Jagd der Nebelflüsterer- Die...

By MorganKingsman

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B A N D I - Jagd der Nebelflüsterer ✥✥✥ Mord stand nicht auf Gwinns Agenda. Ab... More

1- "Was willst du tun? Ihre Balkonpflanzen austrocknen lassen?"
2- "Aber worin wäre dann der Spaß?"
3- "Brunnentauchen ist meine Lieblingsbeschäftigung!"
3- "Waren das deine Kräfte?!"
4- "Ich glaube du brauchst eine Brille"
4 - "Hey! Fensterkletterer!"
5- "Wer ist Gwinn?"
6- "Sie ist ein Kind, Calean! Ein Kind!"
7- "Der Grund ist wirklich dämlich..."
7- "Stell dich nicht dumm"
8 - "Verzeih mir?"
8- "Du bist außer Kontrolle!"
9- „Du kannst mir helfen, Essen aus der Küche zu stehlen"
Epilog

2- "Raumverschönerung."

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By MorganKingsman

„[...] Was die Nebelflüsterer betrifft, habe ich ebenfalls keine weiteren Nachrichten erhalten. Es lässt sich jedoch annehmen, dass inzwischen auch der König und die Vogelfänger von den letzten Entwicklungen erfahren haben. Haltet eure Tore zu jeder Zeit verschlossen und verstärkt die Wachen. Wir dürfen kein Risiko eingehen, bis sie den nächsten Flüsterer gefunden haben. [...]"

(Auszug aus einem Brief von Lady Beanna, Leiterin der Burg der Kinder und Vorsitzende der Schulorganisationen)

✥✥✥

          Wir liefen nach Primwood Hall, weil weder Garcy noch ich, so schnell wieder auf ein Pferd steigen wollten. Elayn versicherte mir zwar, dass ihre Stute ungefährlich sei (und zugegeben, ich wollte nicht aufhören, ihr seidiges Fell zu streicheln), aber die Aufregung der letzten Stunden hatte mich zappelig gemacht.

Deshalb errichten wir unser neues Zuhause erst am späten Abend. Und hätte ich es nicht besser gewusst, ich hätte behauptet, Maze hätte uns absichtlich über Umwege geführt, nur damit wir zu exakt diesem Zeitpunkt die Schule erreichten.

Primwood Hall war ein winziges Anwesen inmitten eines Waldausläufers. Da es unbedeutend war, hatte sich noch kein Zauberer gefunden, der es mit Magie vor neugierigen Augen schützte, doch Elayn erzählte mir, dass sie vielversprechenden Nachwuchs heranzogen.

Die Anlage bestand aus einem rotgemauerten Haupthaus, das sich mitten im Wiederaufbau befand, sowie einer großen Mauer mit ähnlich großen Löchern. Wir passierten ein Stallgebäude, das ein wenig außerhalb lag und seine Koppeln aus dem Wald herausstreckte. Elayn blieb dort mit den Pferden zurück, während Maze uns zum Haupthaus begleitete.

Weiße Treppenstufen, von denen zwei fehlten, führten zu einer massiven Holztür, deren Schräglage sich auf dem steinernen Boden in einem Viertelkreis abzeichnete. Zu unserem Glück stand sie einen Spalt breit offen, sodass wir uns nacheinander in den Eingangsbereich quetschen konnten.

„Wenn wir es schaffen diesen Ort vor den ersten Besuchen der Rebellenorganisationen auf Trab zu bringen, haben wir eine winzige Chance, dass sie uns bestehen lassen", erklärte Maze, als er uns in einen Gang und dann eine Treppe hoch führte.

Ich musste zugeben, dass ich mehr Militär erwartet hätte. Schießscharten und Fallgruben. Doch das hier war eine Schule (auch wenn ich noch nie eine betreten hatte) und meine Nervosität schlug in Aufregung um.

Garcy klammerte sich an meiner Hand fest, während ihr Blick panisch von links nach rechts schoss. Alles um uns herum wirkte teuer und verkommen. Der Boden war von einem dunklen, reichen Holz, aber so abgewetzt, dass ich die raue Oberfläche unter meine dünnen Sohlen spürte.
Die Fenster im ersten Stock waren riesig und aus buntem Glas. Aber ihnen fehlten Stücke.

