PURPLE RAIN

Por agustofwind

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❝And baby, for you, I would fall from grace, just to touch your face❞ Jimin würde alles dafür tun, die verlor... Más

foreword - all we have is now
chapter one - (don't fear) the reaper
chapter three - crime of the century
chapter four - surrender
chapter five - comfortably numb
chapter six - fox on the run
chapter seven - yesterday
chapter eight - piano man
chapter nine - breakfast in america
chapter ten - stairway to heaven
chapter eleven - burnin' for you
chapter twelve - hotel california
chapter thirteen - somebody to love
chapter fourteen - lucky man
chapter fifteen - a whiter shade of pale
chapter sixteen - everybody knows
chapter seventeen - this town ain't big enough for the both of us
chapter eighteen - bye bye baby
chapter nineteen - both sides now
chapter twenty - heroes
chapter twenty-one - lake shore drive
chapter twenty-two - rhiannon
chapter twenty-three - california dreamin'
chapter twenty-four - enjoy the silence
chapter twenty-five - when i was young
chapter twenty-six - when doves cry
chapter twenty-seven - don't give up
chapter twenty-eight - oh! you pretty things
chapter twenty-nine - paint it black
chapter thirty - nowhere man
chapter thirty-one - hallelujah
chapter thirty-two - purple rain
epilogue - two years later
acknowledgement

chapter two - i want to break free

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Por agustofwind



track no. 2 ♫
i want to break free;
by queen


- — -

DAS OCTAGON WAR EIN hochgeschlossener Gebäudekomplex aus in der Straßenbeleuchtung schimmernden Glasflächen, die schrägwinkelig dem Betongrundkörper entwuchsen, orthogonal angeordneten, robusten Stahl-Querstreben im Bauhausstil und einem weitläufigen Eingangsbereich, der trotz des unablässigen Nieselregens mit einem roten Samtteppich ausgelegt war. Aufgrund seiner Weiträumigkeit war der Haupteingang von Seouls angesagtestem Nachtclub in eine Seitenstraße verlegt worden, und sich des gesamten Platzes erquicken konnte, den er benötigte.

Eine lange Schlange hatte sich bis auf die Hauptstraße gebildet; unter riesigen, schwarzen Regenschirmen waren die Grüppchen zusammengerottet; zitterten in ihren dünnen Abendkleidern und hofften allesamt inbrünstig darauf, dass der Regen endlich versiegen würde.

Jimin war früher oft im Octagon gewesen; er hatte während seines achtzehnten Lebensjahr beinahe jede Freitag- und Samstagnacht in den schummrig beleuchteten, höhlenartigen Hallen verbracht, die von Live-Musik und teuren Getränken an der Bar bestimmt gewesen waren. Nach seinem Absturz und dem daraus resultierenden Entzugs in einer Klinik im Süden des Landes hatte er seine Freunde immer seltener in den Club begleitet; zunehmend argwöhnisch und skeptisch gegenüber den Stoffen, die man dort in der Abgeschiedenheit der VIP-Räume konsumiert hatte.

Es fühlte sich richtiggehend falsch an, nun wieder auf dem roten Teppich zu stehen und darauf zu warten, das die ermüdend langsame Kolonne der anderen Clubgäste sich langsam in den überdachten Bereich vor dem Haupteingang bewegte. Früher hatte er selten einmal angestanden—VIPs erfuhren, wie sollte es auch anders sein in ihrer kapitalistischen Gesellschaft, eine Sonderbehandlung—und so hatte er nur dann warten müssen, wenn sie kurzfristig und ohne Reservierung hierher gekommen waren. Zudem war er nie alleine hier gewesen; meistens flankiert von Lee Seojoon, seinem besten Freund seit Kindestagen, Choi Youngja, einem Mädchen, mit er im vergangenen Jahr eine halbherzige Beziehung eingegangen war, und den immer wechselnden Gesichtern seiner übrigen Freunde, von denen keiner sich lang genug in seiner Gunst gehalten hatte.

Er war mit seinen Freunden damals umgegangen wie mit seinem Geld; übermäßig verschwenderisch und sorglos—unweigerlich wissend, dass für jeden, den er und Seojoon vor den Kopf stießen, ein Neuer nachrücken würde, der bereit war, für ein paar Abende in ihrer Gegenwart alles zu tun.

Beim Gedanken an den sarkastischen, cleveren Jungen, den Jimin früher seinen besten Freund genannt hatte, fühlte er einen schmerzhaften Stich in seinem Magen. Er hatte seit fast drei Wochen nichts mehr von Seojoon gehört; und auch wenn er nichts anderes erwartet hatte als absolute, eiskalte Stille, war es dennoch ein eigenartiges Gefühl, die prominente Oberflächlichkeit in der engen Freundschaft zu erkennen, die er beinahe sein gesamtes Leben geführt hatte.

