dann auch noch für die Grössten hielten, weil sie hinter der Theke standen und Barmann spielen durften.
Ikarus nickte und meinte: »Ich denke, das ist eine gute Lösung. So haben wir genug Zeit, einen Weg auszukundschaften und die Rebellen haben etwas zu tun. Es ist nie ein Fehler, die Götter zu Hilfe zu bitten. Meine Späher und ich werden morgen in der Frühe aufbrechen.«
Drosselbart schien überzeugt zu sein. Mit einem Lächeln klatschte er in die Hände und rief: »Na dann! Ich werde gleich Graf Rüdiger gleich damit beauftragen, seinen Vampirzirkel über Nacht das Gröbste für das Fest zu organisieren. Da die Vampire tagsüber nichts zu tun haben und nur bei Nacht frei vom Zwang der Sonne sind, werden sie sich über eine konstruktive Aufgabe freuen. Die Drachen sollen bei schwereren Arbeiten helfen. Ihr und die anderen Mitglieder des Grossen Rates, die ich nach dieser Sitzung über unseren Beschluss aufklären werde, werden sich schon einmal überlegen, was das je eigene Volk für das Fest beitragen wird. Guenio, könntet Ihr die Geister für die Nachtwache aussenden?«
Der Geist stimmte mit einem Nicken zu. Die Augen der Ratsmitglieder leuchteten.
Sabrina freute sich für die Rebellen. Wie lange war es her, dass ein so grosses Fest gefeiert worden war. Gut, die Siegesfeiern, nachdem Schlachten erfolgreich geschlagen worden waren, aber das hier war etwas anderes. Dieses Fest hatte kaum etwas mit dem Krieg zu tun. Es war vor allem da, um die Rebellen zu unterhalten. Bestimmt würde es ein grosser Erfolg werden!
Der Rebellenführer bedankte sich und schloss die Sitzung. »So sei es. Also. Dann ist unsere Sitzung hiermit wohl beendet. Morgen werden wir alle, abgesehen von unseren Spähern, die Vorbereitungen für das Fest abschliessen. Abends werden wir mit den Festspielen beginnen. Wer diese gewinnt, wird neben mir an der Spitze der Rebellen reiten. Übermorgen wird besagter Gewinner gekürt und gleich danach werden die Götter mit den Zeremonien ihrer Völker geehrt. Ich wünsche eine gute Nacht.«


~Mile~

Alles lief wie geplant. Als Mile am nächsten Morgen aus seinem Zelt getreten war, war er sogleich vom Trubel der aufgeregten Rebellen empfangen worden. Festtagsstimmung lag in der Luft. Noch nie hatte er die Rebellen so fröhlich erlebt. Als wären all die Sorgen für einen Moment verschwunden. Selbst Red schien sich auf die Feier zu freuen, wo sie doch sonst eher die Besonnene war und nie vergass, welche Schatten über dieser Welt lagen. Aber heute war sie fröhlich. Zusammen spazierten sie durch das Rebellenlager. Sie waren auf der Suche nach Sabrina, um dieser von Reds Entdeckung über die Verräter-Zeile in der Prophezeiung aufzuklären Natürlich wurden sie von Katmo begleitet, der jedoch unglaublich nervtötend war. Die Festtagslaune schien auf den Animanoren wie eine Droge zu wirken....
Die Vampire hatten über Nacht Grosses vollbracht. Sie hatten Teile des Lagers für das Fest geräumt, sodass jedes Volk Platz für seinen eigenen Beitrag leisten konnte. In der Mitte des Lagers hatten sie einen riesigen Scheiterhaufen errichtet, wo übermorgen die Opfergaben für die Götter abgehalten werden würde. Gleich daneben hatte man eine Bühne aufgebaut, auf der heute die Ehrung des grössten Glückpilzes abgehalten und der grosse Rat bei der Opfergabe Platz nehmen werden würde. Östlich des Rebellenlagers hatten die Vampire mit Hilfe der Drachen eine riesige Grube angelegt. Diese Grube erinnerte an die Amphitheater aus der Antike. Nur war dieses nicht in die Höhe, sondern in den Untergrund gebaut. Der Vorteil dabei war, dass man auch vom Rand der Grube zusehen konnte, was in der Arena vor sich ging.
Auch die anderen Völker arbeiteten an ihren Beiträgen zu dem Fest: Die Animanoren hatten vier Märchenfiguren ihres Volkes für die musikalische Unterhaltung angestellt, worauf Mile sich besonders freute, denn die Musiker waren bekannt als 'Die Bremer Stadtmusikanten'.
Die Elfen hatten einen Bogenschiesswettbewerb auf die Beine gestellt.
Bei den Aquaner wurden Delikatessen aus der Unterwasserwelt angeboten.
Die Zwerge boten an ihren Ständen an, kostenlose Reparaturen, Verbesserungen und Anpassungen für Waffen und Rüstungen durchzuführen.
Die Barbaren hatten eine Art mittelalterlichen Wrestling-Ring errichte.
Die Menschen hatten zahlreiche Gaukler, Theater und Wettkämpfe organisiert. Auch die Verstossenen hatten sich einer solchen menschlichen Gauklergruppe angeschlossen und führten Zaubershows vor.
Die Werwölfe liessen die grössten und stärksten ihrer Artgenossen in Tiergestalt von Zuschauern bewundern.
Die Geister hatten mit zusammengeknüpften Zelten ein kleines Gruselkabinett eröffnet.
Natürlich hatte jedes Volk auch mehrere Verkaufsstände, an denen sie allerlei aus ihrer Heimat verkauften.
Das Wolkenvolk hatte Stände, voll mit Landkarten des ganzen Planeten und Gemälden wunderschöner Landschaften. Sie boten sogar zehnminütige Rundflüge über das Lager an, solange die Erscheinung des Auftraggebers - im wahrsten Sinne des Wortes – tragbar war.
Die Zyklopen verkauften Wolle, Leder, Fleisch, Milch, Käse, Hörner, Sehnen und Knochen von ihren Schafen, die sie züchteten. Das taten sie nämlich am liebsten. Schafe züchten und dann essen...
Die wenigen Trolle, die zu den Rebellen gehörten, mieden für gewöhnlich die anderen Rebellen. In Aramesia hatten sie in einem der hinterletzten Stadtviertel gelebt und immer, wenn sie während ihrer Reise ein Lager aufgeschlagen hatten, waren sie nur in sicherer Entfernung zu den anderen zu Ruhe gekommen. Das war kein Wunder, denn Trolle waren bei den meisten Rebellen nun wirklich nicht sonderlich beliebt. Doch ein Fest schienen selbst sie sich nicht entgehen lassen zu wollen. Ihr Beitrag war vielleicht nicht ganz so spannend wie die anderer Völker, doch er hatte auch seinen Charme. Bei den Ständen der Trolle konnte man Gewürze, Pilze, Wurzeln und allerlei andere Zutaten erwerben, die sonst, vor allem jetzt da Krieg herrschte, nur schwerlich zu bekommen waren.
Kräuterweiber, Hexen, Druiden und Zauberer verkauften minder- bis hochwertige Tränke, Segen, Talismane, Zaubersprüche und kleine Hexereien.
Bis zum Abend würde alles fertig sein und man sah den Rebellen ihre Vorfreude an.
Die einzigen Wesen, die nicht so euphorisch waren wie alle anderen, waren die Hybriden. Sie gehörten keinem Volk so richtig an und hatten gemeinsam zwar eine wacklige Allianz, aber dieses Bündnis war etwas untergegangen. Das war jedoch nicht weiter wunderlich, denn jeder Hybrid war anders. Red und Oskar waren zum Beispiel halb Mensch und halb Werwolf, doch Red hatte einfach mehr von der menschlichen Seite ihrer Eltern geerbt, wohingegen ihr Zwillingsbruder praktisch nur Wolf war. Doch da gab es ja noch viele andere Hybridenmischungen. Zwerg und Elf, Troll und Zyklop... Aus all diesen unterschiedlichen Hybriden ein Volk zu bilden, war wohl mehr als schwierig...
Trotzdem hatte Drosselbart den Hybriden auch eine Arbeit gegeben. Sie waren für die offiziellen Festspiele zuständig, mit dem der grösste Glückspilz der Rebellen ermittelt werden sollte. Seither eilten auch die Hybriden geschäftig hin und her und brachten die Arena auf Vordermann.
Drosselbart war so ziemlich der einzige Monarch, der sich wirklich um die Hybriden kümmerte. Er sorgte für ihre Unterkünfte und Ausrüstungen. Er schickte Nahrung und Wasser in ihre Lager und sorgte dafür, dass ihre Verletzten behandelt wurden. Er schlichtete grössere Konflikte zwischen Hybriden oder wenn diese mit anderen Völkern in Streit gerieten.
Die Hybriden hatten keinen König, geschweige denn einen eigenen Staat. Somit hatte jeder von ihnen für sich selbst zu sorgen, doch dank Drosselbart waren auch sie Teil der Gesellschaft der Rebellen geworden.
Gerade eilte ein Hybrid an Mile vorbei. Er schien eine Mischung aus Meereshüter und Elf zu sein. Geschuppt von Kopf bis Fuss. Dafür bewegte der Hybrid sich mit der Eleganz, wie sie das Elfenvolk besass. Auch Haare, Augen und Ohren waren elfenhaft. Der Hybrid zog eine Karre hinter sich her, in der mehrere Holzbretter lagen. Als das Wesen Mile erblickte, deutete es eine Verbeugung an und huschte schnell weiter.
»Das nächste Mal verbeugst du dich so tief, dass deine Nase den Boden berührt, Hybride! Hast du gehört? So was Unhöfliches aber auch!«, rief Katmo dem Hybriden hinterher. Mile warf dem Kater einen bösen Blick zu, woraufhin dieser irgendwas vom Verteidigen der Herrscherehre zu faseln begann.
Eine Weile hörte Mile ihm zu, doch da der Kater einfach kein Ende für seine Rede finden wollte, wandte er sich Red zu und fragte: »Wieso habt ihr Hybriden eigentlich kein eigenes Volk? Ich meine, die Drachenreiter bestehen auch aus den verschiedensten Wesen und trotzdem sind sie ein unabhängiges Volk. Natürlich ist es eine Herausforderung, bei so vielen verschiedenen Wesen einen gemeinsamen Nenner zu finden, aber wieso versucht ihr es nicht?«
Reds Blick folgte dem Elf-Meereshüter-Hybriden, bis dieser in der Menge verschwand. Sie liess sich mit ihrer Antwort Zeit, doch schliesslich erklärte sie: »Bei dir hört sich das so leicht an, Mile. Aber weisst du, was die Drachenreiter opfern müssen, dafür, dass sie dem Drachenreitervolk angehören dürfen? Wenn ein Wesen die Möglichkeit bekommt, Reiter zu werden, so ist das keine leichte Entscheidung. Wenn ein Wesen das Reiterleben wählt, bedeutet das, dass es sich von seinem eigenen Volk löst. Es gehört nicht mehr dazu. Sie werden von Ihresgleichen nicht mehr akzeptiert. Von diesem Moment an, sind sie ein Drachenreiter und unterstehen dem Geschuppten Graf.«
Mile unterbrach sie: »Ja, aber das tun doch nicht alle. Die Auserwählten, die sich den Reitern anschliessen, sind ja noch nicht automatisch Reiter. Manche werden doch nie von einem Drachen akzeptiert, wodurch sie zu Nebeläugern werden. Ausserdem können Auserwählte, die den Drachenpakt mit einem Drachen eingehen, auch die Entscheidung fällen, dass sie sich von den Drachenreitern lösen. Dann werden sie zu Einsamen Reitern. Das hat mir jedenfalls Sabrina erzählt.«
Red nickte und fragte mit prüfendem Blick: »So, du Schlaumeier. Weisst du denn auch, was mit den Einsamen Reitern geschieht? Was tun sie, sobald sie sich vom Geschuppten Graf losgesagt haben?«
Er zuckte mit den Schultern. »Sie kehren zu ihrem Volk zurück?«
»Nein«, mischte Katmo sich ein. »Wer sich einmal von seinem Volk losgesagt hat, kann nicht mehr zurückkehren. Das ist so.«
»Moment... Aber was ist mit dem Wolkenvolk? Ikarus ist doch auch ein Einsamer Reiter und er gehört noch immer zum Wolkenvolk. Er ist ja sogar deren Prinz!«, hakte Mile stirnrunzelnd nach.
»Natürlich«, erklärte Katmo. »Das Wolkenvolk hat hier andere Regeln. Als Prinz Ikarus zum Auserwählten erklärt worden war, hatte er darauf bestanden, ein Drachenreiter werden zu wollen. Glücklicherweise war auch ein Drache den Pakt mit ihm eingegangen. Doch Ikarus war als Prinz aufgewachsen. Er hatte nicht im Traum daran gedacht, sich einem anderen zu unterwerfen und so löste er sich von den Reitern und wurde zum Einsamen Reiter. Sein Status verhalf ihm auch zu einer Wiederaufnahme bei seinem ursprünglichen Volk. Sein Vater, König Dädalus, hiess ihn nur zu gern willkommen. Ikarus ist somit der erste Einsame Reiter, der einem Volk angehört. Tja und seither sagt sich jeder Drachenreiter, der seine Ursprünge beim Wolkenvolk hat, von den Reitern los. Sie alle kehren zu ihrem geflügelten Volk zurück.«
Das gefiel Mile. Er hakte weiter nach: »Und wieso machen das nicht alle Völker so? Was wäre denn dabei, wenn jedes Volk die Einsamen Reiter wieder zurücknehmen würden?«
Nun war es Red, die ihm antwortete: »Weil es als Verrat gilt, seinem eigenen Volk den Rücken zu kehren. Wenn Ikarus nicht der Sohn des Königs gewesen wäre, wäre es niemals zu einer Regellockerung beim Wolkenvolk gekommen. Die Völker in dieser Welt sind zu stolz, um über einen solchen Verrat hinwegsehen zu können.«
»Und was hat das mit deiner Hybridensache zu tun?«, fragte er.
Red seufzte. »Ich finde, da gibt es Parallelen. Nur werden wir Hybriden nicht auserwählt und können uns für ein Volk entscheiden. Da wir aus verschiedenen Völkern stammen, gehören wir nirgendwo hin. Wir sind Geächtete. Man sieht uns als Minderwertig an. Man akzeptiert uns nicht. Genau wie die Einsamen Reiter haben wir kein Volk, das hinter uns steht und bei dem wir Zugehörigkeit und Gesellschaft finden können. Diese Rebellion ist eigentlich der einzige Grund, wieso Hybriden mit anderen Völkern in Gesellschaft sind. Die ganze Sache hat also auch ihre Vorteile...«
»Weisst du was?«, versuchte er sie aufzumuntern. »Wenn wir die Dunklen erst einmal gestürzt haben, wird sich so einiges ändern. Schluss mit der Unterdrückung. Wir bekommen das mit euch Hybriden auch hin.«
Sie lächelte. »Wenn du das sagst...«
Mile nickte. Die Dunklen zu besiegen war praktisch unmöglich. Aber wenn sie sie trotzdem stürzen würden, dann war einfach alles möglich.
Mile wollte Red gerade von dieser Erkenntnis berichten, da knallte auf einmal etwas gegen seine Schulter. Jemand drückte sich an ihm vorbei. »Oh, verzeiht, junger Lord!«, raunte die Person, die ihn angerempelt hatte und eilte weiter. Diese Stimme... Sie kam ihm irgendwie bekannt vor. Sie war männlich und unangenehm schrill...
Mile blinzelte verwundert. Er sah der fremden Person nach. Sie war in einen langen, schwarzen Umhang gehüllt und hatte sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, was es unmöglich machte, sie zu identifizieren. Trotzdem kam der Fremde Mile bekannt vor, doch er kam nicht darauf, wer er sein konnte!
Auf einmal hatte er eine seiner Eingebungen und diese sagte ihm, dass mit dieser fremden Person etwas so ganz und gar nicht stimmte. Mile kniff die Augen zusammen. Er ballte die Fäuste und... Etwas lag in seiner Hand. Er glaubte... Papier zu ertasten...
»Huch, der hat es aber eilig!«, meinte Red und sah dem Rempler nach.
»Scheint so«, murmelte Mile. Wer auch immer dieser Mann gewesen war, er musste ihm gerade ein Stück Papier in die Hand gedrückt haben.
Mile war hin und hergerissen.
Der Fremde hatte sich grosse Mühe gegeben, dass er nicht entdeckt und seine Botschaft, das Papier in seiner Hand, heimlich überbracht worden war. War diese Nachricht nur für ihn bestimmt? Aber er könnte sie trotzdem mit Red zusammen einsehen...
»Mile? Ist etwas?«, holte ihn Red aus seinen Gedanken zurück.
Er wandte sich ihr zu. Sie lächelte ihn an.
Red... Rotkäppchen... Sie war seit ihrer Geburt vom Pech verfolgt, hatte ihren Vater verloren und sich für dessen Tod die Schuld gegeben. Sie war als Hybrid eine Ausgestossene, hatte nur ihren Bruder gehabt. Nicht zu vergessen ihre Zeit in den Kerkern der Dunklen, die nach Sabrina der Hölle Konkurrenz machten...
Und jetzt stand die Rote vor ihm und lächelte.
Dies war der Moment, als Mile seine Entscheidung fällte...
»Ach«, winkte er ab, »Es ist nichts. Ich... habe mir nur gerade diesen Stand dort vorne angesehen...« Er deutete auf einen Verkaufsstand, wo eine Elfe gerade ihre Wahre auslegte. Kleidung und Rüstungen. »Schau, die verkaufen dort Klamotten aus Drachenleder. So was könnte ich gut gebrauchen, schliesslich sind Leinen und normales Leder nicht sonderlich Feuerfest...«
Red runzelte die Stirn. »Okay...«, meinte sie gedehnt.
»Geht ihr schon vor, ich werde mich an dem Stand dort noch etwas umsehen. Wir treffen uns in der Arena«, schlug er vor.
»Halt, halt, halt!«, plusterte sich Katmo auch schon auf. »Ich werde Euch ganz sicher nicht alleine lassen, Lichterlord!«
Red verdrehte die Augen. »Ich werde das schon alleine schaffen«, meinte sie mit einem Lächeln. Sie gab ihm einen Kuss auf den Mund, dann verschwand sie auch schon in der Menge.
Damit Red keinen Verdacht schöpfen konnte, kaufte er sich erst einmal ein paar Klamotten. Eigentlich brauchte er tatsächlich mehr feuerfeste Kleidung. So legte er eine Turbo-Shoppingtour ein und war nun um zwei Jacken, zwei Hosen, eine Weste, Handschuhe, Stiefel, Brust, Rücken, Lenden und je ein Paar Arm-und Beinpanzer reicher. Die Farbe des Drachenleders variierte, wie die der sicherlich unfreiwilligen Spender. Mile wählte hauptsächlich dunkle Farben. Schwarz, dunkelrot, braun und grau. Trotz des Stresses liess er sich auch noch zum Kauf eines Schals, eines Umhang, mehrerer Hemden und Unterwäsche, die alle aus einem sehr speziellen Stoff bestanden, hinreissen. Sie waren nämlich aus feuerfester Seide. Gesponnen von Rauchspinnern, seltenen einer Schmetterlingsart. Diese Tiere waren der Verkäuferin nach an einem Ort heimisch, der so weit weg war, dass die wenigsten ihn schon einmal gesehen hatten. Dieser Ort lag auf einem anderen Kontinenten. Die Kochenden Küsten von Geysiria... Mile hatte noch nie von einem Ort wie diesem gehört, doch er war sich sicher, Captain Hook, der ja von sich behauptete, schon jedes Gewässer dieser Welt besegelt zu haben, würde ihn kennen. Er würde ihn einmal danach fragen.
Mile liess sich seine neuen Kleider in einen Kartoffelsack packen und machte sich dann endlich auf, um seine Nachricht zu lesen.
Heimlich stahl er sich hinter ein Zelt.
»Junger Lord? Was soll das? Wolltet Ihr Euch nicht mit Miss Rouge in der Arena treffen? Wenn Ihr erst Eure Ware zu Eurem Zelt bringen wollt, könnt Ihr das auch von einem Boten erledigen lassen. Ich kann einen für Euch beauftragen, wenn Ihr das wollt«, erkundigte sich der Kater leicht verwirrt.
»Danke sehr, tu das«, brummte Mile gedankenverloren und reichte dem Kater den Sack.
Katmo salutierte und verschwand, jedoch nicht ohne ihn noch kurz zu ermahnen, sich nicht von der Stelle zu rühren.
Als der Kater weg war, atmete Mile auf. Nun konnte er sich in Ruhe seiner Nachricht widmen...
Schnell sah er sich noch einmal zu allen Seiten um. Er wollte sicher gehen, dass ihn niemand beobachtete. Da das nicht der Fall zu sein schien, hob er endlich seine linke Hand, die er die ganze Zeit über zur Faust geballt hatte. Langsam lockerte er seine Finger.
Wie er es geahnt hatte, lag da ein Stück Papier in seiner Hand. Es war säuberlich zusammengerollt und verschnürt. Mile zupfte das feine Band weg und rollte das Papier auseinander. Auf dem Zettel stand in schwarzer, geschwungener Schrift nur ein einzelnes Wort: Linde.
Unterschrieben war der Zettel nicht. Nur eine kleine Zeichnung unter dem Wort liess darauf schliessen, von wem die Nachricht stammte. Klein und trotzdem ganz unverkennbar prangte dort ein Rad. Ein Spinnrad...
Mile wurde kalt ums Herz. Einen Moment lang glaubte er keine Luft zu bekommen. Der Schock liess ihn kurz die Kontrolle über sein Feuer verlieren und beinahe hätte er die Nachricht in ein Häufchen Asche verwandelt, doch glücklicherweise konnte er das in letzter Sekunde verhindern, indem er die Hitze in Form von Rauch, der aus seinen Ohren zu quellen begann, entlud.
Er schüttelte den Kopf und sah sich das Papierstück noch einmal genau an. Hatte er sich nicht vielleicht irgendwie... diese Zeichnung... nur eingebildet?
Nein, natürlich nicht. Schwarz auf weiss.
Ein gottverdammtes Spinnrad!
Nicht heute! Nicht jetzt!
»Erledigt! Ich fand einen vertrauenswürdigen, jungen Animanoren. Ein Albatros. Er wird Eure Kleidung bei Eurem Zelt abliefern, wenn das recht ist!«, miaute es auf einmal neben ihm und Mile zuckte zusammen.
Verdammt! Katmo! Er hatte gehofft, der Kater würde länger brauchen, um einen Boten für ihn zu finden.
»Mein Herrscher? Was ist los?«, fragte der gestiefelte Kater zögernd.
Natürlich hatte Katmo die Sorgen seines Lords gespürt.
Mile schloss für einen Moment die Augen. Er wartete, bis sein Herzschlag sich wieder beruhigt hatte. Schliesslich beugte er sich zu dem Kater hinab und hielt ihm den Zettel vor das rosa Näschen. Düster brummte er: »Es sieht aus, als würden wir einen alten Feind wiedertreffen...«

