SLOWTOWN

De agustofwind

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❝While I'm doing my time due to circumstance, cross that bridge, face the consequence.❞ Sie arbeiten so gut z... Mais

EPIGRAPH ㅡ slowtown
PROLOG ㅡ the existential importance of slowtown for jeon jeongguk
KAPITEL EINS ㅡ the korean job
KAPITEL ZWEI ㅡ long island getaway
KAPITEL DREI ㅡ camilla
KAPITEL VIER ㅡ brother
KAPITEL FÜNF ㅡ kiss the blood off my hands
KAPITEL SECHS ㅡ cittàlenta
KAPITEL SIEBEN ㅡ the prodigal son
KAPITEL ACHT ㅡ addio
KAPITEL NEUN ㅡ the end of a friendship
KAPITEL ZEHN ㅡ speakeasy
KAPITEL ELF ㅡ birthright
KAPITEL ZWÖLF ㅡ the unholy trio
KAPITEL VIERZEHN ㅡ a ghost of christmas past
KAPITEL FÜNFZEHN ㅡ the calm before the storm
KAPITEL SECHZEHN ㅡ sic semper tyrannis
KAPITEL SIEBZEHN ㅡ slowtown
EPILOG ㅡ the existential importance of slowtown for kim taehyung
GOODBYE ㅡ leave the city

KAPITEL DREIZEHN ㅡ into that good night

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De agustofwind

Jeongguk war nicht geistesgegenwärtig genug, um dem Geschoss auszuweichen, das sich von Areums rechter Hand aus seinen Weg durch das Innere der Garderobe bahnte. Der Absatz des roten Lackstilettos traf ihn an der Schläfe und ein scharfer Schmerz explodierte in seinem Blickfeld, wodurch das letzte bisschen an apathischer Schläfrigkeit, die ihn zuvor eingelullt hatte, einem abrupten Adrenalinrausch weichen musste.

„Bist du bescheuert?" Er sprang von dem cremeweißen Sofa auf, den Schuh, der neben ihm auf die Kissen gefallen war, wie eine Waffe in seiner rechten Hand.

„Ich habe dich etwas gefragt, Jeongguk", gab Areum mit mühsam kontrollierter Stimme zurück.

„Zum letzten Mal, es ist mir scheißegal, ob du jetzt den Schuh von Versace, Chanel oder Was-Weiß-Ich-Was nimmst. Solange du ihn nicht verwendest, um Bonanno mit der scharfen Kante dieses Absatzes den Kopf abzutrennen, ist er für diesen Plan wirklich irrelevant." Er warf einen raschen Blick auf das Schuhwerk, mit dem Areum ihn beworfen hatte. Er war die Ausgeburt an Stillosigkeit; erbsengroße, rote Steinchen säumten den Absatz und brachen das Licht der Ankleide in so viele Fraktionen, dass ihm ganz schwindelig wurde.

Seine ältere Freundin stand in einem dunkelroten, steifen Kleid vor ihm, dessen Rock sich in einem Durchmesser von gut eineinhalb Metern auffächerte und presste sich eine Wasserflasche gegen die hochroten Wangen. Ihr Haar war ein zerzaustes Rabennest, das in alle Himmelsrichtungen abstand, und Jeongguk fragte sich, wie sie jemals hier fertigwerden sollten.

„Du bist überhaupt nicht hilfreich", sagte sie dann und ihre Stimme klang ungewohnt brüchig und hoch, als stünde sie kurz vor den Tränen. „Seokjin, was sagst du?"

Jeongguk wandte sich zu dem ältesten Kim herum, der auf demselben Sofa fläzte, von dem er gerade wutentbrannt aufgesprungen war und mit leeren Blick auf das Display seines Handys starrte. „Wie bitte?"

„Ich hasse euch wirklich." Sie sog tief die Luft ein, ehe sie die Hände in die Seiten stemmte. „Okay, raus. Ihr beide. Ich rufe Sora an und frage sie um Rat."

Jeongguk warf den Schuh auf das Sofa zurück und machte Anstalten, die breite Garderobe widerstandslos zu verlassen, während Seokjin sich um einiges weniger enthusiastisch erhob. Er öffnete die filigrane Holztür, hinter der die ausladende Garderobe der Boutique zu finden war und gerade, als er die Tür hinter Seokjin zuziehen wollte, hörte er Areum rufen: „Und zieht eure Anzüge an. Wenn ich mein Problem gelöst habe, erwarte ich, dass ihr mich vollkommen fertig an der Tür erwartet."

Als Antwort verdrehte Jeongguk seine Augen demonstrativ in ihre Richtung, ehe er die Tür hinter sich zuschmetterte, sodass sie in ihrer Rahmung bebte.

„Wo hat sie das Zeug noch mal hingetan?", seufzte Seokjin, während er sein Handy in seine Hosentasche gleiten ließ.

Anstelle einer Erwiderung deutete Jeongguk auf die zwei schwarzen Kleidersäcke, die einen halben Meter entfernt über eine Silberstange drapiert waren und Jeongguk zog den Sack von der Halterung, auf dem ein kleiner, weißer Zettel mit seinem Namen klebte. Seokjin tat es ihm gleich, und er bedeutete Jeongguk mit einem Nicken, ihm zu den weniger geräumigen Ankleiden auf der anderen Seite der Boutique zu folgen.

Das kleine Modehaus am Rande von Queens war schon seit eineinhalb Stunden für die Öffentlichkeit geschlossen, seit Areum mit zwei griesgrämig dreinblickenden jungen Männern und mehreren schweren Kleidersäcken im Gepäck über die Türschwelle getreten war. Offensichtlich war die Betreiberin der Boutique eine gute Freundin ihrerseits; denn die vierzigjährige Britin hatte sich sofort bemüht, die hysterische Areum in ihrer größten Umkleide unterzubringen, ehe sie den Laden für die wenigen Kunden, die sich um neunzehn Uhr noch in diesem menschenleeren Viertel herumtrieben, geschlossen hatte.

Im Augenblick stand sie hinter der Kasse und machte die Tagesabrechnungen; und als Seokjin und Jeongguk sie passierten, hob sie kurz den Kopf und nickte ihnen zu, ehe sie sich wieder in ihre Arbeit vertiefte. Vor den Fenstern des Modegeschäfts war die winterliche Nacht über die Backsteingebäude Queens hereingebrochen – die längste Nacht des Jahres, die sich zusätzlich mit einer klirrenden Kälte assoziiert hatte. Die gegenüberliegenden Häuser trugen Weihnachtsbeleuchtung und Jeongguk wurde wieder einmal bewusst, dass es nur noch drei Tage bis Heiligabend waren.

Er war ohnehin niemand, der Weihnachten eine allzu große Bedeutung beimaß, aber dieses Jahr hatte sich der Feiertag so überraschend an ihn angeschlichen, dass er von seinen Vorboten, namentlich der Weihnachtsbeleuchtung, jedes Mal aufs Neue überrascht war.

Seokjin war hinter der Tür der ersten Ankleide verschwunden, noch ehe Jeongguk seinen Blick von den blinkenden Lichtern auf der anderen Seite der Straße gelöst hatte und Jeongguk öffnete die Tür zur zweiten Garderobe. Er hängte den bauschigen Kleidersack auf einen Haken und machte sich dann daran, den Reißverschluss bis auf den Boden aufzuziehen, sodass die zwei Plastikhälften zur Seite klappten und den Anzug offenbarten, den Areum für ihn ausgesucht hatte. Es war irgendein zweifelsfrei unbezahlbares Ding eines Modehauses, das vermutlich auch fürs Ansehen Gebühren erhob – aber Jeongguk fand, dass sie keine schlechte Arbeit darin geleistet hatte, seinen Stil zu treffen.

Der Anzug war beinahe vollkommen schwarz, bis auf einige weiße Aufsätze, die die Form von knospenden Ästchen annahmen, sich die Hosenbeine hinaufzogen und dort langsam ausdünnten. Auch seine Anzugjacke war mit denselben Knospen bestickt, die von Ärmeln und Torso in unterschiedlicher Variation aufgegriffen wurden. Er hatte erwartet, ein paar grauenhafter Lackschuhe vorzufinden, aber als er den Stoff noch weiter zurückschlug, bemerkte er, dass ein paar schwarzer Schnürstiefel um den Kleiderhaken hingen und ein glückliches Lächeln grub sich in seine Lippen ein.

Areum schien genau gewusst zu haben, was sie tat, als sie ihm versichert hatte, dass er sich nicht den Kopf über Galakleidung zerbrechen solle – und dass sie diese Muße vor ihn übernehmen würde. Er war überrascht davon, wie sehr sie seinem Geschmack gerecht geworden war.

Er musste nicht einmal ein Hemd tragen, denn als er den Anzug vom Haken nahm, fiel ihm ein schwarzes Shirt entgegen, dass offensichtlich zusätzlich mit einer Thermofunktion ausgestattet war.

Alles in allem kostete es ihn nicht einmal zwei Minuten, bis er aus seiner schwarzen Jeans und Lederjacke geschlüpft war und den Anzug mehr oder weniger formgerecht um seine Schultern angebracht hatte. Er war gerade dabei, die Stiefel zuzuschnüren, als er Seokjins Stimme aus der anliegenden Ankleide hörte.

„Jeongguk, altes Haus. Du hast nicht zufälligerweise eine Hand frei?"

„Warte", antwortete er, während er einen Doppelknoten in seine Schnürsenkel machte. „Bin gleich bei dir."

Als er seine eigene Ankleide verließ und die Tür zur benachbarten Kabine öffnete, wurde er mit einem Anblick konfrontiert, der ihn unter anderen Umständen in heiseres Lachen ausbrechen hätte lassen. Offensichtlich war Areums Extravaganz, die sie sich bei Jeongguk eingespart hatte, zu hundert Prozent in Seokjins Aufzug geflossen. Sein älterer Freund war in einen Anzug gekleidet, der eine geschmackvolle Schattierung von Rosa zur Schau stellte und um einiges komplizierter konzipiert war als Jeongguks. Ein Schimmer ging von dem Stoff aus, der durch das hochgeschlossene Hemd aufgegriffen wurde, das Seokjin darunter trug.

„Was ist los?", fragte Jeongguk. „Der passt doch."

Seokjin zog eine glänzende Schärpe aus seinem Kleidersack hervor und hielt sie ihm mit einem verzweifelten Blick entgegen. „Und was ist das, hmm? Was soll ich damit tun? Meine Schuhe polieren?"

„Warte, da hängt ein Zettel dran", bemerkte Jeongguk und zog den selbstklebenden Papierstreifen von der Schärpe. Das Foto eines Models war darauf gedruckt, das den Anzug in vollendeter Perfektion zu tragen wusste. Er überreichte ihn Seokjin, der sich prompt die Haare raufte.

„Das zieh ich nicht an."

Offenbar war die mehr als zwei Meter lange Schärpe, die sich in einem wasserähnlichen Stoff durch seine Hände ziehen ließ, so gedacht, dass sie sich unter dem Stoff von Seokjins Anzug um seinen Oberkörper wickelte, bevor er über der Schulter wieder herauskam und und knapp über dem Boden endete.

„Das sieht gar nicht so schlimm aus", beruhigte Jeongguk ihn. „Wir bekommen das hin."