Jimin hasste es, durch das schmerzlich vertraute Minenfeld seines vergangenen Lebens zu schreiten, und festzustellen, dass alles noch beim Alten war. Dass die aufgeregten Stimmen an seinem Ohr noch immer quälend laut und unausstehlich erklangen, dass der durchtränkte Teppich unter seinen Füßen dasselbe schmatzende Geräusch von sich gab, wenn er sein Gewicht verlagerte, dass leichte Vibrationen durch den Asphalt gingen, wann immer die Tür sich für die nächste Fuhre der wartenden Gäste öffnete und aus dem Inneren das Lichtspiel der EDM-Bühne gegen die Außenmauern geworfen wurde.

Er hasste es, dass die Welt die Frechheit besessen hatte, nicht zusammen mit ihm unterzugehen, als er sich nichts sehnlicher gewünscht hatte.

Wenigstens war er heute Abend bisher kein einziges Mal erkannt worden—trotz der Tatsache, dass er das letzte verbliebene Make-Up aus seinem schwindenden Vorrat aufgetragen hatte und den halbwegs teuren Blazer trug, den er vor der Sortierwut seiner Mutter in ihrer letzten Phase der Aktivität versteckt hatte.

Stattdessen bemerkte er den okkasionellen interessierten Blick einer Mädchengruppe, die hinter dem einsamen, gut-aussehenden Typen eine Möglichkeit erkannten, heute Nacht nicht alleine nach Hause gehen zu müssen. Während ihn die unleugbare Neugier früher geschmeichelt hätte, war er ihrer seit den dutzenden Malen, die er sein Gesicht auf den Hochglanzseiten der Klatschmagazine entdeckt hatte, müde geworden; vielmehr begann er sogar immer öfter, sich deswegen unwohl zu fühlen.

Auch jetzt spürte er, wie das unangenehme Brodeln in seinem Magen zurückkehrte, das spätestens seit der Gerichtsverhandlung sein ständiger Begleiter war, wenn er sich in der Öffentlichkeit befand.

Es war eine dumme Idee gewesen, heute Nacht herzuzukommen. Er sollte Zuhause sein; Jisoo bei den Hausaufgaben helfen und dafür sorgen, dass sie genug aß oder—zu so später Stunde—nicht wieder Opfer ihrer Albträume wurde, die seit dem Umzug nach Sillim-Dong exponentiell zugenommen hatten. Er hatte Jihyun zwar aufgetragen, ihn im Notfall zu alarmieren, aber sein Bruder war mit einem ungewöhnlich festen Schlaf gesegnet; so hatte er nicht einmal bemerkt, wie ihre Mutter sich in der dritten Nacht in der neuen Wohnung im Bad in einem Anfall des plötzlichen Zorns mit der Küchenschere die Strähnen ihres vollen, festen Haars abgeschnitten hatte. Sie trug nun einen fransigen Kurzhaarschnitt, den Jisoo ihr am Morgen zurecht gestutzt hatte und Jimin hatte das Gefühl, dass die Veränderung sie auf eine Weise erleichtert hatte, die keines ihrer Kinder nachvollziehen konnte. Vielleicht war das ihre Art, mit seinem Vater abzuschließen, der sie ihr gesamtes Leben nur mit ihrer markanten, üppigen Haarmähne gesehen hatte.

Als er endlich unter dem breiten Vordach stand und der Regen hinter ihm weiter gnadenlos auf die geduldigen Wartenden niederging, zwang er sich, tief durchzuatmen. Er hatte lange mit sich gekämpft, hin- und herüberlegt, waghalsige Pläne geschmiedet und verworfen, bis er festgestellt hatte, dass das Octagon die alleinige Möglichkeit war, die sich ihm jetzt noch eröffnete—beziehungsweise die Domäne seines einzigen Zugangs zu der düsteren, zweiten Welt darstellte, die all die Jahre neben seiner eigenen verlaufen war, ohne, dass sie sich aufregend überschnitten hatten. Das hieß; solange die Information noch stimmte, die Jimin aus seiner Zeit als Gangnams wohlhabendstes Drogenopfer mich sich herumtrug, und Yoo Kihyun weiterhin jeden Donnerstagabend im Octagon dealte.

