SLOWTOWN

Por agustofwind

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❝While I'm doing my time due to circumstance, cross that bridge, face the consequence.❞ Sie arbeiten so gut z... Más

EPIGRAPH ㅡ slowtown
PROLOG ㅡ the existential importance of slowtown for jeon jeongguk
KAPITEL EINS ㅡ the korean job
KAPITEL ZWEI ㅡ long island getaway
KAPITEL DREI ㅡ camilla
KAPITEL VIER ㅡ brother
KAPITEL FÜNF ㅡ kiss the blood off my hands
KAPITEL SECHS ㅡ cittàlenta
KAPITEL SIEBEN ㅡ the prodigal son
KAPITEL ACHT ㅡ addio
KAPITEL NEUN ㅡ the end of a friendship
KAPITEL ZEHN ㅡ speakeasy
KAPITEL ZWÖLF ㅡ the unholy trio
KAPITEL DREIZEHN ㅡ into that good night
KAPITEL VIERZEHN ㅡ a ghost of christmas past
KAPITEL FÜNFZEHN ㅡ the calm before the storm
KAPITEL SECHZEHN ㅡ sic semper tyrannis
KAPITEL SIEBZEHN ㅡ slowtown
EPILOG ㅡ the existential importance of slowtown for kim taehyung
GOODBYE ㅡ leave the city

KAPITEL ELF ㅡ birthright

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Por agustofwind

Die Scheibe beschlug unter seinem regelmäßigen Atem und aus halb geöffneten Augen beobachtete er den trüben Schleier auf der nachtschwarzen Dunkelheit hinter dem Autofenster, in die sich die spärliche, milchige Straßenbeleuchtung mischte. Sein Kopf schlug bei jeder Bodenwelle gegen die ledergepolsterte Quersäule, aber er war noch zu tief in seiner eigenen schlaftrunkenen Apathie gefangen, als dass er sich darum kümmerte.

Aus dem Radio drang ganz leise ein Lied, das ihm nicht bekannt vorkam; aber Areums honigweiches Summen legte sich über die Töne und ummantelte sie so, dass er fast glaubte, sie zu kennen. Eine eigenwillige Mischung aus Gitarren- oder Harfenklängen und den penetranten Tönen einer E-Gitarre mischten sich unter das kummervolle Lamento des Sängers, der offensichtlich die Liebe seines Lebens besang und wie sehr sie ihn verletzt hatte.

Auch, wenn es ihm üblicherweise nicht schwerfiel, die Geräuschkulisse seiner Umgebung vollkommen auszublenden, perseverierten ihn die Töne des beinahe bis in den Anschlag heruntergedrehten Liedes so sehr, dass er schließlich die Augen öffnete und seinen Kopf von der Scheibe löste.

Areum, die ihr Auto über die Lagunenstraße jagte, nahm ihren Blick einen Sekundenbruchteil von der scheinwerferbeschienenen Straße und schenkte ihm den Ansatz eines sanftmütigen Lächelns.

„Wach?", fragte sie liebevoll. „Gerade rechtzeitig, wir sind schon halb in Oyster Bay."

„Ich konnte nicht schlafen", seufzte Jeongguk und zog seine Jacke enger um sich, während er den Kragen aufstellte und sich tiefer in dessen Wärme verzog. „Meine Gedanken sind so..."

„...eingenommen?", soufflierte sie ihm, während ihre Finger sich um den Lautstärkeregler des Radios legten, sodass die Stimme des Sängers nun mit größerer Penetranz aus den Lautsprechern drang.

„Ja." Er blickte aus dem Fenster; hinter dem in der Dunkelheit die wogenden Wellen des Meeres verlaufen mussten – unter dem wolkenverhangenen Himmel, der nicht einmal dem Mond Gelegenheit ließ, seinen Schimmer über der Kulisse zu verteilen. Sie hatten sich der längsten Nacht noch nicht ganz angenähert; aber die Sonne war bereits vor zwei Stunden untergegangen, und das, obwohl die Uhr auf dem Armaturenbrett nicht einmal halb acht anzeigte.

„Wer ist das?", fragte Jeongguk schließlich und machte eine halbherzige Handbewegung in Richtung des Radios. Areum lächelte, als habe sie nur darauf gewartet, dass er diese Frage stellte.

„Was du hörst, Jeongguk, sind die unsterblichen Klänge einer noch viel unsterblicheren Seele." Sie nahm eine Hand vom Lenkrad, um die Lautstärke noch ein wenig zu erhöhen. „Freddie Mercury mit seiner Band Queen. Love of my life."

„Liebe seines Lebens?", fragte er nachdenklich, nachdem er den Worten einige Sekunden lang wortlos zugehört hatte. „Obwohl sie ihn so verletzt hat?"

Der Seitenblick, den sie ihm zuwarf, war nicht einmal mehr subtil. „Es ist einfach die Liebe seines Lebens", sagte sie vorsichtig. „Was soll er dagegen machen? Ganz gleich, was sie ihm antut, er wird sie immer lieben. Das wird nun einmal durch das Wörtchen ‚Leben' sehr deutlich gemacht."

Etwas an der Art, an dem Absolutismus, die dieser Sänger in seine Deklaration legte, trotz der abertausenden Nebensätze und Widersprüchlichkeiten, die seinen Herzschmerz mehr als deutlich machten, fühlte Jeongguk sich unangenehm an sich selbst erinnert.

Es war fast eine Woche her, seit er oben in Taehyungs Appartement zu seiner Realisation gekommen war; dort, an dem Ort, an dem sie tausende Stunden miteinander verbracht hatten, immer unter dem Banner der bedingungslosen Freundschaft; der optimistischen Zukunftserwartung.

Es hatte fast etwas von einer emotionalen Revolution gehabt, einer Revolte gegen seine eisernsten Prinzipien, wenn man so wollte, dass er sich inmitten dieser vertrauten Szenerie dessen bewusstwerden musste, das ihn zu keinem Tag, zu keiner Stunde seither mehr losgelassen hatte.

Irgendwann hatte er aufgehört, seine Erkenntnis verdrängen zu wollen. Zu irgendeinem Augenblick, in dem er von einem massigen italienischen Mafioso gegen eine Mauer gequetscht worden war und sein Sichtfeld begonnen hatte, sich an den Rändern schwarz zu verfärben – in dem Augenblick, in dem kaum noch genug Sauerstoff an seine Lunge gedrungen war, um Rationalität wie Adrenalin durch seine Adern zu pumpen – in diesem Moment hatte er entschieden, dass es an der Zeit war, damit aufzuhören, sich etwas vorzulügen. Zufälligerweise glich diese Eingeständnis, ebenso wie die Tatsache, dass er tatsächlich einer der Erbärmlichen, einer dieser bemitleidenswerten Idioten war, der in eigener Unachtsamkeit Gefühle für seinen besten Freund kultiviert hatte, genau dem Sentiment dessen, sich von einem aggressiven Mobster die Luft aus der Lunge quetschen zu lassen.

Seine empirische Erkenntnis hatte immerhin dazu geführt, dass ein neuer Zorn durch seine Adern gerauscht war – ein Selbsthass vielmehr, der jedoch stark genug gewesen war, sich in einem plötzlichen Andrang neuer Energiereserven nach vorne zu lehnen und sich des Griffs seines Angreifers zu entwinden.

Er erinnerte sich eindeutig an den Augenblick, in dem er auf den leblosen Körper seines Gegners geblickt hatte, ein wortloses Entsetzen in jedem Winkel seines Ichbewusstseins. „Fuck", hatte er gemurmelt. „Ich bin in meinen besten Freund verliebt. Fuck!"

Von diesem Augenblick an war es einfacher gewesen. Die Gravität seines Eingeständnisses war in Wogen gekommen; in einzelnen Wellenbergen, die beinahe jedes Mal genug waren, um ihn von den Füßen zu schwappen. Er hatte begonnen, ihre gesamte Freundschaft unter einem anderen Licht zu betrachten – alles, das geschehen war, seit Taehyung aus dem Internat zurückgekehrt war und Jeongguk, naiv wie er war, seine aufkeimende Bewunderung für seinen älteren Freund als platonische Loyalität abgetan hatte.

Es hatte sich über die Jahre gesteigert, wie ihm schließlich bewusstgeworden war, und gleichzeitig hatte er die Ambivalenz in seinen eigenen Gefühlen immer weiter in der Tatsache ertränkt, dass er nicht einmal innegehalten hatte, um sich selbst zu reflektieren.

Er war in einem streng katholischen Haushalt aufgewachsen und hatte Marias Überzeugung für göttliche Voraussehung aufgesogen wie ein jeder, der sich in seiner Adoleszenz nach etwas Führung sehnt. Gottes unumstößliches Wort war eine lange Zeit Stellvertreter für das Loch gewesen, das Taehyungs Verschwinden nach Upstate in seine Brust gerissen hatte. Auch, wenn er mit sechzehn Jahren gegen die Hälfte seiner Gebote verstoßen hatte, so war in Jeongguk immer eine fast respektvolle Furcht für das mitgeschwungen, das ihm dieser fremde Gott diktierte. Und Selbsterkenntnis gehörte schlichtweg nicht dazu.

„Warst du jemals verliebt, Areum?", fragte er schließlich, als die Stimme des Sängers zwischen ihnen verklungen war. Sie wandte sich überrascht zu ihm um und ihr aufmerksamer Blick kreiste ihn ein, dass er plötzlich Sorge trug, sie möge ihn durchschauen. „Also ehrlich und wirklich, so wie dieser Typ in dem Lied es besingt?"

„Ich?" Sie lachte leise, als fände die alleine die Vorstellung schrecklich amüsant. „Nein. Noch niemals. Du?"

„Ich weiß es nicht", log er. „Bestimmt. Aber nichts, an das ich mich jetzt noch erinnern würde."

„Mach dich deswegen nicht fertig", sagte sie leichthin und blies nachdenklich Luft aus ihren Lippen. „Das ist alles überromantisiert. Ich glaube, das meiste ist nur Propaganda."