Er zwang Seokjin, den oberen Teil des Anzugs wieder auszuziehen, und bemerkte, dass sich im Hemd eine Lasche befand, in dem er die Schärpe fixieren konnte, bevor er sie, ein, zweimal, genau wie es auf dem Bild dargestellt war, um seinen Oberkörper wickelte. „Okay, zieh den Anzug wieder an", befahl er ihm und Seokjin tat wie geheißen, während Jeongguk sich bemühte, die Schärpe nicht zu zerknittern. Er schlang sie ihm um die rechte Seite seines Anzugs und fixierte sie hinten so, dass sie genauso wie auf dem Bild ein paar Zentimeter über dem Boden schwebte.

„Ich glaube, du hast die Manschetten vergessen", grinste Jeongguk und hob zwei steife Stoffstücke vom Boden des Sackes auf, die offensichtlich um die Hosenbeine fixiert werden mussten.

„Vergiss es." Seokjin ließ sich auf den Anprobestuhl fallen und zog die Schuhe heran, die genauso grauenvoll waren, wie Jeongguk sie bei sich befürchtet hatte. Während Seokjin sich in die Schuhe quälte, hob er den Blick. „Du siehst richtig gut aus, Jeongguk. So ein Stil steht dir."

Jeongguk, der das Kompliment nicht erwartet hatte, wandte sich überrascht zum mannshohen Spiegel herum, um sich selbst darin zu betrachten. Der Schnitt des Anzugs war so tailliert und hauteng, dass er sich fragte, ob Areum heimlich seine Maße genommen hatte. Er umschmeichelte seine enge Taille und breite Schultern so weit, dass er überrascht war, wie ausgeprägt die Muskulatur in seinen Armen tatsächlich war – und obwohl er jeden Tag nichts anderes als Schwarz trug, musste er zugeben, dass die dunkle Schattierung seinem Teint einen riesigen Gefallen tat.

Als Seokjin sich aufrichtete und sich neben Jeongguk im Spiegel musterte, wurde ihm ein erneutes Mal bewusst, wie gut Areum sie beide eingefangen hatte. Die Zügellosigkeit von Seokjins Erscheinungsbild; die Dekadenz dessen, wie er sich gehaben konnte, wenn er wollte, wurde von der Ausgefallenheit seines Anzugs makellos erfüllt, genauso sehr wie seine hohe, schlaksige Statur und die unnatürlich breiten Schultern, die sogar Jeongguks in den Schatten stellten.

Seokjin drehte sich zur Seite, um den Anzug von hinten zu betrachten, dann nickte er zufrieden. „Kann sich sehen lassen."

Er machte sich daran, den Kleidungssack zusammenzufalten und Jeonguk entschied, das gleiche zu tun. Gerade, als er den wasserabweisenden Stoff mehr oder weniger ordentlich zusammengeknüllt hatte, hörte er Areums Stimme durch die Boutique dringen: „Jungs, wo seid ihr?"

„Verzeihung, Eure Majestät", rief Seokjin zurück. „Ich versuche gerade, die Manschetten anzuziehen, die du mir aufgezwungen hast."

Jeongguk entschied, sie nicht länger warten zu lassen und als er aus der Ankleide trat, stand Areum an der Theke mit den Colliers. Sie drehte sich sofort zu ihm um. Ihr ausladendes Kleid lag nun perfekt an und ein Paar Samthandschuhe reichte ihr bis zu den Ellbogen. Sie trug ihr Haar vollkommen offen; nur eine einzige Spange thronte auf ihrer prominentesten Locke und fixierte diese so, dass sie ihr nicht ins Gesicht fallen würde. Sie musste wohl der atemberaubendste Anblick aller Zeiten sein; und Jeongguk spürte eine tiefe Bewunderung für die Fähigkeit in sich aufsteigen, wie sie ihre Schönheit betonte.

„Oh, mein Gott", murmelte sie ergriffen, als ihr Blick einmal der Länge nach seine Statur entlanggeglitten war. Sie löste sich aus ihrer Position und war in Sekundenschnelle bei ihm, wobei sie ihm fieberhaft das Haar aus der Stirn strich und offensichtlich letzte Veränderungen an seinem Anzug vornahm.

„So schlimm?", fragte er scherzhaft, aber Areum schüttelte lediglich den Kopf, ein beinahe bekümmerter Ausdruck auf ihrem Gesicht.

„Jeongguk, du bist so gutaussehend", stellte sie fest, der untröstliche Unterton inzwischen evident. „Normalerweise wenn ich dich sehe, dann habe ich nur diesen dürren, kümmerhaften Jungen vor mir, den mein Bruder vor fünfzehn Jahren angeschleppt hat. Aber gerade wird mir bewusst, wie veraltet mein Bild von dir eigentlich ist."

Sie strich ihm eine Strähne zurück, die niemals so liegen wollte, wie sie sollte – und legte dann den Kopf schief, während sie ihm ein schwesterliches, liebevolles Lächeln schenkte.

Jeongguk war um Worte verlegen. „I-ich..."

„Ach, sei still", sagte sie mit einem sanften Grinsen, während in diesem Augenblick ihr Cousin durch die Tür brach, der rote Stressflecken im Gesicht hatte, die sich entsetzlich mit seinem rosafarbenen Anzug bissen. Areum schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Was hast du getan?"

Seokjin zuckte zusammen. „Wie? Ich dachte..."

„Das Denken überlässt du besser einmal mir", stöhnte sie und durchquerte den Raum, um an seinem Anzug herumzuzupfen, während Seokjin die gesamte Prozedur mit einem gequälten Gesicht über sich ergehen ließ. Es gelang ihr, sich in ihrem ausladenden Kleid hinabzuknien, um die Manschetten an seinen Fesseln zu richten, ehe sie wieder elegant auf die Beine kam und seine Wange tätschelte. „Gut siehst du aus, Seokkie. Das ist einfach deine Farbe."

„Und rot ist deine", grinste Seokjin zurück. Zu Jeongguks großem Amüsement brachen sie in der nächsten Sekunde in einen komplizierten Handschlag aus, von dem er wusste, dass sie an ihm feilten, seit sie sieben Jahre alt waren.

Einen kurzen Augenblick lang fixierten sie einander, alle drei, mit nervösen, aufgeladenen Blicken. Dann ergriff Areum Jeongguks und Seokjins Hände und drückte sie so fest, wie sie vermochte.

„Wir werden erfolgreich sein", sagte sie schließlich und der Druck um seine Hand war das Beruhigendste, das er in einer langen Weile verspürt hatte. „Wir werden Taehyung beistehen, diesen Kampf für sich zu entscheiden. Nach heute Abend ist alles vorbei. Der Usurpator muss sich geschlagen geben und die alte Ordnung ist endlich wiederhergestellt."

Seokjin nickte und Jeongguk spürte, wie er es ihm gleichtat. Da war eine überragende Sicherheit in Areums Worten, dass er ihr in diesem Augenblick alles geglaubt hätte. Sie schenkte ihnen beiden ein letztes bekräftigendes Lächeln, ehe sie sich von ihnen löste und den Raum in Richtung ihrer Handtasche durchquerte, die auf einer Vitrine stand.

„Hier, das habe ich ganz vergessen. Ich habe noch eure Masken." Sie zog drei in Papier eingeschlagene, flache Gegenstände hervor, auf denen mit Permanentmarker Jeongguks, Seokjin und ihre eigenen Initialen geschrieben standen. „Ich habe sie eigenes von einem Requisiteur am Broadway anfertigen lassen. Eigentlich wollte ich sie aus Venedig bestellen, aber die Zeit war zu knapp."

Jeongguk nahm das Paket entgegen, die sie ihm entgegenhielt und schlug das Papier zurück. Eine Halbmaske aus soliden Gips blitzte ihm entgegen, die in schlichtem Silber gehalten war und bis auf ein paar wenige Ornamente in einer dunkleren Schattierung von Silber nicht geschmückt war. Ein schwarzes Band entwuchs beiden Seiten der Maske, das lang genug war, dass man sie zusammenbinden konnte.

Seokjins Maske schimmerte reinweiß, mit gelegentlichen diamantenen Einschlüssen, die das Licht spielerisch reflektierten und zurückwarfen, während Areums schwarz war, in einer samtenen Textur jedoch, die von roten Stickereien gesäumt wurde.

Jeongguk war noch vollkommen in die Betrachtung seiner Maske versunken, als Areums Freundin, die Inhaberin der Boutique, an sie herantrat. „Der Wagen steht vor der Tür, Areum. Du hast mich gebeten, dich zu informieren."

Areum nickte und ließ ihre Maske in einer Falte ihres Kleides verschwinden. „Danke, Tati. Wir sind hier fertig. Kannst du unsere Sachen wegschließen? Ich hole sie morgen ab."

„Natürlich." Sie ließ ein breites Lächeln in die Runde sehen. „Und euch viel Spaß bei eurem Ball. Ich bin sicher, man wird morgen in sämtlichen Modemagazinen über euch berichten."

„Hoffentlich nur da", murmelte Seokjin undeutlich und falls Tati ihn gehört hatte, ließ sie sich nichts anmerken.

Jeongguk reckte den Kopf und warf einen Blick auf die Straße, wo eine dunkle Limousine geparkt hatte, die offensichtlich nur auf sie zu warten schien. Ein Bediensteter stand an der geschlossenen Tür und Jeongguk entschied, ihren Aufbruch nicht weiter hinauszuzögern. Mit einem letzten Nicken in Tatis Richtung durchquerte er den Verkaufsraum und zog die Tür auf. Die Winterkälte legte sich sofort um seinen dünnen Anzug und er war dem Thermoshirt mehr als dankbar, das Areum ihm zugestanden hatte. Kaum, dass der Bedienstete Jeongguk die Treppe hinuntereilen sah, öffnete er die Tür und er beeilte sich, in das Innere des Autos zu rutschen.

Der Innenraum war schwach erleuchtet; und auf der gegenüberliegenden Bank saß Giacomo Lucchese im Halbschatten. Sobald er Jeongguk vor sich ausmachte, erschien ein breites Grinsen auf seinen Lippen und er lehnte sich vor, um ihm die Hand zu reichen. „Jeongguk Jeon, es ist mir eine Freude, dich wiederzusehen."

„Gleichfalls, Sir."

In dieser Sekunde rutschte nun auch Areum ins Innere des Autos, die ihr fülliges Kleid um sich herumdrapierte, sodass es so wenig Platz wie möglich beanspruchte. Als auch Seokjin aufgerutscht war, schlug der Bedienstete die Tür zu und die drei sahen sich dem Capo endgültig gegenüber. Areum wirkte milde beeindruckt und Jeongguk spürte, wie sie irgendwo unter den Schichten ihres Kleides nach seiner Hand tastete und sie bestätigend drückte.

„Sir, das sind meine zwei Associés. Areum und Seokjin Kim. Schwester und Cousin von Taehyung, den Sie kennen."

Lucchese reichte auch ihnen die Hand, ehe er sich wieder in seinen Sitz zurücksinken ließ. In diesem Augenblick erwachte der Motor der Limousine zum Leben und Jeongguk wurde gegen Areum gedrängt, als das Auto sich in Bewegung setzte.

„Freut mich, euch kennenzulernen", sagte der Mafioso. „Als Jeongguk mich angerufen hat und davon sprach, dass er meine Hilfe benötigt, habe ich nicht erwartet, dass es um Zutritt zu Bonannos jährlichen Benefizball geht."

„Es ist besser, wenn Sie keine Einzelheiten kennen", sagte Jeongguk rasch und Lucchese ließ ein breites Grinsen sehen.