Nun; Jimin würde es wohl empirisch ermitteln müssen, denn Kihyun gab seine Nummer an niemanden heraus—erst Recht nicht an unvorsichtige, tablettenabhängige Politikersöhne, die sich selbst für unantastbar hielten. Er war sich im Nachhinein ziemlich sicher, dass Kihyun ihn unterschwellig verabscheut hatte; eine beständige Geringschätzung war seinen Worten und Gesten angehaftet, wenn sie sich in der Toilette des Clubs getroffen hatten und die Tabletten den Besitzer gewechselt hatten. Aber Jimin war damals kaum er selbst gewesen—und er fragte sich unwillkürlich, ob Kihyun sich noch an ihn erinnerte. Das letzte Mal, dass er Geschäfte mit ihm gemacht hatte, war gut zweieinhalb Jahre her.

Ein plötzlicher Anflug von Panik ergriff von seinen Gedanken Besitz. Zweieinhalb Jahre waren eine wirklich lange Zeit; Kihyun hätte dem Octagon in der Zeitspanne längst den Rücken zukehren können; sich vielleicht sogar aus dem Geschäft zurückgezogen—oder war möglicherweise, noch schlimmer, von den Behörden dingfest gemacht worden. Nun, da Jimin darüber nachdachte, war die Wahrscheinlichkeit sogar verschwindend gering, dass der mürrische Dealer noch immer hier anzutreffen war.

Dem Mangel besserer Alternativen geschuldet, ließ er sich von der Menge trotzdem nach vorne tragen, bis er unmittelbar vor dem Eingang stand; sodass es sich zwangsläufig ergeben würde, dass er das Octagon in der nächsten Gruppe betrat.

Ein Zusammenschluss besonders lästiger Existenzen, die hinter ihm auf dem Patio warteten, und seit geraumer Zeit über ihre irrelevante Arbeit sprachen—allesamt Angestellte in einer Anwaltskanzlei—wechselten plötzlich Stimmlage und Thema und ein Adrenalinrausch durchfuhr Jimin, als er, zuerst ungewollt, einen Fetzen ihres Gesprächs aufschnappte.

„...und war die vergangenen zwei Wochen nicht im Octa", sagte einer der Typen der Gruppe und klang, als wäre er von der Tatsache persönlich beleidigt. „Aber Mina hat mir vorhin eine Nachricht geschrieben, in der sie meinte, dass sie ihn hinten an der EDM-Bühne gesehen hat."

„Gut so", schnaubte ein Mädchen mit durchdringender, hoher Stimme unmittelbar hinter ihm verärgert. „Ohne sein Zeug macht der Abend nur halb so viel Spaß. Warum er wohl die letzten zwei Donnerstage nicht hier war?"

„Mina meint, er hatte ziemlichen Ärger mit der Regierung am Hals. Du weißt doch, wie die Opposition und das Gericht seit dem Skandal unterwegs sind. Schubsen jedes Wespennest an, das sie finden können, in der Hoffnung, dass es ihnen etwas von Premier Parks Schandtaten berichtet."

„Ja, aber Kihyun ist bloß Dealer." Das Mädchen klang nicht wirklich versöhnt und Jimin machte einen unauffälligen Schritt nach hinten, dass er trotz der dumpfen Geräuschkulisse aus dem Inneren des Clubs kein Wort verpassen würde. „Er ist kaum jemand, der irgendwas mit Premier Park zu schaffen hatte."

„Der Mann hat Drogenpartys veranstaltet, Hana. Außerdem haben sie die Kontrollen verstärkt. Wollen das..."—er unterbrach sich kurz, räusperte sich, ehe er mit gedämpfter Stimme fortfuhr—„...Kkangpae-Problem etwas eindämmen. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich heute etwas kaufen soll, das Risiko ist einfach zu hoch."

„Pssst, jetzt", meinte jemand nervös in der Gruppe und das Gesprächsthema wandte sich unmittelbar wieder dem Fall zu, den die Kanzlei gerade bearbeitete. Jimin ertappte sich dabei, wie er abfällig den Mund verzog; neureiches, parasitäres Juristenpack, das nichts Besseres zu tun hatte, als an einem gewöhnlichen Donnerstag ins Octagon zu gehen und irgendwelche illegalen Tabletten zu aquistieren, bevor sie am nächsten Tag in ihre konformistische Kanzlei zurückkehrten und andere für ebendie Verstöße gegen das Recht belangten. Wie seinen Vater zum Beispiel.

Bevor er sich jedoch weiter über seine Abneigung gegen den personifizierten Arm des Gesetzes auslassen konnte, setzte sich der Pulk, in dessen Mitte er geraten war, in Bewegung und er bekam aus irgendeiner Richtung einen Stempel auf den Handrücken geprägt, ehe ihn die Menge durch den hohen Torbogen schwappte und er sich unmittelbar im imposanten Eingangsbereich des Clubs wiederfand.

