🌊Der Stern des Meeres🌊*Watt...

De Thyrala

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1601: "Die See ist nichts für Feiglinge!" - Lorena bekommt nichts geschenkt, aber das macht sie stark. Sie be... Mais

Personenverzeichnis
Vorwort
Schiffbruch
Gestrandet
Ein neues Leben
Gefährliche Wattwelt
Das Gold der Uthlande
Der Blanke Hans
Schicksal
Der Gast
Eilien
Unterricht
Matt
Der Luftgeist
Absturz
Zehn Tage
Die Strafe
Aussprache / Amrum
Freunde
Strandjer
Pläne
Abschied
Sehnsucht
Bleiben oder gehen
Hindernisse
Abfahrt
Leinen los!
Von Bilge und Back
Der Quartiermeister
Von Gesangbuch und Knoten
Hoch hinaus
Gegenwind
Der Teufel an Bord
Die schwarze Liste
Durchhalten
Der Geist
Kräftemessen
Waffenstillstand
Atempause
Rivalen
In geheimer Mission
Der Schwur
Von Kanonen und Schwarzpulver I
Von Kanonen und Schwarzpulver II
Mann gegen Mann
Gerrit
Drill und Seepest
Türkisblau
Hitze
Vorzeichen
Im Auge des Sturms I
Im Auge des Sturms II
Der neue Navigator
Konfrontation

Ein Geheimnis

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De Thyrala

Lorena war zu aufgewühlt, um einen klaren Gedanken zu fassen; immer noch sah sie Hauke vor sich, wie er mit flackernden Augen vor ihr stand. Sie setzte sich ins Gras und zwang sich, ihre Wahrnehmung ganz auf die Außenwelt zu richten ... auf das Wattenmeer, die bunten Vogelschwärme, die wolkengleich über den Schlickfeldern und Sandbänken auf- und niederstiegen, die Halligen, die von weitem aussahen wie dahintreibende Quallen. Nach und nach beruhigte sich ihr Geist, von neuem nahm sie ihre Überlegungen auf: es herrschte Ebbe ... sollte sie einfach fortlaufen? Zu Eilien? Dies wäre das Klügste - doch irgendetwas hielt sie hier zurück. Es fühlte sich falsch an.

Gehe nicht. Noch nicht, flüsterte eine Stimme in ihr.

Sollte sie ihrem Gefühl oder ihrem Verstand folgen? War es aus Mitleid mit Hauke? Doch Mitleid konnte selbstmörderisch sein. Warum bloß war er rückfällig geworden? Lange Zeit war es gutgegangen, er hatte ihr viele Freiheiten gelassen, hatte ihr vertraut. Woher jetzt dieser Wandel zum Schlechten?

Sie dachte eingehend nach. Wann eigentlich hatte es angefangen? War es wieder diese Traurigkeit, die ihn lähmte oder so unerträglich launisch machte? Statt mit ihr übers Watt zu laufen, was ihm immer Freude bereitet und gutgetan hatte, verkroch er sich im Haus. Was war los mit ihm? Ihre Gedanken kreisten und kreisten, aber sie fand keine Antwort darauf.

In dieser zwiespältigen Verfassung verbrachte sie eine Stunde auf dem Deich, bis sie merkte, dass sie erbärmlich fror. Ihr Wollumhang war inzwischen von Feuchtigkeit durchzogen. Zuerst hatte sie die Kälte kaum gespürt; vorhin hätte sie in der großen Aufregung mit ihrer inneren Hitze sämtliche Öfen der Inselbewohner beheizen können. Nun zwang sie sich endlich zum Handeln. Ich bin kein kleines Kind mehr, das vor Schwierigkeiten heulend davon läuft. Eine Chance gebe ich ihm noch, er hat sie verdient. Einmal noch muss ich ihn sehen, bevor ich mich entscheide. Hier und Heute. Janko wird mich jederzeit auf Süderoog finden.

Sie sprang auf, überprüfte vorsichtshalber noch den korrekten Sitz des Dolches im Stiefel, schob ihn heraus und wieder zurück. Ganz leicht glitt er aus der Lederscheide. Für alle Fälle ... Wild entschlossen machte sie sich auf den Weg nach Hause. Vielleicht zum letzten Mal.

