🌊Der Stern des Meeres🌊*Watt...

Von Thyrala

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1601: "Die See ist nichts für Feiglinge!" - Lorena bekommt nichts geschenkt, aber das macht sie stark. Sie be... Mehr

Personenverzeichnis
Vorwort
Schiffbruch
Gestrandet
Ein neues Leben
Gefährliche Wattwelt
Das Gold der Uthlande
Der Blanke Hans
Schicksal
Der Gast
Eilien
Unterricht
Matt
Der Luftgeist
Absturz
Zehn Tage
Die Strafe
Aussprache / Amrum
Freunde
Strandjer
Pläne
Ein Geheimnis
Abschied
Sehnsucht
Bleiben oder gehen
Abfahrt
Leinen los!
Von Bilge und Back
Der Quartiermeister
Von Gesangbuch und Knoten
Hoch hinaus
Gegenwind
Der Teufel an Bord
Die schwarze Liste
Durchhalten
Der Geist
Kräftemessen
Waffenstillstand
Atempause
Rivalen
In geheimer Mission
Der Schwur
Von Kanonen und Schwarzpulver I
Von Kanonen und Schwarzpulver II
Mann gegen Mann
Gerrit
Drill und Seepest
Türkisblau
Hitze
Vorzeichen
Im Auge des Sturms I
Im Auge des Sturms II
Der neue Navigator
Konfrontation

Hindernisse

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Von Thyrala

Das „Was" war nun besprochen, nun fehlte noch das „Wie"; alle schienen in tiefes Nachdenken versunken. Janko kratzte sich am Kinn, Roluf rieb sich versonnen die Nase, Ove kaute auf der Unterlippe herum, Sjard starrte zur Decke, als stünden dort Antworten geschrieben. Und Lorena besah sich eingehend ihre sauber geschrubbten Hände. Man sah ihnen an, dass sie zupacken konnten, die Schwielen ließen die Finger dicker erscheinen, als sie tatsächlich waren, und selbst im Winter hatten sie nur wenig von ihrer Bräune verloren. Nein, ihre Hände würden sie nicht verraten.

Von draußen drangen die Rufe verschiedener Seevögel herein; auch der rhythmische Wellenschlag, der stetig gegen das Ufer der Hallig brandete, war deutlich zu vernehmen. Immer mehr erhellte sich der Raum, die Sonne war gestiegen und schickte ihre Strahlen ins Haus. Es ging auf Mittag zu.

„Wir müssen einen Namen für dich finden", sagte Janko unvermittelt.

Nach einer kleinen Denkpause kamen die ersten Vorschläge: „Rik?" – „Tade!" – „Nee, Pidder!" – „Jens!" – „Timo!"

Lorena hielt derweil die Augen geschlossen, lauschte dem Klang der Namen nach. Beim Letztgenannten hob sie die Hand und rief: „Timo! Der gefällt mir am besten!"

„Joh, mir auch", fand Roluf. Die anderen nickten zustimmend.

Lorena überlegte laut: „Und der Nachname? Auf einer Hallig gibt es eine Familie namens Lornsen, ich finde, das klingt fast wie Lorena, den kann ich mir wenigstens merken." Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Ja, so werde ich mich nennen: Timo Lornsen!"

„Passt!" – „Sehr gut!", riefen die Freunde. Zufrieden lehnte sie sich zurück. Auch das war nun geregelt.

Sjard stieß Roluf mit dem Ellbogen in die Seite. „Verplapper' dich bloß nicht!"

„Heißt das, ich quatsche zuviel?", beschwerte sich Roluf und zog einen Flunsch.

„Dafür schweigt Janko umso lieber", frotzelte Ove.

„Und du brummst meistens vor dich hin", gab Janko Kontra.

Lorena kicherte, wurde aber schnell wieder ernst. Ihr war gerade eine Idee gekommen. Sie sprang auf und sagte: „Ich möchte noch etwas ausprobieren, bin gespannt, was ihr dazu meint!"