Obwohl es beinahe ein Jahr her war, dass er das letzte Mal einen Fuß ins Octagon gesetzt hatte, erinnerte er sich noch haargenau an den Grundriss des Gebäudes; an die zwei Ebenen, die durch eine breite Treppe miteinander verbunden waren; die Privaträume an den hinteren Enden der zwei Bühnen—und den relativ lärmbefreiten Teil der Sitztische, an denen Kihyun sich meistens herumtrieb, wenn ihn gerade kein Botengang in die Toiletten im Keller führte. Die EDM-Bühne, die sich direkt hinter dem Eingang eröffnete und mit ihrer Tanzfläche alle Neuankömmlinge aus dem winzigen Eingangsbereichs der Garderobe abholte und aufnahm, war trotz der relativ frühen Stunde bereits in vollem Betrieb und Jimin verzog das Gesicht, als der schwer erträgliche Bass durch den Boden, seinen Brustkopf und Kopf zuckte, wie ein elektronisches Erdbeben. Er bemühte sich, den Bereich vor der Bühne nur zu tangieren, damit er auf keinen Fall mit jemanden zusammenstieß, den er eventuell kannte. Die gesamte Zeit über hielt er seinen Blick auf den Boden gerichtet, bewegte sich so rasch, wie die zuckenden, ausscherenden Körper es ihm erlaubten am Rand vorbei, bis er die ersten Ausläufe der Tischreihen erreichte.

Je weiter er sich von der Tanzfläche entfernte, umso mehr füllten sich die ledernen Sitzreihen um die Tische, und Jimin warf einen wachsamen Blick in jedes einzelne Gesicht, ob Kihyun nicht vielleicht irgendwo auszumachen war. Der junge Dealer hatte die Gewohnheit, sich zu seinen Kunden zu setzen, über Belanglosigkeiten zu diskutieren, ehe sie ihm in einem freundlichen Handschlag verborgen, das Geld für denjenigen Stoff übergaben, den sie später in den Toiletten versteckt finden würden. Denn auch im Octagon gab es wachsame Augen, verdeckte Polizisten und Ordnungshüter, die versuchten, den Drogenhandel zu untergraben, der nur noch mehr Geld in die Taschen der Kkangpae spülen würde.

Auch wenn die Nachwuchsjustiz vor dem Octagon ihm die Zweifel genommen hatte, dass er Kihyun hier nicht finden würde, schien das Unterfangen sich dennoch zu verkomplizieren—der Club war nicht umsonst als der zahlenmäßig Größte Seouls gelistet—und wie er früher schon festgestellt hatte, konnte man einer unliebsamen Person einen gesamten Abend problemlos aus dem Weg gehen.

Er benötigte beinahe eine halbe Stunde, bis er ganz hinten an der Bar einen rosafarbenen Schimmer ausmachte, der sich aus der anderweitig nachtschwarzen Einheitsfarbe hervortat. Jimin machte ein paar zögerliche Schritte auf die Bar zu; er kannte Kihyun eigentlich nur mit penibel unauffälligem, schwarzem Haar, aber die selbstbewusste Postur und dunkelblaue SnapBack auf dem Haar waren unverkennbar. Im Augenblick war sein alter Dealer in ein Gespräch mit einem Kunden versunken: er lehnte an der Theke, den Arm beiläufig auf den Tresen abgestützt, während sein Gesprächspartner auf dem Hocker vor ihm saß und sich wiederholt nervös über die Lippen leckte.

Jimin hütete sich davor, sich dem Dealer zu nähern, während dieser im Zuge einer Transaktion war; also drückte er sich eine Weile in den Schatten an der Wand herum, die zwischen der EDM-Bühne im Erdgeschoss und den ersten Ausläufen der Hip-Hop-Tribüne aufgezogen war—und begann, ihm Löcher in den Rücken zu starren. Wann immer Kihyun in Richtung Tanzfläche blickte, konnte Jimin im schwachen Deckenlicht sein Profil erahnen, das sich in den zwei Jahren kaum verändert hatte—noch immer funkelten ihm ein Paar misstrauische Augen entgegen, die meist unter zusammengezogenen Brauen zu erkennen waren. Jimin meinte sich nicht daran zu erinnern, ihn jemals wirklich herzhaft über etwas lachen gesehen zu haben—und er fragte sich unmittelbar, ob die kühle Distanziertheit nicht vielleicht Teil eines Akts war.

Jimin war so in seine grüblerischen Betrachtungen versunken, dass er zuerst überhaupt nicht bemerkte, wie er selbst einer ausgiebigen Beobachtung unterzogen wurde.