„Propaganda?" Jeongguk musste wider Willen lachen, aber Areum schien es vollkommen ernst zu meinen.

„Ja. Du weißt schon, so wie damals in der Kirche, die den unterernährten und bitterarmen Bauern eingeredet hat, dass es eine Paradieswelt gibt, in der sie zu den Reichen werden und alles vergolten wird." Sie zuckte mit den Schultern, während sie von der Aussichtsstraße von Oyster Bay auf die schmale, einspurige Brücke bog, die nach Bayville Manor hinführte.

„So ist es doch auch mit dem Streben nach romantischer Erfüllung. Befeuert von der Propaganda-Maschine Hollywood werden beeinflussbare Jugendliche Tag für Tag mit dem Lügenkonstrukt dessen infiltriert, dass sie nur romantische Liebe zur Erfüllung ihres Glückes brauchen. Alles andere wird hintangestellt; gerechtfertigte Kritik an der Art und Weise, wie die vorangegangene Generation unsere Zukunft verspielt, zum Beispiel. Und die meisten glauben es; glauben es so lange, bis sie von Übernachtungspartys oder ausgedehnten Diner-Ausflügen mit ihren Freunden nach Hause zurückkehren und sehen, dass ihre Mutter ihren Vater vor die Tür gesetzt hat und Kartons mit seinen Habseligkeiten, Bruchstücke eines ganzen Lebens, die Garagentür blockieren. Trotzdem hören sie niemals auf, an diese... angeblich unsterbliche Liebe zu glauben, bis sie selbst im Hamsterrad der Routine gefangen sind und jegliche abenteuerliche Aufregung, jegliches revolutionäre Sentiment unter tausend Schichten Mittelmäßigkeit erstickt liegt."

Sie wirkte so unerschüttert, als habe sie diese Worte schon so oft ausgesprochen, bis sie zu ihrer ureigensten Überzeugung geworden waren. Als sie Jeongguks ungläubigen Blick bemerkte, den leicht geöffneten Mund, mit der er ihren Ausbruch bedachte, seufzte sie nur: „Ich sehe schon, du bist auch einer von ihnen. Diesen hoffnungslosen Romantikern."

„Nein, ich–"

„Es ist okay. Ich weiß selbst, dass ich bitter bin. Aber nach dem Beispiel, das mir meine Eltern vorgelebt haben, ist es schwer, etwas anderes zu sein." Über ihr Gesicht huschte ein Schatten, der sich nur einen Sekundenbruchteil länger in ihren zusammengezogenen Augenbrauen hielt. „Nun, das stimmt nicht ganz; Tae und Sora sind anders. Mehr wie du. Hoffnungslos. Optimistisch. Unverbesserlich."

„Ist das so?", fragte er überrascht.

„Nun, du kennst Sora. Sie ist unerschütterlich, in dem, woran sie glaubt. Himmel, sie ist in die Stadt der Liebe gezogen, um das zu tun, das ihr Freude bereitet. Wenn jeder in meiner Familie so ungezwungen sein könnte, dann wäre wohl keiner von uns hier."

„Und was ist mit Taehyung?" Sein Herzschlag beschleunigte sich wie auf Kommando, während er versuchte, mit einem gleichmütigen Ausdruck aus dem Fenster zu starren. Er ahnte, dass Areum genau wusste, wie viel ihrer Antwort anhing.

„Tae? Hmm, viel schwieriger. Er würde selten einmal das tun, das ihm das Leben vereinfacht, wenn es gleichzeitig einen Weg gibt, der alles problematisiert und ihm dabei die Ästhetik eines an Herzschmerz dahinsiechenden, Absinth-abhängigen Romantikers in la belle epoque erlaubt." Sie lachte leise und Jeongguk nahm seinen Blick von der schemenhaften Dunkelheit, die vor den Fenstern vorbeiflog. „Er ist hoffnungslos, ehrlich. Manchmal glaube ich, einen Masochisten zum Bruder zu haben, der alles dafür tun würde, um am Ende sagen zu können, für das Erreichen seines Ziels ausreichend gelitten zu haben."

„Für die Romantik?"

„Auch. Mir ist früh bewusstgeworden, dass er manchmal eine... eigenwillige Hartnäckigkeit an sich hat. Als fiele es ihm schwer zu akzeptieren, wenn ihm etwas in den Schoß fällt, so als... würde er alles ablehnen, wofür er nicht gekämpft hat?" Ihre Stimme klang fragend durch das Autoinnere zwischen ihnen und sie verzog das Gesicht. „Ach, ich weiß es nicht. Es ist Taehyung. Niemand hat ihn jemals verstanden. Wenn es so wäre, dann hätte unser Vater nicht den Usurpator nach oben gehievt."

Jeongguk schüttelte langsam den Kopf. „Nein. Es ergibt Sinn. Taehyung spricht mit niemanden über das, was ihm durch den Kopf geht, weil es am Ende vielleicht noch Missverständnisse ausräumen würde, und das... wäre ja wohl zu einfach."

„Manchmal glaube ich, dass es nichts gibt, was er liebt", sagte Areum ehrlich. „Er genießt nichts mehr als seine Unglückseligkeit. Sie gibt ihm die Unabhängigkeit darüber, den Launen des Schicksals ausgeliefert zu sein. Aber in der nächsten Sekunde ist er großzügig, zuvorkommend und warmherzig."

„Ist er das noch?", fragte Jeongguk zweifelnd. „Er war mein bester Freund, bevor er nach Korea verschwunden ist, und seit er zurück ist, könnte er ein Fremder sein."

„Oh, Jeongguk", sagte Areum unglücklich und eine tiefe Tristesse hing ihrer Stimme an. „Weißt du, wieso er wieder hier ist?"

„Weil er nicht heiraten wollte?"

„Und wieso wollte er das nicht?"

„Weil er seine Freiheit schätzt?" Jeongguk zuckte mit den Schultern, eine steile Wutfalte auf der Stirn, wie immer wenn seine Gedanken auf die Unberechenbarkeit seines ehemaligen Freundes zurückkamen. „Weil er nicht gerne kontrolliert oder ausgespielt wird?"

„Ja", antwortete Areum langsam, aber Jeongguk bemerkte, dass er nicht das gesagt hatte, das sie hatte hören wollen. „Das stimmt wohl."

Jeongguk wollte ihr gerade eine vermutlich noch weniger zufriedenstellende Antwort geben, als sich an der Peripherie der Straße aus der Dunkelheit vor ihnen plötzlich das Herrenhaus hervortat. Wie immer, wenn man in der Finsternis der Nacht darauf zuhielt, erschlug einen die imposante Aussicht des Palais dadurch, dass die gesamte Vorderseite mit einzelnen Scheinwerfern beleuchtet war und selbst durch die hohen Bäume vor der Fassade mit der Strahlungsintensität von eintausend Sonnen jedem ins Gesicht zu schlagen drohte, der nicht schnell genug war, den Blick abzuwenden.

Am heutigen Abend allerdings war die menschengemachte Supernova, die da die Außenansicht von Bayville Manor darstellte, nicht das ungewöhnlichste an dem Anblick, der sich einem zufälligen Beobachter bieten würde, falls dieser sich in der Nähe der Landzunge vorbeiwagte.

Die gesamte Auffahrt war mit Autos vollgestellt – mehr, als Jeongguk sie jemals hier gesehen hatte. Sie parkten teilweise in zwei Reihen auf dem schmalen Schotterstreifen, der sich wie ein Dunkelpfad zum Empfangsbereich des Herrenhauses zog. Autonummern, die Zugehörigkeit und Ursprung einer jeden möglichen Nationalität zugestanden, Sportwägen, SUVs, englische Traditionsgefährte rangierten in Farben von Schwarz bis Dunkelgrau – sie alle drängten sich auf der beachtlichen langen Zufahrtsstraße zur Hochburg der Kims zusammen, als habe ein Prophet unermesslichen Ausmaßes sie alle hier zusammengerufen.

„Was in aller Welt ist hier los?", flüsterte Areum, während sie ihr eigenes Auto auf dem letzten Abschnitt der asphaltierten Landstraße ausrollen ließ, offensichtlich unschlüssig, ob sie der beengten Zufahrt noch eine weitere Verschlimmerung der Umstände antun wollte.

„Sieht so aus, als habe Hyun-sik die Einladung für seine Verkündigung an jeden ausgeweitet, der jemals mit diesem Kartell in Verbindung stand." Jeongguk ließ seinen Blick fasziniert über die endlose Reihe an Autos schweifen, die die beachtliche Anfahrt von Anfang bis Ende säumten. Weiter oben, so bildete er sich ein, erkannte er einen stetigen Strom an Gästen, die sich durch die Eingangspforten in das Innere des Hauses drängten.

„Ich verstehe das nicht", schnaubte Areum. „Wieso würde er..." In der nächsten Sekunde schien sie eine Realisation zu ereilen und ein wütender Ausdruck zuckte über ihr Gesicht. „Nein, niemals! Das würde er nicht wagen."

Sie ließ den Motor erneut an, nur um das Auto von der Straße zu manövrieren und zur Hälfte in den Straßengraben zu versenken, ehe sie sich abschnallte und die Tür öffnete. Keine Sekunde später kamen ihre Füße auf dem Asphalt auf und sie knallte die Tür hinter sich zu. Jeongguk bemühte sich, es ihr gleichtun. Da Areum das Auto wirklich gefährlich nahe an den gut einen Meter tiefen Graben geparkt hatte, wäre er beinahe mit beiden Füßen in dem eiskalten Fluss versunken, der sich neben der Straße entlangzog und am Ende der Halbinsel in die Lagune mündete.

„Hey, warte", rief er hinter ihr her. „Was ist los?"

Areum, die schon halb in der Einfahrt stand, drehte sich zu ihm um und eine silberne Wolke ihres kondensierenden Atems manifestierte sich in der eiskalten Winterluft. „Ist das nicht offensichtlich? Er erkennt Yoongi als seinen rechtmäßigen Erben an. Deshalb ist jeder hier."

