Schlechte Nachrichten...
Ich war immer noch ungeküsst.
Warum?
Wir beide hatten einen Rückzieher gemacht.
Also war es nicht einfach meine Schuld. Auch Kay trug gewisse Schuld auf seinen Schultern, aber schlussendlich war es sowieso besser, denn keine 5 Minuten später hörte man meine Mutter im Treppenhaus.
Gestern passierte nicht mehr viel, nachdem ich nur zu Hause sitzen durfte. Ashton konnte nicht kommen, da er ein Referat schreiben musste und heute, einen Tag später war der Idiot immer noch nicht fertig, was bedeutete, dass er gestern nicht wirklich gearbeitet hatte.
Aber ich gab es zu. Ich hatte diese Ausrede auch schon mal gebracht.
Keine Lust zum Rausgehen?
Sag einfach, dass du lernen musst, liege dann den ganzen Abend im Bett und chill es auf Youtube bis du die komischsten Sachen lernst.
Heute war der letzte Tag, an dem Kay mir alles beibringen konnte und ich hoffte wirklich, dass er es auch hinbekommen würde.
Es brauchte nicht mehr viel, bis ich alles in der Tasche hatte, aber Angst umfasste mich trotzdem.
Auf was ich mich am meisten freute, war morgen. Morgen würde der perfekte Tag sein.
Schön Unterricht mit Mrs White und den Tag über würde ich ganz tolle Kleider anziehen können, da ich das ja so gern machte.
Morgen war mein Glückstag.
Ashton hatte mir jedoch versprochen, dass er vorbeikommen und mir mentale Unterstützung leisten würde.
Allein schon, dass ich den ganzen Tag mit meiner Mutter chillen musste, um das perfekte Outfit für die Aufführung zu haben, machte mich jetzt schon depressiv.
"Weißt du schon, was für eine Farbe du willst?" Ich hob meinen Kopf von meinem Handy an und sah meiner Mom entgegen, welche ihren Kopf durch den Türrahmen streckte.
"Ich lasse dich entscheiden. Ist ja schließlich deine Firma", gab ich gleichgültig von mir und blickte wieder auf das Handy, welches mir ein Video projizierte, dass ich gar nicht verstand, denn es war auf Italienisch, aber der Typ sah gut aus und darum zog ich es mir rein.
"Am besten passen, würde ein weißes Kleid und mit weißen Schuhen dazu, ja", murmelte sie, als sie mit sich selbst redete.
Genau finde ich auch...
Am besten würde sie mir auch noch Blumen in die Hände drücken, damit es so aussah, als würde ich heiraten.
"Mom?" Ich setzte mich auf und legte mein Handy auf den Kaffeetisch in der Mitte unseres Wohnzimmers.
"Meinst du, es ist schlimm, wenn ich nur zwei Lieder spiele? Mrs White und ich haben es nicht ganz durchgeschafft und Dad meinte ja, dass er sowieso eine etwas zu lange Rede geschrieben hat." Meine Mutter zeigte sich wieder und sah mich an. Sie zuckte mit den Schultern. "Das ist schade, aber ändern können wir das jetzt nicht mehr. Ist nicht schlimm."
Um ehrlich zu sein, nutzte ich ihren Stress gerade ziemlich aus, denn sie war viel zu beschäftigt, um gewisse Wut gegenüber mir zu verspüren. "Aber bitte keine Schuhe, die so ganz einen dünnen Absatz haben. Ich will mir keinen Fuß brechen, wenn ich auf die Bühne laufe." Ich schrie das noch herunter, als meine Mutter auf Zalando war und irgendwelche Schuhe ansah.
"Verstanden."
Ich hüpfte auf mein Bett und sah an die Wand. Ich wartete eigentlich nur darauf, dass meine Mom mich herunterrufen würde, damit sie mich zum Musikhaus fahren konnte, denn sonst hatte ich ja nichts zu tun.
Mir war stinklangweilig und bei Kay gab es wenigstens etwas zu lachen.
Ich hopste von meinem Bett und stellte mich vor meinen Spiegel. Mein Haar stand wild von meinem Kopf und kopfschüttelnd band ich es mir zu einem Dutt.
Dieser sah nicht wirklich ordentliches aus, aber hielt meine Locken von meinem Gesicht fern, was ich wirklich wichtig fand. Ich konnte mich sonst nicht konzentrieren.
"Ilaria! Komm, es ist viertel vor!"
Mit viel zu großen Schritten hetzte ich die Treppen runter und schlüpfte in meine Schuhe, als meine Mutter mich misstrauisch musterte.
"Was? Ich liebe Klavier spielen", zuckte ich mit den Schultern, als ich an ihr vorbeiging und auf den Porsche zusteuerte.
~
Ich lachte laut auf, als Kay sich erschrak, denn ich hatte mich zu hektisch in seine Richtung gedreht.
