🌊Der Stern des Meeres🌊*Watt...

By Thyrala

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1601: "Die See ist nichts für Feiglinge!" - Lorena bekommt nichts geschenkt, aber das macht sie stark. Sie be... More

Personenverzeichnis
Vorwort
Schiffbruch
Gestrandet
Ein neues Leben
Gefährliche Wattwelt
Das Gold der Uthlande
Der Blanke Hans
Schicksal
Der Gast
Eilien
Unterricht
Matt
Der Luftgeist
Absturz
Zehn Tage
Aussprache / Amrum
Freunde
Strandjer
Pläne
Ein Geheimnis
Abschied
Sehnsucht
Bleiben oder gehen
Hindernisse
Abfahrt
Leinen los!
Von Bilge und Back
Der Quartiermeister
Von Gesangbuch und Knoten
Hoch hinaus
Gegenwind
Der Teufel an Bord
Die schwarze Liste
Durchhalten
Der Geist
Kräftemessen
Waffenstillstand
Atempause
Rivalen
In geheimer Mission
Der Schwur
Von Kanonen und Schwarzpulver I
Von Kanonen und Schwarzpulver II
Mann gegen Mann
Gerrit
Drill und Seepest
Türkisblau
Hitze
Vorzeichen
Im Auge des Sturms I
Im Auge des Sturms II
Der neue Navigator
Konfrontation
Nichts als die Wahrheit
Feuer und Rauch

Die Strafe

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By Thyrala

Es zeigte sich, dass Lorena ihm übler mitgespielt hatte als gedacht. Nicht nur der Rücken machte Hauke zu schaffen, obendrein hatte er sich die Schulter geprellt, als er von ihr an die Wand gerammt worden war. Selbst das Atmen schien ihm Schmerzen zu bereiten; anscheinend hatte sie ihm bei der Umklammerung die Rippen gequetscht. Den Arm konnte er auch nur halb heben.

Sie wurde sich selbst unheimlich. Aber noch seltsamer war, dass er mit keinem Wort auf das Geschehene zurückkam. Er ließ sie stillschweigend tun und lassen, was sie wollte und ging ihr soweit wie möglich aus dem Weg.

Sie beschlich ein ungutes Gefühl. Was war mit ihm, warum wagte er keine Bestrafung – wurde er alt? Und sie? War sie zu weit gegangen? Sie hätte sich dem Streit entziehen, aus dem Haus flüchten müssen, stattdessen hatten sie sich gegenseitig Verletzungen zugefügt und Gewalt angetan.

Was würde als Nächstes geschehen? Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass jetzt die Ruhe vor dem Sturm herrschte. Er war sicher ungeheuer zornig auf sie und sann Tag und Nacht darüber nach, wie er sie loswerden konnte. Denn nun hatte sie seine Ehre, sein verlorenes Ansehen noch tiefer in den Schmutz gezogen.

Selbst die stolzeste, reichste Strandingerin durfte sich nicht anmaßen, ihrem Vater, der zugleich wie ein Gott für sie war, zu widersprechen! Nach altem friesischen Recht wurden Verfehlungen der Töchter hart bestraft; der Vater musste entscheiden, was mit ihr geschehen sollte und vollstreckte auch selbst das Gericht. An Armen und Beinen mit Stricken gebunden, wurde die Unglückliche um Mitternacht in einer Wehle ertränkt - einer jener Wasserlöcher oder Teiche, die an Stellen entstanden waren, wo die Sturmflut einen Deich durchbrochen hatte. Eine solche Wehle war abgrundtief. Das Wasser pechschwarz. Und sehr kalt.

Zumeist erging eine solche Verfahrensweise in dem Fall, wenn sich eine Tochter des Strandes mit einem Fremden eingelassen hatte. Dies lag dem Glauben zugrunde, dass durch eine solch drakonische Strafe schweres Unglück und Leid abgewendet werden konnte. Schlechte Sitten, Ungehorsam und Schande machten den Strand anfällig für die Wut des blanken Hans, somit wurden die Übeltäter mithin der Flut geopfert, um sie gnädig zu stimmen.

Und sie, Lorena, hatte mit ihrer Tat Hauke ebenfalls in Schande gebracht! So gesehen wunderte es sie, warum sie überhaupt noch lebte. Wie lange würde Hauke zu einer Entscheidung brauchen?

Eilien hatte recht behalten, sie hatte meine „Flut" vorausgesehen. In meinen Augen hat sie etwas gesehen, eine Art Grausamkeit vielleicht. Und nun weiß ich es selbst. 