Die Hip-Hop-Bühne nahm die Kopfseite des riesigen Raumes ein, an dessen Ende Jimin sich seit einer guten Minute in den Schatten verbarg; und das bedeutete, dass die Anhöhe auf der anderen Seite des Raumes eine beachtliche Länge aufwies—und in einer Emporen-artigen Erhöhung einen überragenden Überblick über die gesamte Halle erlaubte. Eine metallene Brüstung verlief entlang der Anhöhe, die gerade so hoch war, dass ein unachtsamer Gast im Adrenalinrausch nicht die knappen zwei Meter auf den Hallenboden stürzen konnte.

Zuerst hatte Jimin dem Konstrukt nur einen beiläufigen Blick erübrigt; wie man eben das Perimeter überprüfte, wenn man mitten in feindlichen Gebiet unterwegs war, aber als das unangenehme Gefühl, dass er beobachtet wurde, nicht abflaute, unterzog er seine Umgebung ein zweites Mal mit seiner ungeteilten Aufmerksamkeit.

Es dauerte kaum einen Atemzug, bis er ihn entdeckt hatte. Alles in allem machte sich sein Beobachter auch keine besonderen Mühen, irgendwie unauffällig zu wirken.

Auf der metallenen Brüstung lehnte der schönste Junge, den Jimin jemals gesehen hatte. Ja, Junge war tatsächlich der richtige Begriff—er konnte nicht älter sein als Jimin selbst—den jugendlichen Jahren noch nicht ganz entwachsen und trotzdem in eine kühne Überheblichkeit gekleidet, die ihn spöttelnd herauszufordern schien, sich doch bitte, bitte mit ihm anzulegen. Sein Haar schimmerte in einem ungebrochenen Blond, das, ebenso wie Jimins an den Wurzeln in Dunkelheit mündete; und dennoch der Illusion keinen Abbruch tat, von Gold durchwirkt zu sein. Er war in einen mit violetten Vichy-Karo ausgelegten Blazer gekleidet, und um seinen Hals schlang sich ein Seidentuch, das wohl als Choker fungierte. Die obersten Knöpfe seines Hemds waren geöffnet und erlaubten einen Blick auf eine ausgeprägte Brustmuskulatur unter schimmernder Haut.

Er musste Jimin wohl um ein ganzes Stückchen überragen; auch wenn es diesem unmöglich war, seine genaue Körpergröße auf die Distanz zu ermitteln, nicht zuletzt aus dem Grund, dass der andere halb auf dem Geländer lehnte.

Seine gespenstisch roten Lippen verzogen sich zu dem Anflug eines Lächelns, kaum, dass Jimins Blick auf ihn fiel. Als er bemerkte, dass er entdeckt worden war, legte er seinen Zeige- und Mittelfinger übereinander und führte sie an seine Stirn; bevor er sie in einer fließenden Bewegung sinken ließ—ein spöttischer Gruß, wie die Anerkennung, ihn zur Kenntnis genommen zu haben—wie Jimin zu spät verstand. Denn kaum, dass der Fremde die Hand sinken gelassen hatte, machte er auf der Stelle kehrt und verließ Jimins Blickfeld, der aufgrund seiner Position am Hallenboden nur den Teil unmittelbar an der Balustrade erkennen hatte können.

„Fuck", stieß er aus, ohne zu wissen, woher sein plötzlich in die Höhe jagender Puls herrührte. Irgendetwas an dem Fremden war auf eine verstörende Art zutiefst beunruhigend gewesen und Jimin hätte seine rechte Hand darauf verwettet, gerade Auge in Auge mit einem hochrangigen Kkangpae gesehen zu haben.

Als die unmittelbar aufgebrandete Panik mit jedem tiefen Atemzug aus seinem Körper verbannt wurde und er seinen Blick wieder an die Bar wandte, entwischte ihm der zweite Fluch. „Fuck!"

Die Stelle an den Tresen, die er eigentlich im Auge behalten wollte, war desertiert—keine Spur war mehr von dem auffälligen Haarschopf des Dealers zu erkennen—und Jimin hätte sich am liebsten geohrfeigt. Er hatte lediglich eine simple Aufgabe gehabt; die Bar im Auge zu behalten, bis Kihyun mit dem Kunden fertig war—und trotzdem hatte er sich ablenken lassen wie ein blutiger Anfänger.

Zutiefst verärgert über sein Versagen stieß er sich von der Mauer ab und steuerte blindlings auf den nächstgelegenen Ausgang zu, der kaum zwei Meter entfernt aus ebendem Wall ragte. Als er gerade durch den Durchgang geschlüpft war, erfasste ihn mit einer unmenschlichen Wucht etwas von der Seite und er wurde aus dem ungerichteten Schwall der allgemeinen Passanten gestoßen, sodass er mit dem Rücken gegen die Wand gedrängt wurde; das einzige, das er in der Hektik erkennen konnte, eine schimmernde Spur von Pink.