Eigentlich hatte Mile gehofft, den Teufel nie wieder zu sehen. Den Teufel, in dessen Schuld er stand. War er gekommen? Der Tag der Abrechnung? Er konnte nur beten, dass dem nicht so sein würde. Ganz sicher würde Rumpelstilzchens Preis hoch sein. Zu hoch, jede Erwartung übertreffen.
Natürlich hatte Katmo fest darauf bestanden, Mile zu begleiten. Der Kater war nicht dumm. Er hatte das Wappen des abtrünnigen Hüters gleich erkannt. Das Spinnrad...
Den Treffpunkt hatte der ehemalige Dunkle ja mit seiner Nachricht festgelegt. Linde. Die einzige Linde, die infrage kam, war die, unter der sich am Abend zuvor der kleine Rat getroffen hatte. Die Linde, deren Wurzeln sich um einen Felsbrocken schlangen, als wäre dieser der einzige Halt, den der Baum hatte.
Unter ebendieser Linde waren Mile und Katmo mittlerweile eingetroffen. Es war nun sicher schon Mittag, denn die Sonne stand im Zenit. Es war heiss und die Luft flimmerte. Bei diesen Temperaturen war Mile in Höchstform. Sein Blut brodelte, sein Atem könnte einem die Haut verbrennen und seine Haut war erhitzt wie ein Stein, der die Wärme des Sonnenlichts in sich gespeichert hatte. Doch durch die Umstände beeinflusste die Hitze nicht nur seinen Körper und seine Gaben, sie wirkte sich ebenso auf seinen Geist auf. Das Zusammenspiel zwischen Hitze und Gefühlen wie Nervosität, Sorge und Angst verwandelte seinen Gemütszustand in einen hochexplosiven Brandbeschleuniger, die nicht mehr als einen Funken zur Entzündung ihres Infernos benötigte. Das war wohl wieder eines dieser Dinge, die über die Lichterlords nicht so bekannt war. Die Herrscher des Sommers neigten zu cholerischen Aussetzern, wie Mile sie auch schon hatte kennenlernen müssen. Er hatte diesen Aussetzern auch schon einen Namen gegeben. Der Flammenhass. Zuletzt hatte er ihn verspürt, als er gegen Hook gekämpft hatte. Damals in Aramesia... Das war noch nicht einmal einen ganzen Monat her, doch es fühlte sich schon jetzt wie eine Ewigkeit an.
»Wir sollten das hier endlich König Drosselbart melden«, maulte Katmo gerade zum etwa dreimillionsten Mal. »Was wir tun, könnte man als Hochverrat bezeichnen! Wir treffen uns mit einem Dunklen! Oh Himmel, Ihr habt sogar einen Vertrag mit diesem Wahnsinnigen! Das wird gewiss nicht gut ausgehen!«
Mile seufzte. »Katmo, das ist kein Hochverrat. Es nützt den Rebellen schliesslich. Rumpelstilzchen versorgt uns mit Informationen. Ausserdem hatte ich gar keine Wahl, ich musste diesen Handel mit ihm eingehen. Ansonsten hätte er weiss Gott was mit Red angestellt! Und jetzt schweige, Kater!«
»Aber ich kann doch hier nicht einfach tatenlos zusehen!«, jammerte Katmo.
Da hatte Mile auf einmal einen Einfall. Er schlug vor: »Weisst du was, Kater? Du könntest tatsächlich helfen! Geh und versteck dich. Versuch alles mit anzusehen und anzuhören. Wenn mir irgendetwas zustossen sollte, holst du Hilfe. Am besten Sabrina oder Red. Klingt das für dich wie ein guter Plan?«
»Auf jeden Fall!«, stimmte der gestiefelte Kater ihm zu. Im nächsten Moment hörte man, wie der Kater sich zwischen den Wurzeln und kleineren Steinen ein geeignetes Versteck suchte. Dann war es endlich still...
Mile stand breitbeinig, mit dem Rücken zum Fels, da und wartete. Er hatte die Augen geschlossen, sein Gehör extrem geschärft. Wenn Rumpelstilzchen auftauchte, wollte er sich nicht von ihm überrascheln lassen!
Die Blätter der Linde raschelten. Der Wind fegte in leichten Briesen über das Land. Irgendwo in den Waldgärten bellte ein Fuchs...
Trotz Miles Gabe hatte er keine Chance. Nichts hatte den Teufel verraten, als er plötzlich wie aus dem nichts über Mile, lässig an den Stamm der Linde gelehnt, auftauchte.
»Wusstet Ihr, dass man früher unter Linden Rechtsprechungen abhielt?«, fragte Rumpels verhasste Stimme über ihm und Mile zuckte zusammen. Sofort wirbelte er herum, Kayats Spitze auf den Teufel gerichtet.
Rumpelstilzchen trug noch immer diesen Anzug, die Melone und den Spazierstock. Neu war nur der schwarze Umhang, den er umgelegt hatte. Er war es also gewesen, der ihn angerempelt und ihm die Nachricht zugeschoben hatte...
Der Teufel verbeugte sich vor Mile und schnurrte: »Seid gegrüsst, junger Herrscher. Endlich können wir, wie es sich gehört, Auge in Auge gegenüberstehen. Ich bitte Euch, weg mit den Waffen. Ich dachte, wir hätten das schon hinter uns gelassen.«
Mile dachte nicht daran, sein Schwert wegzulegen. Falls der Teufel vorhatte, seinen Preis heute einzufordern, war diese Klinge vielleicht das einzige, was ihn davor bewahren könnte, irgendetwas Furchtbares tun zu müssen. Zwar hatte Mile seine Zweifel, dass Rumpelstilzchen sich durch ein Schwert aufhalten lassen würde, seinen Willen zu bekommen, doch Mile konnte ja noch hoffen...
Als Mile keine Anstalten machte, dem Teufel Folge zu leisten, seufzte dieser und machte ein enttäuschtes Gesicht. »Wieso denn so misstrauisch?«, fragte er mit einem Lächeln, das täuschend echt wirkte.
»Ich will keine Spielchen spielen, Rumpel. Sag mir, wieso du hier bist!«, befahl Mile und seine Stimme war erfüllt von der uralten Autorität der Herrscher...
»Oh, mein kleiner Lord, habt Ihr denn noch immer nicht verstanden?«, säuselte der Teufel. Er hob seine Melone und drehte sich im Kreis, um dann hinter dem Stamm der Linde zu verschwinden.
Mile wartete darauf, dass der Teufel gleich wieder auf der anderen Seite auftauchen würde, doch dem war nicht so. Stattdessen zischte ihm plötzlich eine heissere in sein rechtes Ohr: »Wir alle sind Schachfiguren in diesem Spiel, das Gut gegen Böse seit Anbeginn der Zeit miteinander spielt.«
Mile fluchte, doch als er herumfuhr, war auch dort kein Teufel in Sicht.
»Hier bin ich!«, rief der Teufel nun hinter ihm.
»Schluss damit!«, brüllte Mile und als er sich dieses Mal umdrehte, hatte er tatsächlich den Teufel vor sich, nur viel näher, als er erwartet hätte.
So starrte Mile in die Augen des abtrünnigen Hüters. Augen, deren Iris so schwarz waren, dass Mile entweder die Pupillen nicht mehr erkennen konnte oder die Iris gänzlich von den Pupillen verschluckt wurden. Wie auch immer, es war erschreckend...
»Ihr wollt wissen, wieso ich Euch hierher habe kommen lassen?«, hauchte Rumpelstilzchen und Mile zuckte zurück, als ihm dessen beissender Mundgeruch entgegenschlug. Der Teufel kicherte und machte einen Satz rückwärts. Da blieb er stehen, sich auf seinen Gehstock stützend nach vorne gelehnt. »Ihr wollt es wissen, nicht wahr?«
»Dann bist du also nicht hier, um deinen Preis einzufordern?«, platzte es aus Mile heraus, bevor er sich besinnen und die Erleichterung in seiner Stimme verbergen konnte.
»Nein, nein. Noch nicht, junger Lord. Noch habt Ihr Zeit«, kicherte der Teufel.
»Dann willst du mir also wieder Informationen geben«, stellte Mile fest.
»Ganz genau«, stimmte Rumpelstilzchen ihm zu.
»Dann schiess los!«
Der Teufel begann zu grinsen. Ein düsteres, bösartiges Grinsen. Wie konnte dieses Monster nur der Bruder des liebeswürdigen Jeremy Toppers sein? Mit verschwörerischer Stimme säuselte Rumpelstilzchen: »Es wird heute passieren, wisst Ihr? Heute Nacht!«
Ein kalter Schauer lief Mile über den Rücken. Heute Nacht? Er hakte nach: »Was wird passieren?«
Der Teufel grinste noch breiter. »Heute wird ein König sterben!«
Die Worte trafen Mile wie Schläge, schnitten ihn wie Schwerthiebe und durchbohrten ihn wie Speere.
Heute wird ein König sterben!
»Wer?«, zischte Mile tonlos.
»Ein König wird sterben. Heute Nacht.«
»Welcher König?«
Der Teufel zuckte mit den Schultern. »Ein König...«, murmelte er anteilslos.
Mile schüttelte den Kopf. So leicht würde er sich nicht abschütteln lassen! Er knurrte bedrohlich: »Wieso? Und ich muss wissen, welcher König!«
Rumpelstilzchen schwang seinen Stab und antwortete: »Mord, junger Lord. Mord! An Eurer Stelle würde ich mich beeilen, um einen Weg zu finden, das tragische Schicksal des Königs zu verhindern!«
»Oh nein! D-die Prophezeiung! Wenn Königsblut an des Mörders Händen klebt, der Verräter sich in euren Reihen bewegt«, hauchte Mile, als ihm der Zusammenhang klarwurde.
Rumpelstilzchen nickte. Langsam bewegte er sich rückwärts auf den Fels zu. Er murmelte: »Kluger Junge! Nun lauft und rettet den König...«
»Halt! Rumpelstilzchen! Du gehst nicht, bevor du mir nicht gesagt hast, welcher König ermordet werden soll!«, rief Mile dem Teufel noch hinterher, doch da war es schon zu spät. Rumpelstilzchen rannte los, um den Fels herum, aus Miles Blickfels. Mile jagte ihm nach, doch der Teufel war weg. Verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.
Da wurde Mile wütend. Er sah rot. Für einen Moment überkam ihn der Flammenhass und er schlug mit Kayat auf den Felsen ein, sodass es Funken regnete.
»Verdammter Teufel! Hoffentlich bist du zur Hölle gefahren!«