Eine plötzliche Erkenntnis dämmerte in ihr auf. Es ist der Schmerz, der mich so rasend vor Wut macht ... und ... mein Gott, ja ... morden könnte...?!


Im Haus hielt sie die Ungewissheit nicht länger aus, sie floh – auch vor sich selbst. Wanderte auf den Deichkronen entlang, ließ den Blick über die Insel schweifen ... über die sattgrünen Wiesen, auf denen Rinder und Schafe weideten, die schützenden Köge mit den stattlichen Bauernhöfen, die blühenden Felder ... und über die blaugrüne Nordsee, in der die Halligen schwammen wie kleine Inseln.

Während des Marsches achtete sie darauf, dass sie möglichst niemand begegnete. Ihr Gesicht zeigte hässliche Spuren von Haukes Schlag.

Als sie etwas müde geworden war, setzte sie sich zum Ausruhen an den Deichrand. Unten rollten und klatschten die Wellen im unermüdlichen Anlauf gegen den Damm, als wollten sie seine Festigkeit erproben. Sie liebte dieses Geräusch. Obwohl das Meer für sie ein Ungeheuer war, das ihr die Familie genommen und ihrem Schicksal eine böse Wende gegeben hatte, war ihr doch das geheimnisvolle Murmeln der Wogen ein Trost, der Geruch nach Salz und Tang eine Erfrischung. Schmerzen, Trauer und Ärger waren wie fortgeblasen. Hier am Wasser fühlte sie sich am wohlsten, hier war ihr Lieblingsplatz ... sie versank in Träumerei ...

„Na, verzauberst du gerade die Fische?", ertönte es launig von hinten.

Aufgeschreckt blickte sie hoch und traute ihren Augen nicht. Janko Staal! Ausgerechnet! Er durfte sie nicht in diesem Zustand sehen! Flugs schüttelte sie sich die Haare ins Gesicht.

„Ha-hallo. Hab' dich gar nicht gehört", erwiderte sie, nur, um irgendetwas zu sagen.

„Ich schleiche gern", gab er lakonisch zur Antwort, ließ sich neben ihr nieder und gab ihr einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. „Wie geht es dir denn so? Was macht dein Fuß?"

Verlegen drehte sie das Gesicht weg. „Wieder gut. Der Algenverband hat geholfen. Ich kann auftreten wie immer."

„Das ist schön ...", kam es von ihm.

Sie nickte, blickte beharrlich zur Seite ... und ehe sie sich's versah, hatte er nach ihrem Kinn gegriffen und ihr Gesicht zu sich gedreht. Mit beiden Händen strich er sachte ihre Haare zurück und musterte sie eingehend. Seine Augen weiteten und verengten sich ...

„Diese Beule da auf der Stirn, woher? Und diese gelben Flecken auf den Wangen? Warum?", verlangte er zu wissen.

Sie seufzte. „Ich habe Hauke widersprochen, und das hat ihm nicht gepasst."

Er stieß einen Knurrlaut aus. „'s wird Zeit ...", murmelte er.

„Was meinst du damit?", fragte sie verdutzt. „Für was?"

„Zeit, dich zu wehren."

„Aber ich habe mich doch gewehrt!"

„Ach ja? Gegen wen?"

„Gegen Hauke."

Er stieß einen leisen Pfiff aus. „Tatsächlich? Das hast du gewagt??"

Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich habe einfach die Wut gekriegt."

„So? Aber wohl noch nicht richtig, was?"

„Was ist richtig? Hätte ich ihn umbringen sollen?"

„Nein, das nicht, aber ..."

„Ja, was denn nun?", fragte sie ungeduldig. Mit seiner Einsilbigkeit war es ein Kreuz!

„Zeig' ich dir bald ..."

Sie gab es auf, ihn vollständig verstehen zu wollen. Lieber erzählte sie ihm von der Auseinandersetzung.

Als sie geendet hatte, nickte er voller Bewunderung. „Gut gemacht, sehr gut! Aber das ist erst der Anfang, Lyka. Weiß Gott, so eine kräftige Dirn wie du ist mir noch nicht untergekommen, aber gegen einen kampferprobten Mann zu bestehen, braucht es mehr. Du musst schneller reagieren, geschmeidiger. Von meinen Freunden, die auf der Seefahrt weit herumgekommen sind, weiß ich, dass es Tänzerinnen gibt, die sich winden können wie eine Schlange ..."