Kihyun presste ihn mitleidlos gegen die Mauer, seinen quer erhobenen Unterarm gegen Jimins Kehle gedrückt, sodass er nur verzweifelt nach Luft schnappen konnte wie ein Fisch auf dem Trockenen und zeitgleich schwach gegen den Griff des Älteren anzukämpfen versuchte.

„Wieso verfolgst du mich?", zischte der Dealer durch zusammengebissene Zähne, deutlich angestrengt, ihn unter Kontrolle zu halten. Seine Lippen waren zu einem unnachgiebigen Strich zusammengepresst, während seine Augen wütend funkelten—auch, wenn Jimin meinte, so etwas wie... Angst darin zu erkennen.

I-ihh... br-chh... nur...en 'sknfft", röchelte Jimin und versuchte, sich unter Kihyuns stahlharten Unterarm freizukämpfen. Sein Blickfeld verschwamm zu einem wütenden Pinkton und Kihyuns erschreckend scharf bleibenden Gesicht verweilte unmittelbar vor seinen Augen.

„Wie bitte?", fragte Kihyun verständnislos und starrte ihn aus seinen tiefen, schwarzen Augen an. Jimin kämpfte seinen Arm frei, bekam Kihyuns Handgelenk zu fassen und riss ruckartig daran.

Luft", drängte Jimin ihn und konnte nicht umhin, dass ihm Tränen der Anstrengung in die Augen stiegen.

Als Kihyun bewusst wurde, dass er im Begriff war, die Luftröhre des Jüngeren wie einen Strohhalm zu zerquetschen, ließ er ihn eilig los und beschränkte sich stattdessen darauf, ihn an der Schulter gegen die Wand zu pinnen.

Jimin sog gierig Luft ein; sein Hals brannte wie nach einem unverdünnten Vodka-Shot, und es half nicht, dass Kihyun gerade daran arbeitete, ihm das Schultergelenk auszukugeln. Seit wann war der Dealer so gewaltbereit?

„Also, nochmal...", grollte Kihyun, sorgsam darauf bedacht, seine Kehle diesmal zu verschonen. „Wieso. Verfolgst. Du. Mich?"

„Ich verfolge dich nicht, Yoo", erwiderte Jimin mehr verärgert, nun, da die unmittelbare Gefahr eines Erstickungstod gebannt war, wobei er sich demonstrativ den Hals rieb. „Ich brauche lediglich eine Auskunft von dir und wollte deinen Deal an der Bar nicht stören."

„Wie überaus umsichtig von dir." Kihyun ließ ihn los und Jimin machte sofort einen Schritt von ihm weg. Er hatte seine Lektion gelernt. „So rücksichtsvoll kennt man dich ja gar nicht, Park Jimin."

Jimin stöhnte innerlich auf. Ihm war bewusst gewesen, dass der Dealer ihn verspotten würde, wenn sie sich unter diesen Umständen wieder sahen—und um wirklich ehrlich zu sein; er konnte es ihm nicht verübeln. Auch, wenn er niemals unhöflich zu Kihyun gewesen war, eine gewisse Disposition für Jovialität hatte er ihm gegenüber doch immer an den Tag gelegt. Eine schwer ertragbare Selbstgefälligkeit, die ihm der Ältere nun zurückzahlen würde.

„Gehen wir an die Bar", seufzte Kihyun jedoch stattdessen, als Jimin sich lediglich durch eisernes Schweigen ausgezeichnet hatte. „Ich geb' dir 'nen Drink aus. Für das..."—er vollführte eine beinahe verlegene, schweifende Handbewegung vor der Kehle des anderen—„...Abpressen des Cartilagines Trachaeles."

Als er Jimins Blick auf sich bemerkte, zuckte er bloß mit den Schultern und zog ihn von der Mauer fort. „Mein Mitbewohner studiert Medizin im neunten Semester und lernt gerade auf sein Staatsexamen. Da schnappt man so einiges auf. Glaub' mir."

Während Jimin wortlos hinter ihm her stolperte, und der Dealer ihn durch dieselbe Öffnung in die Wand führte, durch die er vor kaum zwei Minuten in blinder Verärgerung gestürmt war, formulierte er für sich die Frage, ob Kihyun schon immer so... umgänglich gewesen war, oder ob seine Freundlichkeit nur daher rührte, dass Jimin am buchstäblichen Tiefpunkt seiner Existenz angelangt war.

Yoo Kihyun schien wohl wirklich ein gutes Herz in seiner Brust zu tragen—und die Erkenntnis schockierte Jimin mehr als alles andere, das er an diesem Abend in Erfahrung gebracht hatte.