„Ich glaube, du hast Recht, amico mio." Er lehnte sich zurück und fixierte sie allesamt mit einem belustigten Ausdruck auf dem Gesicht. „Auch, wenn ich hoffe, dass dieser Abend... einen gewissen Ausgang findet, wenn ihr versteht, was ich meine."

Es war inzwischen drei Tage her, seit Jeongguk Luccheses private Nummer gewählt hatte, die ihm vor fast einem halben Jahr als Dankbarkeit seiner Gutherzigkeit zugestanden worden war, während Areum und Seokjin mit nervösen Blick neben ihm von einem Bein aufs andere getreten waren.

Jeongguk hatte nicht wirklich gewusst, wie er seine Bitte an den Capo herantragen sollte; in einem halben Jahr konnte viel geschehen – und wer hätte sagen können, ob er noch gewilllt war, Jeongguk seine Bitte zu erfüllen? Ob er überhaupt noch gegen Bonanno stand, oder ob es diesem gelungen war, ihn auf seine Seite zu ziehen.

Es hatte sich herausgestellt, dass Jeongguk unglaubliches Glück gehabt hatte – Lucchese hatte sich mühelos an ihn erinnern können und keine Sekunde später Camilla ans Telefon geholt, die ihm drei Sätze auf Englisch entgegenkrähte, bei denen sich sein Herz vor Rührung verzogen hatte. Das Mädchen lebte inzwischen die Hälfte der Zeit bei ihren Verwandten auf Sizilien, war aber für die Weihnachtsfeiertage zu ihren Eltern nach New York zurückgekehrt – und hatte ihre Zeit bei Maria und damit Taehyung und Jeongguk offensichtlich in bester Erinnerung.

Es wurde schnell evident, dass Luccheses Dankbarkeit in den vergangenen Monaten keinen Dämpfer erhalten hatte; aber dass seine Wut gegen Bonanno insofern eine vorsätzliche war, dass er sich nicht offen gegen ihn wenden konnte. „Unsere Familien sind verbunden. Wenn ich gegen ihn vorgehe, verlieren unendlich viele gute Männer wegen mir ihr Leben. Ich bin zu Tatenlosigkeit verdammt, während ich dem Bastard Tag für Tag gegenüberstehe und sein breites, falsches Grinsen ertragen muss; wohl wissend, dass er meine Tochter seiner Sache geopfert hätte."

So war Jeongguk bewusstgeworden, dass Lucchese sehr wohl bereit war, ihn und seine zwei Freunde auf die Gala zu schmuggeln, die er, als Oberhaupt einer der fünf Familien, mit aller Einfachheit zu infiltrieren vermochte. Er hatte nicht danach gefragt, was Jeongguk dort wollte, aber nach dem offenen Krieg des Bayville-Kartells gegen die Cosa Nostra zu urteilen, war er vermutlich nicht da, um eine teure Vase zu erstehen.

Das Castello Bonanno befand sich im Herzen Queens; gerade so weit entfernt von Manhattan, dass man der geschäftigen Stadt entweichen konnte, wenngleich nicht so weit auf Long Island wie Bayville auf Oyster Bay. Von der Boutique, die Areum als ihr Basislager gewählt hatte, brauchte man nicht einmal fünf Minuten zu dem Park, an den das Castello anschloss. Der Park selbst war öffentlich zugänglich; mit mehreren gestifteten Giacometti-Figuren, die zweifelsohne mit dem Blutgeld der Bonannos bezahlt worden waren und teuren Akazien aus Italien, die im Winter mit Netzen umwickelt werden mussten, um in der Kälte New Yorks nicht unwiderruflich einzufrieren.

Als Luccheses Limousine über die Hauptstraße auf das Castello zuhielt, erkannte Jeongguk durch das Fenster die Fassade des Kastells. Il Castello Bonanno, wie das Schloss offiziell genannt wurde, erinnerte ihn in jeder Hinsicht an die Engelsburg im Vatikan; ein runder, fast grob gezimmerter Rohbau, der nicht verputzt war, sondern die Grundsteine der Baute schamlos zur Schau stellte. Das Gebäude war erleuchtet, sodass sich verzerrte Schatten auf der Fassade abwechselten, als die Limousine langsam an dem Schloss vorbeifuhr, um beim Haupteingang anzuhalten.

„Man wird euch keine Fragen stellen, wenn ihr mich begleitet", sagte Lucchese abwesend, der sich, genau wie Seokjin, Areum und Jeongguk kurz im Anblick der Fassade verlor. „Aber sobald wir uns im Inneren voneinander trennen, kann ich nichts mehr für euch tun. Ihr seid dann auf euch allein gestellt."

Jeongguk nickte beflissen und seine Geste wurde von seinen beiden Freunden sofort aufgegriffen. „Keine Sorge, Sir. Wir werden Sie nicht behelligen, sobald wir innerhalb dieser Gemäuer sind."

Lucchese seufzte tief auf. „Ich weiß wirklich nicht, was ihr dort drinnen zu veranstalten plant, aber ich hoffe, dass es die Sache besser macht. Zwischen der Cosa Nostra und Bayville."

„Das hoffen wir auch." Jeongguk wechselte einen raschen Blick mit Areum, die ihre Lippen aufeinanderpresste und ihre Hände in ihrem Schoß ineinander krampfte.

„An der Eingangstür gibt es eine Waffenkontrolle", erklärte Lucchese weiter, während seine Limousine vor dem großen, schmiedeeisernen Tor langsam ausrollte, vor dem die Gäste allesamt anhielten und zu Fuß weitergingen. „Selbst für uns, weshalb ich hoffe, dass keiner von euch eine Waffe mitgenommen hat."

Areum zog den Saum ihres Kleides empor, sodass sie ein Strumpfband an ihrem Oberschenkel entblößte, in dem ein winziger Dolch steckte, dessen Griff voll roter Edelsteine blitze, die auf die Farbe ihres Kleides abgestimmt zu sein schienen.

Lucchese lachte leise. „Ich glaube, der geht durch. Aber Handfeuerwaffen müssen an der Tür abgegeben werden."

„Haben wir nicht dabei", versicherte Jeongguk ihm und hoffte gleichzeitig inständig, dass Taehyung auf irgendeine Weise eine Methode gefunden hatte, wie er eine Pistole über die Schwelle des Kastells schmuggeln konnte.

„Gut", sagte Lucchese, während der Motor erstarb. Jeongguk hob die Maske an, die Areum ihm gefertigt hatte und brachte sie auf die Höhe seines Gesichts, bevor er den Verschluss zunestelte. Sie passte ihm wie angegossen. „Dann hinaus mit uns. Gehet nicht in Frieden in die gute Nacht."

Die Tür öffnete sich und Seokjin rutschte aus dem Inneren des Autos in das Freie. Keine Sekunde später folgte Areum ihm, und schließlich Jeongguk, der als letzter vor Lucchese auf das Kopfsteinpflaster trat.

Das Castello lag auf einer Anhöhe von gut fünfzig Metern; sodass es nun wie der Grundkörper des Turms zu Babel auf sie herabstarrte – in einer bösartigen Unauslöschlichkeit, die in der unsymmetrischen Beleuchtung der Fassade Fuß fasste. Eine gleichmäßige, weiße Marmortreppe führte auf die Anhöhe hinauf – beinahe einhundert Stufen, die zu beiden Seiten mit massiven Marmorblöcken gesäumt war, und darüber hinaus knorrigen Olivenbäumen, die ihre kahlen Äste in der Dunkelheit in die Höhe streckten und sich von der New Yorker Kälte nicht beeindrucken ließen.

Kaum, dass Lucchese in einer schlichten marineblauen Maske hinter ihnen aus dem Auto gestiegen war, setzte sich sein Wagen in Bewegung, sodass die nächste Limousine seinen Platz einnehmen konnte, um ihre Gäste zu entladen.

Areum straffte die Schultern und machte sich als Erste an den Aufstieg, indem sie den Saum ihres Kleides emporhob, und die ersten paar Stufen zu erklimmen begann. Ihre Maske verdeckte ihre Augenpartie so gut, dass Jeongguk nur das dunkle Braun ihrer Iriden erkennen konnte; aber keinen Schluss auf ihre Identität zulassen würde, wenn er sie nicht so gut kannte. Auch Seokjin wäre mühelos als gut gekleideter Assoziierter der Cosa Nostra durchgegangen – sein Anzug erfüllte die von Areum vorgesehene Aufgabe in formvollendeter Perfektion und Jeongguk hoffte, dass seine Identität und Zugehörigkeit genauso gut verborgen sei.

Je näher sie an das Castello herankamen, desto heller waren die Stufen erleuchtet – und desto lauter drang das ferne Stimmengewirr aus dem Inneren an sie heran. Die Haupttore des Schlosses waren weit geöffnet und goldenes Licht fiel aus dem Inneren auf sie heraus. Mehrere schwarz gekleidete, unmaskierte Sicherheitsmänner mit Metalldetektoren machten sich daran, die elegant gekleidete Abendgesellschaft an den Pforten zu begrüßen, indem sie diese auf Ausbeulungen in Anzugtaschen und Retikülen prüften. Eine kleine Schlange hatte sich beim Eingang gebildet und Jeongguk sog tief die Luft ein, ehe er sich noch vor Areum, die in ihrem ausladenden, extravaganten Kleid einige bewundernde Blicke erntete, in die Schlange einreihte.

In der Peripherie seines Blickfelds erkannte er, dass Seokjin und Lucchese es ihm gleichtaten und Jeongguk versuchte, nicht daran zu denken, was geschehen würde, falls man sie entlarvte, während er einen Schritt nach dem anderen nach vorne tat.

Seine Sorge war jedoch unbegründet, denn sobald die Sicherheitsmänner die marineblaue Maske Luccheses erkannten, wechselten sie einen raschen Blick und winken ihn, sowie seine drei schweigsamen Begleiter, mit einer raschen Kontrolle des Metalldetektors durch die breiten Pforten.

Jeongguk hatte erwartet, dass sie erst eine Art der Eingangshalle durchqueren mussten, um zum Hauptveranstaltungsort vorzudringen, aber sobald er durch die breiten Tore ins Innere des Castellos getreten war, bemerkte er, dass dieser Eingang offensichtlich unmittelbar in einen hohen Ballsaal führte. Dieser reichte mehrere Meter in die Tiefe, sodass man von der kleinen Anhöhe, die an die Haupttore anschloss, einen weiten Überblick auf die Rotunde hatte. Auch im Inneren war das Castello roh und unverputzt – zumindest, wenn man die Wände betrachtete, denn legte man den Kopf in den Nacken, erkannte man eine glatte, mit Fresken bemalte Decke, die mehrere Motive aus der biblischen Schöpfungsgeschichte aufführten. Die Beleuchtung stammte aus einer Vielzahl von elektrischen Fackeln, die sich alle paar Meter aus dem Rohbau hervortaten, und Jeongguks wachsamer Blick machte sofort die rund fünfzehn, breiten Durchgänge aus, die mit tiefroten Samtvorhängen verhängt worden. Andere Ausgänge schien es nicht zu geben – wenn man von einer geschlossenen, doppelseitigen Türe absah, die auf Höhe des Fußbodens unmittelbar gegenüber vom Haupteingang anlag. Jeongguk vermutete, dass die meisten dieser Türen tiefer ins Innere des Castellos führen würden, in das säulenflankierte, rechteckige Gebäude, das aus der Rotunde entwuchs und ihm bereits in Auge gefallen war, als sie um den Block herum vorbeigefahren waren.