Den Rest des Tages verbrachte Mile offiziell mit dem Aufbau der Arena. Über die Grube wurden zusätzliche Stufen gebaut, ebenso eine Überdachung. Dieses Dach diente jedoch nicht für den Schutz vor Winter und Wetter. Es war ein Gitter, sodass die Leute, die auf dieser Plattform standen, auch von oben zusehen konnten. So konnten auch wirklich alle Rebellen dem Spektakel beiwohnen.
Zusammen mit Drosselbart und einigen engagierten Hybriden waren Wettkämpfe kreiert worden, mit denen jeder der wollte, sein Glück zur Schau stellen konnte.
In der Nähe der Arena war eine Anschlagtafel aufgestellt worden, wo man sich eintragen konnte, wenn man als Glückspilz kandidieren wollte.
Inoffiziell hatte er sich wo er konnte, Hilfe geholt. Alle Wesen, die er als seine Freunde bezeichnen konnte, hatte er mit der wichtigsten Aufgabe überhaupt betreut: Der Schutz der Könige.
Die sieben Zwerge, die Verstossenen, die Wesen, die Teil seines Trupps bei der Eroberung von Aramesia gewesen waren, sie alle hatte er mit ins Boot geholt. Er hatte niemandem von ihnen die Wahrheit erzählt. Wie auch? Niemand durfte von seinem vermaledeiten Handel mit Rumpelstilzchen wissen! Nicht einmal Red hatte er von seinem neusten Treffen mit dem Teufel berichtet. Sie wäre nur wieder wütend oder besorgt oder beides... So war Katmo, der einzige Eingeweihte und so würde es auch bleiben...
Nun war es Abend.
Abend.
Wie der Vorbote der Nacht. Nicht mehr als ein Schatten der Dunkelheit, die kommen würde.
Auf den Abend würde die Nacht folgen.
Heute Nacht wird ein König sterben...

Was auch immer geschehen würde, es würde nicht mehr lange dauern...
Hoffentlich würde dieser Tag in keiner Katastrophe enden!
Die Rebellen hatten sich um und in der Arena versammelt. Alle warteten auf die Eröffnung des Festes, die mit dem Glückswettkampf einhergingen. Überall erklang Lachen. Das Summen und Brummen von dreihunderttausend Stimmen hallte durch die Grube. Es war wie in einem Bienenstock...
Es war ein wenig eng, doch tatsächlich hatten alle Platz. Nur die Drachen waren zu gross um in die Arena zu passen. Das machte jedoch nichts, denn sie standen ja mit ihren Reitern in Verbindung, sodass diese ihnen im Geiste eine Liveübertragung übermitteln konnten.
Mile hatte bereits seinen Platz in der dritten Reihe auf der Ehrentribüne eingenommen. Von dort aus hatte man die beste Sicht auf die Wettkämpfe am Grund der Grube. Rechts von ihm sass Red, links Sabrina und neben ihr Falk.
Die vierte und letzte Reihe wurde von König Drosselbart und seiner Königin Mavelle ausgefüllt. Hinter ihnen standen nur ein paar Wachen. Zu diesen gehörte auch Hänsel, den Mile einmal mehr für seine Dienste beschlagnahmt hatte. Hänsel würde jeden Meuchelmörder, der den Königen zu nahe kommen würde, kurz und klein hacken.
Vor den Geschwistern sassen die Ratsmitglieder des kleinen und eine weitere Reihe davor, die des grossen Rates.
Diese Sitzordnung stand für die Rangordnung der Rebellenoberhäupter. Ganz oben der Rebellenführer Drosselbart, dann die Herrscher, die Mitglieder des kleinen Rates und dann die des grossen Rates.
Alle hatten sich für das Fest herausgeputzt. Niemand war in seinen gewöhnlichen Alltagsklamotten gekommen.
Mile selbst hatte sich für seine neuen Klamotten aus Drachenleder und Rauchseide entschieden. Ein weisses Hemd, Stiefel, dunkelgraue Lederhose, dunkelrote Jacke und der schwarze Umhang. Eigentlich nichts Besonderes, doch er hatte grössere Sorgen als sein Outfit gehabt...
Wie die meisten Kriegerinnen hatten Red und Sabrina auf ein Kleid verzichtet.
Red trug eine lange, braune Tunika, deren Rock ihr bis zu den Knien reichte, eine dunkle Hose und – wie immer – ihren roten Umhang. Bei ihren Haaren hatte die Rote sich sichtbare Mühe gegeben. Keine Strähne war ihren geschickten Fingern entwischt, als sie ihre Haare zu einem Mozartzopf geflochten hatte. Red brauchte kein Kleid, um wundervoll auszusehen...
Sabrina hatte sich für etwas Ähnliches entschieden. Ebenfalls eine Tunika, nur war ihre blau und unter dem Gürtel war der Rock in zwei übereinanderliegenden Schichten in breite Streifen geschnitten, die allesamt mit Metall beschlagen waren, was bei jeder Bewegung ein klimperndes Geräusch verursachte. Ihre Beine steckten in einer dunklen Hose und Schnürstiefeln. Ihr Haar fiel ihr in wilden Wellen und leichten Locken frei um Gesicht, Hals, Schultern, Dekolleté, Nacken und Rücken. Das Geschick, die Lust und Ausdauer, sich einen Zopf wie Red zu flechten, hatte seine Schwester nicht. Doch das brauchte sie auch nicht, sie sah so schon umwerfend aus...
So war Sabrina nun einmal. Jeder der die junge Eisprinzessin erblickte, erkannte sofort zwei Dinge: Ihre Schönheit, doch ebenfalls ihre stolze, unbeugsame Stärke. Eigentlich waren die beiden Begriffe bei Sabrina ein Synonym füreinander. Wurde ihre Schönheit nicht auch durch ihre Stärke definiert?
Keine der beiden jungen Frauen, weder Red, noch Sabrina war unbewaffnet erschienen. Da Schwert und Bogen zu sperrig waren, hingen an ihren Gürteln je ein Dolch, was Mile irgendwie erleichterte. Wenn hier ein Mörder herumlief, war es gut, dass die beiden in der Lage waren, sich zu wehren...
Überall hatten sich die Wachen postiert. Jeder von ihnen wäre ohne zu zögern bereit, sein Leben für das der Ratsmitglieder zu opfern. Nebst den Wachen warne da noch Miles Leute, die sich unter das Volk mischten, um jeden möglichen Attentäter augenblicklich unschädlich zu machen.
Trotz all der Vorkehrungen hatte Mile grosse Sorge, es könnte nicht genügen.
Sabrina stupste ihm in den Arm und fragte: »Mile? Was ist los?«
Mile drehte sich zu seiner Schwester. Mist! Natürlich hatte sie sine Unruhe bemerkt!
»Nichts«, antwortete er schnell. Zu schnell...
»Unsinn. Irgendwas ist mit dir los!«
Mile sah sich nach Red um. Die Rote unterhielt sich gerade mit Jeremy Topper, der eine Reihe hinter ihnen sass. Okay, Red war schon einmal abgelenkt... Mile beugte sich vor und sah nach Hook. Der Pirat war damit beschäftigt, Faritales, der sich auch auf die Ehrentribüne geschlichen hatte, zu verscheuchen.
»Okay, pass auf!«, zischte Mile und beugte sich zu seiner Schwester hinab. In knappen Sätzen klärte er sie über die Lage auf. Dabei liess er sein Treffen mit Rumpelstilzchen aus und behauptete stattdessen, dass er mal wieder eine seiner Eingebungen hätte... Er log Sabrina nicht gerne an, aber er hatte keine Wahl.
»Bist du dir sicher, Mile? Scheisse, das ist echt furchtbar! Wir sollten zu Drosselbart gehen und die ganze Feier abblasen lassen!«, murmelte Sabrina. Ihre Eisaugen waren voll Sorge. Ihr Blick huschte von König zu König. Mile wusste genau, was ihr durch den Kopf ging. Wen würde es treffen? Würden sie es verhindern können?
»Nein, das können wir nicht! Dieses Fest... Es bedeutet den Rebellen so viel. Und selbst wenn wir es abblasen, wer sagt, dass nicht trotzdem einer der Könige stirbt? Ausserdem sind bei dem Fest alle Rebellen anwesend. So haben wir den Überblick, verstehst du?«, widersprach er ihr.
Sie nickte und machte den Mund auf, um noch etwas zu sagen, doch dazu kam es nicht, denn Drosselbart hinter ihnen erhob sich, um zu sprechen.
Sofort wurde es in der ganzen Arena mucksmäuschenstill. Dreihundert Wesen hatten sich versammelt und nicht einer von ihnen gab einen Laut von sich. Man hätte im wahrsten Sinne des Wortes eine Stecknadel fallen hören können!
Der Rebellenanführer räusperte sich. Durch einen Zauber war seine Stimme verstärkt worden, somit konnten selbst die Zuschauer in der hintersten Ecke den König sprechen hören.
»Rebellen«, donnerte Drosselbart. »Ihr alle habt euch hier versammelt, um einem Wettkampf beizuwohnen. Bevor die Dunklen diese Welt unterjocht haben, gab es viele solcher Anlässe. Nun, dieser hier ist der erste seit zweihundertvierzig Jahren. Es ist ein bedeutender Wettkampf, denn der Gewinner wird uns mit seinem Glück zu unserer Schlacht führen! Wir alle sind sehr gespannt und voller Vorfreude, darum will ich jetzt nicht lange reden, sondern diesen Abend endlich geniessen können. Somit seien die Spiele eröffnet!«
Kaum hatte Drosselbart geendet, war die Arena auch schon mit tosendem Applaus erfüllt. Der Lärm war so laut, dass man ihn bestimmt bis nach Tempus dröhnt hörte...
Dann begannen endlich die Spiele...