Jeongguk spürte, wie eine ohnmächtige Hilflosigkeit von ihm Besitz ergriff. „Nein, das würde er nicht tun. Nicht schon so bald."

„Wieso sollte er noch warten? Er hat sich ihm tausendmal bewiesen. Und wenn er ihn endlich anerkennt, dann ist zumindest die Ungewissheit gebannt." Sie begann die Auffahrt hinaufzustapfen, ihre hochhackigen Stiefel knirschten auf dem gefrorenen Kies und sie warf ihr Haar zurück, während sie ihren dünnen Mantel enger um sich zog. Trotz ihrer beachtlichen Geschwindigkeit war es Jeongguk ein Leichtes, sie einzuholen.

„Aber... so einfach ist das nicht", sagte Jeongguk zögerlich. „Oder? Darüber haben wir doch gesprochen. Er wird Yoongi niemals anerkennen können, solange Taehyung lebt. Weil beide Ansprüche genau gleich groß sind. Yoongi als ältester Sohn und Taehyung als ältester Sohn in der alternativen Welt, in der Yoongi niemals aufgetaucht ist."

Areum drehte sich zu ihm um, aber sämtliche Hoffnung schien sie verlassen zu haben, denn ihre dunklen Augen waren groß und kummervoll. „Das dachte ich auch. Aber letzten Endes bin ich nur die Tochter meines Vaters. Nicht seine Beraterin. Und erst recht nicht ein ausgelagerter Teil seines Gehirns. Ich kann nur erraten, was er tut."

Jeongguk sog tief die Luft ein, dann sagte er: „Vielleicht ist es nicht schlecht."

Areum drehte sich mit einem ungläubigen Ausdruck zu ihm um. „Nicht schlecht? Wieso würdest du so etwas sagen?"

„Taehyung ist sicherlich glücklicher, wenn Yoongi diesen Posten übernimmt. Dadurch erlangt er seine Freiheit. Ist das nicht das, was er will?"

„Oh, Jeongguk." Areum schüttelte den Kopf. „Das ist das, was er wollte. Früher. Aber Korea hat ihn verändert. Er ist endlich bereit, die Rolle anzunehmen, auf die er sein gesamtes Leben lang vorbereitet wurde."

Sie drehte sich überrascht zu ihm um, als er plötzlich einfach auf der Stelle stehen blieb und sie anstarrte, als habe sie den Verstand verloren. „Niemals."

„Jeongguk... ihr beide habt nicht mehr viel miteinander geredet, seit er zurück ist, aber er ist bereit." Sie machte ein paar Schritte zu ihm zurück und legte ihm ihre Hand auf die Wange, ehe sie ihm sorgenvoll ein paar Strähnen aus der Stirn strich, so, als wüsste sie genau, was ihre Worte ihm antaten. „Er ist endlich bereit."

Eigentlich, so redete er sich ein, eigentlich sollte er glücklich sein. War es nicht Jeongguk gewesen, der Taehyungs Flehen auf ihre Unabhängigkeit mit der Begründung zurückgewiesen hatte, dass er nicht bereit war, das Kartell zurückzulassen? Der sämtliche Hoffnungen seines Freundes auf der Stelle zerschmettert hatte, weil er nicht bereit gewesen war, das Leben aufzugeben, für das er seine jugendliche Unschuld geopfert hatte?

Mit Taehyungs neugefundener Ambition schien sich dieser Kreis endgültig zu schließen – aber Jeongguk konnte nicht behaupten, dass ihn das glücklich stimmte.

„Wieso ist dir das so wichtig?", murmelte er.

„Weil er mein Bruder ist. Und weil er im Vergleich zu Min Yoongi zu vergleichsloser Gutherzigkeit fähig ist." Sie strich ihm zögerlich das Haar aus der Stirn, und Jeongguk erkannte, dass sie in der Kälte zitterte. „Weil ich genau weiß, dass Yoongi die Schreckensherrschaft meines Vaters fortführen wird, aber Tae... unter den richtigen Umständen zu dem besten werden könnte, das diesem Kartell jemals geschehen ist."

„Wie kannst du das erwarten? Wenn er nicht einmal bereit ist, für das Wohl seines Clans jemanden zu heiraten, der ihm vorgeschrieben wird? Beweist das nicht, dass er sich selbst immer an erster Stelle platzieren wird?" Jeongguk blickte mit zusammengepressten Kiefer auf sie hinab und Areum schien unter seinem Augenmerk zu schrumpfen.

„Es ist so... schrecklich, dich so sprechen zu hören", flüsterte sie und erst, als sie den Blick wieder hob, wurde ihm bewusst, dass Tränen in ihren Augen glitzerten. „Selbst ich wäre niemals, nicht in hunderttausend Jahren davon ausgegangen, dass Taehyung und du... eines Tages so ein Ende finden werdet."

Anstelle einer Antwort sog Jeongguk tief die Luft ein. Es war das erste Mal, das Areum offen zugab, dass Taehyung und er auf eine Weise geendet waren, die ihnen nicht gerecht wurde. So war es auch das erste Mal, dass sie der Tiefe ihrer Freundschaft, ihrer unerklärlichen Beziehung, diejenige Wahrheit einräumte, dass sie mehr von ihr erwartet hatte. Vielleicht war es nur die Enttäuschung, dass damit alles auf dieser Welt letzten Endes nichtig zu sein schien, die ihre Augen in Tränen schimmern ließ.

„Ich werde niemals aufhören Taehyung zu lieben, Areum", antwortete er leise. „Aber manches kann man einfach nicht mehr ungeschehen machen; und Taehyung und ich... haben bemerkt, dass wir in dieser Sache für unterschiedliche Dinge stehen."

„Aber das heißt doch nicht, dass ihr nicht mehr miteinander sprechen könnt."

Darauf konnte er beim besten Willen keine Antwort finden und so machte er nur einen Schritt von ihr fort, was sie dazu veranlasste, eilig eventuelle Tränen aus ihren Augen zu wischen, bevor sie ihr Haar zurückschüttelte und so tat, als sei nichts geschehen.

„Versprich mir, dass du nicht einfach so aufgibst, Jeongguk", murmelte sie, als sie nebeneinander über den knirschenden Kiesweg hinaufschritten und allmählich in die hohen, verzerrten Lichtkegel traten, die die Fenster auf die Vorderansicht der Anlage warfen. „Taehyung braucht dich. Mehr denn je."

„Taehyung hat mich niemals gebraucht, Areum."

„Du weißt, dass das nicht stimmt."

Er zuckte mit den Schultern, anstatt sich auf einen Disput einzulassen, den er ohnehin verlieren würde. Es war keine weise Entscheidung, Areum zu widersprechen, wenn sie einer Sache vollkommen sicher war – und eigenartigerweise schien sie Taehyung und seine Freundschaft mit einer Art der unerschütterlichen Überzeugung zu bedenken, die ihn überraschte. Eigentlich hatte er angenommen, dass sowohl sie wie auch Seokjin der Tatsache mehr oder weniger gleichgültig gegenüberstanden, dass Jeongguks Loyalität sich von Taehyung zu ihnen beiden gewandt hatte – solange er nicht Yoongi, den Usurpator, unterstützte, sollte es ihnen doch gleich sein, ob er mit Taehyung sprach oder nicht. Aber offensichtlich hatte er tatsächlich falsch gelegen – Areum schien es zu kümmern.

Ihm blieb kaum genug Zeit, über diese neue Erkenntnis nachzugrübeln, als sie so nahe an das Herrenhaus herangekommen waren, dass Jeongguk einen Blick auf das Innere der Eingangshalle werfen konnte, die durch die geöffnete Tür zu ihnen hindurch schien.

Der weitläufige Eingangsbereich war bis zum Bersten gefüllt; viel belebter, als Jeongguk ihn in all den Jahren, die er in dieses Haus ein- und austrat, jemals gesehen hatte. Auf den breiten Steinstufen, die zum Haus hinaufführten, standen ihm unbekannte Männer, die teilweise miteinander ins Gespräch vertieft waren, und teilweise ablehnend ihre Lippen aufeinander gepresst hatten, als würde ihnen in dieser feindseligen Umgebung kein Wort entwischen, das sich baldigst zu ihrem Verhängnis erheben würde. Jeongguk fiel sofort ins Auge, dass offensichtlich eine riesige Kluft durch die Versammelten zu gehen schien – sie geradezu zweigeteilt waren – und eine unsichtbare, beinahe handfeste Trennlinie zwischen den beiden Parteien aufgezogen war.

Es kaum einen Blick, der nicht auf ihnen zu ruhen kam, als Jeongguk hinter Areum in die Empfangshalle trat. Er hätte nicht sagen können, ob sie feindselig gemustert wurden, neugierig, oder schlichtweg mit träger Interesse dessen, wer so spät noch zu ihnen stieß. Als Areums Hand sich plötzlich um seinen Arm schlang, als wollte sie ihn mit aller Kraft zurückhalten, wurde ihm bewusst, dass sie soeben einer Realisation aufgesessen war.

Sie blieb auf der Stelle stehen und wandte sich mit schreckgeweiteten Augen zu ihm, während sie beinahe unmerklich den Kopf schüttelte.

„Was?", fragte er so leise, wie er vermochte.

„Das ist die Familie meiner Mutter", gab sie genauso leise zurück und ohne ihre Lippen zu bewegen. „Sie leben in Daegu. Ich habe sie teilweise nicht mehr gesehen, seit Sora geboren wurde, aber... dort hinten steht mein Großvater und ein paar meiner Onkel." Sie machte eine winzige Kopfbewegung nach hinten – und Jeongguk folgte ihrer Indikation in Richtung des rechten Treppenaufgangs, auf dessen unterster Stufe ein vornehm gekleideter, grau melierter Mann Anfang siebzig stand, der sich auf einen silbernen Gehstock lehnte. Er war von mehreren Männern um die vierzig umgeben, die Jeongguk bei genauerer Betrachtung in der einen oder anderen Hinsicht an Hye-jin erinnerten. Taehyung hatte nicht viel von der Seite seines Vaters geerbt und war immer mehr nach seiner Mutter gekommen; und so meinte Jeongguk plötzlich, mehrere seiner eindeutigen Merkmale wieder zu erkennen – die hohen Wangenknochen oder markante Kinnlinie beispielsweise, die vor allem in seinem Großvater Resonanz zu finden schienen.