Jede der Türen aus dem Ballsaal hinaus waren mit mehreren, bulligen Wachmännern flankiert, die starr geradeaus blickten, aber vermutlich nicht zögern würden, einen der maskierten Gäste zu Seite zu nehmen, falls sie es wagen würden, zu nahe an diese Türen heranzutreten.

Der Saal trug bestimmt dreihundert Gäste, die entweder zu dem Klang des Streichquartetts über den polierten Boden hinwegglitten; oder mit Champagnergläsern und Antipasti um die Rundtische herumstanden, die sich zu beiden Seiten der Tanzfläche aus dem Boden erhoben.

Jeongguk verlor sich einen Augenblick in dem Spiel der glitzernden Roben und funkelnden Masken, die wie ein Kaleidoskop aller Farben und Formen über die Wände strichen und die toten, kalten Mauern belebten. Am Rande seines Bewusstseins bemerkte er, dass Areum neben ihn getreten war und mit demselben, nervösen Gesichtsausdruck auf das blickte, das sich ihnen erbot.

Er riss sich von dem hypnotischen Anblick der Tanzenden los und machte sich stattdessen daran, den Raum nach Bonanno und Konsortien zu durchleuchten. Auf der gegenüberliegenden Seite, auf derselben Höhe des Eingangsbereichs lag eine Art Empore, die mehrere Meter in das Innere des ansonsten makellos kreisförmigen Saales hineinragte. Sie war unbesetzt und Jeongguk erkannte eine niedrige Absperrung, die flanierende Gäste davon abhielt, sich dort hinauf zu verirren.

Unmittelbar dahinter war ein weiterer Rundbogen in die Wand eingelassen, der allerdings nicht mit roten Vorhängen verhängt war, sondern nachtschwarzen. Jeongguk nickte in die Richtung und Areum ließ ihn verstehen, dass es ihr ebenfalls ins Auge gefallen war.

„Wir sollten in den Saal hinunter", murmelte er ihr leise zu und seine Stimme wäre im durchdringenden Klangteppich der klassischen Musik und dem unterdrückten Stimmengewirr beinahe untergangen.

Areum nickte und reichte ihm ihre Hand, die er ergriff, bevor er sie mit der Expertise eines regelmäßigen New Yorker Socialites die breite, seitliche Treppe hinabführte, bis sie den soliden Stein des Saalbodens unter ihren Füßen hatten. Seokjin folgte ihnen mit einigem Abstand und löste sich unmittelbar von ihnen, kaum, dass sie die Tanzfläche erreicht hatten. Jeongguk sah seine weiße Maske ein letztes Mal aufblitzen, ehe er in einer Gruppe eng beieinanderstehenden Debütantinnen verschwand.

„Siehst du die junge Frau mit dem mintgrünen Kleid auf der anderen Seite des Saals?", fragte Areum auf Englisch, während sie ein künstliches, strahlendes Lächeln auf ihre Lippen zwang. „Direkt unter der Empore."

Jeongguk folgte ihrer Indikation, und tatsächlich, unmittelbar vor einem erhöhten Rednerpodest stand eine junge Frau mit braunroten, ihren Rücken hinabfließenden Locken in einem hellgrünen Kleid, das ihren grazilen Körperbau betonte.

„Das daneben muss mein Bruder sein."

Ein penetranter, elektrischer Schlag durchzuckte seinen gesamten Körper, als sein Blick auf der Person zu ruhen kam, die neben der jungen Frau stand und offenbar mit ihr und einem weiteren italienischen Anzugträger ins Gespräch versunken war. Ein dunkelblauer, taillierter Samtanzug lag seinem breitschultrigen Körper an, über den eine lose, zweite Anzugjacke drapiert war, die dadurch beinahe den Anschein eines Capes erweckte. Er hatte silberblondes, seidengesponnenes Haar, das von einer goldenen Halbmaske durchteilt wurde und Jeongguk musste nur einen halben Blick auf die geschwungenen Lippen und das schmale, elegante Kinn werfen, bevor er sich wieder abwandte.

„Yep", sagte er knapp. „Er ist es."

„Dior", sagte Areum und schnalzte mit der Zunge. „Hätte ich ihm gar nicht zugetraut."

„Wie bitte?"

„Sein Anzug. Ist Dior. Er hat echt eine Charakterwandlung ohnegleichen hinter sich."

Jeongguk ging darauf nicht ein, sondern versuchte vielmehr, seinen Blick davon abzuhalten, wie durch einen bislang unerforschten Magnetismus von Taehyung angezogen zu werden. „Wir müssen ihm fernbleiben. Das Risiko, dass er uns erkennt, ist zu hoch."

Areum nickte beflissen, ehe sie ihm die Hand entgegenstreckte. „Gestatten Sie mir diesen Tanz, Sir?"

„Was machst du?", zischte er sie an, aber da hatte Areum seine Hand bereits ergriffen und zog ihn, ohne auf seinen Protest zu achten, auf die Tanzfläche.

„Wir werden beobachtet", erwiderte sie, ohne auch nur eine Sekunde ihr breites Lächeln abzulegen. „Zwei Marinemasken stehen auf der anderen Seite der Halle und starren uns an. Ich dachte, wir sollten uns mal unter die Leute mischen."

Er folgte ihr ohne weiteren Widerstand auf die Tanzfläche, wo die anwesenden Gäste sich gerade neu formatieren, sodass Areum und Jeongguk gerade zwischen zwei Paare hineinrutschten, die sie sofort mit unbekümmerten, einladenden Lächeln bedachten.

„Dein Kleid ist unglaublich", schwärmte die junge Dame neben Areum, die ein weit ausgeschnittenes, schlichtes Gewand trug, dessen Ärmel ihre Arme umfloss. „Ich habe es schon bewundert, als du und dein Begleiter dort oben aufgetaucht seid."

„Dankeschön", erwiderte Areum eine Spur überrumpelt, aber es gelang ihr trotzdem, ein blendend strahlendes Lächeln auf sie abzufeuern. Sie war, genau wie ihr Bruder, eine grandiose Schauspielerin, wie Jeongguk immer weiter bewusstwurde.

Keine Sekunde später war ihre Hand an seinem Rücken und er legte seine an ihre Taille, während ihre Finger der rechten Hand sich ineinander verschlangen, kaum, dass die ersten honigweichen Klänge durch die Luft zu flirren begannen. Zu Beginn führte sie ihn mühelos, und half ihm auf die Sprünge, wann immer er sich in seinen Schritten zu verhaspeln drohte – aber je länger sie eng umschlungen über die Tanzfläche wirbelten, desto mehr kehrte die in seinem Muskelgedächtnis Verschütt gegangene Erinnerung an die Schritte zurück. Jeongguk blickte in Areums Augen und suchte die vertraute Unnachgiebigkeit im dunklen Braun, aber alles, was er sah, war absolute Weichheit. Die Maske verdeckte so viel ihrer Augenpartie, dass er ihren Gesichtsausdruck nur erahnen konnte, aber er glaubte beinahe zu sehen, wie die nervöse Anspannung einen Augenblick lang etwas beinahe Beruhigendem wich.

„Woher kannst du so gut tanzen, Kleiner?", neckte sie ihn, während er sie herumwirbelte, sodass ihr rotes Kleid Funken sprühte.

„Maria hat es mir beigebracht", erwiderte er und bei der Erinnerung wollte ihn die Nostalgie überfallen. „Mir und meinen Geschwistern. Sie hat gesagt, dass Tanz die Poesie der Mundfaulen ist, und weil ich nie viel gesprochen habe, fand ich es nur gerecht, dass ich wenigstens tanzen lernen sollte."

„Du bist extrem gut", sagte sie ehrlich. „Mein Bruder ist wahrscheinlich der beste Tänzer in meiner Familie, aber ich weiß nicht, ob er dir das Wasser reichen könnte."

„Tae ist allem gut, was er macht", antwortete er und konnte nicht umhin, als dass sich ein wenig Bitterkeit in seine Stimme schlich. Es war das erste Mal seit einer sehr langen Weile, dass er Taehyung bei dem Spitznamen rief, unter dem er alle denen bekannt war, die ihn liebten.

Zu seiner Überraschung ließ Areum ein leises Lachen hören, während sie ihren Kopf in den Nacken warf. „Außer in den wichtigen Dingen."

„Die da wären?"

„Selbstreflexion, größtenteils. Bescheidenheit. Gesunde Vernunft." Ihr Blick wanderte davon, in die Richtung, in die Jeongguk Taehyung vermutete, aber niemals genug Mut besessen hätte, um sich zu vergewissern. „Sich seiner Gefühle bewusst zu sein."

„Gefühle?", schnaubte er. „Meintest du nicht vorgestern noch, dass ich aufhören soll, ihn zu lieben, weil es aussichtslos sei?"

„Das habe ich nicht gesagt", erwiderte sie sanft. „Ich habe gesagt, es sei gefährlich. Und hinter diesen Worten stehe ich. Aber Jeongguk, ich glaube, du musst dir dessen bewusstwerden, dass Taehyung dich liebt. Dich genauso sehr liebt, wie du ihn."

„Tut er nicht", sagte er mechanisch.

„Er hat dich geliebt, bevor du überhaupt wusstest, dass du zu romantischen Gefühlen fähig bist. Er hat dich geliebt, seit ihr Kinder wart. Ich kenne meinen Bruder, ich kenne den Teil von ihm, den er dir nie gezeigt hat. Und dieser Teil liebt dich, Jeongguk. Liebt dich so verzehrend und aufopferungsvoll, dass er das Land verlassen musste, als du sein Herz gebrochen hast."

„Er hat das Land verlassen, weil er sein Vater ihn fortgeschickt hat. Um in Korea eine heiratsfähige Frau zu finden."

Areum schüttelte den Kopf. „Unser Vater... ist gerissen. Er hat gesehen, dass Taehyung in diesem Augenblick der Schwäche bereit war, alles zu tun, das ihn von dir fortgebracht hätte. Ich war dabei, Kleiner. Ich habe ihn an dem Abend gesehen, nicht du. Er hätte in diesem Augenblick jedes Schicksal, jedes Exil auf sich genommen, nur um nicht länger mit dem Gedanken leben zu müssen, dass du ihn nicht gewollt hast."

„Aber... ich wollte ihn", murmelte er so leise, dass seine Worte beinahe untergegangen wären. „Nur wusste ich es damals nicht. Ich musste erst seine Freundschaft verlieren, damit mir bewusstwurde, dass sie nur ein Vorwand war, in seiner Nähe zu bleiben."

„Oh, Kleiner", seufzte sie und löste ihre Hand kurz von seinem Rücken, um ihm eine Strähne zurückzustreichen. „Wieso machst du es dir so schwer? Sprich mit ihm. Sag ihm, was du fühlst. Ich garantiere dir, es geht ihm wie dir."

Jeongguk schluckte, während er versuchte, die aufsteigende Panik zurückzudrängen. Die letzten paar Wochen waren gut darin gewesen, ihm einzureden, dass seine Gefühle für Taehyung etwas Zerstörerisches, Hoffnungsloses waren, die er über sich ergehen lassen musste wie eine Wundheilung, bevor er sich jemals wieder wie ein funktionsfähiger Mensch fühlen konnte. Und nun stand Areum vor ihm, Taehyungs große Schwester und einer der cleversten Menschen, die er kannte und sprach vom Gegenteil. Ließ ihn hören, dass Taehyung ihn geliebt hatte, noch lange bevor Jeongguk überhaupt bewusstgeworden war, dass es einen Grund dafür gab, wieso er ihn betrachtet hatte, während er schlief.