Sie verschwand in ihr Zimmer, kleidete sich um. Als sie nach einer Weile zurückkehrte, hatte sie sich in den Schiffsjungen Timo Lornsen verwandelt. Sie drehte sich zweimal um die Achse und breitete die Arme aus. „Na, wirke ich glaubhaft? Aber ich sollte wohl noch einen dritten Leinenstreifen umbinden, dann hält alles sicher."

Die verblüfften Gesichter der Freunde waren zum Malen.

Sie amüsierte sich köstlich über die Wirkung. Sie hatte nämlich mehr getan, als nur in Hemd und Hose zu schlüpfen.

Roluf fand als erster seine Sprache wieder. „Wat? Seit wann hast du 'nen Bart??", fragte er entgeistert.

„Wie hast du das denn gemacht?", staunte auch Janko.

„Reiner Zufall. Gestern Abend habe ich mich mal von der Seite im Spiegel betrachtet ... also, auf der Oberlippe habe ich einen hellen Flaum. Da dachte ich mir, warum den nicht dunkler färben? Ich probierte es mit Asche, nun erscheinen die Härchen ein bisschen dunkler ... das sieht ganz passabel aus, finde ich."

„Da darfst du dich bloß nicht mehr waschen", gab Sjard sogleich zu bedenken.

„Dann hab' ich mich halt rasiert", sagte Lorena kichernd.

Sjard schüttelte den Kopf. „Och, das wird schon gehen. So streng guckt keiner drauf."

„Es soll ja nur ein bisschen aussehen, als ob", sagte Lorena. „So ab und zu ..."

„Joh, das muss ausreichen", entschied Janko.

Roluf deutete mit dem Zeigefinger auf den Rubin, der nach wie vor auf dem Tisch lag. „Aber was ist damit? Nicht, dass der flöten geht ... lass ihn bloß nicht im Seesack stecken, wer weiß, ob Langfinger an Bord sind. Und um den Hals hängen würde ich ihn mir auch nicht, der ist zu wertvoll für einen Moses, den darf niemand sehen."

„Daran hab' ich schon gedacht", sagte Lorena und klopfte sich auf die Brust. „Hier. Unter den Leinenstreifen werde ich ihn befestigen, so kann er nicht rausrutschen, selbst wenn ich mal schwimmen muss!"

Sjards breites Grinsen zeigte ihr, dass dieses Versteck ein guter Einfall war.

Sie grinste zurück. „Ich werde jedem auf die Finger hauen, der sich an mir vergreift!"

„Vor allem dort!", neckte Ove.

Janko richtete sich auf und machte eine weitausholende Geste. „Fällt euch noch irgendwas ein, was noch besprochen werden sollte, Jungs? Also, ich für meinen Teil habe keine weiteren Fragen oder Ideen."

Die Freunde sahen einander fragend an und schüttelten die Köpfe.

„Ich wüsste jetzt auch nichts mehr ...", sagte Lorena. „Ich muss mir nur noch darüber Gedanken machen, wie ich es Iwe und Eilien am besten beibringe."

Janko kniff die Augen zusammen. „Nicht lange drumherum reden. Du weißt, wir Friesen hassen Geschwafel."

„Besonders du, ich weiß", erwiderte sie und zwinkerte ihm zu. „Aber das hatte ich auch nicht vor. Ich will nur nicht undankbar erscheinen."

„Du hast wichtige Gründe, die nicht von der Hand zu weisen sind. Mach' dir mal keinen Kopf drum", sagte Janko mit Nachdruck.

„Tja, dann ... noch ist Ebbe, wir müssen einen bisschen laufen, bevor die Flut wieder einsetzt", verkündete Sjard und erhob sich. „Ich will noch zum Kniephafen, mich umhören, wann genau wir in See stechen."

