🌊Der Stern des Meeres🌊*Watt...

By Thyrala

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1601: "Die See ist nichts für Feiglinge!" - Lorena bekommt nichts geschenkt, aber das macht sie stark. Sie be... More

Personenverzeichnis
Vorwort
Schiffbruch
Gestrandet
Ein neues Leben
Gefährliche Wattwelt
Das Gold der Uthlande
Der Blanke Hans
Schicksal
Der Gast
Eilien
Unterricht
Matt
Der Luftgeist
Zehn Tage
Die Strafe
Aussprache / Amrum
Freunde
Strandjer
Pläne
Ein Geheimnis
Abschied
Sehnsucht
Bleiben oder gehen
Hindernisse
Abfahrt
Leinen los!
Von Bilge und Back
Der Quartiermeister
Von Gesangbuch und Knoten
Hoch hinaus
Gegenwind
Der Teufel an Bord
Die schwarze Liste
Durchhalten
Der Geist
Kräftemessen
Waffenstillstand
Atempause
Rivalen
In geheimer Mission
Der Schwur
Von Kanonen und Schwarzpulver I
Von Kanonen und Schwarzpulver II
Mann gegen Mann
Gerrit
Drill und Seepest
Türkisblau
Hitze
Vorzeichen
Im Auge des Sturms I
Im Auge des Sturms II
Der neue Navigator
Konfrontation

Absturz

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By Thyrala

Ziemlich energisch hatte es geklopft.

Bestimmt war Hauke in seinem ganzen Leben nicht so verdutzt gewesen wie jetzt, als er die Haustür öffnete und den fremden blonden Burschen mit Lyka, die sich kraftlos an ihn klammerte, vor sich stehen sah.

Auch der Bursche schien ziemlich erschöpft und nuschelte: „Sie kann nich' laufen. Hat sich verletzt."

Hauke wies mit dem Daumen hinter sich. „Da, auf die Bank!"

Der Fremde tat wie geheißen, hob Lorena auf die Arme, setzte sie sachte ab und half ihr, sich auszustrecken.

Hauke hockte sich vor ihr hin und besah den blutigen Fuß. „Ziemlich angeschwollen", stellte er nüchtern fest.

„Aber warum? Fast den gesamten Rückweg hat Janko mich getragen. Und es tut so weh, das hört nicht auf", jammerte sie leise.

„Hör' auf zu flennen, da muss noch etwas anderes sein. Halt' mal still!" So grob seine Worte waren, so sanft betasteten seine Finger die Schramme. Vorsichtig zog er die Wundränder auseinander. „Ah, ich seh' es schon ... da stecken noch Muschelstücke drin. Die müssen 'raus, sonst entzündet sich das."

Janko zog aus seinem breiten Gürtel ein kleines spitzes Messer und reichte es ihm. „Nimm' das! Ist sehr scharf. Und sauber."

Für Lorena fühlte es sich an, als wühlten kleine Krallen in ihrem Fleisch, ihr Fuß zuckte so sehr, dass Janko eingreifen und ihn festhalten musste. Am Ende holte Hauke vier größere Muschelsplitter heraus. „Na, geschafft!", triumphierte er.

Zum Abschluss drückte er leicht auf die Wunde, bis es zu bluten aufhörte.

„Algen sind gut", ließ sich Janko unvermittelt vernehmen. „Einfach auflegen. Reinigt und kühlt. Und es heilt schneller."

„Hab' noch Arnikasalbe da, aber ..."

„Zuerst die Algen, ich hol' welche!", sagte Janko bestimmt und sprang auf.

„Gut. Danach eben die Salbe ..." Da sprach Hauke schon ins Leere. Janko war wie der Blitz zur Tür hinausgeschossen.

So geschah es. Am Ende war die Wunde gesäubert, der Fuß ordentlich mit Leinenstreifen verbunden und auf einer zusammengerollten Decke hochgelagert.

Hauke grinste zufrieden. „Gut, nich'?"

„Bestens. Danke", sagte sie, noch ganz benommen. Sie wusste, mit seinem schnellen Eingreifen hatte Hauke Schlimmeres verhütet, und ohne Janko wäre sie draußen im Watt geblieben. Für eine Zeitlang konnte sie keine größeren Ausflüge unternehmen, aber das war wirklich das kleinste Übel.