„Und wenn er es nicht tut?"

„Dreh dich um", sagte sie anstelle einer Antwort. „Sieh zur Empore und stell mir diese beschissen dumme Frage dann noch einmal."

Jeongguk tat wie geheißen, mehr aus Überraschung als aus wirklicher Überzeugung und bevor er ehrlich registrieren konnte, was geschah, hatte sein Blick sich mit Taehyungs verhakt, der offensichtlich seit einer geraumen Weile zu ihnen herüberstarrte. Seine Lippen waren eine Winzigkeit geöffnet und ein fast unmerklicher, roter Schimmer hatte sich auf seinen Wangen breitgemacht, während sein Körper so gespannt schien, als ob er jeden Augenblick zum Sprung ansetzte. Jeongguk bemerkte, dass seine rechte Hand zur Faust geballt war, während seine linke Hand sich um sein Handgelenk geschlossen hatte und offensichtlich dabei war, sich selbst das Blut abzuschnüren.

Sein Blick glitt von Jeongguks Gesicht ab und auf die ineinander verschlungenen Hände von ihm und seiner Schwester, die er sein Leben lang niemals als Bedrohung gesehen hatte, und Jeongguk erkannte, wie die Realisation ihn überrollte wie eine Flutwelle. Dass er Jeongguk verloren hatte, an jemanden, der ihm beinahe so viel bedeutete. (Er lag falsch, aber Taehyung war gut darin, wahrheitswidrigen Irrungen entsprechend zu handeln.)

In diesem Augenblick, in dem der Selbsthass in Taehyungs Augen deutlicher zu lesen war, als irgendetwas anderes jemals zuvor, wurde Jeongguk bewusst, dass Areum vielleicht doch Recht haben konnte. Dass entgegen allem, das sinnergiebig war, entgegen dessen, dass Yoongi ihm eingeflüstert hatte, Kim Taehyung ihm deshalb auf die Lippen starrte, wenn sie atemlos voreinander standen, weil er sich genauso sehr wünschte, sie zu küssen, wie Jeongguk das tat.

„Er hat uns gesehen", war das einzige, das er herausbrachte, sein Blick nach wie vor auf Taehyung fixiert, der nicht so wirkte, als würde er sich jemals wieder abwenden.

„Ich weiß", sagte sie. „Er hat uns im Auge, seit wir auf die Tanzfläche getreten sind."

„Und du sagst nichts."

„Du hättest ihn genauso hilflos angestarrt, wie du es jetzt gerade tust." Sie seufzte tief auf. „Hey, sieh mich an. Jeongguk."

Es gelang ihm nicht, seinen Blick von Taehyung abzuwenden, bis sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihn, gerade zum letzten Crescendo des Menuetts auf die Lippen küsste. Es war kaum mehr als eine einsekündige Berührung ihrer Lippen auf seinen, aber sie war genug, um Jeongguk entgeistert zu ihr hinunterblicken zu lassen. Er war kurz davor, sie von sich zu stoßen. „Spinnst du?!"

„Es tut mir leid", sagte sie, nicht sonderlich reuevoll. „Ich tue dir damit gerade einen Gefallen. Aber das wirst du schon noch selbst bemerken. Spätestens, wenn mein Bruder an deinen Lippen hängt; ein vollkommenes Opfer seiner eigenen Eifersucht."

„D-du kannst Menschen nicht einfach so... ausspielen."

„Nicht?" Sie führte ihn von der Tanzfläche hinab und Jeongguk erhaschte über ihre Schulter einen Blick auf Taehyung, der tatsächlich so wirkte, als sei er kurz davor, seine Tarnung auffliegen zu lassen, nur, um seine Schwester geradewegs in einen der Rundtische zu stoßen.

„Du hast das absichtlich gemacht", zischte er sie an. „Du hast das getan, um ihm wehzutun."

„Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich davon nicht träume, seit wir ungefähr vierzehn sind; aber nein, ich habe es tatsächlich beinahe ausschließlich für dich getan." Sie nahm eine Sektflöte vom Tablett eines vorbeiziehenden Kellners und nahm einen kleinen Schluck. „Igitt. Man würde denken, Bonanno kann sich mehr leisten, als einen Moët, aber–"

„Ich kann nicht glauben, dass du das tun würdest. Er ist dein Bruder. Du hast das nicht nötig."

Sie sog tief die Luft ein. „Hör zu. Nein, ich habe es nicht nötig. Aber Taehyung hat alles bekommen, das ich jemals wollte. Und das einzige, das er jemals wollte, warst du. Vermutlich war das irgendeine dumme, verschüttete Trotzreaktion, ihm dasselbe, dumme Gefühl der Hilflosigkeit auferlegen zu wollen, und du hast Recht, ich habe es eigentlich nicht nötig, aber ich bereue es trotzdem nicht. Wenn es ihn wachrüttelt, ist es immer noch das beste, was bei dieser Sache herauskommen kann."

„Ich dachte wirklich, du hättest dich geändert, Areum", sagte er eisig, ehe er einen Schritt von ihr fortmachte. „Aber anscheinend bist du immer noch die gleiche intrigante Eigenbrötlerin, die nur zu ihrem eigenen Vorteil handelt."

Es war evident, dass sie nicht mit seinen Worten gerechnet hatte. Ein Ausdruck echten Verletzens huschte über ihr Gesicht, bevor er in der nächsten Sekunde einem abweisenden Blick wich, der sie fast so gut kleidete wie ihre Maske. Ehe sie etwas erwidern konnte, war Seokjin plötzlich zwischen sie getreten, ein angespannter Ausdruck auf seinem Gesicht.

„Die Auktion soll innerhalb weniger Minuten beginnen", murmelte er. „Und damit ist auch der Augenblick gewährleistet, in dem Bonanno auf der Empore erscheint."

„Woher weißt du das?"

„Hab mich ein wenig umgehört, während ihr beide euch offensichtlich bemüht habt, sämtliche Aufmerksamkeit auf euch zu ziehen."

„Wann wird Taehyung zuschlagen?", fragte Jeongguk leise.

„Niemals jetzt", antwortete Seokjin überzeugt. „Wenn ich er wäre, dann würde ich warten, bis Bonanno wieder nach hinten verschwindet und dann die Verfolgung aufnehmen."

„Das Orchester beginnt kein neues Stück mehr", stellte nun auch Areum fest, die sich Mühe gab, ihre Stimme so unbekümmert wie möglich klingen zu lassen, während sie ihren Kopf in die Richtung des kleinen Streichquartetts reckte. „Und es ist beinahe zweiundzwanzig Uhr."

Tatsächlich machte sich nun eine allgemeine Unruhe breit, die sich darin äußerte, dass die meisten der Gäste sich langsam in der Mitte der Tanzfläche zusammenfanden und sich in kleinen Gruppen offensichtlich darüber auszutauschen begannen, welche wertvollen Kulturgüter ihr großzügiger Gastgeber dieses Jahr versteigern würde, um den Erlös an Projekte im Land zu spenden. Auch Seokjin, Areum und Jeongguk mischten sich in die wartende Menge und Jeongguk erhaschte im Gewühl einen Blick auf Taehyung, der neben Lucia stand und auf seine Hände starrte. Als sie sich zu ihm umdrehte und ihn anstupste, ließ er ein schwaches Grinsen sehen, ehe er wieder in die Tiefen seiner Gedankenwelt einzutauchen schien.

Jeongguk konnte nicht erahnen, was in seinem Kopf vorging. Noch hatten sich Areums Worte in seiner Überzeugung nicht gefestigt; insofern nicht, dass er die letzten Wochen so eisern darin vorgegangen war, sich selbst vom Gegenteil zu überzeugen. Er musste sagen, Taehyungs intensive Reaktion verwirrte ihn. Er war vielmehr davon ausgegangen, ihn furios darüber zu erleben, dass Jeongguk seiner Aufforderung nicht nachgekommen war und ihn tatsächlich noch weiterhin beschattete – aber da wenig Wut in seinem Blick gewesen, die sich nicht gegen sich selbst gerichtet hätte.

Mitten in seine Gedanken über Taehyung brandete der Applaus der Halle auf, der von den Wänden widerhallte und zu einem Crescendo dessen wurde, wie Vincenzo Bonanno, Capo dei Capi, oberster Anführer der italienischen Familien der Cosa Nostra, von seinen Consiglieri umgeben auf die Empore trat. Er trug eine schmale, marineblaue Maske, die sein ebenholzschwarzes Haar angenehm komplimentierte – und Jeongguk, der ihn niemals mit eigenen Augen gesehen hatte, musste zugeben, dass er seine Vorstellungen bei weitem übertraf.

Da war etwas an Männern in Machtpositionen, das universell zu sein schien. Sowohl Hyun-sik, wie auch Bonanno waren von derselben unbestreitbaren Aura der Autorität, von einer beachtlichen Eindrücklichkeit, die kaum Gesprochenes brauchte, um in Wahrheit nachzuklingen. Jeongguk hätte es nicht besser in Worte fassen können, als in der Geste, die beide dieser Männer vollführten, kurz, bevor sie sich an eine Menge wandten, um das Wort an sie zu richten. Das fast spöttische Anheben ihrer rechten Hand, um sich die Stille zu versichern, die ihnen ohnehin zugestanden wurde.

Der Saal verstummte augenblicklich und Jeongguk ließ seinen Blick rasch über die Menge gleiten, die sich vor ihm auf der Tanzfläche verteilt hatte. In der Zwischenzeit schienen auch die letzten Gäste eingetroffen zu sein; mehr als fünfhundert in der Zahl, die sich in kleinen Grüppchen zusammengefunden hatten und wohlwollend zu ihrem Gastgeber aufblickten, der sie wiederum mit durchdringenden Blick musterte, ehe er ein schmales Lächeln sehen ließ.

„Herzlich Willkommen in den bescheidenen Mauern des Castello Bonanno. Wie jedes Jahr ist es mir die größte Freude, Sie unter meinem Dach zu dem Zwecke begrüßen zu dürfen, Wein, Tanz und Musik zu genießen und hoffentlich ein paar Stücke aus meinem Privatfundus zu erwerben, dessen Erlös zweifelsfrei an gute Zwecke gespendet wird."

Ein großzügiger Applaus machte sich im Saal breit, und Jeongguk schlug seine Hände ein, zwei Mal gegeneinander, bevor er sie hinter seinem Rücken verschränkte und zu Bonanno hinaufblickte, der die weite Menge unter sich mit wohlwollender Genugtuung betrachtete.

„Wie die Tradition es verlangt, wird das beste und teuerste Stück von meiner Tochter Lucia versteigert und derjenigen Charity gespendet, die sie für besonders anstandsgemäß hält."

Die schlanke junge Frau im grünen Kleid, die neben Taehyung gestanden hatte, erklomm nun mehrere Stufen der Treppe, die zur Seite hinaufführten und ließ unter dem aufbrausenden Applaus der Gäste ihres Vaters ein breites Lächeln sehen. Ihre grüne Maske blitzte im Licht auf, während sie den Kopf zu ihrem Vater wandte, um ihn mit demselben Kundtun ihrer Ergriffenheit zu bedenken. Jeongguk verdrehte die Augen hinter seiner Maske und hoffte, dass es unbemerkt verstreichen würde.

„Ich möchte euch nicht lange auf die Folter spannen", rief Bonanno und Lucia schritt die letzten paar Stufen zu ihrem Vater hinauf, bevor die metallene Absperrung für sie geöffnet wurde. Vor den Augen aller Anwesenden hauchte sie Bonanno zwei Küsschen auf beide Wangen, während sie sich mit einem Strahlen zu den Gästen ihres Vaters umwandte.