„Was machen sie hier?"

„Ich weiß es nicht", hauchte sie zurück. „Und ich weiß auch nicht, wer die anderen sind. Auf der anderen Seite."

Jeongguk wandte seinen Blick von den Fremden ab, die so viel seines ehemaligen besten Freundes an sich hatten, dass es ihm beinahe wie eine Resurrektion vorkam – und hin zu der anderen Seite der Halle, dem gegenüberliegenden Treppenaufgang, der von einer ähnliche Besatzung flankiert zu sein schien. Auch auf der anderen Seite machte Jeongguk einen älteren Herren aus; der von einer Reihe an Sykophanten umgeben war. Er wirkte noch älter als Taehyungs Großvater, schien sich allerdings nicht auf einen Gehstock berufen zu müssen, um vollkommen aufrecht zu stehen. Sein Blick kreuzte Jeongguks, als dieser ihn einer raschen Beobachtung unterzog, und sofort lief ihm ein Schauer über den Rücken. Eine magnetische Anziehungskraft schien seiner Gestalt anzuhaften, etwas so Royales, dass Jeongguk nicht einmal überrascht gewesen wäre, wenn er eine Krone auf dem weißen Haar getragen hätte. Ein schmales Lächeln grub sich in die dünne Linie ein, die stellvertretend für ein Paar Lippen auf sein Gesicht gemalt war und Jeongguk blieb der Atem in der Kehle stecken.

„Wir sollten Seokjin suchen. Mir gefällt das alles gar nicht", murmelte Areum, gerade, als ein plötzliches Raunen durch die Anwesenden ging. Jeongguk und Areum fuhren beide unmittelbar zum Ursprung der plötzlichen Aufregung herum, nur um Hyun-sik zu erkennen, der über den Köpfen der Anwesenden an der Balustrade des ersten Halbparterres erschienen war.

Schlagartig verstummten die Stimmen, die den Klangteppich der greifbaren Spannung genährt hatten, während Hyun-sik seine Hände auf dem Geländer abstützte und auf die Versammelten hinabblickte.

„Guten Abend", sagte er dann auf Koreanisch. Seine Stimme hatte keine Mühe, sich in der weiten Eingangshalle zu verteilen, während sein Blick jeden einzelnen von ihnen berührte; auch Jeongguk und seine älteste Tochter, die in der Mitte dieses unerklärten Mienenfeldes standen, und zu verstehen suchten, welche Fronten hier aufeinanderprallten. „Zu allererst möchte ich mich dafür bedanken, dass Sie alle diesen weiten Weg auf sich genommen haben. Im Namen meiner Familie und allen Angehörigen des Bayville-Kartells heiße ich Sie in meinen bescheidenen Hallen willkommen."

Jeongguk nahm wie am Rande seines Bewusstseins wahr, wie Areums Hand langsam seinen Ärmel entlang hinabrutschte, bis sie schließlich kompromisslos ihre Finger um seine schlang. Er warf ihr einen raschen Seitenblick zu, aber Areum blickte mit steinernen Gesicht zu ihrem Vater nach oben; der Druck ihrer Finger die einzige Bestätigung dessen, dass sie seine Verwunderung registrierte.

Sie ist aufrichtig verängstigt, stellte Jeongguk mit gewisser Überraschung fest. Sie, die normalerweise nichts fürchtet.

Er durchleuchtete die Halle auf der Suche nach bekannten Gesichtern; aber weder von Seokjin, noch Eunjin oder Jimin schien eine Spur. Der breite Zugang in Richtung Salon und Küche lag im Dunkeln da, sodass Jeongguk nicht erkennen konnte, ob jemand dort in der Finsternis lehnte und die stumme Menge dabei beobachtete, wie sie allesamt ihre Köpfe nach oben gewandt hatten, als erwartete sie dort eine göttliche Verkündigung.

In diesem Augenblick ergriff Hyun-sik wieder das Wort und seine Stimme war genug, um Jeongguks Aufmerksamkeit mühelos an ihn zu fesseln. „Auch ist mir bewusst, was für eine Ehre meiner Familie dadurch zuteilwird, dass heute Abend nicht nur eine der achtbarsten Traditionsdynastien Koreas unter diesem Dach weilt, sondern gleich zwei von ihnen."

Jeongguk entgingen die hasserfüllten Blicke nicht, die zwischen den zwei Parteien getauscht wurden, kaum, dass Hyun-sik sie in einem Atemzug erwähnte und ihnen damit eine Gleichstellung einberäumte, die keiner zu akzeptieren bereit war.

„Die Umstände dieser einmaligen Zusammenkunft sind jedem der Anwesenden zweifelsohne bekannt, aber erlaubt mir, sie noch einmal der Vollständigkeit halber aufzuführen und zu dem schlichten Grund, dass niemand nachher von unvorsichtiger Willkür sprechen kann." Hyun-sik machte eine Pause, in der er vor allem die zwei Ältesten der Delegationen ins Auge fasste, die ihn beide stumm und mit ganz offensichtlicher Geringschätzung musterten.

Jeongguk erinnerte sich, dass Taehyungs Mutter einer ehrenwerten koreanischen Aristokratendynastie entstammte, die sich im vergangenen Jahrhundert ihr Geld in dem lukrativsten Metier des Landes angelegt hatten – dem Schmuggel von allerlei narkotischen Mitteln, die sämtliche Kontinente seit Myriaden von Jahren auf ihre schwarze Liste gesetzt hatten. Dies war der Grund, wieso Hyun-sik nach dem Tod seiner ersten Frau die Tochter des amtierenden Oberhauptes geehelicht hatte – um seinen Stand in der Heimat auszubauen und der Familie Choi gleichzeitig zu erlauben, in der Neuen Welt Fuß zu fassen. Einen mächtigen Verbündeten wie das Bayville-Kartell auf der anderen Seite des Erdballs zu haben, war kein Angebot, das man einfach so ausschlug. Und Taehyung als zukünftigen Erben eingesetzt zu sehen, der zur Hälfte das Blut eines Choi in sich trug, festigte die Bande nur weiter, die durch die Zusammenführung ihrer beiden Linien begonnen hatte, sich auszubilden.

Zumindest war es bis vor kurzem so gewesen. Bevor der totgeglaubte Erbe der zweiten, mindestens ebenbürtigen Dynastie zurückgekehrt war und seinen Anspruch lautstark geltend gemacht hatte. So hatte auch das Syndikat der Jeongs Blut gewittert – denn ihr Erbe, der Sohn ihrer im Bandenkrieg ermordeten, über alles geliebten Tochter war zurückgekehrt, um Forderung auf die Führung des Kartells zu erheben. Plötzlich war der Anspruch nicht länger fern und nichtig – sondern in absoluter Reichweite, gebunden an den ältesten Sohn, der von dem Choi-Teil der Familie nur abschätzig Usurpator genannt wurde.

Endlich wurde Jeongguk bewusst, was hier vor sich ging. Ein Stellvertreterkrieg, von dem sie hier in Amerika nichts bemerkt hatten, war in den vergangenen Monaten ausgefochten worden, zwischen den Ansprüchen der Familien Choi und Jeong. Und offensichtlich hatte Hyun-sik in einem voraussehenden Anfall der Schadensbegrenzung den entscheidenden Schritt gewagt, sie beide unter seinem Dach zu vereinigen – in aller Wahrscheinlichkeit zu dem Grund, ihnen ein Angebot vorzubringen.

„Wir stehen vor einem Dilemma", begann Hyun-sik und faltete seine Hände auf der Balustrade, als wollte er sich auf ein Gebet berufen. „Durch Verschleierungstaktik und offensichtlichen Intrigen eines Nebenzweigs einer der anwesenden Familien ist die Zukunft dieses Kartells unbestimmt. Beide meiner ältesten Söhne besitzen einen validen Anspruch auf mein Erbe, der nach keiner Regelung dieser Welt ausgelost werden kann. Genauso sehr können sie beide sich auf die Unterstützung der Familie ihrer Mutter berufen, von denen beide von mir verlangen, dass ich den anderen Sohn enterbe."

Ein Murmeln machte sich in der Halle breit und Areums Hand klammerte sich mit einer neuen Intensität um seine, während sie ihren Blick nicht von ihrem Vater nahm.

„Doch jede meiner Entscheidungen wäre von einer Willkür geprägt, die für den Verlierer dieser Sache nicht gerecht und nicht zu tragen wäre. Es liegt schlichtweg nicht an mir, diese Wahl zu treffen."

Jeongguk musste sich ein spöttisches Schnauben verkneifen. Es war eindeutig, welchen seiner beiden Söhne Hyun-sik präferierte und welchem er das Kartell in die Hände legen würde, aber die Familie von Taehyungs Mutter würde sich niemals so leicht abfertigen lassen. In ihren Augen hatte der Erbe ihres Blutes das größere Anrecht auf den figurativen Thron, da er in all den Jahren als solcher erzogen und vorbereitet worden war. Er besaß eine nicht von der Hand zu weisende Anzahl an Führungsqualitäten, die ihn zu einem weisen und gerechten Clanoberhaupt machen würden. Dem Usurpator der Jeongs diese Vormachtstellung zu überlassen, nur weil dieser in einer Zeit der Not an Bayville herangetreten war und sich darum bemühte, ihnen Rettung zu erbringen, war nichts, das man in den Reihen der Chois akzeptieren würde.

Jeongguk konnte sich vorstellen, dass diese das Kartell lieber zerstört, als in Händen ihrer Feinde sahen, die ihnen bereits Zuhause in Korea die erbittertste Konkurrenz waren.