Sie stand gleichfalls auf. „Und ich werde meine sieben Sachen zusammenpacken."

Bevor die Freunde, mit dem Booten im Schlepptau, loszogen, verabredeten sie, nach drei Tagen wiederzukommen, um Lorena abzuholen, damit sie rechtzeitig für die Musterung zur Stelle war.

Das Watt schimmerte im Sonnenlicht, und Lorena sah ihnen nach, bis ihre Gestalten am Horizont verschwanden. Sie erfüllte ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit. Der erste Schritt war getan.


Noch rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit kehrten Iwe und Eilien zurück. Ein Blick ins freudestrahlende Gesicht der Freundin verriet Lorena, dass wohl alles zum Besten stand. Iwes Augen leuchteten voller Stolz. Eilien hatte ein neues Leben als angesehene Ehefrau des künftigen Salzvogts vor sich, während Iwe sich zugutehalten konnte, seiner Tochter eine vielversprechende Zukunft gesichert zu haben. Bald würde er sicherlich Großvater werden und dann mit seinen Enkeln beschäftigt sein. Im Hinblick darauf würde ihnen der Abschied gewiss leichter fallen; trotzdem rechnete sie mit einigem Widerstand. Ihre Absicht, als Junge verkleidet zur See zu fahren – das war ein Ding der Unmöglichkeit, wenn nicht gar eine Schande in ihren Augen! Sie musste sich zusammenreißen, um ihre Unruhe zu verbergen und den passenden Augenblick abzuwarten.

Nachdem die Einzelheiten für das bevorstehende Hochzeitsfest sowie die Aussteuer besprochen worden waren und sie gemütlich noch ein wenig in der guten Stube beisammensaßen, wagte es Lorena, ihren Plan zu offenbaren und erklärte zum Schluss: „Es ist die einzige Möglichkeit, das Geheimnis meiner Herkunft zu lüften, versteht ihr? Meine Freunde und ich haben alles gründlich überlegt."

Wie befürchtet, beschwor Eilien sie himmelhoch, im Schutz ihres Vaters, desgleichen Sieverds zu verbleiben; Iwe warnte sie vor dem schweren Dienst auf dem Handelsschiff. Es sei eine Schufterei, besonders, wenn der Kapitän ein gnadenloses Kommando führte. Auf See war er derjenige, der gleich nach dem lieben Gott käme. Man müsse einen ungefährlicheren Weg finden, ihre Familie ausfindig zu machen.

Als Lorena aber erwähnte, welch grauenhafte Gefahr ihr drohte, nämlich eines Tages in den Deich vermauert zu werden, da gab Eilien einige Schluchzer von sich, und Iwe wurde still. Ganz still. Nach einer Pause gab er sich einen Ruck und sagte: „Das sind triftige Gründe, das sehe ich ein. Es geht um dein Leben! Du bist ein freier Mensch, Lyka, tue, was du tun musst. Dir stehen treue Freunde zur Seite, da habe ich keine Sorge. Darum geh' – und du darfst jederzeit zurückkommen, meine Tür steht dir immer offen!"

Tief gerührt über dieses warmherzige Angebot, hatte Lorena ihn spontan umarmt. Iwe war wirklich wie ein zweiter Vater zu ihr!

In dieser Nacht schlief Lorena tief und fest in dem glücklichen Wissen, alles geklärt und geordnet zu haben. Die große Reise konnte beginnen!

Aber sie hatte sich zu früh gefreut. Gleich am nächsten Tag stand sie vor einem ernsten Problem, für das sie bereits eine gute Lösung gefunden zu haben glaubte. Sie konnte sich den Kopf zermartern, soviel sie wollte, aber der erhoffte Geistesblitz blieb aus. Wieder einmal blieb nur, auf die Mithilfe der Freunde zu hoffen. Und es musste schnell geschehen. Sie zählte die Stunden bis zum Wiedersehen.