„Wozu soll das gut sein?", unterbrach sie seinen erstaunlichen Redefluss. Sie war verstimmt. „Soll ich Hauke mit dieser Kunst erfreuen?"

Er lachte. „Beim blanken Hans, nein! Ich meinte damit, je gelenkiger du bist, desto besser kannst du dich wehren. Du musst alle Möglichkeiten nutzen, die du hast. Oder willst du am Ende gezwungen sein, irgendeinen nichtsnutzigen Kerl zu nehmen, nur weil du Schutz brauchst? Oder später unter einem Ehemann leiden, der anfängt zu trinken wie Hauke?"

„Bloß nicht ... aber mich nicht nimmt sowieso keiner."

Er krauste die Stirn. „Wieso das denn nicht?"

Sie zögerte kurz. Sollte sie ihm alles anvertrauen? Doch dann schüttete sie ihm ihr Herz aus. Sie erzählte, wie die Leute immer vor ihr zurückwichen und ihr kaum in die Augen sehen konnten.

Er zog die Augenbrauen hoch. „So? Das wundert mich nicht – du hast manchmal eine Art zu gucken, es liegt an deinen Augen!"

„Oje, du meinst das auch? Meine Freundin Eilien – die einzige, die ich habe – sagte das Gleiche!"

Sie erzählte, was sie von ihr erfahren hatte.

Er schob die Unterlippe vor, wiegte nachdenklich den Kopf. „Na, ich find's nicht schlimm. Besser so, als anders." Er starrte eine Weile vor sich hin, als lauschte er in sich hinein - und sagte dann plötzlich im scharfen Ton: „Jedenfalls hast du einiges zu lernen. Ich helf' dir!"

Sie zuckte zurück. „Warum willst du das tun?"

Mit einem Ruck setzte er sich auf. „Weil ich dich mag. Aber ich muss jetzt gehen – und morgen sehen wir uns wieder, und zwar hier. Beim Eintreffen der Flut! Ich bin dann nämlich mit meinem Boot da, du steigst ein und wir fahren nach Amrum 'rüber."

„Darfst du so einfach weg?"

„Ich nehme mir einen freien Tag."

„Aber ich kann nicht so einfach fort, ich will Hauke nicht schon wieder reizen. Vielleicht später."

„Irgendwann ist es zu spät", murrte er. „Wann hat er denn mal einen längeren Botengang?"

„Übermorgen. Nach Gröde und nach Langeneß."

„Gut, das passt besser, das müsste reichen! Er wird den ganzen Tag unterwegs sein, in der Zeit zeige ich dir meine Heimat. Und später einmal stell' ich dir meine Freunde vor, und dann wird geübt!"

In ihr schrillten Alarmglocken. „Üben?? Und was?"

Er setzte ein spitzbübisches Grinsen auf. „Wart's ab!"

Lorenas Herz begann unruhig zu klopfen. Worauf hatte sie sich da bloß eingelassen? Was wohl wollten Männer mit einer Frau „üben"? Aber ihre Neugier war stärker als ihre Bedenken. Schon lange hatte sie ihr ödes Dasein satt. Sie wollte endlich etwas erleben. So sagte sie gegen alle Vernunft zu. Janko strahlte, seine Augen blitzten unternehmungslustig. Mit einem kräftigen Händedruck verabschiedeten sie sich voneinander.

Verwirrt ging sie nach Hause. Dies war ihre erste Verabredung mit einem Mann, aber irgendwie schien es nicht die gewöhnliche Art von Stelldichein zu sein, sondern eher wie ein Treffen zu einem Abenteuer. Janko war nicht mit gewöhnlichen Maßstäben zu messen, dies hatte er schon bei ihrer Rettung im Watt bewiesen. Er hätte sie zurücklassen können, stattdessen hatte er sie mitgeschleppt. Zum Dank wollte sie ihm vertrauen.

Auf dem Baum vor dem Haus saß Fenja, den Kopf unter einen Flügel gesteckt, und hielt Mittagsschlaf. Sie musste lächeln. So ein Tier hatte es gut. Sie schlich an dem Baum vorbei, öffnete leise die Haustür. Und fühlte, wie ihr Lächeln auf dem Gesicht erstarb.

Am Küchentisch saß Hauke. Mit versteinerter Miene, die Arme auf dem Tisch verschränkt. Düster. Stumm. Wenigstens schien er nüchtern zu sein.

Er hob den Kopf, sah sie kalt an. Dann wies er mit dem Kinn auf den leeren Stuhl gegenüber.




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