Vermutlich waren sie an Hyun-sik herangetreten, als sie gehört hatten, dass dieser sich anschickte, Taehyung zugunsten des Jeong-Anspruchs zu enterben – und ihn mit freundlicher Bestimmung davor gewarnt, solch eine Unternehmung zu bewilligen.

„Das Bayville-Kartell ist ein deutliches Bestimmtheitsmaß unserer Beständigkeit in den Vereinigten Staaten", ergriff Hyun-sik wieder das Wort. „Es sendet ein weitreichendes und deutliches Signalfeuer in alle Himmelsrichtungen aus, das suggeriert, wie sehr wir den Markt monopolisiert haben. In den letzten siebzig Jahren hat niemand mehr versucht, den Handel zu perforieren. Mein Vater und sein Vater vor ihm sind sichergegangen, dass der Name Bayville der ganzen Welt ein Begriff wird. Mein Nachfolger sollte dieses Bestreben ehren und fortführen. Denn sollten wir fallen, so wird es auch unsere Handelspartner in Korea stark beeinträchtigen – zu denen die Familien Jeong und Choi seit Anbeginn der Zeit gehören. Es liegt demnach in unser aller Interesse, dass wir denjenigen meiner beiden Söhne zu meinem Nachfolger krönen, der sich dessen würdig zeigt."

Jeongguk hätte beim besten Willen nicht sagen können, was Hyun-sik mit seiner Rede bezweckte. Dass er die unabdingliche Zwickmühle seiner Erbschaft hervorstellte, schien die Fronten nur zu verstärken – die Tatsache, dass keine dieser unnachgiebigen Familien freiwillig von dem zurücktreten würde, was die Herrschaft über das Bayville-Kartell für sie bedeutete.

„Ich würde mich der Lüge schuldig machen, wenn ich behauptete, dass die vergangenen Monate für das Kartell nicht gewissermaßen beschwerlich gewesen seien. Alte und neue Feinde haben sich mit unglücklichen Verkettungen zusammengeschlossen, um einen finalen Vergeltungsschlag gegen uns zu wagen. Beide meiner Söhne waren maßgeblich an der Abwendung dieses Schicksals beteiligt – weswegen es mir unmöglich ist, anhand dessen eine Entscheidung zu treffen. Und deshalb schlage ich eine Übereinkunft vor. Derjenige meiner Söhne, dem es gelingt, mir vor Ende des Jahres den Kopf der Schlange zu bringen, die sich dichter und dichter um unsere Familie schließt, dem werde ich das Erbe überschreiben. Derjenige, der Vincenzo Bonanno tötet und für immer unschädlich macht, der wird mein unbestrittener Nachfolger."

Wie auf Kommando jagte Jeongguks Pulsschlag in die Höhe. Bonanno zu töten war ein utopisches, geradezu unmögliches Unterfangen. Der Capo der italienischen Familien, der für die massiven Einschnitte in ihren Renditen verantwortlich zu machen war, entsagte sich ihrem Griff seit jeher. Er umgab sich zu jeder Zeit mit den fähigsten Auftragsmördern und Söldnern des Landes – Jeongguk wusste davon, weil Kiyoung mehrere erfolglose Anschläge auf das Innere der Schlangengrube angeführt hatte, um Wonpils und Yugyeoms Vermächtnis gerecht zu werden. Seit seine beiden Freunde bei dem Angriff auf die Flüsterkneipe ums Leben gekommen waren, herrschte offener Krieg zwischen den Hitmen in seiner Domäne und der Cosa Nostra.

Der Verlust der zwei Cousins lastete schwer auf ihrer Moral; selbst, wenn Wonpil allen anderen mit seinen mordlustigen Ambitionen auf die Nerven gefallen war, so war er dennoch ein unbestreitbarer Teil von ihnen gewesen – selbst Jeongguk, der als rechte Hand des Domänenführers nur gelegentlich mit ihm zu tun gehabt hatte, war von seinem Tod erschütterter gewesen, als er zugeben wollte. Und Yugyeom, der sich in der Zeit von Taehyungs Abwesenheit zu einem Ersatz für seinen Freund etabliert hatte, erfüllte Jeongguk mit einem bleiernen, grauenhaften Schuldgefühl. Wenn er nicht am Höhepunkt ihres Kampfes das Schlachtfeld verlassen hätte, um in den anschließenden Hinterzimmern nach empfindlichen Informationen für ihr Vorankommen in diesem sinnlosen Krieg zu suchen, dann hätte er Yugyeom vielleicht davor bewahren können, von hinten in den Rücken geschossen zu werden.

Wenn er die italienische Mafia schon in den vergangenen Monaten als ernstzunehmende Bedrohung gesehen hatte, dann war sie nach Wonpils und Yugyeoms Ermordung schließlich endlich zu einem verheerenden Feindbild herangewachsen, das zu zerschmettern er in jeder Hinsicht bereit war.

Dass Hyun-sik nun endgültig nach Bonannos Kopf verlangte, und sich damit dem letzten des Kalten Friedens entsagte, das noch existiert hatte, mutete dennoch wie das Ende an. Das Ende der Zeit, die Jeongguk und Taehyung ihre gesamte Kindheit lang begleitet hatte. Das Ende des Friedens für einen Krieg, der Hyun-sik erste Frau gekostet hatte und vermeintlich auch seinen Sohn.

Es schien nur poetisch, dass das größte Opfer dieses Krieges den Frieden vermutlich auf ewig begraben würde.

„Fuck, was?", hauchte Areum neben ihm, die offensichtlich genauso sehr ihre Zeit benötigt hatte, um die Worte ihres Vaters zu verarbeiten.

In diesem Augenblick ging ein erneutes Murmeln durch die versammelten Anwesenden, als aus dem Schatten hinter Hyun-sik Yoongi hervortrat, der sich, ob durch Zufall oder Absicht, auf der Seite des Treppenaufgangs platzierte, die von seiner Familie gesäumt wurde. Er war wie immer vollkommen in schwarz gekleidet und sein dunkles Haar fiel fransig über seine Stirn, wodurch seine blasse Haut sich gegen sein monochromes Gesamtbild auflehnte, als ginge es in psychologische Kriegsführung. Er wirkte wie immer so, als habe sich die Welt nur zu seiner eigenen Belustigung eingefunden – mehr als tausend Meilen trennten ihn von dem freundlichen, schmalen Chinesen, der Diego von Jeongguk in seinem Flur heruntergezogen hatte. Junyan schien nur noch ein blasser Hauch der Vergangenheit zu sein, den Yoongi nun, da er endlich derjenigen Familie gegenübertrat, die ihn sein gesamtes Leben lang für tot gehalten hatte, mit spielerischer Leichtigkeit abstreifte.

Jedes Augenpaar in der Eingangshalle schien auf ihn gerichtet zu sein, während er die Anwesenden mit einem schmalen, sardonischen Grinsen begrüßte. Ehe auch nur irgendjemand die Stimme erheben konnte, um das Wort zu ergreifen, tat sich auf der rechten Seite hinter Hyun-sik eine zweite Bewegung hervor, die ohne zeremoniellen Überschwang in Taehyungs Konturen verlief, der mit hinter dem Rücken verschränkten Armen seinen Vater von der anderen Seite flankierte.

Sein silberblondes Haar leuchtete mit einer derartigen Intensität durch die dunkle Halle, dass Jeongguk beinahe an ein Wunder geglaubt hätte. Taehyung war, genauso wie sein älterer Halbbruder vollständig in schwarz gekleidet, allerdings pochte sein helles Haar auf den entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Brüdern, die vermutlich lieber gestorben wären, als sich ihre Verwandtschaft einzugestehen.

Jeongguk konnte nicht in Worte fassen, was Taehyungs aufrechter Anblick zu seiner Vaters Seite in ihm auslöste. Ihn dort neben Hyun-sik stehen zu sehen, als sei nach all den Jahren endlich bereit, das anzuerkennen, das er wirklich war, erfüllte ihn mit einer elektrisierenden Atemlosigkeit. Er hatte immer gewusst, dass sein ehemaliger bester Freund es in sich hatte – genauso erhaben und unbeeindruckt über dasjenige zu blicken, das er eines Tages beherrschen würde, wie sein Vater es tat.

Taehyung war immer in Wirklichkeitsflucht bewandt gewesen – in der Notion, mit glasigen Augen auf den Tisch zu starren, wenn Jong-suk oder Samuel ihn und Jeongguk von den Regeln und Abläufen ihrer zukünftigen Domäne unterrichtet hatten. Während Jeongguk die inhärente Logik und Ordnungssucht dieses Systems in sich aufgesogen hatte, als gäbe es nichts Erfüllenderes, hatte Taehyung neben ihm Welten erträumt, in denen er und Jeongguk weit, weit fort von der Trostlosigkeit dieses Alltags waren. Keine Sanktion von Seiten seines Vaters schien anzuschlagen – zumindest, bis man ihn mit dem einzigen gedroht hatte, von dem man wusste, dass es bei ihm Wirkung zeigte – Jeongguk aus dem Kartell zu verbannen und Taehyung den Kontakt zu ihm zu verbieten. (Von diesem Tag an hatte Taehyung mit widerwilligem Fleiß und ohne einer einzigen Beschwerde an den Stunden teilgenommen.)

Es war fast, als sähe er durch einen Dimensionsriss auf einen anderen Taehyung – einen, der von Beginn an bereit gewesen war, das Kartell zu übernehmen; und genauso sehr wie sein älterer Halbbruder die damit einhergehende Macht und Souveränität sehnlichst erwartete. Dieser Taehyung schien sich, ebenso sehr wie Yoongi in unantastbare Arroganz zu kleiden, die aus jeder seiner Zellen sickerte.

In diesen wenigen Augenblicken, in denen die beiden konträren Brüder ihren Vater flankierten, hätten sie sich nicht ähnlicher sein können. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, in der Jeongguk Taehyung atemlos anstarrte, der wiederrum kein Zeichen des Wiedererkennens verlauten ließ, bis Hyun-sik wieder das Wort ergriff.