Hinter einer gerade restaurierten Tür, drang das stete Murmeln vieler versammelter Stimmen hervor, sowie der Duft von Suppe und Brot. Mein Magen knurrte sofort zur Antwort, doch Maze führte uns leider weiter. Enttäuscht schlurfte ich ihm hinterher.

Er hielt vor einer deutlich kleineren Tür, die weniger vielversprechend roch. Meine Schultern sackten gerade herab, als ein hysterisches Kreischen uns alle zusammenzucken ließ.

Garcy zog mich einen Schritt zurück.
Was bei allen Waldelfen war das?
Mit Augen rund wie Wagenräder, starrte ich zu Maze herüber, der den Eingang ebenfalls betrachtete, als befände sich dahinter eine Schnappschlingpflanze.

Dahinter befand sich keine Schnappschlingpflanze, oder?
Unwillkürlich kehrte meine Hand zu dem Schnitt an meinem Arm zurück.

Maze akzeptierte sein drohendes Schicksal deutlich schneller als wir und mit einem Schulterzucken öffnete er uns die Tür.

Wir folgten ihm in eine Art chaotische Buchsammlung. Irgendein Fanatiker von Tinte und Papyruskäfern hatte deren Behausungen überall im gesamten Zimmer gestapelt, sodass ich den Schreibtisch und die dahinterstehende Person im ersten Moment nicht sah. Dafür das Mädchen, das sich am Ende eines von Bücherstapel eingerahmten Ganges befand.

Nur, um Missverständnissen vorzubeugen, wiederholte sie ihren Todessängerinnenschrei noch einmal.

Sofort packte Garcy meine Hand und presste sich in meine Seite, Gesicht voraus.
War es peinlich, dass ich mich genauso fest an meine kleine Schwester klammerte, wie sie an mich?

Erst im zweiten Versuch wurde mir bewusst, dass das Mädchen Mazes Namen gerufen hatte. Sie vollführte eine halbe Drehung und riss dabei mehrere Stapel um, wie eine winzige Naturkatastrophe. Nicht, dass sie ungeschickt war. Es interessierte sie nur nicht.

Ich machte unbewusst einen Schritt nach vorne, die Hände ausgestreckt und wanderte in das Feld ihrer Aufmerksamkeit, das zuvor nur dem Sucher gegolten hatte. Ihre Augen verengten sich.

Und wegen mangelnder alternativer Pläne starrte ich zurück wie ein ertappter Gnom.
Sie war... anders. Und das auf eine unheilvolle Art und Weise. Carchel-rote Haare und ein feines Gesicht, das selbst Waldelfen plump wirken ließ. Ich hatte ja jetzt einen Vergleich. Und obwohl sie zart gebaut war und ihre kleine Stupsnase so viel Angst eingeflößte, wie jede andere Stupsnase, zweifelte ich keine Sekunde, dass sie jeden von uns in diesem Raum mit einem einzigen Lidschlag umbringen konnte.
Außer Garcy vielleicht.

Aber mich definitiv.

„Was soll das?" Ihre Haare fielen wie ein seidiger Vorhang über ihre Schulter. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie über mich und meine Schwester sprach.

„Neuankömmlinge", gab der Sucher gelassen zurück und wandte sich an die zweite Person im Raum, die ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht bemerkt hatte, „Und die Ursache unserer Magie- Frequenzstörungen."

Maze hatte uns eine Art Pendel gezeigt, mit dem er die Quellen von magischen Schwingungen erfasste, um Kinder vor dem König zu finden. In Garcys Gegenwart hatte das Ding kurzzeitig den Verstand verloren.
Wenn jeder Sucher in diesem Land so ein Teil besaß, dann war es eher ein Wunder, dass wir nicht früher entdeckt worden waren.

Hinter einer Mauer aus Buchrücken und einer kreisrunden Brille, lächelte uns ein Mann in seinen Dreißigern zu. Er hatte schulterlange, dunkle Haare und ein einnehmendes Gesicht. Schmal gebaut und ebenfalls stehend, weil Bücher den Bürostuhl besetzt hatten.
„Mein Name ist Sir Kenrik. Willkommen in meinem Haus."
Sein Blick fiel auf mich. „Beeindruckende Leistung. Ich glaube niemand im Umkreis von einem Sechs-Tages-Ritt, konnte sich deinem Zugriff erwehren."