„Zu allererst möchte ich mich bei meinem Vater dafür bedanken, dass er mir jedes Jahr aufs Neue erlaubt, seine Gala dazu zu nutzen, mich für die Dinge auszusprechen, die mir wichtig sind." Ihre honigweiche Stimme, die Jeongguk mehr auf die Nerven fiel, als irgendetwas anderes, floss wie zähflüssiger Nektar durch die Luft, bis sie jeden von den Anwesenden eingelullt hatte. „Die meisten der Kunstgegenstände werden unter meiner Aufsicht um das doppelte ihres Wertes verkauft, schlichtweg, weil ich, wie mir gesagt wurde, jeden Menschen an seine Barmherzigkeit zu erinnern vermag."

„Ja, die Barmherzigkeit an das eigene Leben, sich nicht die Kugel zu geben, wenn man ihr andauerndes Eigenlob über sich ergehen lassen muss", murmelte Jeongguk Seokjin zu, der neben ihm stand und Lucia mit schiefgelegten Kopf betrachtete. Als er Jeongguks Worte hörte, duckte er sich unter verhaltenen Gelächter zur Seite.

Anstatt Lucia den nächsten fünf Minuten dabei zuzuhören, wie sie ihre zahlreichen Qualitäten herunterbetete, machte Jeongguk sich daran, die anderen Anwesenden zu beobachten. Unglücklicherweise war Taehyung halb von der Bar verdeckt, weshalb er seinen Blick am Rand der Tanzfläche entlangschweifen ließ. Die meisten Gäste sahen zu Lucia und ihrem Vater, aber plötzlich stolperte Jeongguks Augenmerk über jemanden, der ihn irritierte. Dieser sah, genauso wie Jeongguk zuvor, zu Taehyung, auf den dieser einen ungehinderten Blick hatte. Er trug einen maßgeschneiderten Anzug, in den offensichtlich eine große Diamantenblume eingestickt war – und noch während Jeongguk ihn beobachtete, legte er seine Finger nachdenklich an seine Lippen. Ein Stromschlag maßlosen Ausmaßes durchfuhr ihn, bevor er sich zu Seokjin umwandte. „Der Typ da, am Rand. Schau ihn an und sag mir, dass das nicht Yoongi ist."

Seokjin wandte sich genauso entsetzt zu der Stelle um, die Jeongguk ihm indizierte und er konnte förmlich erkennen, wie ihm das Blut aus den Wangen wich. „Oh, scheiße. Er ist es."

„Und da hinten ist Hoseok", murmelte Areum plötzlich, die seinem Blick ebenfalls gefolgt zu sein schien. „Ich dachte gleich, dass er mir bekannt vorkommt und er hat vorhin etwas zu auffällig in unsere Richtung gesehen."

„Namjoon?", fragte Seokjin, aber sie schüttelte den Kopf.

„Ihn sehe ich nicht."

„Wie in aller Welt sind sie hier hineingekommen?", flüsterte Jeongguk, während oben auf der Empore soeben ein Artefakt hineingetragen wurde, das von einem weißen Tuch verhangen war.

„Sie müssen andere Verbindungen haben, als wir geglaubt haben." Areums Stimme war einziges Zischen. „Vermutlich hat die Kompanie der Jeongs irgendwelche arglosen regulären Gäste zur Strecke gebracht, um den Usurpator und seinen Bluthund hier hineinzubringen."

„Aber selbst wenn", antwortete Jeongguk so leise wie er konnte, ohne, dass er misstrauische Blicke der Umstehenden auf sich ziehen würde, „wieso wissen sie, dass sich hier ein optimaler Angriffspunkt bieten würde?"

„Vielleicht hat das ganze Bespitzeln von Hoseoks Seite doch etwas gebracht. Er hat Taehyung doch mit Lucia gesehen. Die Jeongs haben jetzt vielleicht kein Informationennetzwerk auf ihrer Seite, aber herauszufinden, dass Lucia mit dieser Gala in Verbindung steht, ist wahrscheinlich auch keine Hexerei."

„Nun, fuck", sagte Jeongguk. „Damit ist Taehyungs Vorsprung nichtig. Wenn Yoongi undHoseok hier sind, ist vermutlich auch seine verdammte Familie nicht weit."

„Apropos Tae", flüsterte Seokjin, während er sich auf die Zehenspitzen stellte, um über die Köpfe der Anwesenden zu spähen. „Wo ist er plötzlich hin?"

„Und wo ist Bonanno?"

Tatsächlich stand Lucia inzwischen alleine auf der Empore und enthüllte unter großem Wirbel eine deformierte, hässliche Vase mit antiken Malereien, die sie so stolz betrachtete, als handele es sich dabei um ihr Erstgeborenes.

„Verdammt", zischte Jeongguk. „So war das alles nicht vorgesehen."

„Okay, hört mir zu", flüsterte Areum eilig und baute sich vor ihren zwei Freunden auf, sodass sie gezwungen waren, sie anzusehen. „Jeongguk, du verfolgst Tae. Über die Eingänge Richtung Großküche. Er muss dadurch sein. Seokjin, du bleibst hier und beobachtest den Usurpator."

„Und du?"

„Ich bleibe an Hoseok", sagte sie, als sei damit alles geklärt. „Der gerade auf besten Weg ist, Taehyungs Verfolgung aufzunehmen."

„Areum", widersprach Jeongguk eilig, „ich weiß nicht, ob du nicht lieber hier bleiben solltest und–"

„Jeon Jeongguk, du bewegst jetzt deinen Arsch um meinen Bruder zu retten, so, wie du schon seit mehreren Tagen ankündigst, oder ich schreie. Los, jetzt."

Er warf ihr einen letzten düsteren Blick zu, bevor sie ihm einen leichten Schubs gegen die Schulter gab, sodass er ein paar Schritte über die Tanzfläche stolperte. Er fing sich wieder, bevor er langsam an der Bar entlangstrich, die zur rechten Seite in den Raum wuchs. Unmittelbar dahinter war ein schmaler Durchgang in Richtung der Küchen, durch den in aller Regelmäßigkeit mehrere Wägen mit Silbertabletts gerollt worden. Zu seinem unendlichen Glück erwischte er eine kurze Flaute, in der er sich zwischen zwei schwach protestierenden Kellner durch den Durchgang schob.

Ein kurzer Gang folgte dem Kücheneingang, der sofort in mehrere Richtungen verzweigte. Jeongguk folgte seiner Intuition und entschied sich für denjenigen der Durchgänge, der kaum beleuchtet war. Ein paar Meter lang eilte er den dunklen Gang entlang, bevor er auf eine breite Metalltür traf, dessen Griff sich jedoch widerstandslos hinabdrücken ließ.

Unmittelbar dahinter veränderte sich die Konsistenz der Mauern von modernen Linoleum zu uralten, modrigen Stein, der über und über mit Spinnweben bedeckt war. Er zog sein Handy aus der Tasche und nutzte den Blitz als Taschenlampe dafür, sich in der absoluten Dunkelheit zurecht zu finden. Der Gang war leicht gekrümmt und erst nach ein paar Metern bemerkte er, dass der Boden sich sanft nach oben neigte.

Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er sich augenscheinlich in der Rotunde befand, in den doppelten Mauern des riesigen Komplexes, der sich an das Castello anschloss. Offensichtlich war das massive Gebäude innen hohl und wie eine Spirale aufgebaut, die ihn immer weiter und weiter in die Höhe führte.

Jeongguk beschleunigte seine Schritte, bis er plötzlich einer massiven Mauer gegenüberstand. „Fuck", flüsterte er. „Scheiße. Mann, Tae. Wo bist du?"

Er machte einige Schritte zurück, nur um zu bemerken, dass ein Luftzug über seine Haut strich, wenn er langsam genug an der Engstelle vorbeischlich. Wie aus einem Instinkt heraus legte er seine Hand auf die Stelle, an der er die Ziegelsteine vermutete, nur um zu bemerken, dass sie unter seiner Berührung einfach nachgab.

Zuerst erschrak er so sehr, dass er perplex mehrere Schritte zurückstolperte, doch seine Berührung hatte den schweren Stoff dazu veranlasst, sich im Licht seines Handyblitzes zu kräuseln und sobald er wieder Herr über seinen Herzschlag war, legte er seine Hand noch einmal auf dieselbe Stelle. Zuerst geschah überhaupt nichts, dann jedoch schien seine Berührung eine unendlich schwere Stoffbahn anzuregen, die offensichtlich mehrere dutzend Meter nach oben reichte und so schwer war, dass er sie zuerst für die Mauer gehalten hatte.

Er lehnte sich mit seinem gesamten Gewicht dagegen und ein paar Sekunden lang schien er in der Luft zu schweben, bevor die Stoffbahn nachgab und er plötzlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Staub stieg auf, als er mit den Händen voran auf dem Steinboden aufkam und sich einen plötzlichen Reizhusten verkneifen musste.

Jeongguk sprang sofort auf die Beine und stellte fest, dass es plötzlich wieder hell geworden war. Er stand inmitten eines desertierten Ganges, der im Vergleich zu der anliegenden Rotunde vollkommen geradlinig verlief. Bei der Stoffbahn, durch die er soeben gebrochen war, handelte es sich um einen mehrere Meter hohen Wandteppich, in den ein tänzelndes Pferd eingestickt war. Der Stoff war so schwer, dass er sich schon jetzt wieder vollkommen statisch verhielt, als sei nicht gerade ein erwachsener Mensch daraus hervorgebrochen.

Direkt gegenüber von ihm befand sich ein breites Fenster und der Ausblick half ihm sofort, sich zu verorten. Von hier war der Park aus derjenigen Perspektive ersichtlich, die er schon einmal gesehen hatte – er musste sich demnach in demjenigen Gebäudeteil des Kastells befinden, das hinter die Rotunde anschloss und, seinen Informationen zufolge, Bonannos private Räumlichkeiten beinhaltete.

Er zögerte keine Sekunde länger und setzte sich wieder in Bewegung, als er einen weiteren Durchgang in die Richtung vor sich auftauchen sah, der von dem Ballsaal wegführte. Eine Wendeltreppe schloss an ihn an, und er hastete die Stufen hinunter, immer in der stummen Hoffnung, Taehyung wie durch ein Wunder vor sich auszumachen.

Als er jedoch am Fuße der Treppe angelangte und die letzten Ausläufe der Rotunde zurückließ, wäre er beinahe in einen der schwarz gekleideten Sicherheitsmänner gestolpert, der plötzlich aus dem Nichts vor ihm erschien.

„Es ist einer von ihnen!", rief dieser über seine Schulter, während er Jeongguk mit Schraubstoff-Griff um seinen Arm unbeweglich machte. Keine Sekunde später tauchte ein weiterer der Wachmänner auf und Jeongguk wurde bewusst, dass er offensichtlich in einen belebteren Teil des Kastells vorgedrungen war – einen Gang auf Erdbodenhöhe, der offensichtlich auf besten Weg in die Richtung war, die Jeongguk anstrebte.

Er riss sich mit seiner gesamten Kraft los und duckte sich unter dem schwerfälligen Hieb des Mannes durch, der ihn gepackt hatte, bevor er so schnell, wie er vermochte, den breiten Gang entlanghastete, noch ehe sein Gegner weitere Verstärkung auf den Plan rufen konnte.