„Beide meiner Söhne stimmen diesem Angebot zu und sind willig, sich den Anforderungen und Bestimmungen dieses Abkommens zu fügen, ganz gleich des Ausgangs." Hyun-siks Blick streifte Jeongguk den Bruchteil einer Sekunde lang, dem es endlich gelungen war, sein Augenmerk von Taehyung zu lösen. „Ihnen beiden ist es erlaubt, jegliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, die sie für notwendig erachten, solange es einem von ihnen gelingt, mir Bonannos Kopf zu bringen. Sie haben Zeit bis zum Ende des Jahres. Wenn einer von ihnen im Prozess dessen sein Leben lässt, gewinnt der andere."

Jeongguk hatte Hyun-sik niemals mehr verabscheut als in diesem Augenblick. Wer, wenn nicht ein Tyrann spielte mit dem Leben seiner Söhne, seines eigen Fleisch und Bluts, auf solch kalkulierte Weise? So, als käme ihm jeder Ausgang gelegen, der das Kartell, sein Lebenswerk, in den fähigsten Händen sah.

Areum neben ihm gab ein ersticktes Geräusch von sich und Jeongguk wurde bewusst, dass sie ehrlich um ihren Bruder fürchtete. Keine Tat aus Taehyungs bisherigen Leben, keine Gesinnung oder Überzeugung würde verlauten lassen, dass er solch einer Aufgabe gewachsen sei. Jeongguk konnte nicht sagen, woher seine plötzliche Überzeugung rührte, dass die Führung des Kartells dasjenige sei, das er zu erlangen bereit war – aber er wusste, dass er Taehyung nicht im Weg stehen würde, sein Ziel zu erreichen.

Wonpil und Yugyeom wogen so schwer auf ihm, dass er sogar dem Usurpator die Füße geküsst hätte, wenn es diesem gelungen wäre, in diesem unmöglichen Unterfangen zu reüssieren.

„Das Ergebnis wird vor allem eines sein", sagte Hyun-sik in diesem Augenblick. „Eindeutig. Es kann nicht angezweifelt werden, denn derjenige, dem es gelingt, unserem Urfeind den Kopf abzuschlagen, muss der Regentschaft würdig sein."

Es war eindeutig, dass er sich mit diesen Worten der Unterstützung der zwei anwesenden Dynastien versicherte. Keine der beiden würde sich die Blöße geben, solch eine eindeutige Konfrontation, die sich zusätzlich noch in die Sicherheit eines Stellvertreterkriegs hüllte, an sich vorbeiziehen zu lassen.

Min Yoongi und Kim Taehyung für die Jahrhunderte-schwere Zeche von Jeong und Choi gegeneinander antreten zu sehen, in einem isolierten Mikrokosmos, dessen eventueller Zusammenbruch nur das Ende eines Kartells bedeutete, das nur schwer auf sie zurückgeworfen werden konnte, schien sich einem Spiel anzugleichen, das sie nur gewinnen konnten.

Irgendein Teil von Jeongguk konnte Hyun-sik für diesen Geniestreich nur applaudieren – es war ihm gelungen, den Clan ein erneutes Mal vom Abgrund fort zu manövrieren und den Untergang zumindest für einige Monate zu verzögern. Erhob er Yoongi ohne das Zutun einer äußeren Macht zu seinem Nachfolger, würde das ehrenwerte Haus der Choi ihm den Krieg erklären – und in dieser geschwächten Position war dies das letzte, das Bayville gebrauchen konnte.

Drehte er die Frage um seine Nachfolge allerdings so, dass sie zu einem Spiel wurde, für die der Einsatz der beiden Hauptakteure einer möglichen Katastrophe verlockend gering war, so hatte er sich in eine Position der Unantastbarkeit erhoben. Es konnte ihm gleich sein, wer am Ende den Thron eroberte – es würde rechtens geschehen und die verlierende Partei musste dies vorbehaltlos akzeptieren. Sein einziger Einsatz bestand daraus, einen Sohn zu opfern; vermutlich denjenigen, der sein Leben nichtdamit verbracht hatte, bittere Rache zu schwören, sondern behütet im Kreis einer Familie aufgewachsen war, die ihn nun zu opfern bereit war.

Wenn Jeongguk Taehyung nicht in unglaublicher Gefahr gesehen hätte, wenn er dessen neugewonnene Arroganz und Sicherheit nicht als symptomatische Selbstüberschätzung gesehen hätte, so wäre er vermutlich amüsiert gewesen.

Wenn Jeongguk Taehyung nicht so unglaublich geliebt hätte, so hätte er sich vermutlich in Apathie gekleidet und sich zurückgelehnt, um das Ergebnis eines Machtkampfes abzuwarten, der von Anfang an entschieden war.

Aber so spürte er, wie sein Pulsschlag sich mit dem einer großen Schwester synchronisierte, die ihren geliebten, tief beneideten Bruder in ernsthafter Gefahr sieht.

„Und wir sollen deinem Spiel einfach zustimmen, Kim?", fragte der Mann, den Areum zuvor als ihren Großvater bezeichnet hatte. Er hatte eine hohe, pfeifende Stimme, die jedoch mühelos von der Stimmgewalt sprach, die er zeitlebens besessen hatte. „Wohl wissend, dass es das einzige ist, das du tun kannst, um deinen Hals zu retten?"

Hyun-sik zuckte nicht mit der Wimper. „Würdet Ihr Euch weigern, teilzunehmen, so würde Taehyung ohne Unterstützung dastehen. Eine beinahe unmögliche Aufgabe zu bewältigen, ohne, dass er auf den Zusammenhalt der Familie Choi zählen kann, wäre... verheerend."

„Und erstimmt deinen Bedingungen zu?", fragte Taehyungs Großvater ungläubig und nickte mit einem verächtlichen Blick in Richtung des Oberhauptes der Jeongs, das ihn ausdruckslos musterte.

„Ich weiß, dass mein Enkel dieser Sache gewachsen ist", gab Jeong ungerührt zurück. Sein Daegu-Satoori war deutlicher zu hören als der seines Kontrahenten, und auch seine Stimme klang tiefer und eingängiger und verankerte sich ohne Schwierigkeit in Jeongguks Gehirn. „Mit oder ohne unserer Unterstützung wird es ihm gelingen, der italienischen Bestie den Kopf abzuschlagen. Wenn du nicht dasselbe Vertrauen in deine Nachkommen hegst, Choi, ist das vielleicht tragisch, aber nicht mein Belang."

„Wirklich?", antwortete Choi mit einem amüsierten Grinsen, das von einigen seiner Familienmitglieder aufgegriffen wurde. „Du glaubst, du hast eine Chance gegen uns? Gegen die präzedenzlose Macht der Information?"

„Ganz gleich, wie stolz du auf dein kleines Spinnennetz aus Informanten bist, es ändert nichts an der Tatsache, dass keiner von euch diese Gefahr für euren Anspruch über Bayville kommen gesehen hat."

„Was?", murmelte Jeongguk verständnislos in Areums Richtung.

„Erklär' ich dir nachher", zischte sie zurück, während sie atemlos zwischen den beiden Parteien hin- und hersah, die offensichtlich bereit waren, in volle Konfrontation zu treten.

„Nur, weil ihr genauso wenig davon wusstet", schnaubte nun Choi wieder. „Immerhin berufen wir uns nicht auf eine veraltete Kompanie von Kopfgeldjägern, die unsere schmutzige Arbeit erledigen."

Ein sardonisches Grinsen, das Yoongis überhaupt nicht unähnlich war, äußerte sich auf dem Gesicht seines Großvaters, der nach wie vor unbeweglich auf der Treppenstufe stand und Choi ungerührt fixierte. „Aber sie erledigen unsere Arbeit."

In dieser plötzlich aufgeflammten Diskussion, die von beiden Seiten so mühelos aufgegriffen worden war, als schwelte sie seit Äonen vor sich hin und wartete nur auf den entscheidenden Funkenschlag, inmitten dieser polemischen Auseinandersetzung, wandte Jeongguk seinen Blick zu Hyun-sik. Er wurde nicht enttäuscht. Ein winziges, fast hungriges Lächeln hatte sich in seine Lippen eingegraben, während er sich über die Streitenden lehnte und die Früchte seiner Arbeit erntete.

Man hatte den Köder geschluckt, den Hyun-sik ihnen beinahe plump ausgelegt hatte. Es war unmöglich, dass eine Dynastie, ein Verbrechersyndikat, das etwas auf sich hielt, das von Konflikt lebte, einer so tiefhängenden Frucht widerstehen konnte. Hyun-sik war es gelungen, sie genauso verlockend zu gestalten, dass das schuppige, nimmersatte Tier ihrer ewigen, niederen Gier nicht anders konnte, als sich mit geifernden Lefzen darauf zu stürzen.

Als er seinen Blick zu Taehyung weiterwandern ließ, beobachtete dieser Choi – aber etwas an der Unstetigkeit seines Augenmerks ließ Jeongguk vermuten, dass er vor einem Sekundenbruchteil noch woanders hingeblickt hatte. Namentlich ihn, der er in der Mitte dieser zum Zerreißen gespannten Kluft stand und betrachtete, wie das Leuchtfeuer zu lodern begann, das Hyun-sik ausgelegt hatte.

Sein ehemaliger Freund wirkte unbesorgt, amüsiert beinahe und Jeongguk ließ seinen Blick zu Yoongi weitergleiten, der sich die Hand an die Lippen geführt hatte und nachdenklich auf die Szenerie sah, die sich ihm eröffnete.

Es war evident, dass er schon dabei war, eine geistige Stichpunktliste dessen zu konzipieren, wie er einen Nutzen aus der neuen Situation ziehen konnte. Jeongguk konnte förmlich erkennen, wie er mit einem schnellen, routinierten die Schwächen seiner eigenen Verbündeten abwog und sie gedanklich bereits mühelos in das Gegenteil umkehrte.

Taehyung hatte nicht den Hauch einer Chance.