~Sabrina~

Eigentlich hielt sie ja nicht viel von Wettkämpfen. Egal ob Malwettbewerbe oder Sporttourniere. Es gab Gewinner und Verlieren. Der Sieger wurde mit Preisen, Aufmerksamkeit und Anerkennung belohnt und der Verlierer wurde getröstet oder ausgelacht. Das kam so drauf an, in welchen Kreisen man sich bewegte...
Doch hier war das anders. Sabrina war tatsächlich gespannt, was geschehen würde. Wer hatte das Glück auf seiner Seite? Welcher Pechvogel würde heute nicht als Sieger heimgehen?
Die Spiele selbst bestanden aus mehreren Disziplinen. Die erste bestand aus dem „Alltagsglück". Dort wurden Münzen geworfen, gewürfelt, Zahnstocher gezogen und all so was. Es waren mehrere Tische aufgestellt worden, an denen immer zwei Kandidaten gegeneinander in den verschiedenen Spielen gegeneinander antraten. Ein Schiedsrichter, der zu keinem Volk der momentan spielenden Kandidaten gehörte und somit unbefangen war, beobachtete das Ganze, passte auf, dass niemand schummelte und gab mit Handzeichen den jeweils hervorgehenden Sieger des Zweikampfes preis.
Besonders spannend klang das zwar nicht, aber dafür war es ziemlich amüsant. Vor allem, weil die Kandidaten bereits Fanclubs hatten.
Natürlich gab es kein Volk, das bei diesem Wettkampf nicht vertreten war. Menschen, Zwerge, Animanoren, Elfen, Geister, ja sogar die Hybriden...
Wirklich jedes Volk hatte seine Kandidaten gestellt und Favoriten auserkoren.
So kam es dazu, dass die Fanclubs sich gegenseitig zu beschimpfen begannen. Am schlimmsten waren die Zwerge und Barbaren. Beide waren stolz und etwas... nun... etwas grob...
»Das sind ja voll die Hooligans!«, lachte Faritales, der es sich auf Sabrinas Schoss bequem gemacht hatte.
»Tatsächlich«, stimmte Sabrina dem Dämon schmunzelnd zu.
Nicht einmal die Monarchen hatten sich wirklich im Griff. Gerade brüllte König Orion vor ihr: »Hey! Das habe ich gesehen! Faul! Dieser verdammte Barbar da unten hat geschummelt! Da! Die Würfel sind doch gezinkt! Jury! Augen auf!«
Natürlich löste das Protestgeheut von Seiten Azzarro und Rosanna aus. Der Häuptling schrie: »Unsinn! Barbaren! Barbaren! Nieder mit allen anderen!«
»Scheiss Jury! Scheiss Jury!«, grölte Orion und trommelte im Takt dazu auf seinen Brustpanzer.
»Metzelt sie nieder!«, brüllte Rosanna und zog ein Horn aus ihrem Gürtel, das sie sogleich zu blasen begann. Dieses Horn war so ohrenbetäubend laut, dass alle anderen Zuschauer auf dem Podest sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Ohren zuhielten, bis Jeremy Topper aufsprang, Rosanna ihr Horn aus der Hand riss und es in die Grube warf. So wurden sie zwar von dem Lärm erlöst, doch leider hatte der Hutmacher nicht aufgepasst, wo er das Horn hinwarf und so traf das Wurfgeschoss eine Elfe am Hinterkopf. Die Getroffene ging prompt k. o., was zu einem Protestgeheul der Elfen führte.
Die Verletzte wurde auf einer Trage aus der Arena transportiert.
»Das ist ja schlimmer als die Bundesliga!«, kreischte Faritales.
Sabrina lachte und fragte: »Stehst du auf Fussball?«
Faritales plusterte sich auf und brüllte aus vollem Hals: »Zieht den Bayern die Lederhosen aus, Lederhosen aus, Lederhosen aus!«
Das war Miles Stichwort. Sofort beugte er sich zu dem Dämonen herab und fragte: »Bundesliga? Welche Mannschaft?«
Mile bezeichnete sich selbst immer als „Nicht-Kicker, dafür Klicker", was er unglaublich witzig fand. Eigentlich bedeutete das nur, dass er kein grosser Fussballspieler war, dafür umso gerne Fussball im Fernsehen sah. Somit war das Thema Bundesliga natürlich ganz seine Kragenweite.
»VfB Stuttgart und du?«, rief Faritales aufgeregt.
»Hertha BSC!«, kam es wie aus der Pistole geschossen.
Der Nachtmahr rümpfte die Nase, zuckte dann mit den Schultern und brummte: »Ist okay, wenigsten kein Bayernfan!«
Sabrina seufzte, packte den Dämon am Schlafittchen, hob ihn hoch setzte ihn auf Miles Schoss. Sollten die zwei über Fussball reden! Sie hatte Fussball noch nie wirklich viel Begeisterung schenken können. Sie fand das langweilig. Nur bei der EM oder WM war sie etwas offener dem Ballsport gegenüber.
Sie schielte zu Falk rüber, der das Geschehen in der Grube schon die ganze Zeit mit einem spöttischen Lächeln verfolgte. Wenigstens war er kein Fussballfan. Jedenfalls hatte er nie irgendwas von Fussball erwähnt... Das war wohl der Vorteil, wenn man aus verschiedenen Welten stammte. Die Gefahr, sich über die Sport-Geschmacksverirrungen des Partners aufregen zu müssen, war geringer.
»Wieso lächelst du? Gewinnt dein Favorit?«, fragte Sabrina den Piraten und lehnte sich an ihn, um ihren Kopf auf seine Schulter zu betten.
Wie alle hatte auch Hook sich heute etwas vornehmer gekleidet. Der schwere, schwarze Ledermantel war einem dunkelgrauen Gehrock aus Samt mit silbernen Stickereien und Knöpfen gewichen. Hose, Hemd und Weste waren wie gewohnt schwarz. Trotzdem war es eigenartig, den Piraten so zu sehen. Eigenartig, aber nicht unangenehm. Falk in Uniform... Manchen Klischees war selbst Sabrina unterlegen...
Hook schüttelte den Kopf und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich habe keinen Favoriten. Ich finde es nur amüsant, wie ehrlich man hier spielt.«
Sabrina runzelte die Stirn. »Wie kommst du denn darauf?«
»Bei uns Piraten gehört das Schummeln praktisch schon zu den Regeln. Gezinkte Würfel und Karten... Glaube mir, das hat es alles schon gegeben. Doch hier ist es wirklich einzig das Glück, das über Sieg und Niederlage entscheidet«, erklärte Falk.
Ein Gong ertönte und läutete die zweite Disziplin ein. Wer weniger als zwanzig Punkte erreicht hatte, musste gehen, was die Hälfte der insgesamt hundert Teilnehmer betraf.
Nun mussten die übriggebliebenen fünfzig Kandidaten in der Kategorie 'Glück im Unglück' beweisen.
Für diese Prüfung hatte man sich etwas Besonderes ausgedacht.
Die Hybriden hatten einen Parcours aufgebaut. Bei diesem ging es darum, über fünf aneinander anliegende, einen Meter über den Boden gestemmte Holzbretter zu gehen, ohne zu stürzen oder zu fallen. Doch man musste aufpassen, wo man hintrat. Es gab morsche Stellen, Stolperfallen und etliche mechanische Platten, die, sobald man einen Fuss auf sie setzte, umherschwingende, riesige, hölzerne Abrissbirnen aktivierte, die die Kandidaten mit Leichtigkeit wie Spielfiguren von ihren Brettern befördern konnten. Diese Abrissbirnen waren an dem Deckengitter befestigt und wurden durch die Druckplatten herabgelassen.
Die grösste Herausforderung war hierbei: Der Parcours durfte nur blind durchquert werden!
Diese Aktion war richtig schwer, dafür umso lustiger für die Zuschauer. Natürlich war es bestimmt nicht zum Lachen, wenn man von einer Abrissbirne, die einen Durchmesser von einem Meter besitzt und mit achtzig Sachen auf einen zufliegt, wie aus dem nichts getroffen und durch die Luft geschleudert wird, aber es sah, bei allem Mitleid, wirklich einfach nur urkomisch aus.
Am meisten gelacht hatte Sabrina, als ein bulliger Zwerg sein Glück versucht hatte und von einer der Abrissbirnen getroffen worden war. Besagter Zwerg war aber nicht zu Boden gegangen, nein, er hatte sich an der Kugel festgehalten! Wie eine kleine, dicke, bärtige Miley Cyrus im Stimmbruch hatte der Zwerg dann, noch immer an die Abrissbirne geklammert, eine der Siegeshymnen seines Volkes gegrölt.
Das hatte der Kerl doch tatsächlich eine ganze Viertelstunde durchgehalten! Irgendwann hatten die wenigen Schiedsrichter, die nicht vor Lachen keine Luft mehr bekamen, den Zwerg von der Kugel runtergeholt. Dieser hatte aber partout darauf bestanden, trotzdem gewonnen zu haben...
Jedenfalls blieben am Ende dieser Disziplin nicht mehr als drei Kandidaten übrig. Ein älterer Werwolf mit bereits ergrautem Haar, eine Elfe, deren Nase und Ohren sich einen Konkurrenzkampf, wer spitzer war, zu liefern schienen und ein Mensch mit blondem Haar und einem dümmlichen Grinsen.
Wieder erklang von irgendwoher ein Gongschlag und die dritte Disziplin wurde ausgerufen: 'Das Glück in der Not'.
Jeder Kandidat sollte sich einen bis zwei Gegner aus dem Publikum aussuchen und gegen diesen im Kampf antreten. Welche Waffen dabei ins Spiel kommen sollte, blieb den Kandidaten überlassen. Bei diesen Kämpfen ging es nicht darum, wer gewinnen und wer verlieren würde, sondern allein um das Glück, das der Kandidat bei dieser Prüfung haben würde. Der Sieger würde am Ende vom Publikum gekürt werden.
Da es der Reihe nach ging, war der Werwolf zuerst dran. Der Alte schien grosses Vertrauen in sein Glück zu haben, denn er wählte einen Animanoren, genauer einen Stier zum Gegner. Ein Schiedsrichter blies in ein Horn und der Kampf begann...
Nun, es stellte sich sehr schnell heraus, dass der Werwolf sein Glück wohl doch überschätzt hatte, denn es dauerte keine zwei Minuten, da hatte der Bulle ihn auch schon auf die Hörner genommen. Natürlich verletzte der Stier den armen Wolfsmann nicht. Er war ein Animanore, ein Wesen, das einen Verstand, ein Bewusstsein, eine Seele besass. Trotzdem sah der Werwolf nach diesem kurzen Kampf doch ziemlich gebeutelt aus.
»Autsch, der wird uns wohl nicht durch die Waldgärten von Wyr führen«, stellte Falk fest.
»Glaube ich auch«, meinte sie mitfühlend und blickte dem armen Mann nach, der, von zwei Schiedsrichtern gestützt, aus der Grube humpelte.
Als nächstes war die Elfe an der Reihe. Miss Spitznase, wie Sabrina die Elfe in Gedanken getauft hatte, achtete, nachdem sie das Dilemma des Wolfsmannes miterlebt hatte, natürlich mehr darauf, sich nicht zu überschätzen. Sie wählte stattdessen zwei Menschen. Beide junge Männer ohne nennenswerte Kampferfahrung.
Ein Hornstoss, der Kampf begann und... war auch ziemlich schnell wieder zu ende. Miss Spitznase war bestimmt schon Jahrhunderte alt und kämpfte sicherlich auch schon genauso lange. Zwei junge Menschen waren für sie keine Gegner.
Sie hatte ihre Gegner weder unter, noch überschätzt, sondern Gegner ausgewählt, die überhaupt nicht ihrem Level entsprachen. Das ganze hatte nichts mit Glück zu tun. Trotzdem applaudierten die Rebellen, was aber weniger mit Begeisterung, sondern mehr mit dem Respekt oder eher vor der Furcht, ansonsten den Groll der Elfen auf sich zu ziehen.
Königin Amiėle schien das anders zu sehen. Siegessicher erhob sie sich und applaudierte mit, wobei sie jedoch Sabrina die Sicht versperrte.
Falk lehnte sich gespannt vor. »Jetzt bin ich aber gespannt, wen unser letzter Kandidat auswählen wird...«
Miss Spitznase verliess die Grube und Amiėle setzte sich wieder, woraufhin Sabrina endlich wieder freie Sicht hatte.
Der letzte und hoffentlich auch vielversprechendste der Kandidaten trat in die Mitte der Grube. Er war ein kräftiger, junger Mann mit blondem Haar. Er trug einfache Kleidung. Ein Schnürhemd, Hose und ausgelatschte Fellstiefel.
Der Mann drehte sich um die eigene Achse und liess seinen Blick über die Zuschauer wandern. Wen würde er wählen? Wer würde sein Gegner sein?
Endlich blieb der Kandidat stehen. Er hob den Arm und deutete auf...
»Ich wähle die Geschwister Sabrina und Mile Beltran, die Herrscher der Gezeiten zu meinen Gegnern!«, rief der Mann mit fester Stimme.
Erst war es still, dann brüllten alle durcheinander. Einige lachten den jungen Mann aus, andere riefen ihm zu, er solle schnellstens eine andere Wahl treffen und wieder andere feuerten die Herrscher an, denn sie wollten eine Show.
Sabrina blinzelte verwirrt. Dieser Kerl wählte... sie? Sie und Mile? War das ein Scherz?!
Da sie sich etwas überrumpelt und überfordert fühlte, sah sie zu Mile, der genauso geschockt zu sein schien, wie sie selbst.