Schon beim Näherkommen bemerkte sie ein Blitzen und Blinken im Moos, sie ging schneller - und sah dann die Bescherung: auf der Wiese vor dem Haus lagen mehrere Flaschen verstreut, alle zerbrochen oder zerschlagen, eine klare Flüssigkeit versickerte im Boden. An der Hauswand war noch ein Rinnsal zu erkennen. Sie sog scharf den Atem ein. Was zum ...! Hoffentlich trank Fenja nicht davon oder verletzte sich gar an den Scherben! Rasch blickte sie zur Tür - sie stand halboffen. Sehr gut! Dann konnte sie unbemerkt hineinschlüpfen.

Doch auf der Türschwelle wartete schon Fenja. Heftig mit den Flügeln schlagend, sperrte sie den Schnabel auf und zu, ohne aber zu gackern, als wollte sie um Ruhe bitten. Und schon flitzte sie davon, ins Innere des Hauses. Lorena folgte ihr verdutzt.

Fenja führte sie direkt zur Schlafnische. Die Klappe des Schrankbetts stand weit offen; sie trat auf Zehenspitzen näher ... und musste schlucken.

Hauke ruhte darin, die Decke bis zur Brust gezogen, als fröre er. Ein erschöpfter Ausdruck lag auf seinem kalkweißen Gesicht. Er sah aus wie erloschen.

Erschrocken stürzte sie zu ihm und rief leise seinen Namen.

Das weckte ihn aus seinem Dämmerschlaf, er schlug die Augen auf - und wider Erwarten war sein Blick klar und fest. Ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht, wie entschuldigend. Er winkte sie näher heran. „Setz' dich nur her zu mir, Lyka, ich habe dir etwas zu sagen." Seine Stimme zitterte leicht.

Sie gehorchte und setzte sich auf den äußeren Rand des Bettes.

Hauke räusperte sich und begann zu erzählen, stockend, mit kleinen Pausen zwischendurch. Er habe sich bei der Deicharbeit übernommen, und seine Kräfte überschätzt. Er wollte nicht nur als Aufseher und Antreiber auftreten; so hatte er sich besonders angestrengt, um zu beweisen, wie gut er noch mithalten konnte, hatte mit den Arbeitern zusammen die schweren Kleisäcke zum Deich gezogen, um ihnen ein Vorbild zu sein, ein ums andere Mal ... die Strandinger seien begeistert von ihm gewesen. Soviel Anerkennung hätte ihn beflügelt, selbst die schweren Karren hatte er teilweise alleine gezogen. Manchmal war ihm dabei schwarz vor Augen geworden, der kalte Schweiß sei ihm ausgebrochen, aber er hatte es überspielt. Er habe allen zeigen wollen, wie wichtig gerade dieser Deich für die Insel war; so habe er mit seinem Arbeitseifer schließlich alle mitgerissen. Dann gesundete Tjark und konnte seinen Platz wieder einnehmen. Der herzliche Dank seines Freundes hatte ihm so gutgetan! Er war so stolz gewesen über das Erreichte und seine wiedergewonnene Ehre.

Nach seiner Rückkehr allerdings hatte er sich müde, abgeschlagen und geschwächt gefühlt, außerstande, sein geliebtes Schlicklaufen wieder aufzunehmen. „Ich dachte, das geht schnell vorbei, aber es wurde immer schlimmer mit mir! Und ich griff in meiner Verzweiflung zum Branntwein, dachte, es würde mir helfen, mich die Schmerzen nicht mehr spüren lassen, ich könnte besser schlafen ... am Anfang hab' ich nur kleine Schlucke genommen. Aber ach, es ging bergab, immer weiter! Ich war so froh, dass du da warst und geholfen hast, Lyka, so froh", seufzte er.

Längst rannen Lorena die Tränen über das Gesicht, so sehr hatte sie das Eingeständnis seiner Schwäche mitgenommen. Den starken Hauke Eissen, der beste Schlickläufer der Uthlande, gab es nicht mehr! Der neue Deich hatte ihn getötet. So verbissen hatte er um seine Ehre gekämpft, dass er gearbeitet hatte wie ein Junger. Dazu diese stetige unterschwellige Trauer, die ihn innerlich ausgehöhlte wie das Meer den Felsen ...

All das durchschaute sie ganz klar. So tröstete sie ihn, er müsse sich nur mehr und öfter schonen und ermunterte ihn zu häufigeren Besuchen bei seinem wiedergewonnenen Freund Tjark. „Und wer weiß, vielleicht versöhnst du dich auch noch mit Iwe! Es war doch nur ein schlimmes Missverständnis gewesen. Dir wird es bald wieder besser gehen, du wirst sehen ...! Und ich habe Plätze gefunden, wo wertvolleres Strandgut zu holen ist, das verschafft uns ein müheloses Einkommen." Strandjer, dachte sie. Aber das brauchte er natürlich nicht zu wissen.