„Wenn dieser... Bonanno sich durch ein paar lausige Kopfgeldjäger ins Bockshorn jagen ließe, dann hätten mein Schwiegersohn und Enkel wohl nicht mehr mit diesem unglücklichen Umstand zu kämpfen."

„Du unterschätzt unsere Kompanie, Choi", sagte Jeong nachsichtig. „Wie so oft. Vielleicht macht dich das Alter etwas vergesslich, aber ich bin gerne gewillt, dich noch einmal daran zu erinnern, wenn du darauf bestehst."

„Vorausgesetzt, meine Informanten ermitteln mir nicht innerhalb von einer halben Stunde alles, was mein Enkel über Bonanno und seinen Schergen erfahren muss, um sie unschädlich zu machen."

Hyun-sik wusste genau, wann er sich wieder in das Gespräch einzubringen hatte. „Also haben wir einen Deal?", fragte er gebieterisch. Seine Stimme erfüllte die gesamte Halle bis in die letzte Ecke und Areum schloss ihre Finger wieder um Jeongguks Hand, während sie atemlos das Urteil erwartete.

Ihr jahrzehntelanger Groll schien sie zu vereinigen, denn Choi und Jeong mussten keinen Blick tauschen, um in absoluten Gleichtakt dieselbe Antwort zu geben: „Ja. Haben wir."

Als hätte jemand ein unhörbares Kommando erteilt, kam plötzlich Bewegung in die versammelte Menge zu Fuße der Treppe und Jeongguk, der nach wie vor Areums Hand hielt, fand sich plötzlich zur Hälfte durch den Choi-Clan vorgestoßen auf ebendem Treppenaufgang, auf dessen Absatz Taehyung stand. Dieser empfing sie mit einem untypisch sardonischen Lächeln und sein Blick blieb den Bruchteil einer Sekunde an ihren verschränkten Händen hängen, bevor Areum sich um seinen Hals warf.

„Was ist los, Schwesterchen?", fragte er grinsend, während er ihr sanft über den Rücken streichelte. Jeongguk blieb verlegen auf der obersten Stufe stehen – aber über Areums Schulter hinweg lag Taehyungs Blick ungeteilt auf ihm. „Begrüßt du den Todgeweihten?"

„Das ist verdammt noch mal nicht lustig, Taehyung", fauchte sie und gab ihm einen wütenden Stoß vor die Brust. „Gegen den Usurpator? Bist du wahnsinnig?"

Ein träges Grinsen wurde ihr zuteil, das sie nur noch wütender zu stimmen schien. „Ich habe doch die tatkräftigte Unterstützung unserer Familie."

„Seit wann ist dir das wichtig?", fragte Jeongguk plötzlich, während er stumm auf die Menschentraube zwei Meter unter sich blickte, die gerade im Begriff war, sich zu zerstreuen. „Das Kartell, meine ich." Er hob den Blick und fixierte Taehyung, der den Kopf schief legte, als er Jeongguks stumme Anklage aus seiner Stimme heraushörte. (Alles in allem kannte er ihn immer noch besser als jeder andere.)

„Das hier ist mein Geburtsrecht."

Jeongguk verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast immer gesagt, dass es so etwas nicht gibt. Und dass der fähigste Kompetitor allein über seine Fähigkeiten ausgewählt werden sollte. Nicht über sein Blut."

„Die Zeiten ändern sich, Jeongguk."

„Aber deine Ideale? Ich hatte immer das Gefühl, du warst sehr standfest in ihnen."

Am Rande seines Bewusstseins bemerkte er, wie Areum einen vorsichtigen Schritt von Taehyung zurückmachte, als wollte sie einer möglichen Aussprache auf gar keinen Fall im Weg stehen – als ahnte sie, dass diese Konfrontation eine Tiefe, eine Aufgeladenheit mehrerer Jahre auf sich lasten hatte, die zu stören einer Todsünde gleichgekommen wäre.

Taehyung ließ seine Hand auf das Geländer sinken, und Jeongguk fiel auf, dass er seinen Blick zwar nicht unbedingt mied, sich aber dennoch Mühe gab, nicht länger als einen gesamten Wimpernschlag in seine Richtung zu blicken. „Du willst dir nicht ehrlich anmaßen, dass du mich kennst."

Jeongguk war längst über die Phase hinweg, in der ihn diese Worte verletzt hätten. Inzwischen war er nur noch wütend. „Taehyung, bei aller Liebe, aber du bist... so ein Idiot. Du glaubst, dass du die Vergangenheit einfach auslöschen kannst. Einfach dasjenige missachten, das du bist, das du wirklich und ehrlich bist. Weil das hier" – er machte eine ungefähre Handbewegung, die Taehyungs ernstes, vornehmes Erscheinungsbild miteinschloss; sein von Spott und Ablehnung bestimmtes Auftreten – „das hier, bist nicht du. Das hier ist irgendeine Lüge, von der du glaubst, dass du sie erzählen musst."

„Glaubst du nicht, dass du deine Augen vor der Wahrheit verschließt?"

Jeongguk verschränkte seine Arme vor der Brust. „Die da wäre?"

„Dass du mich niemals wirklich gekannt hast. Dass ich dir vielleicht nur einen Teil von mir gezeigt habe, der dir gefallen würde." Er hob seinen Blick und taxierte Jeongguk nun geradeaus. Er hätte erwartet, zumindest irgendeine Form des Bedauerns in seinen Augen zu erkennen zu können; aber Taehyung wirkte vollkommen unbeeindruckt. „Ich bin der Sohn meines Vaters. Ich war es immer, ganz gleich, was ich behauptet habe. In den vergangenen Monaten ist mir bewusstgeworden, dass ich das alles hier auf die leichte Schulter genommen habe. Es gibt gewisse Erwartungen, die ich zu erfüllen habe. Erwartungen, die viel größer sind als wir beide."

Er holte tief Luft und in diesem Augenblick wusste Jeongguk, dass ihn seine nächsten Worte zerschmettern würden. Taehyungs potentielle Grausamkeit war in den Jahren ihrer Freundschaft niemals etwas gewesen, das sich gegen ihn gerichtet hätte, aber nun, da ihre Karten neu verteilt worden waren, ahnte Jeongguk, dass diese Zeiten endgültig vorbei waren.

„Ich bin dir dankbar, Jeongguk. Dankbar für die Jahre unserer Freundschaft. Sie haben mir bedeutet, dass ich eine Schwäche besessen habe, die ich inzwischen endgültig auszumerzen fähig bin." Er nahm seine Hand vom Geländer und fixierte ihn unmittelbar. Jeongguk konnte nichts in seinen Augen lesen; keine verborgene Gefühlsregung, keinen Anflug eines Sentiments, der ihm geholfen hätte, einen Sinn aus dem zu ziehen, was Taehyung ihm so ruhig und gefasst ins Gesicht sagte, als sei es eine dogmatische Wahrheit, die in Ansätzen schon immer zwischen ihnen bestanden hatte.

„Taehyung!", warf Areum in diesem Augenblick ein, die eine halbe Stufe über Jeongguk stand und die Worte ihres kleinen Bruders mit wachsendem Entsetzen mitanhörte. „Hör auf damit. Das ist Jeongguk, von dem wir hier sprechen. Jeder, der dich kennt, weiß, dass er dir alles bedeutet."

Die Rollen ihrer Kindheit schienen nun einer unerklärlichen Fluktuation zu unterliegen; wechselten ihre Positionen zueinander in einer zügellosen Nichtachtung der Ordnung, die immer zwischen ihnen bestanden hatte. Taehyung und Jeongguk gegen den Rest der Welt; gegen seine Familie, gegen Areum, gegen Ungerechtigkeit und gegen Zukunftsvisionen, die sie auseinanderrissen. Inzwischen war Taehyung die Trennstelle geworden, derjenige, der das Band reuelos durchschnitten hatte, das sie miteinander verbunden hatte.

„Er bedeutet mir nichts mehr, Areum", sagte er, während er seine große Schwester mit einer fast gleichmütigen Leblosigkeit fixierte. „Das liegt einer Vergangenheit an. Oder vielmehr... einer alternativen Zukunft, die nicht sein wollte."

„Glaubst du wirklich, dass davonrennen dich glücklich gemacht hätte?" Jeongguk tat so, als sei der ziepende Schmerz in seinem Brustkorb nicht mehr als Beiwerk seines neugewonnenen Zorns, der ihn dazu veranlasste, Taehyungs Blick geradeaus zu erwidern. „Glaubst du ehrlich, dass das funktioniert hätte?"

Taehyung machte einen Schritt hinab, sodass er nun unmittelbar über Jeongguk stand und ihre Gesichter nur noch durch die Höhe der Stufe voneinander getrennt waren. Seine Augen glitten beinahe sanft über die Konturen seines Gesichts, als suchte er darin nach irgendeinem Anzeichen dessen, wie sehr er ihn verletzt haben konnte. „Nun, wir werden es nie herausfinden."

Dann war er an Jeongguk vorbeigetreten und noch ehe dieser blinzeln konnte, war er am Fuße der Treppe angelangt und von der Traube seiner Verwandten mütterlicherseits absorbiert worden.

„Davonrennen?", fragte Areum leise, die plötzlich neben ihm erschienen war.

„Er wollte mit mir von hier verschwinden. Für immer", flüsterte Jeongguk zurück. „Das ist der Grund, wieso er nach Korea gegangen ist. Weil ich ihm nicht nachgegeben habe. Weil ich das alles hier nicht verlieren wollte."

„Oh, mein Gott." Areum sog die Luft ein, während ihre Finger sich um seinen Oberarm schlangen, als suchte sie darin einen Halt. „Er liebt dich so sehr, Jeongguk, weißt du das?"

„Tut er nicht. Vielleicht war das so, bevor ich mich ihm widersetzt habe und ihm bewusstwurde, dass ich ihm im Ungehorsam ersichtlich weniger wert bin, wie als loyaler Handlanger. Er hat Recht, Areum. Ich bedeute ihm nichts mehr."