Was hatte der Mann damit gemeint, dass er ‚einer von ihnen' war? Hatte heute Abend schon einmal jemand versucht, sich an ihnen vorbeizuschleichen und war gescheitert? Taehyung vielleicht?

Sein Herzschlag nahm eine Frequenz unmenschlichen Ausmaßes an und kurz wurde ihm schwarz vor Augen, als er aufgrund seiner rapiden Geschwindigkeit eine Ecke zu scharf abschnitt und beinahe zu Boden gestürzt wäre. Hinter sich konnte er die Rufe seiner Verfolger hören und er wünschte sich nichts sehnlicher, als einen Überblick darüber zu haben, in welche Richtung er gerade unterwegs war. Soweit er wusste konnte er genauso gut in die tiefste Sackgasse hineinrennen.

Er hatte kaum Zeit, die Bauweise der Gänge zu registrieren, aber irgendetwas daran mutete so mittelalterlich an, dass er nicht überrascht gewesen wäre, wenn seine Verfolger anstelle von schwarzen Anzügen Ritterrüstungen getragen hätten. Alle paar Meter stand ein teures Möbelstück an der Wand, auf das ein Lammfell drapiert war und die Beleuchtung rührte auch hier von elektrischen Fackeln in den Wänden, die in seinem verschwimmenden Blickfeld beinahe wie echte Flammen erschienen.

Aus einem Instinkt heraus hechtete er in ein unbeleuchtetes Treppenhaus, gerade, als er um eine Ecke gebogen war, während er sich sofort mehrere Meter in der Tiefe in die Schatten kauerte. Wie aus weiter Ferne hörte er die Schritte seiner Verfolger auf dem Stein vorbeistampfen und sie jagten kleine Tremore durch den Boden, die bis zu ihm vordrangen.

Er schloss die Augen und betete, dass er in seinem Versteck unentdeckt blieb – und tatsächlich schien die Intensität der Schritte langsam abzunehmen, bis sie so weit waren, dass er es wagte, wieder Luft zu holen und vorsichtig über die Stufen nach oben zu kriechen. Er warf einen Blick in den Gang; doch dieser schien tatsächlich vollkommen desertiert zu sein und rappelte er sich auf und eilte weiter in die Richtung, die ihn immer weiter von der Rotunde fortführten.

Einen winzigen Augenblick glaubte er, es tatsächlich geschafft zu haben – doch dann prallte ein Körper mit voller Kraft gegen seinen und warf ihn gegen die Wand; sein Kopf nur Millimeter von dem Einschlag einer Fackel entfernt.

„Wer schickt dich?", zischte der Mann, der ihn gegen die Mauer presste und seine Finger unnachgiebig in seine Kehle gepresst hatte. „Gehörst du zu Kim?"

Es musste sich bei ihm um einen der ranghöreren Security-Männer halten, mit denen Bonanno sich Tag für Tag, Jahr für Jahr umgab, denn Jeongguk konnte kein Kabel erkennen, das ihn mit den anderen Wachmännern verbunden hätte.

Ihm wurde schwarz vor Augen, während er seine Fingernägel in die Hand seines Peinigers hieb, was diesem jedoch vollkommen kalt zu lassen schien. „L-Luft", röchelte er verzweifelt und seine Beine wurden allmählich zu schwach, um nach dem Wachmann auszuscheren.

In dieser Sekunde bahnte sich ein wütender Schrei einen Weg zu seinem Ohr. „Lass ihn los!", kreischte jemand vollkommen hysterisch und der Mann brüllte auf, als plötzlich die Klinge eines langen, silbernen Dolchs in dem schmalen Bereich zwischen Nacken und Schulter steckte. Jeongguk erkannte zwischen den tanzenden Lichtflecken in seinem Blickfeld wie ein roter Blitz gegen den Mann wütete, indem er ihm von Jeongguk herabzerrte, als handelte es sich dabei um die letzte Amtshandlung von auf die Spitze getriebener Determination.

Plötzlich war der Mann verschwunden und Areum stand vor ihm, ihr Haar nur noch eine Idee der Ordnung, die es einmal innegehabt hatte. Ihre Maske saß noch, aber sie war so verrutscht, dass er ihre Augenbrauen sehen konnte. Sie bückte sich zu dem unbeweglichen Mann hinab und zog den Dolch aus seiner Schulter. Als er ein schmatzendes Geräusch von sich gab, schrie sie noch einmal entsetzt auf, bevor sie die blutige Klinge an seinem schwarzen Anzug abwischte. Jeongguk erkannte, dass ihre Hände wie verrückt zitterten und er rieb sich fieberhaft über den Hals, um die Zirkulation des Blutes und Sauerstoff wieder anzuregen, während er sie zu ihr auf den Boden sinken ließ.

„Alles in Ordnung?", krächzte er und anstelle einer Antwort warf sie ihre Arme um ihn und begann hemmungslos zu schluchzen.

„N-nein", brachte sie zwischen ihren bebenden Lippen hervor. „Ich weiß nicht, wo Seokjin ist, fuck, fuck. FUCK!"

„Ist er nicht noch im Saal?"

„Ich weiß es nicht. Oh, mein Gott. Ich weiß auch nicht, wo mein Bruder ist, oder der Usurpator. Ich weiß nur, dass Hoseok irgendwo in diese Richtung verschwunden ist." Sie deutete in den Gang hinein, den er ohnehin weiterverfolgt hätte, wenn er nicht plötzlich von dem Wachmann überfallen worden wäre.

„Okay", sagte Jeongguk und zwang sie, ihn anzusehen, indem er seine Hand an beide Seiten ihres Gesichts legte. „Areum, du darfst nicht in Panik verfallen. Du bist hier diejenige, die Seokjin und mich zusammenhält und ich weiß, dass du ihn finden wirst."

Die Panik in ihrem Blick ebbte ab und sie nickte schwach, als Jeongguk sie auf die Stirn küsste, ehe er sie an sich drückte.

„Ich weiß, ich verlange viel von dir, aber du musst ihn finden. Yoongi und Hoseok können selbst auf sich achtgeben, aber Seokjin nicht." Er sog tief die Luft ein. „Ich würde dir helfen, ihn zu finden, aber ich muss–"

„Zu Tae." Areum nickte wieder und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, lag eine neue Determination darin und sie kam mühsam wieder auf die Beine. „Ich weiß. Du rettest Tae, ich Seokjin. Wir finden uns schon irgendwie."

Sie legte ihm den Dolch in die Hand und als er ihn ihr sofort entsetzt zurückgeben wollte, zog sie den Saum ihres Kleides nach oben und er erkannte, dass sie noch ein zweites, kleineres Messer in ihren Schuh gesteckt hatte. Ein winziges Lächeln sprang auf seine Lippen.

„Ach, Areum."

Sie drückte ihn ein letztes Mal an sich, bevor sie sich auf der Stelle umwandte und sofort in die Richtung zu rennen begann, aus der er soeben gekommen war; diejenige, in die er die Rotunde vermutete. Jeongguk selbst erlaubte sich noch dreißig Sekunden Verschnaufpause, dann zog er sich langsam an der Wand hinauf, der Dolch, den Areum ihm überlassen hatte, in seiner rechten Hand. Der Boden fühlte sich unstet unter seinen Schritten an, aber es gelang ihm, den Verlauf des Ganges weiter zu verfolgen; zumindest, bis er plötzlich inmitten einer Art der Eingangshalle stolperte, aus der nur ein einziges Tor hinausführte. Dieses war geöffnet und Jeongguk hörte Stimmen aus dem Inneren dringen, streitende Stimmen; und sein Herz beschleunigte sich.

Ohne auch bloß eine Millisekunde zu zögern, schlüpfte er durch die massive Eichenholztür, nur, um sich in einer offensichtlichen, kleineren Bibliothek wiederzufinden. Der Raum war, genau wie der Ballsaal, mehrere Meter in den Boden versenkt und beinahe jeder Quadratmeter war mit schweren Teppichen tapeziert, die jeden seiner Schritte dumpf erklingen ließen. Ein einziges, rotes Sofa stand in der Mitte des Raumes, der ansonsten nur von Regalreihen mit Büchern durchzogen war – und Jeongguk sah die marineblaue Maske Bonannos, noch bevor er ihn selbst ausmachte. Er saß auf dem Sofa gelehnt; offensichtlich unbeweglich – und keine Sekunde später wurde Jeongguk bewusst wieso. Auf der anderen Seite des kleinen Rundbereiches stand Taehyung mit einer Pistole in der Hand, deren Lauf geradewegs auf Bonannos Brust gerichtet war.

„Worauf wartest du noch?", spottete der Mafioso, gerade als Jeongguk sich der Situation vollständig bewusstgeworden war. „Du hast mich überlistet. Meine Männer sind an den verschiedenen Enden des Castellos verteilt, allesamt fortgelockt mit deinem cleveren kleinen Trick. Wie hast du überhaupt auf ihr internes Kommunikationssystem zugreifen können?"

Taehyung antwortete nicht und Jeongguk wagte es nicht, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, in der Sorge, dass er Taehyungs Konzentration nur durch einen falschen Schritt stören könnte.

„Und du hast sogar Verstärkung gebracht", sagte Bonanno in diesem Augenblick, der Jeongguk gesehen hatte, seit er eingetreten war.

Taehyung drehte sich auf der Stelle um – Jeongguk meinte beinahe, tiefe Erleichterung in seinen Augen zu sehen – und erst da stellte er fest, dass er seine Maske abgenommen hatte. Er wirkte vollkommen unversehrt und Jeongguk fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Als er jedoch Jeongguk auf dem Absatz erkannte, fiel ein Schatten über sein Gesicht.

„Was machst du hier?", fragte er dumpf. „Du solltest hier nicht sein."

„Ich bin hier, um dir zu helfen, du Idiot", zischte Jeongguk.

„Ich brauche deine Hilfe nicht, wie oft noch!"

„Offensichtlich", wandte Bonanno ein, dessen italienischer Akzent seine Worte tränkte wie ätzendes Gift. Er ließ ein schmales, belustigtes Grinsen sehen, das Jeongguk mehr besorgte, als alles andere.

„Jetzt bring's endlich hinter dich." Jeongguk machte noch einen Schritt nach vorne, auf Taehyung zu, der sich nach wie vor um keinen Millimeter bewegte. „Oder soll ich es machen? Mir ist es egal, ich erschieße ihn mit Freuden dafür, was er Yugyeom und Wonpil angetan hat."

„Nein", gab Taehyung zischend zurück. „Ich muss es tun."

„Dann mach. Komm schon." Jeongguk machte noch einen Schritt auf ihn, bevor er langsam die Maske von seinem Gesicht zog, deren Ränder sich nach der Malträtierung des Wachmanns in seine Haut gegraben hatten. Er bemühte sich, Taehyung geradeaus zu fixieren, der als Reaktion dessen seinen Blick von Bonanno nahm und ihn mit leicht geöffneten Lippen beobachtete. „Ich weiß, dass du es kannst. Du hast es schon einmal geschafft. Erinnerst du dich? Als du mein Leben gerettet hast."

„Ich...", flüsterte er. „Ich k-kann nicht."

„Okay", wisperte Jeongguk und machte einen letzten Schritt auf ihn zu. „Ich tu es für dich. Keiner wird jemals davon erfahren. Ich werde es keiner Menschenseele erzählen, und er gewiss auch nicht, denn er ist dann tot."