Ich... was? Ach, der Hilferuf?

Das Mädchen zwischen uns schnaubte einmal abfällig. „Jemand braucht dringend Nachhilfe, wenn es um die Dosierung der eigenen Kräfte geht. Nicht jeder will sehen, wie schwarze Reiter von nahem aussehen."

Neben mir zuckte meine Schwester zusammen. Sei es wegen diesem unhöflichen Mädchen oder dem kurz aufflammenden Ärger meiner eigenen Gedanken.
Es holte mich sofort wieder zu ihr zurück.
Behutsam zog ich Garcy aus meiner Seite heraus und platzierte sie vor mir, dass ich meine Hände auf ihren Schultern ablegen konnte.
„Das war nicht ich."

Die grauen Augen des Mannes wurden groß, als er Garcys schmächtige Gestalt musterte. Und er war mit seiner Überraschung nicht alleine. Mit geschürzten Lippen verschränkte das Mädchen die Arme vor der Brust.
„Und warum bist du dann hier?"

Dieses Mal fragte sie mich direkt.
Bitte? wäre es nicht so gefährlich, ich hätte ihre Haare in zu Berge stehen lassen. Doch das wäre vermutlich kein guter erster Eindruck. Und ich wollte nicht unhöflich sein.
„Raumverschönerung", zuckte ich stattdessen mit den Achseln.

Neben mir biss der Sucher sich auf die Innenseite seiner Wange, um nicht aufzulachen. Die Augen stur zu seinem Schulleiter gerichtet, vibrierte sein Körper vor stummer Erheiterung.

Das Mädchen kniff die Brauen zusammen. Was vorher Ungeduld und stumpfe Direktheit gewesen war, wechselte rapide zu absoluter Abneigung.
„Nicht mal in den Ställen würdest du dazu nutzen."

Danke. Ich machte mir in Rekordzeit Freunde. Um die Situation nicht weiter zu eskalieren, lächelte ich und wandte mich ebenfalls dem Mann hinter dem Schreibtisch zu. Sir Kenrik. Hatte Mutter von ihm erzählt?

Garcy schrumpfte immer mehr in sich zusammen. Hätte ich einen Rock getragen, sie hätte sich darunter versteckt. Zu spät fiel mir ein, wie selten sie davor unter Leuten gewesen war und wie unangenehm diese Situation für sie sein musste.
Behutsam zeichnete ich Kreise mit meinem Daumen, doch alles was ich zurückbekam, waren flehende Bilder unserer Rückkehr in unser Versteck.
Ich wünschte, wir könnten. Wirklich.

„Du bist ihre Schwester?", Sir Kenriks Miene wurde eine Spur einfühlsamer, als mir lieb war. Vorsichtshalber straffte ich einmal die Schultern, doch es war ihm Antwort genug. Mit einem Räuspern stützte er sich auf der Kante seines Schreibtisches ab.

Das rothaarige Mädchen schürzte den Schmollmund.
„Wir brauchen keine weiteren Straßenkinder! Die machen nichts als Ärger und beklauen dich bettelarm!"

Ich schoss einen finsteren Blick in ihren Hinterkopf. Vor allem, weil es für mich wahr war: Ich konnte sie bettel arm klauen. Ich tat es nur nicht.

Neben mir zog Gracy den Kopf ein, obwohl sie in ihrem Leben noch nie etwas Gesetzesgesetzeswidriges getan hatte. Sah man einmal von ihrer bloßen Existenz ab.

„Sidra? Wenn du möchtest, dass ich deinem Urlaubsansucheneinen zweiten Gedanken widme, wirst du uns alleine lassen", der Schulleiter seufzte, als bedaure er den Mangel an Sitzmöglichkeiten und fuhr dann fort, „Wie du siehst, habe ich noch andere Verpflichtungen."

Sidras Mund zog sich ein Stückchen nach unten und ich bedauerte, wie hübsch sie eigentlich hätte sein können.
„Ich habe ein Recht auf diese Reise! Sie dürfen es mir nicht verbieten!"
Doch Maze nahm sie vorsichtig am Handgelenk und bugsierte sie auf die Tür zu.