„Was war passiert?", erkundigte sich Hauke.

Lorena erzählte die ganze Geschichte in kurzen Worten.

Hauke zog die Brauen zusammen. „Hm. Das hätte mir auch passieren können. Der Strom ist zu schnell gekentert. Du hast viel Glück gehabt!"

„Ich habe Janko gehabt."

Ihr Blick suchte Janko, der am Türrahmen stand und so aussah, als wenn er sich verabschieden wollte. „Danke, dass du mich gerettet hast, Janko. Das werde ich dir nie vergessen!" Und zu Hauke gewandt, sagte sie: „Er könnte einen guten Schlickläufer abgeben! Er ist sehr geschickt."

Hauke kniff die Augen zusammen. „Wundert mich nicht. Ist ja ein Amrumer. Auf seiner Insel gibt's fast nur Sand!"

Janko stieß ein hartes Lachen aus. „Eben. Genau deswegen bin ich gekommen."

„Was? Wegen des Sandes?", fragte Hauke irritiert.

Janko ging nicht darauf ein. „Hab' gehört, dass ihr Strandinger wieder Deicharbeiter braucht. Der Damm bei Ilgrov ist schwer beschädigt?"

„Richtig. Die Flickerei seit der letzten größeren Sturmflut hat nicht viel genutzt, wir müssen das Stück ganz erneuern. Und du suchst Arbeit, wenn ich dich recht verstehe?"

Janko nickte. Seine Miene blieb undurchdringlich.

„Gut. Zum Dank für deine Hilfe bringe ich dich hin. Kenne in Brunock jemand, der dir Arbeit, einen ordentlichen Lohn und eine Unterkunft verschafft. Und eine anständige Mahlzeit natürlich."

Zur Antwort lächelte Janko dünn.

„Dann ist alles klar. Komm' mit, gleich wird's dunkel", forderte Hauke ihn auf. „Wart', ich hole noch meine Jacke."

Janko warf Lorena einen vielsagenden Blick zu – „Joh ... also ... mach's gut", sagte er, drehte sich um und ging mit Hauke nach draußen.

Etwas verdutzt erhob sich Lorena von der Bank und humpelte zum Fenster. Von da aus beobachtete sie die beiden, wie sie zum Stall hinübergingen, der klobige Hauke und der sehnige Janko. Den Amrumer umgab etwas Wildes, Starkes, irgendwie war er faszinierend, so unnahbar und stolz.

Sie war hin- und hergerissen. Schade, dass ihre Begegnung so kurz war! Sie hätte ihn gern näher kennengelernt. Gesprächig war er ja nicht gerade. Dafür wog ein einzelnes Wort von ihm bestimmt doppelt oder sogar dreifach so schwer.

Nun, vorläufig konnte sie nicht mehr aufs Watt hinaus, die Schnittwunde musste erst ordentlich verheilen. Immerhin war sie schon gut darin, nur mit der Ferse aufzutreten oder auf dem Fußaußenrand zu laufen.

Sie seufzte. Was für ein Pechvogel sie doch war – erst das Marschfieber, dann der Fuß. Aber beides hätte schlimm ausgehen können. Und hatte Hauke nicht gesagt „es hätte auch ihm passieren können"? IHM. Das war ein großes Lob. Nicht sie hatte versagt, sondern das Meer hatte wieder einmal gezeigt, was es war: nämlich unberechenbar.

Nein, sie hatte nicht versagt, sondern ihr Möglichstes versucht und ausgeharrt, bis Rettung kam.

Das will ich mir merken, nahm sie sich vor. Niemals in Furcht erstarren.

Leise pochte der Schmerz im Fuß. Sie humpelte wieder zurück zur Bank und lagerte die Beine hoch. Hoffentlich dauerte es nicht so lange, bis alles verheilt war. Was konnte sie draußen in der nächsten Zeit überhaupt tun? Nun, das Meeresufer nach angespültem Seegras absuchen, dafür reichte es. Seegras konnte man gut als Dünger oder als Füllung für Matratzen oder Stuhlkissen verwenden. Vielleicht fanden sich gar ein paar angeschwemmte Holzplanken. Gut durchgetrocknet, eigneten sie sich vorzüglich zum Verfeuern und sparten den kostbaren, schwer erarbeiteten Torf. Ansonsten ein bisschen im Meer waten, im Sonnenschein ... bestimmt würde das die Heilung beschleunigen. Dann war der Weg nach Ilgrov nicht weit ...