Hinter ihnen stemmte sich Drosselbart aus seinem Sessel. Der Rebellenführer hob beide Hände zum Mund und brüllte über den Lärm der aufgebrachten Zuschauer hinweg: »Ruhe!«
Wie Donnergrollen erfüllte des Königs Stimme die Arena. Augenblicklich schwiegen alle und sahen zu dem Märchenkönig auf, der seinen strengen Blick über die Menge wandern liess. Als er sich sicher war, dass es auch wirklich niemand mehr wagen würde, auch nur zu husten, entspannte er sich etwas. Er holte tief Luft und verkündete dann: »Dieser junge Mann hat eine Wahl getroffen. In diesem Wettkampf geht es darum, sein Glück auf die Probe zu stellen und ich denke, genau das waren die Beweggründe dieses jungen Kriegers, als er unsere Herrscher herausforderte. Natürlich ist seine Wahl äusserst ungewöhnlich und auch ich hätte an seiner Stelle einen anderen Gegner gewählt. Trotzdem scheint er seine Entscheidung getroffen zu haben. Somit schlage ich vor, dass die Herrscher sich doch in die Grube begeben sollen und... prüfen, ob dieser junge Mann wirklich so viel Glück hat, wie er selbst zu glauben scheint!«
Kaum hatte der König geendet ging das Getöse wieder los. Jubel und Protest mischte sich zu einem solchen Getöse, dass Sabrina die Ohren zu klingeln begannen.
Sie sah wieder zu ihrem Bruder. In seinen Waldaugen erkannte sie, dass es ihm ähnlich zu gehen schien wie ihr. Keiner von ihnen wollte gegen diesen jungen Mann kämpfen. Was, wenn sie ihn verletzen würden?!
Gerade machte sie den Mund auf, um die Herausforderung des Kriegers in der Grube abzulehnen, doch bevor auch nur ein Worte ihre Lippen verlassen konnten, wurde sie auch schon in die Höhe gerissen.
»Schlägerei! Schlägerei!«, grölte es unter ihr und Sabrina erkannte ihren Kidnapper an der tiefen, rauen Stimme. Azzarro, der Barbarenhäuptling hatte sie gepackt und hielt sie wie eine Spielzeugpuppe in die Höhe.
»Lass mich runter, du Affe!«, rief Sabrina und schlug um sich, doch ihre Fäuste hatten gegen die baumstammdicken Arme nichts auszurichten.
So hatte sie keine Chance und wurde gegen ihren Willen durch die halbe Arena getragen und erst auf dem Grund der Grube wieder auf die Füsse gesetzt. Sofort wirbelte sie herum und schrie den Barbaren an: »Was soll das?!«
»Jetzt, Kleines, werden du und dein Bruder gegen diesen blonden Schwachmaten da kämpfen!«, johlte Azzarro und deutete mit einem wulstigen Zeigefinder auf ihren Herausforderer. Im nächsten Moment drehte sich der Häuptling um und stiefelte die Treppe zur Ehrentribüne der Monarchen wieder hoch. Nur einmal blieb er kurz stehen, um Mile Platz zu machen. Ihr Bruder sprang die Stufen hinab und kam neben ihr zu stehen.
»Schöne Scheisse! Was machen wir jetzt?«, zischte sie und musterte ihren Gegner.
Ihr Herausforderer hatte ein kantiges Gesicht, dunkle, braune Augen und eine flache Nase. Sein Körper war breit wie ein Schrank, was sie aber nicht beeindrucken konnte, schliesslich war Fleisch weder gegen Kälte, noch gegen Hitze gewappnet. Der junge Mann erwiderte ihren Blick. Nichts in seinen Augen deutete darauf hin, dass er in irgendeiner Weise aufgeregt oder nervös war. Keine Angst, keine Furcht. Sabrina konnte auch keinen Irrwitz, der seine Hasardspiel erklärt hätte, ausmachen. Nein, der junge Mann wirkte völlig ruhig, was im Hinblick auf seine Lage schon beinahe überheblich wirkte...
Mile trat auf den blonden Kerl zu und begann auf ihn einzureden: »Hör mal, ich weiss, du willst diesen Wettkampf unbedingt gewinnen, aber ich glaube, du hast gerade wirklich zu hoch gepokert! Nichts für ungut, aber glaube mir, mit und«, er deutete auf sich und Sabrina, »kannst du es nicht aufnehmen.«
Der junge Mann lächelte, verbeugte sich vor Mile und dann vor Sabrina. Mit ruhiger Stimme sprach er: »Das Glück ist dem Kühnen hold.«
Sabrina runzelte die Stirn. Spitz bemerkte sie: »Ach, wenn du auf Sprichwörter setzt, habe ich hier noch eines für dich: Das Glück ist mit den Dummen!«
Der blonde Kerl lachte und nickte dann dem Schiedsrichter zu, der am Rande der Grube stand und nun die Geschwister in die eine und den Glücksjäger in die andere Richtung winkte.
»Mensch, Mile! Was sollen wir jetzt machen?!«, fauchte Sabrina und krallte sich in den Arm ihres Bruders. Dieser kaute auf seiner Wange herum, wie er es immer tat, wenn er gestresst oder besorgt war. Schliesslich brummte er: »Hier geht es um Glück. Sollte dieser Irre tatsächlich unser Glückspilz sein, wird er schon klarkommen. Und wenn nicht... nun... Wir werden einfach mal versuchen, den Typen nicht umzubringen.«
»Na super«, zischte sie und verdrehte die Augen.
Mehr Zeit zum Absprechen blieb ihnen nicht, denn sie hatten ihre Seite der Grube mittlerweile erreicht, genau wie ihr Herausforderer.
Sabrina kniff die Augen zusammen und machte sich ein kurzes Bild von dem Schlachtfeld, auf dem sie sich gleich die Birnen einrennen sollten.
Der Grund der Grube war eine ebene, ovale Fläche von etwa zweihundert Quadratmetern. Überall lagen Trümmer des Parcours herum. Holzbretter, Halterungen sowie ein halbes Duzend Abrissbirnen. Die Wände, die die Zuschauer von den Kriegern trennten, waren circa zweieinhalb Meter hoch. Über dieser Mauer begannen die Zuschauerränge. Auf der rechten Seite ragte die Ehrentribüne zwischen dem Meer aus Rebellen auf. Sie war doppelt so gross, wie die Mauer und war somit der beste Aussichtspunkt über die Arena.
Der Schiedsrichter blies in sein Horn und der Kampf begann...
Der blonde Mann spurtete los und warf sich hinter eine der abgestürzten Abrissbirnen. Keine Sekunde zu spät, denn Mile hatte ebenfalls nicht lange gefackelt und ein Blitzgewitter aus seiner Hand schiessen lassen wie der elektrisierte Spiderman aus 'Rise of Electro'. Wie lange, helle, zitternde Finger streckte sich die geladene Energie nach dem Glücksjäger aus, um ihn zu lähmen, doch zu Miles Schrecken trafen sie stattdessen auf die Überreste einer Metallkette, die zuvor eine der Abrissbirnen in der Luft gehalten und nun als elektrischer Leiter diente.
Mile schrie, als seine eigenen Blitze zu seinem Verhängnis wurden und er rückwärts durch die Luft geschleudert wurde. Unsanft knallte er gegen die Trennwand.
Die Rebellen tobten. Was für ein Spektakel!
Sabrina schrie auf und wollte ihm zu Hilfe eilen, doch Mile brüllte: »Bleib wo du bist! Mir... mir geht es gut. Ich halte so was aus. Ich hätte mehr darauf achten sollen, die Elektrizität auch wieder absorbieren zu können...«
»Okay! Ich werde dich an dieses Absorbieren erinnern, wenn du dich das nächste Mal in die männliche Version von Storm aus X-Man verwandelst!«, rief Sabrina leicht verärgert.
Missmutig wandte sie sich wieder dem Schlachtfeld zu. Gerade hatte sie sich umgedreht, da traf sie plötzlich ein taubeneigrosser Stein am Kopf.
»Autsch! Sag mal, geht's noch?!«, brüllte sie wütend und fasste sich an die Stirn, wo der Stein sie getroffen hatte. Kaltes, rotes Blut klebte an ihren Fingern. Na klasse! 'Ne Platzwunde!
Auf der Ehrentribüne wurden Proteste laut. Hooks Stimme hallte durch die Arena: »Schiedsrichter! Regelverstoss! Dieser Bastard eines Krokodils hat gerade...«
»Regeln? Hier gibt's keine Regeln!«, unterbrach ihn der Schiedsrichter, was einen erneutes Raunen durch die Reihen der Zuschauer trieb.
Sabrina verstand es ja, dass dieser Kerl sie herausgefordert hatte. Der Typ hatte angeben wollen, war ja klar. Auch für Miles Elektroschock konnte er nichts. Aber dass er sie mit Steinen bewarf, das nahm sie jetzt schon irgendwie persönlich...
Ziemlich angepisst suchte sie nach dem Übeltäter, um sich mit einer ordentlichen Ladung Eiskugeln an ihm zu rächen. Doch nirgendwo war auch nur der Hauch einer Spur von dem blonden Mann zu erkennen. Verdammt!
Sabrina liess die Kälte in sich erwachen. Wie eine Schockwelle wurde ihre Haut augenblicklich von einer dünnen Schicht Frost überzogen. Ihre blonde Mähne erstarrte. Ihre Wangen röteten sich dunkelrot. Eisiges Rot schoss durch ihre Adern...
»Zeig dich, du Feigling«, brüllte sie. Aus ihrem Mund strömten Atemwölkchen.
Sabrina fühlte sich grossartig. Wie neugeboren!
Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung war. Sie wirbelte herum, holte aus und... schleuderte ihre Salve Eissplitter schnell in eine andere Richtung. Mile hatte sich wieder erhoben und von hinten in ihr Blickfeld geschlichen. Beinahe hätte sie ihren Bruder tiefgefroren!
Wütend tippte sie sich an die Stirn. War Mile jetzt wahnsinnig oder was?!
Der junge Lichterlord legte sich einen Finger auf die Lippen und machte einige schnelle Handbewegungen, die Sabrina so interpretierte, dass Miles Plan war, dass sie von beiden Seiten am Rande des Schlachtfeldes entlangschleichen sollten, um ihren Herausforderer zwischen ihnen einzukesseln.
Das war keine schlechte Idee und Sabrina nickte.
So setzten die Geschwister sich in Bewegung. Geduckt, auf leisen Sohlen, die Sinne hellwach, in Eis und Feuer gehüllt...
Gebannt beobachteten die Rebellen das Geschehen in der Arena. Jeder hielt den Atem an. Miles Fähigkeit, seine Hitze in elektrische Energie umzuwandeln war bisher nur ein Gerücht gewesen. Nun hatte er sich praktisch geoutet. Viel interessanter war jedoch gewesen, als der junge Lord sich für einen Moment selbst ausgeknockt hatte. Was würde wohl als nächstes geschehen?
Sabrina erlaubte sich, einen kurzen Blick auf die Ehrentribüne zu werfen. Ihre Augen huschten über die gebannten Gesichter der Monarchen, bis sie endlich den Menschen sah, der ihr von all den Rebellenanführern, Monarchen und Ratsmitgliedern am meisten bedeutete...
Falk hatte seine Ozeanaugen starr auf sie gerichtet. Keine ihrer Bewegungen und Schritte entgingen ihm. So, wie er die Zähne zusammenbiss und seine Hand so fest zur Faust ballte, dass seine Knöchel weiss hervortraten, hätte sie nicht einmal in seinen Kopf eindringen müssen, um seine Gedanken lesen zu können. Es schien, als müsse er sich mit ganzer Kraft davon zurückhalten, nicht aufzuspringen und den kandidierenden Glückspilz zu verraten und ihr zu helfen.
Red hatte sich neben den Piraten gesetzt. Sie hatte beide Hände vor den Mund geschlagen und zuckte bei jedem Schritt, den Mile tat, zusammen...
Konzentrier dich, Sabrina!, ermahnte sie sich selbst. Wenn sie nicht einmal mit so einem Möchtegern-Glückspilz fertig wurde, wie sollte sie dann gegen die Dunklen standhalten können?
So wandte sie sich von der Tribüne ab und liess ihren forschenden Blick über das Schlachtfeld gleiten. Sie war mit Mile auf gleicher Höhe, was es dem Glücksjäger unmöglich machte, unentdeckt zu bleiben.
Langsam begann Sabrina sich über diesen Typen zu ärgern. Erst forderte er sie heraus, bewarf sie mit Steinen und dann versteckte er sich? Was sollte denn das?
»Huh! Hier bin ich!«
Sabrina sprang auf, holte aus und schmetterte ihr Eis in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Gebannt wartete sie darauf, dass ihr Eis sein Ziel treffen und sie den Kampf als Sieger beenden könnten, doch leider wurde keine ihrer Hoffnungen erfüllt.
Der Glücksjäger mochte noch so überheblich und irrwitzig wirken, doch er hatte es ebenso faustdick hinter den Ohren!
Kurz bevor die Geschwister ihn ohnehin entdeckt hätten, war er zwischen zwei Holzbrettern aufgesprungen und sofort wieder abgetaucht... Nun, leider waren die Reflexe der Geschwister schneller als ihr Verstand gewesen und so hatten sie beide gleichzeitig Blizzard und Höllenfeuer in Richtung Herausforderer geschleudert, doch... dieser war bereits wieder in seinem Versteck verschwunden. So kam es, dass Sabrina von einem flammenden Inferno niedergerissen und Mile von einer Eislawine überrollt wurde...