„Ich hab' vorhin mit 'nem Kumpel vor dir Geschäfte gemacht", brach der Dealer das unangenehme Schweigen zwischen ihnen und zupfte eine fedrige Haarsträhne zurecht, die ihm über das Auge gefallen war, indem er sie unter den Schirm seiner SnapBack steckte. „Der Hochgewachsene, Schlaksige... wie hieß er doch gleich?"

Jimin zuckte nur mit den Schultern. Er würde nicht so weit gehen, neben Seojoon jemanden als seinen Freund zu bezeichnen, und vermutlich spielte Kihyun lediglich auf eine flüchtige Bekanntschaft an, die er einmal in Jimins Gegenwart gesehen hatte—kaum jemand, der jetzt noch von Bedeutung war.

Zu ihrem Glück waren an der Bar gerade zwei Hocker nebeneinander freigeworden und Kihyun gab Jimin mit einem höflichen Nicken zu verstehen, dass er ihm den Vortritt überließe. Der Jüngere ließ sich achtlos auf den rechten Stuhl fallen und wandte sich sofort wieder dem Dealer zu, der seufzend den anderen Stuhl unter den Tresen hervorzog und sich neben ihn auf den schwarzen Knautschlederhocker sinken ließ.

„Eigentlich trink' ich nicht während der Arbeit, aber heute mach' ich mal 'ne Ausnahme." Kihyun zog die Getränkekarte heran, die zwischen ihnen auf dem auf Hochglanz polierten Tresen lag. Mit einem beiläufigen, uninteressierten Blick, der davon zeugte, dass er den Inhalt der Karte ohnehin auswendig kannte, scannte er die laminierten Seiten ab, bevor er zufrieden nickte. „Vodka auf Eis, wie immer. Was ist mit dir?"

Jimin räusperte sich verlegen. „Ich... äh, ich trinke nicht."

Zum ersten Mal flackerte in Kihyuns Blick etwas wie tiefgründige Neugierde auf, und er legte den Kopf schief, was Jimin unangenehm an eine Raubkatze erinnerte, die ihre Beute ausgesondert hatte und nun nur noch zu ermitteln brauchte, wie sie am effektivsten zu töten war. Er schluckte hart und wich dem forschenden Blick des Dealers aus.

„Du hast 'nen Entzug hinter dir, nicht wahr?"

Sein Vater hatte ihm damals das Versprechen abgerungen, unter keinen Umständen auch nur einer Menschenseele jemals davon zu berichten, dass er die zwei Monate Schule im Frühjahr der zehnten Klasse nicht aufgrund einer schweren Lungenentzündung versäumt hatte. Er erinnerte sich noch daran, wie er ihn am Tag seiner Freilassung aus der Klinik in Ulsan abgeholt hatte—höchstpersönlich und ohne irgendeinen seiner anzutragenden Berater im Schlepptau—und mit ihm die halbe Stunde nach Busan weitergefahren war, in die ursprüngliche Heimatstadt seiner Familie. Dort waren sie entlang des Piers an der Mole spaziert, hatten heiße Hotteok mit Zimt und Pflaumenmus gegessen und sich den letzten Strahlen der warmen Herbstsonne erfreut. Sein Vater hatte nie viel Zeit für ihn gehabt, und so waren Jimin die zwei Stunden wie eine selten kostbare, unersetzliche Zeit erschienen, die er immer in bester Erinnerung halten würde.

Es ist wirklich von überragender Bedeutung, dass du niemanden erzählst, warum du wirklich in Ulsan warst. Der gedehnte Satoori seines Vaters, den er trotz den langen Jahren, die er im Fokus der gnadenlosen Öffentlichkeit verbracht hatte, nie wirklich verlieren würde, akzentuierte seine Worte mit einer honigweichen Dringlichkeit, gegen die er sich niemals auflehnen könnte. Ich verurteile dich nicht für das, was geschehen ist, Jimin, aber du musst ab jetzt vorsichtig sein, hast du verstanden? Du weißt nicht, was sie mit dir tun würden, wenn sie die Wahrheit erführen.

Das Echo der gehorsamen Bestätigung, die er seinem Vater, dem amtierenden Premier von Südkorea, damals auf dem Pier gegeben hatte, klang in seinen Ohren nach, während Kihyun vor ihm in der bitteren Gegenwart mit den Fingern gegen den Holztisch trommelte.

Jimin hatte seinem Vater damals, vor drei lang verstrichenen Jahren, ein Versprechen gegeben, das für die Erhaltung des guten Rufs ihrer Familie essentiell gewesen war. Aber, dachte er ironisch und ungewöhnlich masochistisch, davon ist nun kaum noch etwas übrig.