Einen Augenblick glaubte er, dass Taehyung nachgeben würde, dass er ihm die Pistole in die ausgestreckte Hand fallen ließe – doch dann machte er einen Schritt zurück, wobei er den Lauf seiner Pistole nicht von Bonannos Gesicht nahm. „Verschwinde, Jeongguk", sagte er, aber seine Stimme zitterte so sehr, dass seine Worte beinahe unverständlich waren. „Verschwinde und lass mich einfach in Ruhe. B-bitte."

Noch ehe Jeongguk etwas erwidern konnte, tat sich an der Holztüre ein Tumult hervor und keine Sekunde später stolperte Yoongi durch das Tor, dicht gefolgt von Hoseok, der eine blutige Schramme auf dem Gesicht trug. Taehyungs älterer Halbbruder benötigte offensichtlich keine halbe Sekunde, um die Situation einzuschätzen und er schwang sich über das Geländer, sodass er keine Sekunde später neben Taehyung und ihm stand, während Hoseok ihm über die Treppe hinabfolgte.

„Noch mehr von euch?", fragte Bonanno seufzend. „So eine Garde hätte ich gar nicht erwartet. Lasst mich raten, der Streit geht gleich weiter, wer von euch mich jetzt erschießen darf, oder?"

Jeongguk hatte nicht einmal Zeit, zusammenzuzucken, als ein Schuss durch den Raum peitschte und ein postwendendes Splittern erklang. Taehyungs Hand zitterte und aus dem Lauf seiner Pistole stieg Rauch auf. Jeongguk hoffte, flehte, dass er getroffen haben mochte, aber als Bonanno nach einem Augenblick des Schreckens wie ein Wahnsinniger zu lachen begann, wurde ihm bewusst, dass Taehyung nur einen Lampenschirm getroffen hatte, der hinter dem Sofa aufragte.

Jeongguk hätte im Nachhinein nicht mehr sagen können; was zuerst geschah – Yoongi, der nach vorne hechtete und Taehyung die Pistole aus der Hand schlug, sodass diese mit einem dumpfen Geräusch auf den Teppich fiel, oder das ohrenbetäubende Knirschen der Wandvertäfelung, als eine mit der Wand verschmelzende Seitentür aufbrach und Trümmer und Splitter durch den gesamten Raum jagten.

„DEA, Hände hoch!", schrie eine Stimme, die ihm vage bekannt vorkam und er wäre beinahe auf der Stelle erstarrt, als er Blankenships blasses, hoheitsvolles Gesicht gegen das Blau seiner Uniform stechen sah. Er war von zwei weiteren Männern flankiert, die ihre Pistolen, genauso wie er selbst, in das Innere des Raumes gerichtet hatten. Jeongguk erkannte Diegos dunkle Locken, noch ehe er richtig registriert hatte, was geschehen war. Blankenship ließ Bonanno vollkommen links liegen und das einzige, das er tat, war, den Lauf seiner Waffe auf Yoongi zu richten, der nicht einmal Zeit hatte, angemessen zu reagieren.

Bevor Jeongguk wusste, was er tat, hatte er Taehyung hinter sich gestoßen, sodass die aufziehende Bedrohung des Kugelhagels ihn auf keinen Fall erwischen wurde – und tatsächlich fiel eine halbe Sekunde später ein Schuss.

Der rechte der zwei Männer, der Blankenship flankierte, war der Schuldige; aber so hatte er nicht auf Yoongi oder Taehyung geschossen, sondern auf Blankenship selbst – ein gezielter Schuss in den Bauch und der Anführer der DEA sank auf die Knie, beide Hände gegen die Blutung gepresst, die nur eine Sekunde später gegen seine Finger zu sprudeln begann. Diego fiel sofort neben ihm auf die Knie; aber da riss der zweite der DEA-Offiziere seinen Helm von seinem Kopf – und Jeongguk erkannte Namjoons weißblondes Haar.

„Los jetzt!", rief er und bedeutete ihnen, ihm so schnell wie möglich durch die aufgebrochene Tür zu folgen. „Blankenship ist nicht alleine hier; seine Verstärkung bricht jeden Augenblick durch diese Tür da oben."

Yoongi war der erste, der sich in Bewegung setzte, und Hoseok folgte sofort. Jeongguk hörte die Schritte einer gesamten Kavallerie DEA-Officers draußen gegen den massiven Stein rumoren und so riss er Taehyung an seinem Ärmel aus seiner Starre, die sich auf Bonanno richtete, der ihn wiederum ungerührt musterte.

Jeongguks letzter Blick, ehe er hinter den Regalreihen abtauchte, galt Diego, der neben seinem Vorgesetzten auf dem Boden kniete und versuchte, die Blutung zu stillen, die Namjoons Schuss in seine Bauchdecke gefetzt hatte.

Die nächste Minute wich einem Eindruck aus unzusammenhängenden Bildern, die in seinem vollkommenen Adrenalinrausch demjenigen nachzukommen versuchten, das er seine Wahrnehmung nannte. Er wusste nur noch, dass er Taehyungs Handgelenk nicht losließ, während sie über eine Steintreppe ins Freie rannten, unter den Gerippen der Olivenbäumen hindurch, die gegen ihre Kleidung strichen und sie zurückzuhalten versuchten. In der Dunkelheit glichen sie Soldaten; Vollzieher der Staatsmacht, die Bonanno und seine Männer über sie auszurichten versuchten und Jeongguk versuchte, sich Namjoons helles Haar zu fixieren, das vor ihm in der Dunkelheit auf- und absprang wie ein Leuchtfeuer.

  Irgendwann verlangsamten sich ihre Schritte und Jeongguk bemerkte, dass sie den Park der Bonannos weit hinter sich zurückgelassen hatten – das erleuchtete Kastell in ihrem Rücken nur noch ein blasser Schimmer, undeutlicher als der Mond. Taehyung neben ihn schöpfte angestrengt Atem, während er seine Hände in die Beine stemmte und sein verschwitztes Haar klebte an seiner Stirn.

„...von Glück reden, dass ihr nicht tot seid", fauchte eine Stimme, die Jeongguk entfernt als Namjoons charakterisierte. Er hob den Blick und bemerkte zu seiner überbordenden Erleichterung, dass er zu einer jungen Frau in einem zerfetzten roten Kleid sprach, die ihre Arme um einen nicht minder mitgenommen wirkenden Seokjin schlang.

„Areum!", rief Jeongguk. „Oh, mein Gott. Du bist okay."

Er kümmerte sich um nichts anderes als um seine ältere Freundin, die augenblicklich von Namjoon abließ, über den Asphalt auf ihn zuflog und ihre Arme so fest um ihn schlang, dass er glaubte, sie würde ihm die mühsam wieder hergestellte Atemluft aus der Lunge quetschen.

„W-wo kommt ihr her?", murmelte er in ihr Haar und Areum ließ von ihm, sodass Jeongguk als nächstes Seokjin in die Arme schließen konnte, der schlimmer zugerichtet schien als Hoseok.

„Über den Haupteingang", krächzte Seokjin. „An der Tür sind sie allerdings misstrauisch geworden, weil ich wie ein Schwein geblutet habe und Areum hat mich über die breite Steintreppe weggezogen, sodass wir fast drei Meter tief in den Garten gefallen sind."

„Sieht aus, als hätte sie heute unser beider Leben gerettet", meinte Jeongguk mit einem schwachen Lächeln in Richtung Areum, die nach seiner Hand griff und sie so fest drückte, wie sie vermochte.

„Oh-oh", murmelte Seokjin, noch bevor sie etwas erwidern konnte, während er einen Punkt hinter Jeongguk fixierte und er fuhr sofort herum, nur, um den unwahrscheinlichsten Anblick auszumachen, den er jemals erwartet hatte.

Taehyung hielt Yoongi im Schwitzkasten, während der ältere der Halbbrüder seinen Kopf so abrupt zurückschlug, dass Taehyungs Nase vor Blut rot glänzte. Hoseok und Namjoon stürzten beide auf sie zu, zerrten sie auseinander – und Jeongguk war sofort bei Taehyung, um ihn davon abzuhalten, noch einmal auf Yoongi zuzustürzen.

„Du verdammter Idiot", fauchte Taehyung und Jeongguk benötigte seine gesamte Körperkraft, um ihn zurückzuhalten. „Du hast diese einmalige Gelegenheit zerstört."

„Sagt derjenige, der nicht einmal auf eine Distanz von drei Meter treffen kann", höhnte Yoongi, der aus dem Mund blutete und offensichtlich drauf und dran war, sich noch einmal auf Taehyung zu stürzen. „Wenn hier einer verschissen hat, dann warst das du."

„Seid still, ihr beide", zischte Namjoon. „Ich musste mein Cover aufgeben. Das bedeutet, wir können unserem hübschen Fluss von Informationen auf Wiedersehen sagen."

„Und Bonanno ist gewarnt", sagte Areum, die neben Jeongguk getreten war, und mit steinernen Blick auf ihre Brüder sah. „Das heißt, wir haben heute so gut wie gar nichts erreicht. Wir stehen am Anfang. Wenn nicht sogar davor."

Taehyung schüttelte Jeongguks Umklammerung unwirsch ab und er machte einen Schritt von ihnen fort, in Richtung der Straße, die selbst zu dieser Stunde noch stark befahren war. Einen Augenblick lang überlegte Jeongguk, ihm einfach hinterher zu rennen, ihn festzuhalten und nicht mehr loszulassen, bis alle diese ungewohnte Wut, dieser Hass aus ihm verschwunden war, und er wieder der Taehyung sein würde, den er kannte.

Aber als er einen Blick auf seinen ehemaligen besten Freund warf, der mit verschränkten Armen darauf wartete, dass sie ihn einholen würde, ereilte ihn die Realisation, dass er, ganz vielleicht, einem Gespenst hinterherjagte.

author's note

weil Apri mit meiner letzten kurzen a/n nicht zufrieden war, möchte sie nun folgende Worte an euch richten:

gUdden tag, meine lieben mitleser von slowtown! wenn ihr gerade einen "wtf"-moment hattet und euch fragt, warum rosa das gesagt hat, hahahahaha tschuldigung, dass ich euch enttäusche, aber ich bin's, apri aka @buttercup-s hehe. unsere liebe rosa hier hat mir erlaubt, die heutige a/n zu schreiben. bevor wir aber noch dazu kommen, wollte ich sagen, dass ich nur eine sehr vage idee des inhalts habe, ups? kennt ihr diese "das does my voiceover"-videos? wo die keinen plan haben, worüber die reden? so fühle ich mich gerade, yiKes.
aber ja, was ich weiß ist, dass alle voll coole outfits tragen lmAo (für echte visuelle darstellung könnt ihr in rosas instastory @/ohagust nachschauen (aber ohne masken, da diese vollkommen aus meiner gedankenwelt entsprungen sind).
naja, ist jetzt auch nicht so wichtig.
um nochmal aufs kapitel zurückzukommen: ich hoffe, dass es euch gefallen hat (ich hoffe, dass das sinn macht, weil wie gesagt, ich weiß nur 0,5% vom kapitel) und #spreadluv hehehehe. bevor ich aber gehe wollte ich euch nur darauf hinweisen, dass wir wegen globaler erwärmung voraussichtlich in 11 Jahren aussterben werden😱 aber hehehe das wars auch nun mit der a/n, wenn ihr mehr hiervon wollt, sagt es rosa *mic drop*
apri aus *dab*

ps: bitte folgt alle @/petalistic auf insta!! chrissy lädt zu jedem kapitel ein edit hoch und man eh machen die mich eMO aber das ist ne andere geschichte

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