An ihrem letzten Tag auf Süderoog war der Himmel wolkenverhangen, trübe grüne Wellen rollten am grasbewachsenen Ufer der Hallig aus. Am Steg dümpelten zwei Flachboote. Noch waren sie unbeladen.

Sie hatten sich auf dem Grasfeld vor dem Haus versammelt: Lorena, Janko, Ove, Sjard und Roluf; diesmal war auch Eilien dabei. Iwe befand sich auf herzoglichem Befehl unterwegs auf einer Kontrollfahrt. Er sollte Strandgut sicherstellen, und so hatte er schon gestern Lorena Lebewohl gesagt. „Vergiss uns nicht, so wie wir auch dich niemals vergessen werden", waren seine Abschiedsworte gewesen.

„Hast du alles fertig gepackt?", fragte Janko. „Übermorgen stechen wir in See."

Ich bin soweit fertig", erwiderte sie, mit einer Betonung auf das Wort ich. Aber die Freunde hatten es nicht wahrgenommen. Da musste sie wohl deutlicher werden.

Seine Blicke wanderten an ihr herauf und herunter. „Du trägst schon Hemd und Hose, sehr gut! So können wir dich gleich mitnehmen. Nur der Bart fehlt noch ... Timo." Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen.

Sie grinste ein wenig. „Hab' mich gerade rasiert, ich muss doch ordentlich aussehen."

„Ha, nicht mein Problem", sagte Ove und kraulte sich den Vollbart.

Das war das Stichwort! Lorena gab sich einen Ruck und sagte in gedehntem Ton: „Hm, ja, da gibt es noch etwas ...", und machte eine bedeutungsvolle Pause.

Sjard horchte als Erster auf. „Jaa? Dann sag's schnell, wir haben nicht mehr viel Zeit!"

Sie tat ihm den Gefallen und sprach alles aus, und das schnell. Als sie geendet hatte, blickte sie, wie befürchtet, in teils ungläubige, teils ablehnende Gesichter.

„Waas? Huhn?", fragte Sjard und starrte sie an, als sei sie irre.

„Huhn?", echote Roluf.

„Huhn!", bestätigte Lorena nachdrücklich und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie war kampfbereit.

Der härteste Brocken war natürlich Janko.

Er widersprach vehement: „Deine Fenja auf das Schiff mitnehmen? Bist du verrückt? Sie landet früher oder später im Topf! Der Koch wird sich freuen!"

„Ich habe keine Wahl", verteidigte sie ihr Ansinnen. „Sie lässt sich einfach nicht abwimmeln. Ich will ja auch, dass sie bei ihren Küken bleibt, bei Eilien hat sie es gut."

„Sie hat Küken? Um diese Jahreszeit?", fragte Roluf fast fasziniert. „Dafür ist es eigentlich noch zu kalt, oder?"

Lorena musste schmunzeln. „Sie hat das sozusagen vorverlegt. Der Hahn konnte ihr wohl nicht widerstehen. Im Stall haben wir eine Ecke mit viel Stroh ausgepolstert, dort hat Fenja dann gebrütet." Dann wurde sie wieder ernst. „Es könnte alles so schön sein – aber egal, wie sehr ich ihr zurede, oder Eilien sie streichelt und verwöhnt – sie will nicht, sie fliegt mir immer nach und trauert. Seit gestern hat sie aus Protest nichts mehr gefressen und sitzt meistens stur oben in ihrem Lieblingsbaum. – Gut, dass die Küken fast groß sind, und sich die anderen Hennen um sie kümmern." Sie hob die Schultern. „Was soll ich tun? Sie stirbt so oder so vor Trauer, wenn ich sie zurücklasse. Ich muss das Unmögliche wagen."

Sjard hob abwehrend beide Hände. „Nun mal langsam. Woher ‚weiß' Fenja überhaupt, dass du fortgehst? Jetzt erzähl' bloß nicht, sie könne auch noch sprechen!"