„Nein!" Sie versperrte ihm den Weg, als er Taehyung die Treppe hinabfolgen wollte. „Das stimmt nicht. Mein Bruder ist ein großartiger Schauspieler. Und noch viel besser ist er darin, den Leuten, die er liebt, eine Kränkung dieser Art vorzuhalten."

„Areum, sei mir nicht böse, aber die Zeiten, in der ich mich um Taehyungs Meinung gekümmert habe, sind lange vorbei. Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich muss mit deinem Vater sprechen."

Er drängte sich an Areum vorbei, die offensichtlich erpicht darauf war, das Gespräch nicht an dieser Stelle im Sand verlaufen zu lassen, aber kaum, dass sie ihn eingeholt hatte, verwies sie ihn mit einem hinweisenden Nicken in Richtung des gegenüberliegenden Treppenaufgangs. Dort stand Yoongi und blickte zu ihnen hinüber. Jeongguk war sich mehr als sicher, dass er die Konfrontation zwischen ihm und Taehyung in voller Gänze beobachtet hatte – und erschwerend zu dieser Tatsache kam hinzu, dass er von den beiden flankiert war, denen Jeongguk grundsätzlich mehr misstraute als Lucifer höchstpersönlich. Der neue Anführer der Hitmen in der Bronx, Jeong Hoseok, sowie der Maulwurf bei der NYPD, von dem Jeongguk inzwischen wusste, dass er Kim Namjoon hieß, standen eine Stufe über und unter Yoongi und feixten offensichtlich ungeniert über das Desaster, das sich gerade vor ihren Augen abgewickelt hatte.

Yoongi selbst lächelte nicht, aber sein Blick kreuzte Jeongguks mit einer Art der schadenfrohen Überlegenheit; die ihm nichts anderes entgegenschrie als: Habe ich es dir doch gesagt.

Seine Häme war so übelkeitserregend, dass Jeongguk seinen Blick mit einer einzigen, abrupten Bewegung abwandte und die Treppe hinabstürmte, ohne auf Areum zu achten, die ihm seinen Namen hinterherrief. Er drängte sich durch die Menge, die sich um Taehyung geschlossen hatte, floh in Richtung der Küche und den anliegenden Salon, wo er sicher sein würde von den zwei Brüdern, denen es jedes Mal wieder aufs Neue gelang, seine Gefühle zu diesem brodelnden Klumpen eigener Unfähigkeit verlaufen zu lassen.

Er bemerkte, wie seine Sicht sich verschleierte und war überrascht, dass er nun endgültig so weit war, Tränen über Taehyung zu vergießen. Vielleicht, überlegte er düster, war das überhaupt nicht so schlimm. Vielleicht würde es ihm gelingen, über ihn hinweg zu kommen. Über die Tatsache, dass Taehyung offensichtlich mehr als bereit war, die Jahre zu vergessen, die sie verbunden hatte, als handelte es sich dabei nicht um das größte Kunststück geistiger Verleugnung, das jemals von einem Menschen zustande gebracht worden war.

Er wäre beinahe in jemanden hineingerannt, der in der Sekunde aus dem anliegenden Salon trat. Der Fremde packte ihn an seinen Oberarmen, um zu verhindern, dass Jeongguk frontal in ihn hineinprallte. Jeongguk hatte ihn zuvor noch niemals hier gesehen und so vermutete er, dass dieser ein Teil der beiden anwesenden Familien sein musste.

„Vorsichtig", sagte dieser mit einer sanften Stimme, die Jeongguk einen Schauder über den Rücken jagte. Sein Gegenüber konnte nicht älter als fünfundzwanzig sein; aber er besaß ein Paar der kältesten, unheimlichsten Augen, die Jeongguk jemals gesehen hatte. Den Bruchteil eines Augenblicks lang hatte er das Gefühl, das sein Gegenüber einfach durch ihn hindurchblickte; als habe er nicht erwartet, jemanden von seinem Schlag hier anzutreffen, aber dann verzogen sich seine Lippen zu einem breiten Grinsen.

Er besaß dunkles Haar, das ihm über die Stirn fiel und ein knochiges, attraktives Gesicht, das ihn an eine Steinstatue erinnerte.

„Entschuldigung", sagte Jeongguk auf Koreanisch und wollte sich an ihm vorbeidrängen, aber der Ältere löste erst jetzt seine Hände von seinen Oberarmen.

„Keine Ursache." Er betrachtete Jeongguk ein paar Sekunden lang mit einem unergründlichen Ausdruck auf dem Gesicht, ehe er einen Schritt zurückmachte. „Jeongguk, richtig?"

„W-woher...?"

„Ich weiß vieles." Es klang nicht wie Prahlerei, oder aufmerksamkeitsheischende Aufschneiderei, sondern vielmehr wie eine schlichte Angabe einer unbestrittenen Wahrheit.

Plötzlich erinnerte sich Jeongguk an den eigenartigen Augenblick in der Eingangshalle, den Areum ihm eigentlich noch genauer hatte erläutern wollen. Offensichtlich schien die Familie Choi ein ausgefeiltes Informationssystem zu besitzen, das ihnen in der Vergangenheit immer wieder Überlegenheit über ihre Feinde erlaubt hatte – und irgendetwas sagte Jeongguk, dass der junge Mann ihm gegenüber maßgebend für den Erfolg dieses Spinnennetzes zu sein schien. Irgendetwas an seinem Gegenüber erinnerte ihn sogar an eine Spinne; seine dunklen Augen vielleicht, die mit unverminderter Intensität in seine starrten; oder seine langen Arme und Beine, die beinahe wie Arachnidenglieder anmuteten.

„Oh, entschuldige. Ich habe mich gar nicht vorgestellt. Ich heiße Hyungwon. Chae Hyungwon, um genau zu sein."

„Freut mich", sagte Jeongguk hastig. „Wenn du mich entschuldigen würdest–"

„Du wirkst etwas durch den Wind, wenn ich mir diese Anmerkung erlauben darf."

Irgendetwas in Jeongguk schrie ihm mit vehementer Intensität entgegen, dass er diese Konversation ersticken sollte, bevor sie die Möglichkeit ergriff, sich zu entfachen.

„Ich habe gerade keine Zeit–"

„Es ist wegen deinem besten Freund, nicht wahr?"

„Ich habe keinen besten Freund." Es fühlte sich gut an, diese Endgültigkeit in seine Worte zu legen. Taehyung zu verleugnen, und damit alles, das ihm dieser einmal bedeutet hatte, hätte sich vermutlich beinahe wie eine Katharsis angefühlt, wenn da nicht noch der unausgesprochene Stumpf seiner Gefühle in ihm wäre, der es ihm nicht erlauben wollte, etwas anderes als diesen allgegenwärtigen, brennenden Schmerz zu verspüren.

„Natürlich." Sein Gegenüber legte den Kopf schief. „Verzeih. Dein... Lehnsherr. Oder Ko-Monarch."

„W-wie bitte?"

„Ach, Jeongguk. Freunde, die eine Gedankenwelt zusammen erschaffen, sind doch nicht so einfach zu trennen."

Jeongguk starrte ihn an. Kein Wort wollte über seine Lippen gelangen; den Fremden einen Lügner strafen für das, was keiner wissen sollte, konnte, außer Taehyung und ihm. Es war unmöglich, dass jemand sich über dieses Geheimnis erhaben fühlte.

„Er braucht deine Hilfe", fuhr Hyungwon fort. „Auch, wenn er im Augenblick gute Arbeit darin leistet, es wie das Gegenteil aussehen zu lassen. Er hat dich aus deiner Misere befreit, als du ein kleiner Junge warst, Jeongguk, und er hat dich zu dem gemacht, das du heute bist. Du bist es ihm schuldig, den Gefallen zu erwidern."

„Ich bin ihm nichts schuldig", spuckte Jeongguk aus. „Absolut nichts. Er hat es sehr deutlich gemacht, wie wir in dieser Sache zueinanderstehen und ich habe genug. Genug davon, dass er mich mit nur einem Wort mehr zerschmettern kann als mit einem Kugelschlag. Taehyung und ich sind fertig. Ich weiß nicht, wer du bist, dass du dir herausnimmst, diese Worte der Warnung oder Voraussicht über mir zu paradieren, aber ich werde niemals wieder zu diesem Sklaven blinden Gehorsams werden."

Sein Gegenüber schüttelte seufzend den Kopf, als habe er genug von Jeongguks trotziger Idiotie. „Aber darum geht es doch gar nicht. Es geht darum, dass er von seinem Vater vorgeführt wird, wie das Lamm auf der Schlachtbank. Sein älterer Halbbruder ist in jeder Hinsicht derjenige, den Hyun-sik auf dem Thron will. Taehyung soll das hier nicht gewinnen."

Er hielt inne, als überlegte er, ob die folgenden Worte wirklich für Jeongguk bestimmt waren. Da lag ein Ausdruck in seinen Augen, den Jeongguk nicht im Ansatz zu lesen vermochte – und er konnte nicht behaupten, dass er dem Glimmer Vertrauen schenkte, der Hyungwons Blick beseelte. Aber die Endgültigkeit seiner nächsten Worte war genug, um ihn dennoch unwiderruflich an sich zu fesseln.

„Er soll es nicht einmal überleben."


author's note

für alle, die purple rain gelesen haben, ist das sicherlich ein überraschendes Wiedersehen mit der Gucci-Spinne. ich möchte dazu sagen, was manche ohnehin schon vermutet haben.

purple rain, slowtown und ein bald erscheinendes drittes Buch werden eine Trilogie bilden, die über die Handlung weniger zusammenhängen als über die Tatsache, dass es mein ultimatives Tribut an die Band sein wird, die mir erlaubt hat, mehr über sie zu schreiben, als irgendjemanden sonst.

Purple rain und slowtown haben bis auf die Gucci-Spinne wenig miteinander zu tun, aber das dritte Buch wird sie auf eine Weise verbinden, die erst dann erläutert werden wird.

und wow. Taehyung wird ausgespielt. Mein armer armer Junge :(

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Schätz deine wahren Freunde. written by @This_Hoe