Sie versank ins Träumen.

Plötzlich ein kurzes Gackern, das Geräusch von Flügeln – sanft landete Fenja auf ihren Schoß und schmiegte sich hinein. Gerührt streichelte Lorena über das weiche Federkleid. „Wo bist du nur gewesen? Hast dich in deiner Ecke versteckt?"

Fenja riss den Schnabel weit auf, gackerte zweimal kurz, einmal lang.

„Willst du mir sagen, dass du Fremden nicht traust? Das war Janko. Mein Lebensretter."

Ein tiefes Glucksen kam zur Antwort. Offensichtlich war Fenja sehr zufrieden. Gut möglich, dass sie Janko beim nächsten Mal begrüßen würde. Wenn es ein nächstes Mal gab.

Lorenas Befürchtungen waren unbegründet. Der Fuß verheilte gut; schon nach einer Woche konnte sie wie gewohnt auftreten, die Schmerzen waren ganz verschwunden. Mit den Ausflügen ins Watt hielt sie sich aber lieber noch etwas zurück, um nicht zu riskieren, dass die Kruste auf der Wunde wieder aufplatzte.

Dies war auch im Sinne von Hauke, der nun allein zu seinen Wanderungen und Botengängen aufbrach. Es würde ja nicht lange dauern ...

Doch eines Tages kam er nicht nach Hause.

Sie machte sich jedoch keine Sorgen. Aus irgendeinem Grund war es später geworden und er übernachtete gewiss irgendwo auf einer Hallig. Er war mit dem Flachboot unterwegs und konnte den Heimweg antreten, wann immer es ihm beliebte. Ein Hauke Eissen ging nicht im Watt verloren.

Als sie jedoch am nächsten Morgen sein leeres Bett sah, die Laken unberührt, im Haus und draußen kein Lebenszeichen von ihm vorfand, hielt sie es nicht mehr aus und machte sich auf die Suche nach ihm.

Sie begab sich direkt zum Hafen. Dort befand sich die größte Warft mit den meisten Häusern; vielleicht konnte sie dort eher etwas erfahren.

Ihr Instinkt hatte sie nicht getrogen. Schon auf der Dorfstraße winkte ihr ein Bauer zu. „Gut, dass du kommst, Deern – Hauke ist im Gefängnis!"

IM GEFÄNGNIS.

Erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund. „Wieso – was war geschehen?!"

Der Mann seufzte. „Er ist leichtsinnig geworden! Ein böser Geist hat ihn geritten!"

„Er und leichtsinnig??", entfuhr es ihr ungläubig.

Aber es stimmte. Der Bauer berichtete, dass Hauke sein Boot in Gegenwart des Strandvogts und einiger Fischer ausgeladen, das Strandgut auf seinen Karren gestapelt hatte und heimfahren wollte. Ein solches Verhalten durfte Iwe Mannis natürlich nicht hinnehmen; so hatte er Hauke vor allen Leuten aufgefordert, ihm ordnungsgemäß den Fund zu übergeben. Wutentbrannt hatte Hauke ihm unter kräftigen Flüchen die Sachen vor die Füße geworfen, was Iwe nun schon gar nicht durchgehen lassen konnte. Hauke wurde verhaftet und wegen Respektlosigkeit gegenüber der Obrigkeit für zehn Tage ins Gefängnis gesperrt.

„Kehr' wieder um, geh' nach Hause, Deern. Du kannst jetzt nichts für ihn tun", sagte der Bauer kopfschüttelnd, als könne er eine solche Torheit immer noch nicht fassen.

Lorena bedankte sich leise und schlich beschämt nach Hause.

Iwe traf keine Schuld, das war ihr klar. Diesmal hatte er nicht wie sonst ein Auge zudrücken können, er wäre der Hehlerei bezichtigt worden.

Was hatte Hauke nur getan??

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