„Ich gebe zu, das ist schwierig zu erklären ...", sagte sie langsam. „Aber ich will's versuchen. Es fing damit an, dass Fenja so anhänglich wurde, mir immer nachgelaufen kam. Ich begann mit ihr zu sprechen, als sei sie ein Mensch. Es schien, als könne sie mich verstehen, das brachte mich auf die Idee ..."

Mit Staunen erfuhren die Freunde, dass Lorena ihrem Huhn bestimmte Wörter beigebracht hatte, die sie mit den jeweiligen Handlungen verknüpfte.

„Sobald ich zu ihr ‚Adjis, leew Fenja' sage, dann weiß sie, dass ich das Haus verlasse und für längere Zeit unterwegs bin, im Watt etwa. Dann wartet sie solange, anstatt mich überall zu suchen. Dummerweise habe ich, während ich mit dem Packen beschäftigt war, genau diesen Satz zu ihr gesagt. – Ach, warum hatte sie genau in diesem Moment ihr Nest verlassen und war in mein Zimmer gelaufen? Kaum hatte sie das Durcheinander gesehen, fing sie sofort an, aufgeregt zu gackern ... und so war es passiert."

„Was, da liegen Sachen herum und sie fängt prompt an zu gackern?", fragte Roluf verständnislos.

Sie seufzte. „Nicht nur das. Sie hat anscheinend die gedrückte Stimmung im Haus gespürt, Eilien hatte geweint ..."

Wie zur Bestätigung schniefte Eilien etwas, und flugs drehten sich die Köpfe zu ihr herum. Ihre rotgeränderten Augen sagten alles.

Janko räusperte sich. „Hm. Das ist aber wirklich ein Problem mit deiner Fenja! Nicht genug, was wir alles anstellen müssen, dass du als Junge anheuern kannst, nein, Fenja muss auch mit. Wie soll man sie verkleiden? Als Muff für kalte Tage?"

Ove prustete. „Nö, als Leichtmatrose!"

„Fenja ist federleicht, das haut hin", ergänzte Lorena und musste kichern. Fenja als Matrose, was für eine drollige Vorstellung!

„Es werden sowieso immer eine Anzahl Hühner für die Verpflegung mit an Bord genommen. Bloß ist Fenja mit ihrer hübschen weißen Borte richtig auffällig. Schön blöd", versetzte Roluf und machte ein bekümmertes Gesicht.

Sjard blieb wie immer sachlich und sagte: „Tun wir mal so, es ist beschlossene Sache. Wie kommt Fenja überhaupt aufs Schiff? Und wo kann sie überhaupt hin?"

Da zuckten Jankos Mundwinkel, seine Brauen schossen in die Höhe. „Im Seesack!", verkündete er laut. „Da müssen natürlich vorher noch Löcher rein, damit Fenja nicht erstickt."

„Ich hab noch einen übrig!", meldete Roluf sogleich. „Den wollte ich Lyka geben, aber da kommt jetzt Fenja rein. Lykas Sachen verteilen wir in unsere Seesäcke, soviel Kram haben wir ja nicht dabei, oder, Jungs?"

Die Freunde schüttelten die Köpfe.

Sjards finstere Miene hellte sich plötzlich auf. „Ich hab's! Wir bringen Fenja in die Bilge, dort hält sich kein Mensch freiwillig auf, dort stinkt's."

„Was ist eine Bilge?", fragte Lorena zurück.

„Das ist der unterste Raum oberhalb des Kiels", erläuterte Sjard, „vollgepackt mit schweren Steinen und anderem Ballast, die das Schiff im Gleichgewicht halten; dort sammelt sich natürlich einiger Abfall, dazu Wasser, das bei Seegang hereinläuft oder von oben durch die Decks sickert."

Sie verzog angewidert das Gesicht. „Und in dieses Loch soll meine Fenja hin??"