~Mile~

Keuchend lag er da.
Er hatte Schmerzen.
Nichts brannte für ihn mehr als Eis auf der nackten Haut. Nichts rang ihn leichter zu Boden als Kälte. Nichts konnte sein Feuer so sehr schwächen wie Frost, der es einfrieren und auslöschen konnte...
So lag er im Dreck und versuchte verzweifelt zu verstehen, was gerade geschehen war. Wieso lag er plattgewalzt auf der Erde? Wieso badete er in einer kalten Pfütze? Wo war seine wunderschöne, helle, heisse, lodernde Flamme geblieben, die er gerade noch auf seinen Gegner geschleudert hatte?
Zur Hölle, was war los?!
Auf einmal rüttelte etwas an seiner Schulter. Verschwommen sah er Gestalten an ihm vorbeigehen. Etwas Rotes kam auf ihn zu...
»Mile? Mile? Kannst du mich hören?«, drang eine weibliche Stimme in sein Bewusstsein ein. Er kannte diese Stimme... Red!
Verwirrt blinzelte Mile, bis er wieder klar sehen konnte.
Mit seinem Sehsinn kamen auch alle anderen Empfindungen zurück. Ruckartig richtete Mile sich auf.
»W-was ist denn...«, murmelte er völlig aus dem Konzept gebracht.
Red lachte erleichtert auf. Sie drückte ihn an sich und erklärte: »Du und Sabrina... Ihr habt euch irgendwie gegenseitig... getroffen. Du mit deinem Feuer und sie mit ihrem Eis...«
»Was?! Sabrina? Wie...«
»Sie erholt sich auch gerade! Keine Sorge, das wird alles wieder!«, besänftigte die Rote ihn und zwang ihn, sitzen zu bleiben.
Ein Elf, vermutlich einer der Hellelfen, dokterte gerade an einer Schramme an seiner Wange herum. Ein anderer Heiler befingerte sein Bein.
»Tut das weh?«, fragte er und klopfte gegen seinen Knöchel.
»Au! Ja! Verdammt...«, zischte Mile. Klasse, das hatte ihm gerade noch gefehlt!
Der Elf zupfte an seinem Hosenbein herum, um bessere Sicht auf sein verletztes Gelenk zu haben. »Sieht nicht gebrochen aus. Bestimmt nur leicht verrenkt. Vielleicht auch geprellt«, stellte er sachlich fest und begann in seiner Umhängetasche zu wühlen. Er zog eine Salbe heraus und schmadderte diese grosszügig auf seinen bereits rot verfärbten Knöchel.
»Aufhören!«, befahl Mile. »Ich muss erst sehen, wie es Sabrina geht!«
»Nichts da! Bleib sitzen! Sabrina wird bestimmt auch grade untersucht. Jetzt benimm dich nicht wie ein kleines Kind und halte still!«, knurrte Red und hielt ihn erneut zurück.
Mit einem missmutigen Grunzen fügte sich Mile. Er nutzte die Zeit und sah sich um. Die Grube war mittlerweile von Leuten befüllt. Hellelfen, die sich um ihn und Sabrina kümmerten, Wachen und die Zuschauer von der Ehrentribüne. Gerade winkte Rosanna ihm mit einem hämischen Grinsen zu. Toll, ihm blieb auch nichts erspart...
In den Zuschauerrängen herrschte ebenfalls munteres Treiben. Alle drückten sich bis zur ersten Reihe vor, um sehen zu können, wie es ihren Herrschern ging. Gerade begannen die ersten über die Mauer zu klettern, nur um dann von der Königsgarde wieder aus der Grube geführt zu werden.
»So ein Chaos!«, hörte Mile Red brummen. »Wieso spricht denn keiner ein Machtwort?«
Mile runzelte die Stirn. Red hatte recht! Normalerweise liessen die Rebellenanführer ihre Gefolgsleute nie so lange völlig unkoordiniert und chaotisch zurück...
Mile strengte seine Herrscheraugen mehr an.
Mittlerweiler war die Nacht hereingebrochen und selbst die etlichen Fackeln, die als Lichtquellen dienten, reichten nicht mehr ganz aus, um dieses Chaos völlig zu belichten.
Mile sah Königin Amiėle, die ihre Stürmerelfen losschickte, um die Meute aus der Arena zu führen. Häuptling Azzarro schien das genaue Gegenteil vorzuhaben und rannte durch die Arena, eine ganze Horde seiner Hooligan-Barbaren anführend. König Orion diktierte seinen Soldaten, ebenfalls bei der Räumung der Anlage zu helfen.
Trotz der Bemühungen der Monarchen blieb das Chaos bestehen. Wo blieb Drosselbart mit seiner verzauberten Lautsprecher-Stimme?
Sein Heiler hatte mittlerweile seinen Knöchel fertig eingesalbt und verbunden. Zufrieden betrachtete er sein Werk, klopfte Mile auf die Wade und meinte: »So, fertig, Mylord. Ihr könnt versuchen, aufzustehen, aber seid bitte vorsichtig...«
Mile liess den Elf nicht einmal ausreden. Er sprang mit einem Satz auf, ignorierte seine Schmerzen und liess stattdessen eine gewaltige Stichflamme die Arena erhellen.
Sofort hatte er die Aufmerksamkeit aller Rebellen auf sich gezogen. Doch bevor irgendjemand auf die Idee kommen konnte, irgendetwas zu rufen, brüllte er so laut er konnte: »Okay! Aufgepasst, allerseits! Ich, euer Lichterlord, befehle euch allen, jetzt diese Arena zu verlassen. Feiert von mir aus euer Fest, aber tut das nicht hier drinnen! Jeder, der diesem Befehl nicht Folge leistet, bekommt es mit mir zu tun! Wer randaliert oder derartiges in der Arena veranstaltet, dem werde ich persönlich Feuer unter dem Hintern machen! Und jetzt raus hier!«
Tatsächlich zeigten seine Drohungen Wirkung und innerhalb von zehn Minuten, waren alle Rebellen aus der Arena verschwunden...
Mile drehte sich um und begann, auf einem Bein hüpfend, die Arena zu durchqueren. Red eilte zu ihm, um ihn zu stützen. Sie kamen langsam voran, doch dafür wurde Miles Knöchel verschont. Red starrt ihn die ganze Zeit an, was ihn irgendwie nervös machte. Als er es nicht mehr aushielt, fragte er mit einem gequälten Lächeln: »Sehe ich so schlimm aus?«
Red wandte ertappt den Blick ab und meinte dann: »Nein, es... es ist nur... Mile, so habe ich dich erst ein einziges Mal gesehen! Das war... das erste Mal, dass wir uns begegnet sind. Weisst du noch?«
Die Erinnerung brachte ihn unwillkürlich zum Lächeln. »Natürlich weiss ich das noch«, murmelte er. »Man erfährt doch nur einmal im Leben so was wie Liebe auf den ersten Blick.«
Reds Wangen färbten sich rot, doch sie tat so, als würden sie seine Worte kein bisschen bewegen. Stattdessen gab sie sich Mühe, ernst zu bleiben. »Das habe ich damit nicht gemeint. Mile, du bist damals im Schnee gelegen. Ich wusste damals noch nicht, wer du bist. Du bist im Schnee gelegen und warst innerhalb von Minuten unterkühlt. Beinahe wärst du erfroren. Du bist heute zwar nicht erfroren, aber als dich das Eis getroffen hat... Du bist zusammengebrochen wie eine Marionette, deren Fäden durchgeschnitten worden sind.«
Er runzelte die Stirn und musterte die Rote. »Worauf willst du hinaus?«, fragte er forschend.
Red hob ihren Blick und fixierte ihn. »Mile, ich weiss, es ist noch lange hin, aber versprich mir, dass wenn wir in den Zeitpalast einfallen werden, du Nevis, die Schneekönigin, deine Tante deiner Schwester überlassen wirst. Sabrina ist die Eisprinzessin. Eis, Schnee und Kälte können ihr nichts anhaben, doch du, Feuerjunge, hast gegen Nevis nicht den Hauch einer Chance!«
Mile dachte nach. Was sollte er auf diese Bitte erwidern? Schliesslich seufzte er und erklärte: »Red, wir wissen doch noch gar nicht, wie unser Zusammenstoss mit den Dunklen aussehen wird? Wenn alles glatt läuft, werden wir die Dunklen mit einer Armee im Rücken niederringen und...«
Die Rote blieb stehen und hielt ihn fest, sodass er gezwungen war, auch stehen zu bleiben. »Dann versprich mir wenigstens, Nevis aus dem Weg zu gehen. Provozier sie nicht, greif sie nicht an, solange sie keinen Kampf beginnt. Überlass die Schneekönigin deiner Schwester!«
Mile nickte. Zwar zögerlich und langsam, aber er nickte.
Mittlerweile hatten sie die Arena durchquert und waren an der Stelle angelangt, wo Sabrina von Miles Inferno überrollt worden war.
Gerade wurde Sabrina von Falk wieder auf die Beine geholfen. Ihre Klamotten waren etwas angesengt, ihr Gesicht russverschmiert, geronnenes Blut klebte an ihrer Stirn und sie hatte an den Armen ein paar kleinere, leichte Brandverletzungen, aber das war's auch schon. Wie es schien, waren sie beide mit einem blauen Auge davongekommen.
»Mile! Dir geht es gut!«, begrüsste seine kleine Schwester ihn mit einem erleichterten Lächeln.
»Ja! Oh, Sabrina! Es tut mir ja so leid!«, murmelte Mile und schloss Sabrina in die Arme.
»Ich denke nicht, dass das irgendjemandem von euch leidtun muss«, verkündete eine bekannte Stimme hinter ihnen.
Der Mann, der natürlich klar als Gewinner des Wettbewerbs und zukünftiger Glücksbringer der Rebellen hervorgegangen war, trat auf sie zu. Sein Gesicht war vor Aufregung gerötet. Ein stolzes Lächeln umspielte seine Lippen. Er erklärte: »Ihr, junge Herrscher, hattet schlicht einfach nur Pech, nichts weiter.«
»Bei Klyuss! Du, Kumpel, wirst gleich erleben, was Pech ist!«, knurrte Hook und ging auf den Glücksjäger los. Mit erhobener Faust und Haken wollte er auf ihn losgehen, doch irgendwie stolperte er und landete auf allen vieren.
Mitleidig streckte der Glückspilz seine Hand aus, um Falk aufzuhelfen. Es klang beinahe entschuldigend, als er sagte: »Ich habe niemals Pech, doch alle, die mir etwas anhaben wollen, umso mehr.«
»Klingt ja nach dem reinsten Wunschleben«, brummte Falk, der die Hand des Mannes ignorierte und sich selbst aufrappelte. »Wieso kommst du eigentlich hier her, Glücksjunge? Du ziehst erst die Herrscher der Gezeiten ins Unglück und gleich darauf mich? Was kommt als nächstes? Wie heisst es doch so schön? Alle guten Dinge sind drei!«
Der Glückspilz räusperte sich verlegen und er erklärte: »Nun, es ist so... Ich bin nicht ohne Grund Gewinner dieses Wettkampfes geworden. Seit ich geboren wurde, bin ich vom Glück verfolgt. Als es dann hiess, man suche den grössten Glückspilz, da war das natürlich genau mein Ding. Darum will ich mich bei den Herrschern auch untertänigst entschuldigen. Für... für das, was geschehen ist. Irgendwie ist es nicht fair, dass ich so leicht gewinnen konnte. Zwar kann ich für mein Glück nichts, doch trotzdem kommt es mir schäbig vor...«
Mile war verwirrt. »Das klingt ja fast so, als würdest du deinem Glück zu entfliehen versuchen!«, stellte er irritiert fest.
Der Mann nickte. »So ist es auch. Darum habe ich mich auch den Rebellen angeschlossen. Ich wollte sehen, wo die Grenzen meines Glücks liegen...«
Red legte den Kopf schief und murmelte: »Von einem, der auszog, das Pech zu finden... Ich... ich glaube, ich habe von Euch gehört, Glückspilz. Man erzählt sich viele Geschichten, wenn die Nacht lang und das Feuer nicht warm genug ist.«
»Du hast das Pech gesucht? Gefunden scheinst du es nicht zu haben? Aber warum fährst du denn so auf das Pech ab? Ich meine, keiner wünscht sich mehr, als ein Leben voll Glück!«, hakte Sabrina interessiert nach. Sie schien dem Mann tatsächlich schon vergeben zu haben, dass er ihr einen Stein an den Kopf geworfen hatte. Wahrhaftig war er ein Glückspilz. Sabrinas Zorn war mit dem einer ausgewachsenen Furie zu messen...
Der Glücks... nein, der Pechjäger nickte nachdenklich und erklärte dann: »Wahre Worte, Prinzessin. Aber was ist das für ein Leben, wenn einem alles in den Schoss fällt? Es fehlt eine der Reiz, der Nervenkitzel! Noch nie in meinem Leben habe ich so etwas wie Furcht gefühlt, denn ich wusste, dass mein Glück mich niemals im Stich lassen würde! Das mag verlockend klingen, doch eigentlich ist es nur schrecklich langweilig...«
»Glück hin oder her, irgendwann werde ich dich dafür büssen lassen, was du Sabrina angetan hast. Ein Pirat vergisst nicht!«, knurrte Falk und wedelte dem Glückspilz mit seinem Haken vor der Nase herum.
»Wie ist eigentlich dein Name?«, fragte Sabrina, während sie Hooks Haken von dem Mann wegzog.
Der Glückspilz verbeugte sich tief vor ihnen und sprach: »Man nennt mich Hans. Hans im Glück!«
Mile seufzte. Das hätte er sich ja denken können!
Mittlerweile hatten alle abgesehen von den Monarchen und Ratsmitgliedern die Arena verlassen. Auch sie musterten den Glückspilz genau, als wäre er ein Pferd, das sie zu kaufen abwogen...
Einer der Monarchen trat vor, um den Glückspilz zu begrüssen. König Löwenherz, der weisse, geflügelte Animanore sprach mit tiefer, rauer Stimme: »Verehrter Hans, ich danke Euch im Namen aller Rebellen für Euren Mut, der Euch dazu bewogen haben wird, unsere Herrscher zum Kampf aufzufordern. Natürlich hätten wir uns diesen Wettbewerb alle etwas anders vorgestellt, aber Eure Wahl hat uns nur einmal mehr vor Augen geführt, dass unsere Herrscher noch viel zu lernen haben. Ausserdem habt Ihr diese einzigartige Chance genutzt, um zu zeigen, zu was Ihr fähig seid. Somit habe ich die Ehre, Euch zum Glücksbringer der Rebellen zu ernennen. Ihr werdet uns durch die Waldgärten von Wyr führen, sobald die Zeit gekommen ist.«
Hans verbeugte sich erneut tief vor den Monarchen und lächelte.
Löwenherz schien jedoch noch nicht fertig zu sein, denn er fuhr fort: »Eigentlich sollte die Ernennung des Glückbringers von dem Rebellenführer Drosselbart übernommen werden, doch dieser ist aus irgendeinem Grund nicht auffindbar. Die ganze Aufregung wird ihn wohl doch etwas überanstrengt haben. Er ist ja nur ein Mensch und hält weniger aus als...«
»Seid Ihr sicher?«, unterbrach Mile den Animanoren.
Löwenherz legte die Ohren an, was wohl einem tadelnden Stirnrunzeln gleichzusetzen war. »Nein, junger Herrscher, das bin ich nicht, aber...«
»Sendet sofort einen Suchtrupp aus! Mobilisiert die Wachen! Wir müssen Drosselbart sofort ausfindig machen!«, brüllte Mile und krallte sich in Reds Schulter.
Sabrina sah zu ihm auf. Ihre Eisaugen waren vor Schreck weit aufgerissen. »D-du glaubst doch nicht etwa, dass...«
Mile nickte.
Doch...
»Könnte uns bitte jemand über die Lage hier aufklären?«, fragte Königin Amiėle genervt.
Sabrina nahm Mile das Lügen ab und erzählte den Anwesenden die Geschichte, die sie für die Wahrheit hielt: »Manchmal hat Mile diese... Eingebungen. Das mag dumm klingen, aber eigentlich sind auf seine Vorahnungen immer Verlass und...«
»Sabrina? Was willst du uns erzählen?«, half ihr Jeremy Topper auf die Sprünge. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wusste der Hutmacher ganz genau, auf was Sabrina hinaus wollte. Jeremy Toppers Mimik war ein visuelles Synonym zur Besorgtheit...
Sabrina holte tief Luft und krächzte mit brüchiger Stimme: »Mile hatte heute so ein Gefühl... Er sagt, diese Nacht würde ein König sterben...«