Hauke lächelte sie gütig an. Seine Lippen schimmerten bläulich. Dann schien er sich aufzuraffen und verkündete: „Da gibt es noch etwas ... jetzt ist höchste Zeit dafür." Er deutete in Richtung Wohnstube. „Du kennst die Truhe mit den Griffen aus Messing, die dort zwischen den beiden Schränken steht? Geh' hin, öffne sie und ..." Er begann zu flüstern, als hätten die Wände Ohren.

Augenblicklich lauschte sie hochkonzentriert. Er machte nicht viele Worte, sie nickte, erhob sich und folgte seinen Anweisungen.

Behutsam klappte sie den Deckel der Truhe zurück, ihre zitternden Finger glitten hinein, fanden das Geheimversteck ... eine kaum fühlbare Klappe, die sie nun öffnete. Im Innern ertastete sie ein Päckchen. Sie zog es heraus und zum Vorschein kam ein kleiner Beutel aus Leder, doppelt- und dreifach verschnürt. Sie knüpfte die Bänder auf, zog ihn leicht auseinander und entnahm den Inhalt; es war ein ovaler Gegenstand, in feines Linnen eingerollt. Vorsichtig wickelte sie ihn aus - und traute ihren Augen nicht! An einer goldenen Kette glänzte ein roter Stein. Er war leicht gewölbt und wurde von vier umgebogenen dünnen Metallstegen, sogenannten Krappen, in einer goldenen Fassung gehalten. Der Stein funkelte sie an, als sei er lebendig. Sie blinzelte verwirrt; vielleicht verschwand dieser Spuk ja von selbst? Aber es half nicht. Sie hielt ihn wahrhaftig in der Hand!

Kopfschüttelnd kehrte sie zu Hauke zurück. Der musterte sie gespannt.

„Wie bist du ...", fragte sie.

„... zu ihm gekommen?" Er lachte leise in sich hinein. „Ja, das verrat' ich dir jetzt ... als du bei uns angeschwemmt wurdest, hattest du diese Kette um den Hals getragen -"

„ICH?", schrie sie auf.

„Ja, du! Und das war noch nicht alles. Dem Ding hast du eigentlich deine Rettung zu verdanken. Die Gewitterwolken waren noch nicht abgezogen, es war fast so dunkel wie in der Nacht gewesen ... hab' erst nur ein rotes Blitzen im Wasser geseh'n, bin dann neugierig hinein und hab' zugefasst - und daran hingst du!! In dem ganzen Schaum und der Gischt, zwischen all' den Algen und den Trümmern warst du nicht zu seh'n gewesen und wärst ohne das Leuchten bestimmt jämmerlich ertrunken! Der Stein scheint kostbar zu sein, das ist wohl ein Rubin."

„Warum hast du es mir nie erzählt?"

Er seufzte. „Was hätte es genutzt? Deine Leute waren alle ertrunken oder später als Wasserleichen an den Strand geschwemmt worden und liegen nun auf dem Friedhof der Heimatlosen begraben. Es gab keine Überlebenden! Wen also fragen? Und ihn verkaufen? Nein. Weil ich mir nämlich gedacht habe, dass es vielleicht zum Familienschmuck gehört. Die Tochter trägt den Schmuck der Mutter weiter, so ist es bei uns üblich, vielleicht auch dort, wo du herkommst. Wollte nicht den Fluch deiner Ahnen auf mich laden und habe es für dich aufbewahrt, es ist dein, es gehört dir ..." Groß ruhten seine Augen auf ihr, so freundlich, wie sie es noch nie bei ihm gesehen hatte.

Gerührt dankte sie ihm. Er, der buchstäblich alles Strandgut zu Geld machte, sogar Leichen ausraubte, bewahrte all die Jahre hindurch für sie einen Schmuck aus Gold und Edelstein auf, weil er für sie einen unschätzbaren Wert hatte: das einzige Andenken an ihre verlorene Familie!

„Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll! Das ist unbegreiflich."

„Tu' sie um."

Nachdem sie den Schmuck angelegt hatte, nickte er zufrieden. „Schön sieht das aus." Er holte Luft, als fiele ihm das Atmen schwer, verzog ein wenig das Gesicht. „Und ... du ... du gehörst nicht hierher. Du bist etwas Besonderes. Suche dein Schicksal, deine Familie! Ich wusste es immer ... daher habe ich dich hier auch gar nicht eingeführt, dich bei nur wenigen Familien bekannt gemacht, kaum Kontakte zugelassen ... du solltest erst gar keine Wurzeln schlagen. Pass immer gut auf dich auf, Lorena, hörst du??"