Sjard hob beschwichtigend die Hand. „Nur vorübergehend, bis wir etwas Besseres gefunden haben. Zumindest dann, wenn wir in See stechen ... vielleicht noch ein paar Tage danach ... aber lass mich erst einmal zu Ende denken. Also: regelmäßig werden die Schiffsjungen – so wie Roluf und mich auf unserer ersten Seefahrt – hinuntergeschickt zum Auspumpen und zum Säubern der Bilge, damit die Pumpe nicht verstopft, sonst saufen wir ab. Am Gestank stirbt man nicht. – Aber für Fenja ist es da unten erst einmal sicher. Vielleicht hat sie keinen Geruchssinn wie wir, da ist es nicht schlimm für sie."

Janko lachte plötzlich auf. „Dreimal darfst du raten, Lyka, wer dann öfters zum Auspumpen hinunter geht? – Du natürlich, du bist ja der Moses und hast den Job!!"

Die Freunde grölten. Aber das klang keineswegs schadenfroh.

„Ach ja?!", sagte Lorena und wollte weiterhin die Nase rümpfen, aber dann lachte sie mit. „Na, das ist doch die beste Gelegenheit, Fenja öfters zu sehen, sie zu füttern! Sjards Vorschlag ist gar nicht so schlecht. Und ich werde die Bilge dermaßen scheuern, dass es unten riecht wie nach Rosen!"

„Das lass mal lieber sein, sonst hast du die halbe Mannschaft da!", warnte Roluf. „Also meine Meinung dazu ist: Im Unterdeck gibt es verschiedene Lager – für den Trockenproviant, die Segel, die Handelswaren, die Fässer mit Trinkwasser und Wein, sowie natürlich für das Pulver, und in irgendeinem dieser Räume wird Fenja schon unterkommen können. Bei der letzten Fahrt führte ich mal die Aufsicht über alle Decks, vielleicht kriege ich den Posten ja ein weiteres Mal."

„Und damit sie nicht herumfliegt, muss sie – wenigstens zeitweise - in einen Hühnerkäfig, davon stehen genügend auf dem Schiff herum ... sobald wir an Bord gegangen sind, leihe ich mir einen aus", fügte Sjard hinzu. „Und Lyka ... sieh' zu, dass du zum Küchendienst eingeteilt wirst, dann darfst du in die Vorratslager und hast so immer einen Vorwand, dich in den Unterdecks aufzuhalten; dort kannst du Fenja freilassen. Wir Seeleute haben oben alle Hände voll zu tun, so schnell merkt niemand etwas."

Lorena griff sich verzweifelt den Kopf. „Hm, das könnte gelingen. Obwohl ... das gefällt mir alles nicht! Ein Schiff ist kein Ort für Fenja, das seh' ich selber ein. Wie gerne würde ich sie bei Eilien lassen – aber ohne mich geht sie ein!"

Janko versuchte sie zu trösten: „So wie du Fenja bisher geschildert hast, ist sie sehr anpassungsfähig. Vielleicht findet sie selber einen geeigneten Platz auf einen der Decks!"

Sjards Brauen zogen sich zusammen, in seinen Augen blitzte es auf. „Sie ist ja ein außergewöhnlich hübsches Tier. So schnell vergreift sich niemand an ihr; falls sie entdeckt wird, kann ich beim Schipper immer noch ein gutes Wort einlegen."

„Schipper?"

„Ein anderer Name für Kapitän; er führt den alleinigen Befehl über das Schiff."

Lorena stutzte. Der Kapitän kommt gleich nach dem lieben Gott, hatte Iwe gesagt. Fast aufgeregt bestürmte sie ihn: „Der würde Fenja schützen?? Kennst du den Schipper etwa?"

„Ein wenig." Sjard blinzelte. „Deshalb habe ich – also wir – auf seinem Schiff wieder angeheuert. Maarten Bakker heißt er. Warten wir erst einmal ab." Er schlug seine Augen nieder und sah nicht wieder auf.