Mile jagte über die Wiesen. Seine Augen hatten sich auf die Nachtsicht eingestellt, sodass er beinahe so gut sehen konnte wie am Tage.
Heute Nacht wird ein König sterben...
Wieso hatte er nicht mehr aufgepasst? Warum nur? Rumpelstilzchen hatte ihn gewarnt! Himmel, hätte Hans doch nur nicht ihn oder Sabrina gewählt! Bestimmt hätte er es mitbekommen, als Drosselbart die Arena verlassen hatte...
Aber nein, Mile hatte versagt. Er hatte versagt!
Als die Monarchen von Miles Vorhersage über den Mord an einem König gehört hatten, waren sie sofort in Alarmbereitschaft gewesen. Niemand hatte Miles Eingebung infrage gestellt. Nicht einmal Azzarro oder Rosanna. Allen war bewusst gewesen, dass es Mile ernst war. Wenn ein Lichterlord die höchste Alarmbereitschaft einberief, dann stellte man keine Fragen!
Alle hatten Suchtrupps zusammengestellt, um den verlorenen König ausfindig zu machen.
Hoffentlich war Drosselbart nichts zugestossen. Er war der Rebellenführer und ein Freund. Er hatte die Geschwister mit offenen Armen empfangen und ihnen so viel beigebracht. Drosselbart war mehr als nur ein Anführer. Er war ein guter Mensch! Ein König, der sein Volk liebte und sich darum sorgte!
Hänsel, der ja speziell zum Schutz der Könige auf dem Podest wache gehalten hatte, hatte auch nicht weiterhelfen können. Wie konnte es nur sein, dass Hänsel Drosselbarts Verschwinden nicht mitbekommen hatte?
Sie hatten Drosselbart nicht in seinem Zelt finden können. Seine Frau, Königin Mavelle war, kurz nachdem der Werwolf von dem Animanoren Stier besiegt worden war, von der Gewalt abgeschreckt schon einmal zu Bett gegangen. Sie hatte ihren Gemahl seither nicht mehr gesehen.
Mile war Optimist. Jede Faser in seinem Körper sträubte sich gegen die Vorstellung, dem guten König könnte etwas zugestossen sein, doch sein Bauchgefühl sagte etwas anderes. Dieses Mal war es tatsächlich eine Eingebung, die ihn davor warnte, dass er bald etwas zu sehen bekäme, das ihm nicht gefallen würde...
Keuchend kam Mile zu stehen. Er war gerannt. Schnell.
Normalerweise hätte ihn die Strecke von der Arena bis zu der Linde nicht so erschöpft, doch Sabrinas Eisattacke hatte langwierigere Folgen. Er fühlte sich schlapp und ausgelaugt...
Erschöpft lehnte er sich mit dem Rücken an den Felsen, der von den Wurzeln der Linde umschlungen war. Er liess sich zu Boden gleiten. Einen kurzen Moment der Ruhe gönnte er sich noch, dann reckte er den Kopf in den Nacken und rief: »Teufel! Rumpelstilzchen! Teufel mit den drei goldenen Haaren! Zeig dich!«
Tatsächlich dauerte es nicht lange und der Teufel trat unter die Linde. Mile machte sich nicht einmal mehr Gedanken, woher der Kerl dieses Mal gekommen war. Rumpelstilzchen wurde nur gesehen, wenn er es wollte...
Der Teufel beäugte Mile aus seinen pechschwarzen Augen, wie ein Tiger seine Beute. Ein Lächeln umspielte die aufgesprungenen Lippen des verräterischen Hüters. »So? Wie geht es denn dem jungen Lord? Was liegt ihm auf dem Herzen?«, erkundigte er sich und grinste breit.
Widerlicher, hässlicher Scheisskerl!
»Wo ist der König?«, knurrte Mile und durchbohrte den Teufel durch zusammengekniffene Augen. Wenn Blicke doch nur wirklich töten könnten...
Rumpelstilzchen klatschte aufgeregt in die dürren Finger. »Der totgeweihte König?«
»Niemand ist hier todgeweiht! Drosselbart ist verschwunden und du wirst mir sagen, wo er ist!«, zischte Mile. Seine Stimme war voll Abscheu. Ein »Nein« würde er nicht akzeptieren!
Für einen Moment entglitten dem Teufel seine Züge und auf einmal wirkte er weder verrückt, noch bösartig. Er wirkte... betroffen!
»Drosselbart?«, fragte er und auch seine Stimme klang nicht mehr wie die eines fiesen Kerls. War das etwa Mitgefühl?!
»Sag bloss, dass du dich um Drosselbart scherst«, murmelte Mile erstaunt.
Rumpelstilzchen blinzelte. »Vor langer, langer Zeit waren wir wohl einst so etwas wie... Freunde...«
»Bis du zum Monster mutiert bist«, stichelte Mile. Mit dieser... weichen Seite von Rumpelstilzchen hatte er nicht gerechnet. Er hatte nicht einmal gewusst, dass der Teufel so etwas wie Mitgefühl besass! Irgendwie überforderte ihn diese Situation, ausserdem drängte die Zeit. »Weisst du jetzt, wo Drosselbart ist oder nicht?«
Rumpelstilzchen sah ihn lange an. Er schien hin und hergerissen zu sein. Schliesslich brummte er: »Am Eingang zu den Wäldern.«
Mile runzelte die Stirn. Das war einfach gewesen. Zu einfach?
»Wenn du mich belügst, dann...«
»Ich habe Euch nicht belogen! Geht und seht selbst!«, fauchte der Teufel. Auf einmal grinste er breit. »Junger Lord, Ihr werdet nicht erfreut sein!« Er lachte hämisch. Da war er also wieder. Rumpelstilzchen, das Monster, der abtrünnige Hüter...
Doch Mile kümmerte sich nicht mehr weiter um ihn. Er rannte wieder. Nur das Lachen des Teufels hallte weiter in Miles Kopf nach.
Dann erreichte er den Eingang zu den Waldgärten von Wyr...