„Es hat niemand gesagt, dass du nicht gehen darfst", redete er beruhigend auf sie ein, „Wenn du willst, reden wir später darüber." Und dann war sie aus dem Zimmer.

Sir Kenrik seufzte noch einmal und ich wurde unruhig. Niemand sollte so oft und so viel tief Luftholen müssen, um eine Nachricht zu überbringen.
„Es tut mir wirklich leid, aber ich kann leider keine Geschwister durchfüttern. Wir haben genug Probleme und wenn ich anfange, die Familienmitglieder der Kinder aufzunehmen..."

Mein Kopf schoss in die Höhe. „Ich... ich hab selber magische Talente!" Mein Griff um Garcys Schultern wurde klammernd. Er konnte mich nicht fortschicken! Garcy und ich waren noch nie getrennt gewesen!

Sir Kenrik und Maze tauschten einen Blick, dessen unausgesprochene Frage den Sucher unschlüssig den Kopf hin und her wiegen ließ.
„Die Kleine ist eine klare Zehn. Sie eher eine Drei. Eine Fünf, wenn wir sie trainieren."

Die Brauen des Schulleiters hoben sich. „Sie ist untrainiert? Wie alt bist du?"

Das galt wieder mir. Obwohl es im Raum kühl war, schwitzten meine Hände. Ich hatte eine grobe Idee, was es mit den Zahlen auf sich hatte und es gefiel mir überhaupt nicht. Mein Blick schweifte zum Fenster hinter dem Direktor, das die Sicht auf die nördliche Wand des Haupthauses frei gab. Dort kletterte gerade ein Junge die moosbewachsene Mauer herunter.
„Sechzehn."

Es war die falsche Antwort. Sir Kenrik nahm seine Brille ab, um einmal über seine Augen zu reiben, und Maze sah auf seine Füße.
„Was hast du bisher gemacht, mein Kind? Hast du ein Handwerk gelernt? Kannst du mit Waffen umgehen? Jagen? Lesen oder Schreiben?"

Stehlen war vermutlich nicht die Antwort, die er hören wollte. Nicht, nachdem was Sidra über uns gesagt hatte.
Unbewusst schloss ich die Augen. Ich konnte ihm nichts bieten, außer seine Buchbeschwerer schweben lassen. Die zerfetzten Blätter drängten sich zurück in meine Erinnerung, doch das war das Letzte, was ich ihm erzählen wollte. Meine Kraft war keine Waffe, so wie ein Löffel keine Waffe war. Ich hatte nur nie gelernt sie gefahrlos einzusetzen.

Zögerlich löste sich meine Schwester aus meinen Armen und tat einen Schritt auf den Schulleiter zu. Sie hatte seit unserer Wiedervereinigung im Wald kaum ein Wort geäußert und ihre schmal zusammengepressten Lippen machten deutlich, dass sie auch nicht damit anfangen wollte.
Stattdessen umrundete sie die Schreibwerke alter Wissenschaftler, als wären sie leibhaftig unter uns und griff die Hand des Mannes.

Die Reaktion kam ohne Verzögerung. Für einen einzigen Herzschlag leuchtete er wie ein geschütteltes Irrlicht, doch im Gegensatz zu den meisten anderen, zuckte er nicht weg oder riss sich los.
Geduldig ertrug er den Fremdkörper in seinem Verstand, wie jemand, der Schlimmeres von seinen Schülern erlebt hatte.

Schließlich ließ Garcy ihn wieder los und kehrte eilig an meine Seite zurück. Nur flüchtig sah ich Bilder von mir, wie ich ihr Essen brachte oder den grauen Mantel, den sie noch trug.

Sir Kenrik seufzte ein drittes Mal und Maze rollte bereits mit den Augen.
„Ich kann dich nicht in den regulären Unterricht nehmen, Gwinn." Er musste meinen Namen von Garcy erfahren haben. „Und du wirst dich nützlich machen müssen. Nützlicher, als die anderen."

Ich ertappte mich beim Nicken, ohne zu verstehen. Es war egal. Alles war egal, so lange ich bei Garcy bleiben durfte. Was machte schon ein bisschen Arbeit?