„Ich hab' dich immer falsch verstanden", flüsterte sie. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Er hatte sie bei ihrem richtigen Namen genannt!

Begütigend streichelte er ihr über den Kopf. „Alles gut! - Da ist noch etwas Wichtiges ... sag' ihnen, wenn der blanke Hans kommt ... stärker als je ... dann eine große Gefahr droht ... sie sollen sich alle ins Hohe Moor flüchten, dort sind sie ganz gewiss sicher. Behalte dies im Gedächtnis, hörst du?" Er schauerte leicht, presste die Hand auf die Brust. „Und jetzt will ich nur noch eines ... heim zu Syke, ... meiner Frau ..." Ein tiefes Aufseufzen ... er atmete aus.

Syke ... Syke ... schien es geisterhaft in der Luft nachzuklingen, bis völlige Stille eintrat.

Das waren seine letzten Worte. Sie begriff es erst richtig, als seine Hand langsam von der Brust rutschte und haltlos über den Boden pendelte. Dieselbe Hand, die sie aus dem tobenden Meer, aus dem mörderischen Schlick gezogen hatte. Nun war sie kalt und tot ...

Lorena starrte darauf und konnte es nicht fassen. Ohne sich zu regen, blieb sie auf der Bettkante zu seinen Füßen sitzen, die Hände in den Schoß gefaltet, atmete kaum. Ein mächtiger Schutz hatte sie verlassen. In ihrem Herzen klaffte ein Loch - der Platz, den Hauke ausgefüllt hatte. Es lag nun an ihr, es mit ihrer eigenen Lebenskraft zu schließen. Es war dunkel um sie geworden, obwohl es noch hell am Tage war. Das Gefühl des Verlassenseins drückte unerträglich ... sie schrie die Trauer heraus ... und schrie ...

Ein Ruf drang an ihre Ohren. Sie verstummte abrupt, versuchte durch den Tränenschleier hindurch die Gestalt vor sich zu erkennen.

Es war Janko. Und er war völlig außer Atem, keuchte: „Lyka?? Ich war im Watt unterwegs gewesen, sah dich aus der Ferne oben auf dem Deich stehen. Da hab ich mir gedacht, du hättest Zeit für uns, bin losgelaufen und dann dein Schrei!! Hat Hauke dich wieder geschlagen? Brauchst du Hilfe?"

„Nicht nötig", befand sie müde. „Hauke ist schon gegangen."

Janko trat näher. Dann erkannte er, was geschehen war und drängte nicht weiter in sie. Als sie sich wieder gefasst hatte, ließ sie ihn auch nicht länger im Ungewissen und erzählte in knappen Worten den Hergang: Haukes Wut, die zerbrochenen Flaschen. Seine letzten Worte. Und von dem Rubin.

„Er hat dich sehr gut gekannt. Seine letzte Sorge galt dir." Er nahm ihre kalten Hände in seine und umschloss sie fest. „Deshalb hat er dich alles gelehrt, alles, was er wusste. Das war sein Vermächtnis. Damit du ohne ihn überleben kannst. Frei und von niemandem abhängig."

Sie nickte und schwieg. Es sah so aus, als hätte Hauke alle Möglichkeiten für sie offenhalten wollen. Hatte er das Nahen des Todes gespürt? In jenen düsteren Stunden, die er im Lehnstuhl verbracht hatte, ins Leere starrend? Hatte er deshalb den Trost des Alkohols gebraucht, um die dunklen Schatten zu verdrängen?

Aber nun ... sie straffte die Schultern. Sie musste stark sein. Auf sie wartete noch Arbeit ... die Waschung. Die Totenwache. Der Sarg. Das Grab. Der Abschied in Würde. Und ein Besuch des Friedhofs der Heimatlosen, der möglichen Ruhestätte ihrer Angehörigen. Hauke hatte ihr diesen Kummer ersparen wollen, da er wusste, dass Trauer im Übermaß langsam töten konnte. Er wollte, dass sie nach vorne sah und ihr Schicksal in die Hand nahm.

„Mein Schicksal", flüsterte sie. „Wo bist du?"

Rotgoldene Sonnenstrahlen fielen schräg ins Zimmer. Der Tag verging, bald würde die Nacht hereinbrechen. Auf sie wartete ein neuer Morgen.

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