Da lag Drosselbart.
Da lag er.
Der König...
Mitten auf dem Weg. Unter dem alten Torbogen, dessen Schriftzug auf einmal eine ganz andere Bedeutung zu haben schien...
Wem das Glück nicht hold ist, wird hier den sicheren Tod finden.
Die Arme und Beine des Königs waren in alle Richtungen ausgebreitet wie die Zacken bei einem Stern. Wie bei einem gefallenen Stern...
Er lag in den Armen seines Mörders, der ihm soeben die Kehle aufgeschlitzt hatte. Blut sprudelte wie aus einer nicht verendenden Quelle aus der klaffenden Wunde.
Blut... so viel Blut...
Als Mile den sterbenden König erblickte, war es, als würde seine Welt in tausend Stücke zerbrechen. Er achtete nicht auf den Mörder, der Drosselbarts Kopf auf seinen Schoss gebettet hatte. Er achtete nicht auf das ganze Blut, als er sich auf die Knie fallen liess und mit zitternden Händen versuchte, die Blutung zu stoppen.
Aussichtslos.
Rot quoll Leben aus dem König. Rot. So rot, dass Mile schwindelig wurde.
Sein Gehirn funktionierte irgendwie nicht mehr richtig. All seine Gedanken kreisten in einer festgelegten Umlaufbahn einzig um die Kehle des Königs.
Er versuchte, das Blut aufzuhalten, doch natürlich gelang es ihm nicht...
Mile konnte nicht klar denken. In ihm drehte sich alles. Er war völlig überfordert. Er wollte schreien, rennen, weinen, sich verstecken und vergessen. Doch er konnte nicht...
Sein geschärfter Geruchssinn quälte ihn, denn er konnte ihn riechen.
Ihn, den Tod.
Modrig, metallisch, schleichend, düster und grausam.
Mile schrie, als der Tod Drosselbart packte und mit sich riss.
Mile schrie... Er verstand, dass er verloren hatte.
Drosselbart war verblutet.
Drosselbart war tot.
Nein, tot konnte er nicht sein. Er war ein Märchen...
Doch das, was dem Tod für eine Märchenfigur am nächste kam, hatte den Rebellenführer geholt.
Tot auf Zeit.
Mile weinte.
Seine Tränen waren zu heiss und so verdampften sie und stiegen in den Himmel, als würden sie Drosselbarts Geist ins Jenseits folgen wollen. Obwohl... Was war der Tod auf Zeit? War man dann... tot? Oder lag man wie im Koma?
Weg war man. Weg...
Mile weinte lange.
Sein Herz tat weh. Wie zerrissen in seinem Brustkorb...
Plötzlich realisierte er, dass er nicht alleine war. Neben ihm wimmerte jemand...
Der Mörder...
Mile hatte nicht auf den Mörder geachtet... Wieso eigentlich?
Als er Drosselbart da liegen gesehen hatte... als der König in weniger als einer Minute unter ihm weggestorben war... Er hatte den Mörder einfach... nicht richtig wahrgenommen?
Langsam, wie ferngesteuert drehte Mile seinen Kopf und blickte dem Königsmörder ins Gesicht.
Nie, nie hätte er ihn verdächtigt. Nie, nie hätte er gedacht, dass er so etwas tun könnte.
Das einzige, was Mile über seine bebenden Lippen brachte, war ein leises, heiseres, gebrochenes »Warum?«.
Der Mörder starrte mit leerem Blick auf die ausgeblutete Leiche des Rebellenführers. Es wirkte beinahe, als würde er aus einem Traum erwachen. Er hob seine Hand und wimmerte erneut, als er das Messer in seinen Fingern sah. Sofort liess er die Mordwaffe fallen. Es klirrte, als das Metall auf Stein traf.
Fahrig versuchte der Mörder das Königsblut von seinen Händen an seinem Hemd abzuwischen.
Mile konnte den Blick nicht von dem Königsmlörder abwenden. Wieder flüsterte er: »Warum?«
Tränen kullerten über die runzlige Haut des Schnitzers, als dieser antwortete: »Non lo so.«
Geppetto sah auf. Er blinzelte. Er schüttelte den Kopf. Wieder blickte er in Drosselbarts aschfahles Gesicht, als könnte er nicht fassen, was er da sah...
Mile unterdrückte den Würgereiz.
Drosselbarts Lippen waren aufgesprungen. Wie oft hatte er panisch nach Luft geschnappt, als das Blut in seine Luftröhre gelaufen war? Die Augen des Königs, die früher mit so viel Wärme und Güte erfüllt gewesen waren, starrten nun ausdruckslos und leer ins nichts.... Verlassen. Seine Seele war weitergezogen. Wenn sein Körper geheilt war, würde sie zurückkehren, doch wie lange würde das dauern? Jahre? Jahrzehnte? Jahrhunderte?
Auf einmal brannte bei Mile die Sicherung durch. Er begann zu lachen. Ein irres, hässliches, grausiges Lachen. Er konnte nicht aufhören. Er konnte dieses obszöne Gelächter nicht unterdrücken. So lachte er weiter. Und weiter.
Er lachte, bis endlich Hilfe kam und ihn wegbrachte. Weg...
Seine Hilfe bestand aus Sabrina und Red.
Plötzlich hatten sich viele Leute um des Königs Leiche versammelt. Sie weinten. Sie schwiegen. Sie waren wie gelähmt.
Die Suche nach dem verlorenen König war vorbei. Man hatte ihn gefunden. Nur zu spät...
Irgendwann lag Sabrina in Falks Armen und Red in seinen. Dann hielten sie sich alle gegenseitig fest...
Mile wusste nicht, wie ihm geschah. Er fühlte sich wie ein Beobachter. Als wäre er aus seinem Körper gesprungen, um sich selbst bei Trauern zuzusehen.
Irgendwann brachte man sie weg von dem roten Meer, das sich vor den Waldgärten von Wyr aufgetan hatte. Mile wusste nicht, wer sie wegbrachte, nur, dass man ihn von dem Schreckensort wegführte. Kurz wehrte er sich, doch dann liess er es geschehen.
Sie wurden weggebracht, weg von dem Toten. Dem König, dessen goldene Krone nun wie ein Goldschatz am Grund des roten Meeres lag...
Red hielt ihn, denn beinahe wäre er umgeknickt. Ach ja... Sein Knöchel tat wieder weh...
Doch der physische Schmerz war nichts im Vergleich zu der Trauer, die sein Herz in tausend Stücke zu zerreissen schien...
Aber trotzdem musste Red ihn stützen. Sein Knöchel tat weh...
Red. Red bedeutete rot. Blut war rot...
Miles Lachen wurde zu einem Schluchzen. Ja, er hatte die ganze Zeit vor sich hingekichert. Das wurde ihm jedoch erst bewusst, als der grausige Lachanfall von der Trauer übermannt wurde. Wieder weinte er, doch dieses Mal weinte er nicht alleine. Sabrina weinte ebenfall. Red weinte mit ihm. Die Rebellen weinten.
Milliarden Tränen würden diese Nacht fliessen.
Drosselbart war tot... Niemand schien das begreifen zu können oder zu wollen...
Mile fühlte sich schrecklich. Es war, als würde sich sein Herz gleichzeitig zusammengezogen und zerrissen werde. Implosion und Explosion im selben Moment...
In seinem Kopf vermischten sich die Echos der Erinnerungen zu einem schrecklichen Chor. Rumpelstilzchens Lachen, des Königs letztes Röcheln, Reds Wimmern und Geppetto, der immer wieder das gleiche schrie.
»Non lo so. Non lo so. Non lo so. Non lo so...«
Ich weiss es nicht.
Wieso hatte er gemordet?
Wieso war dieser wundervolle Mensch tot? Wieso hatte der gütige, warmherzige König sterben müssen?
Was würde nun aus den Rebellen werden?
Ohne Drosselbart. Ohne ihren Rebellenführer?
Wieso?
Heute Nacht wird ein König sterben...
In dieser Nacht war ein König gestorben.
Warum?
Mile hatte niemandem von Rumpelstilzchen erzählt. Er war ein Lügner.
Mile hatte gegen das Glück verloren. Er hatte Pech.
Mile hatte nicht auf den König aufgepasst. Der König war tot!
Alle guten Dinge sind drei?
Nichts war gut.
Mile hatte nicht gut genug aufgepasst! Er hatte doch gewusst, dass in dieser Nacht ein König sterben könnte! Er hatte es gewusst! Er war gewarnt worden!
Der Tod hatte sich eine neue Seele geholt. Wie viele würde er noch holen kommen, bis dieser Krieg endlich zu Ende sein würde?
Die Dunklen hatten so viele auf dem Gewissen.
Die Dunklen würden so leiden müssen!
Königsmörder! Königsmord...
Heute Nacht wird ein König sterben...
In dieser Nacht war ein König gestorben.


------------------------

Hallo liebe Leser,

Dieses Kapitel zu schreiben... war anders... Okay, ich habe ja schon andere Figuren ermordet, aber hier war das schon etwas... niaaaaaaa... krass...
Hat weh getan. Und Geppetto ist mein Mörder! Hätte niemand von euch erwartet, oder?! (WILDE SPEKULATIONEN SIND PRAKTISCH OBLIGATORISCH!) xD
Ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen.

Bitte schreibt mir, wie ihr das Kapitel so fandet. Zu viel Blut? Ich will's eigentlich nicht übertreiben, aber man muss ja schon der Wahrheit treu bleiben. Und so ein Mensch hat halt schon ziemlich viel Saft in sich und...

*räusper*

Lassen wir das.

Okay, hier noch etwas fröhlicheres:
Vl_Supergirl hat da so 'ne Aktion gestartet. Eine Art Advents-Buch. Da kann man sich anmelden und dann eine Weihnachtsgeschichte für einen literarischen Adventskalender beisteuern. Lest die ganzen Regeln noch mal bei ihr nach, dieses Kapitel ist ihr gewidmet! Ist echt 'ne richtig coole Sache.

Okidoki, dann noch ein letzter Punkt:
Nächstes Kapitel – Bonnie und Theodor!
Jap, ich weiss. Beschissener Cliffhanger, aber es muss sein, weil ich sonst ein Problem mit meiner Zeittafel habe. Die guckt mich schon die ganze Zeit so böse an. So à la »Dreamy! Jetzt sind schon ewig die zwei anderen Dödel wieder an der Reihe! Gopfredli! Bisch du birreweich im Hirni?!« Ja, meine Zeittafel kann Schweizerdeutsch.

*räusper2.0*

Tja, aber jetzt wünsch ich euch noch 'nen schönen Tag! (Seid bitte nicht allzu traurig wegen Drosselbart! Hab irgendwie ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn gekillt habe...)

So und jetzt scrollt ihr wieder hoch und hört euch 'I bet my life' von den obergenialcoolen Imagine Dragons an. :3

So, bevor ich es zum sicher 10. Mal vergesse: DANKE! Fürs Lesen und Voten und (vor allem) fürs Kommentieren! Ach, Followen nicht vergessen! Alter Falter, das ist sooooooooooo viiiiiel! Also Reads und all das! Ich klebe an der Decke! Danke euch allen! Das muntert mich immer so auf! Scheiss Chemienote? Kann mich nicht mehr runterziehen! (Katsa, hier wird von dir ein Kommentar verlangt, damit wir uns beide über unsere Dummheit aufregen können xD) Okay, nur dass so ein *#!!?"¦+#=*^ gestern mein Fahrrad geklaut hat, zieht mich runter.
Trotzdem: Ihr Leser versüsst mir mein Leben und spornt mich immer weiter an! Danke dafür! *w*

Ach ja: Falls da gerade durch Zufall der Mensch vor dem Schirm sitzt, der gestern (07.11.14) mein Fahrrad (silbern und stand vor den blauen Pavillon der Kanti) geklaut hat... Ich hasse dich. Arsch. Ich. Dich. Hassen. Du bist echt so ein Assi. Wegen dir habe ich jetzt wieder Dauerkriese mit meinen Erzeugern. Und ich muss jetzt mit dem ollen Dratesel meines Vaters rumfahren. Da fliegt alle drei Meter der Gang raus und mich haut's auf die Schnautze! Ausserdem war mein Rad teuer und ich habe kein Geld. ZU TEUER UM IN 'NEM FLUSS ZU LANDEN! Wehe, wenn du es in irgenein Gewässer geworfen hast. Denn ich werde dich jagen. Bis ans Ende der Welt. Und dann werde ich dich auf den Gepäckträger von Papas Kackfahrrad schnallen, in den 10 Gang (falls es den hat und dabei nicht das ganze Klapperding drauf geht) schalten und deine Hackfresse auf den Hinterreifen drücken, der mit (wie schnell ist ein Fahrrad bei Höchstgeschwindigkeit?) 7027587257802058075,00001 km/h (MIR SCHEISSEGAL, DASS NICHTS SCHNELLER ALS LICHT SEIN KANN) rotiert. Du wirst schlimmer aussehen als Lord Voldemord oder Anakin Skywalker (ohne Maske), wenn ich mit dir fertig bin. Versprochen <3
Wie gesagt, du bist ein Arsch. Ja, Arsch. Ich will mein Fahrad zurück.
An die unschuldigen, armen Leser, die meinen Gefühlsausbruch miterleben mussten: Sorry, aber ich bin stinkehackesauer!
Falls da gerade ein fremder Fahraddieb mein Zeug liest: Du bist auch ein Arsch.
Einatmen, ausatmen. Okay, alles wieder gut.

So, man schreibt sich ;P

Vielen Dank fürs Lesen!
Liebe Grüsse,
Eure Dreamy :)

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