Ein sanftes Lächeln umspielte die Lippen des Mannes, als er meine Reaktion bemerkte.
„Maze kann dich zu den Schlafräumen der älteren Schülerinnen bringen."

✥✥✥

Kaum da wir Sir Kenriks Büro verlassen hatte, zupfte Garcy an meinem Ärmel. Ein Blick in ihre ruden Augen und ich wandte mich an Maze.
„Kann ich mich kurz mit meiner Schwester alleine unterhalten?"

Der Sucher zuckte mit den Schultern und lief zu zwei anderen Schülern in seinem Alter, die ich vorher kaum bemerkt hatte. Das Abendbrot musste geendet haben, denn was davor leere Korridore gewesen waren, befüllte sich nach und nach mit Kindern in unterschiedlichen Altersklassen.

Garcy machte sich noch winziger, als sie die neugierigen Blicke der anderen registrierte, die schnell in Tuscheln und zusammen gesteckten Köpfen endeten. Anscheinend hatten sie alle von dem Mädchen in ihrem Verstand gehört. Eine ganze Schule, die plötzlich denselben Traum gehabt hatte. Am helllichten Tag.

Als sie ihr zu nahe kamen, zog sie mich aus dem Gang heraus. Eine Treppe hinunter, aus dem Haus, über den Hof und auf den schmalen Weg davor.
Erst zwischen den Bäumen des Waldes konnte ich sie stoppen.

„Garcy! Was hast du vor?" Man mochte es meiner Schwester nicht zutrauen, doch sie wurde teilweise beängstigend stark. Ganz besonders, wenn sie sich fürchtete. Und ich verstand, dass diese Menschenmassen für sie unübersichtlich waren, doch wir hatten sie schon im Hof hinter uns gelassen.

Erst hier draußen, im tanzenden Schattenspiel der Blätter, sah ich die Tränen auf ihren Wangen.
„Ich will heim", erklärte sie außer Atem, als koste es sie alle Kraft, nicht weiter zu rennen. Sie bebte. Schlimmer als ich, wenn ich die Kontrolle verlor.

„Wir können nicht nach Hause." Ich versuchte, einen Schritt auf sie zuzumachen, doch Garcy zog sich sofort zurück. Ich biss mir auf die Unterlippe. Sie kannte mich zu gut. Wusste wie und wenn ich sie beruhigen wollte. Doch jetzt ließ sie es nicht zu.

„Warum nicht?" Es war eine Anklage. Die gerechte Strafe dafür, dass ich sie alleine gelassen hatte, als die Reiter kamen. Dass ich in eine Falle getappt war, obwohl meine Intuition mich gewarnt hatte. Ein Ablenkungsmanöver.

Die Erinnerung an meine Darbietung auf dem Marktplatz ließ mich auf meine Unterlippe beißen. So bald würde niemand in dieser Stadt unsere Gesichter vergessen. Wahrscheinlich hatten sie unseren Unterschlupf auf den Boden niedergebrannt.
„Was ist so schlimm an diesem Ort?" Außer Sidra?

Garcy zog sich an den Haaren und weckte in mir das Bedürfnis, ihre Hände in meine zu nehmen.
„Sie wollen, dass ich meine Gabe nutze!", platzte es schließlich aus ihr heraus.

Überrascht hob ich die Augenbrauen. „Du benutzt deine Gabe andauernd bei mir!" Es gab keinen Tag, an dem ich sie nicht hörte, nicht sah, was sie sah.

„Das ist was anderes! Dein Kopf ist... friedlich", rang sie mit den Worten, während weitere Tränen fielen. Flehend streckte sie eine Hand nach mir aus, als hoffe sie, ich würde sie ergreifen und einfach mit ihr davonlaufen. Nach Hause.

Es war wie ein stumpfes Messer ins Herz. Das Wort, das sie gesucht hatte, war vertraut. Denn bei allen Göttinnen, ich war alles andere als friedlich. Mir war allerdings nie in den Sinn gekommen, dass sie unseren Verstand genauso spüren konnte, wie wir ihren.
„Garcy, ich kann versuchen mit ihnen zu reden-..."