Sie verstand. Er wollte vorerst nicht mehr angesprochen werden. Sie wechselte einen Blick mit Eilien. Die meldete sich zu Wort: „Ich kenne Fenja, sie ist das dickköpfigste – und auch klügste – Tier, was mir je begegnet ist. Und ich glaube auch, dass sie nach Lykas Fortgang eingehen wird; da nehmt ihr sie doch lieber mit! Ich habe auch schon einen passenden Käfig aus Weiden für sie gefertigt, so könnt ihr sie gleich mitnehmen; Futter gibt's natürlich auch dazu."

Janko kratzte sich nachdrücklich den Kopf. „Hm, na gut – aber Fenja darf keinesfalls gackern, wenn wir aufs Schiff gehen! Wie stellen wir's an, damit sie ruhig bleibt?"

Ove hob den Arm. „Ich wüßte da was ... bei uns auf Föhr gibt's 'ne Heilerin, von ihr habe ich mal Schlafmohn bekommen, wegen einer Verletzung, sie hatte mich zusammengeflickt. Nun, ein winziges bisschen davon, und Fenja schläft friedlich durch."

„Hoffentlich nicht für immer!", meinte Lorena besorgt.

„Natürlich erkläre ich ihr, dass es für ein Huhn bestimmt ist, damit sie die richtige Dosis bemißt! Und wir tun's auf ein oder zwei Körnchen ... und dann abwarten." Oves Augen strahlten.

„Aber ihr auch den Schnabel zubinden, solange, bis die Luft rein ist", schlug Roluf vor.

Meine geliebte Fenja in der Bilge, dachte Lorena. Ist das nicht Quälerei? Sie hob die Achseln und sagte seufzend: „Es hilft wohl alles nichts – wir müssen es riskieren."

„Dann ist es abgemacht", beendete Janko die Diskussion.

Sie holte tief Luft. Auch dieses Problem war – vorerst – gelöst. „Ich danke euch allen", sagte sie bewegt, „dafür, dass ihr mich bei allem so sehr unterstützt!"

Sjard nickte vielsagend. „Das ist noch gar nichts. Du ahnst nicht, worauf du dich da eingelassen hast."

Sie legte den Kopf schräg und gab zurück: „All das ist besser, als zwischen Kleie und Steinen im Deich elendig zu ersticken!"

„Da muss ich dir allerdings recht geben, und deshalb ..."

„... gehe ich jetzt und hole Fenja", beendete Lorena seinen Satz und machte sich auf zum Hühnerstall, Eilien hinterdrein.

Beim Abschied blieb Eilien gefasst. „Ich wünsche dir alles Glück der Welt und Gottes reichen Segen!", sagte sie.

„Ich komme wieder! Ich vergesse euch niemals, egal, was geschieht", versprach Lorena und sah ihr tief in die klaren blauen Augen.

„Adjis, leew Lyka", sagte Eilien und drückte sie fest. Eine Weile standen sie eng umschlungen, dann wandte sich Lorena ab und stieg ins Boot, wo die Freunde warteten. Der Käfig mit Fenja stand zwischen den stämmigen Beinen von Ove festgeklemmt, die Weidenstäbe drückten sich in seine Waden. Er schien fest entschlossen zu sein, das ihm Anvertraute mannhaft gegen jede Welle zu verteidigen.

Auf der Hinterbank sitzend, blickte Lorena noch lange zurück und winkte Eilien, bis sie nicht mehr zu sehen war. Zügig fuhren sie an der Insel Strand vorbei, kehrten dem roten Backsteinturm von St. Salvator den Rücken und hielten auf Föhr zu, wo Ove zuerst aussteigen wollte, um noch etwas Wichtiges zu besorgen.

Den Schlafmohn für Fenja.



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