"Mach das nie mehr", grummelte er beleidigt und sah mich trotzdem ziemlich belustigt an.
Ich grinste und spielte die letzte Strophe von Heaven.
Ich hatte es geschafft.
Ich konnte beide Lieder einigermaßen und wenn ich sie jetzt noch ein paar Mal durchnehmen würde, hätte ich beide morgen in der Tasche und Mrs White könnte ihre Schnauze halten.
"Schau, dass du diese Hand weiter oben hast und sie lockerer führst. Sonst passiert dir immer der gleiche Fehler." Kay nahm meine Hand in seine und führte sie neu an die Tasten ran.
Immer bei der gleichen Stelle war ich dazu gezwungen einen kleinen Halt zu machen, denn ich kam nicht direkt an die nächste Taste.
Ich tat, was mir der Schönling befahl und versuchte es erneut. Es brauchte mehrere Anläufe, bis ich es einmal wirklich ohne Halt geschafft hatte und eifrig wiederholte ich diese Stelle immer wieder neu, denn ich wollte sichergehen, dass ich es wirklich konnte.
"Vergiss das einfach nicht, wenn du am Mittwoch vor 100 Leuten spielst." Tadelnd blickte ich zu Kay, welcher unschuldig mit den Schultern zuckte.
"Musstest du mich daran erinnern?" Er grinste und spielte selbst ein paar Töne. "Nicht, dass du es dann noch vergisst und vor der Bühne umkippst", scherzte er und erbte einen bösen Blick von mir.
"Wie geht es Toby?" Meine Frage hatte ihn überrascht, aber er antwortete nach einer kurzen Atempause.
"Besser. Sein Arm ist fast verheilt und ich weiß nicht, was ich ohne das Schmerzmittel getan hätte, denn er hat bis dahin wirklich jeden Abend geweint." Ich verzog mein Gesicht.
Ich mochte es nicht, wenn kleine Kinder weinten. Ich konnte es nicht ertragen, wenn Kinder schmerzen erlitten. Es brach mir das Herz.
"Ich dachte, du bist nicht oft bei ihm?" Kay nickte unschlüssig und sein Blick nahm an Traurigkeit zu. "Manchmal konnte er halt nur einschlafen, wenn ich bei ihm war."
Mein Herz zog sich zusammen. Man konnte von Kays Gesicht ablesen, wie sehr er seinen Bruder liebte und es ihm unendlich leid tat, dass Toby das durchmachen musste. "Wie alt ist er eigentlich?"
"5", gab Kay ruhig von sich und spielte wieder wenige Töne. "Und du? Wie viel Jahre bist du älter?"
Der Grünäugige drehte sich in meine Richtung und sah mir in die Augen. "Ich bin 19."
Ich nickte. Er war nur zwei Jahre älter als ich, hatte aber mindestens doppelt so viel wie ich durchgemacht.
Das konnte ich mir alleine an seinem Erscheinungsbild ausmalen und vor allem an seiner Sicht- und Denkweise.
"Sehe ich etwa älter aus?" Er neigte sich zu mir herunter und wartete auf eine Erklärung, da mein Blick wohl gezeigt haben musste, dass ich dieses Alter nicht wirklich erwartete hatte.
Wobei...
Er hatte schon mal angedeutet, dass er selbst zu jung war, um in den Club zukommen.
"Du siehst nicht älter aus, aber deine Art und Weise, wie du dich ausdrückst, zeigt einfach, dass du schon vieles erlebt hast." Ich drehte mich komplett zu ihm und versuchte ihn zu lesen.
Alles was ich sehen konnte, war grün. Nichts anderes. Das würde also nicht funktionieren.
Kay stimmte meiner Feststellung zu und seine Finger flogen über die Tasten. "Das Leben verteilt Narben. Körperlich und mental. Du lernst aus Fehlern und merkst dir Dinge, die gut geendet haben."
Ich ließ meine Hand auf meinen Oberschenkel klatschten und schüttelte den Kopf. "Und da kommen wieder die poetischen Quoten."
Kays Lachen ertönte und mein Herz begann schneller zu schlagen, denn sein Lachen war wirklich etwas, was einem nur den Atem rauben konnte.
"Einfach erklärt. Schlechte Dinge versuchst du beim nächsten Mal besser zu machen und gute Dinge, welche man nicht immer findet, will man bei sich behalten."
Ich spielte wenige Töne und verarbeitete seine Worte. Ich hatte es schon beim ersten Mal verstanden, aber gerne nahm ich die einfache Version entgegen.
"Dich zum Beispiel", atmete Kay und blickte mir in meine Augen.
Wo ist mein Inhalator?
Kay's a smooth fothermucker...
Neue Theorien über Kays Vergangenheit? Raus damit.