„Nein!" Ihr Schrei ließ mich zurückzucken. „Ich will heim! Bitte, Gwinn!" Noch während sie sprach, sah sie die Antwort in meinen Augen.

Sie hatten Pendel, um uns wiederzufinden. Nicht nur Maze und Elayn, sondern auch Menschen, die uns Schlimmeres wollten.
Gequält versuchte ich, auf sie zuzukommen, doch sie duckte sich an mir vorbei.
„Du hättest niemals mit ihnen gehen dürfen!", waren ihre letzten Worte, ehe sie zurück zum Haus stürzte. Vermutlich, um sich dort ein passendes Versteck zu suchen.

Mit einem leisen Wimmern blieb ich stehen. Ihr jetzt nachzulaufen wäre sinnlos. Garcy war selten so emotional, doch wenn es sie überkam, gab es keinen Weg, um zu ihr durchzudringen.

Ein zurückhaltendes Rascheln kündigte den Jungen an, der einen Lidschlag später über mir durch das Blätterdach krachte und ohne mein Zutun ungebremst mit dem Rücken auf den Weg gekracht wäre. Allein meine Reflexe stoppten seinen freien Fall, nur eine Armlänge über dem Boden.

Wie ein geschüttelter Taschendieb fielen ihm mehrere Päckchen aus der Jacke und verteilten sich auf der Erde. Mitten in der Luft legte er den Kopf in den Nacken und starrte mich an.
„Was tust du da?", fauchte er, als hätte ich sie ihm gestohlen.

Wie bitte? Ich erschrak so sehr, dass ich ihn versehentlich fallenließ. Und weil ich immer noch mitgenommen war, entschuldigte ich mich auch nicht dafür. Ich hatte genug für einen Tag. Erst die Reiter, dann Maze und Elayn, Sidra und den Schulleiter. Wenn es an diesem kein einziges normales Gesicht gab, würde ich Garcys Bitte doch nachkommen. Wir konnten rennen. Vielleicht schafften wir es ja bis zu der Landesgrenze.

Mit einem dumpfen Geräusch schlug er auf und sprang sofort auf die Füße. Laub haftete in seinen braunen Haaren und er gab sich keine Mühe den verkniffenen Zug um seine Lippen zu lösen. Erst als ich mich nicht auf ihn stürzte, entspannte er sich ein wenig.
„Probleme mit der Familie?" Bitterer Sarkasmus triefte aus seinen Worten.

Ich verschränkte die Arme.
„Probleme beim Klettern?"

„Normalerweise nicht. Mir ging die Kraft aus bei der Länge eurer Streitereien."

Natürlich. Wie rücksichtslos von uns.
„Hat dir niemand beigebracht, dass Lauschen unhöflich ist?"

Spöttisch hob er die Augenbrauen. „Du hältst deine privaten Auseinandersetzungen für interessant? Gab es keinen unbelebteren Ort, wo ihr hättet streiten können?"

Er war... er war... unmöglich! Ich wollte nicht wissen, was er dort alles mit sich herumgetragen hatte. Mich interessierte allein meine Schwester. Und wie ich wieder fort von hier kam.
Mürrisch kickte ich das nächstliegende Paket zu ihm herüber. Und auf einmal wusste ich auch, dass ich ihn schon einmal gesehen hatte.
Das war der Junge, der aus dem Fenster geklettert war!

Sein überheblicher Ausdruck flackerte so kurz, dass ich mir nicht sicher war, ob ich es mir nicht eingebildet hatte.
„Wirf es noch mehr herum und es geht kaputt."

„Wenn du aus dem Fenster an der Nordwand kletterst, kann Kenrik dich aus seinem Büro sehen", ließ ich den Kerl wissen und machte auf dem Absatz kehrt. Zeit, meine Schwester und vielleicht ein neues Heim zu finden.

Ich ließ ihn einfach stehen, drehte mich nicht einmal um, als ich zurückzum Haupthaus lief, doch das Prickeln in meinem Nacken fühlte sich an wieNadelstiche.  

✥✥✥   

"Voted und ich schüttel euch noch mehr Kerle aus Bäumen."- Gwinn, hat schon bei Kapitel 2 genug :D 

Machen wir doch gleich mal weiter mit der Adventszeit :D bevor jemandem langweilig wird

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