„Ja", sagte er deshalb mit fester Stimme und zwang sich, Kihyun geradeaus anzusehen. „Ich bin wegen der Tabletten reingekommen, aber man hat mir damals empfohlen, auch den Alkohol komplett zu streichen."

Kihyun strauchelte nicht im Aufrechterhalten seiner teilnahmslosen Miene, nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde lang, aber Jimin enttarnte seine Apathie dennoch mühelos als eine Form des Selbstschutzes. Wie oft er so etwas wohl hörte? Einmal im Monat? Zwei Mal? Einmal in der Woche? Dass Leute an den Dingen zugrunde gegangen waren, die er ihnen über verstohlene Handschläge überreicht hatte?

Wie früh hatte er wohl seine Empathie heruntergeschraubt? Und wann hatte er sie ganz aufgegeben?

„Dann wohl nur 'ne Cola, was?", meinte er leichtfertig, aber Jimin entging nicht, dass seine Stimme ein klein wenig flacher klang als sonst. Er war erst sechzehn gewesen, als er Kihyuns Bekanntschaft gemacht hatte—und dem Älteren schien offensichtlich gerade ein ähnlicher Gedanke gekommen zu sein.

„Eine Diet Coke wennschon", gab er scherzhaft zurück und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Du weißt gar nicht, was diese gelösten Zucker in Softdrinks einem antun."

„Da kann unser weißer Stoff einstecken." Kihyun lachte leise und Jimin stellte mit milder Interesse fest, dass es das erste Mal war, dass er den Dealer seine Belustigung durch etwas äußern sah, das kein sardonisches Grinsen oder halbherziges Heben der Mundwinkel war. Vielleicht hatte er erst auf seine soziale Ebene sinken müssen, damit sie sich auf Augenhöhe gegenübersahen.

Nachdem Kihyun beim Barkeeper ihre Bestellung aufgegeben hatte, schob er die Getränkekarte über die Tresen nach hinten, sodass keine materielle Barriere mehr zwischen ihnen bestand. Einen Atemzug noch schwieg er, dann: „Du wolltest 'ne Auskunft."

Jimin ahnte, dass er ihn mit seiner Ehrlichkeit bezüglich des absolvierten Entzugs vor wenigen Minuten versöhnlich gestimmt hatte. Der alte Jimin, derjenige, den Kihyun nur als Kunden kannte, hätte mit einer solch brisanten Wahrheit niemals freiwillig herausgerückt. Und vermutlich konnte er die Verzweiflung an ihm riechen.

„Ich wollte eine Auskunft", bestätigte Jimin, just als der Barkeeper mit den zwei bestellten Getränken herannahte und die kondensierten Gläser auf zwei Servietten zu ihnen über die Theke schob.

„Soll ich eine Zeche aufmachen?", wollte er mit einem fragenden Blick auf Kihyun wissen, der den Kopf schüttelte.

„Nein, ich bezahle sofort." Er nestelte an seinem Ärmel herum, bis er eine zerknitterte Zehntausend-Won-Note zutage förderte, die er dem verblüfften Barkeeper hinhielt.

„Ein wirklich ungewöhnlicher Aufbewahrungsort für Geld", brummte dieser und als er sich umdrehte, um in der Kasse nach dem Wechselgeld zu suchen, blickten Jimin und Kihyun sich für den Bruchteil eines Augenblicks an und versuchten unmittelbar danach, das winzige Grinsen zu verstecken, das sich aufgrund der Gewissheit, dass sie ein Geheimnis teilten, nur vertiefte.

Während Kihyun das Restgeld in seine Hosentasche steckte, nahm Jimin einen tiefen Schluck von seiner Cola und musste feststellen, dass er die prickelnde Süße an seiner Zunge gar nicht so schlimm fand, wie er erwartet hatte.

„Lass mich raten", begann Kihyun schließlich ohne Umschweife, nachdem er das halbe Glas in einem Zug geleert hatte und mit einem dumpfen Aufschlag auf den Untersetzer knallen ließ, „es geht um deinen Alten."

„Haarscharf kombiniert, Yoo."

„Ist Teil meines Metiers, Park."

Sie grinsten sich schwach an, und Jimin konnte es kaum für wahr halten, dass er vor weniger als zehn Minuten noch den Unterarmknochen des Älteren in seiner Luftröhre gespürt hatte.

„Mein Vater", begann Jimin langsam und fragte sich, warum er sich gerade vorkam wie auf der Couch eines Psychologen, „war kein guter Mann. Er war reizbar, launisch, impulsiv und oftmals richtiggehend despotisch."

Falls Kihyun sich wunderte, wohin das Gespräch führen sollte, so sagte er nichts, sondern nippte gedankenverloren an seinem Glas, während sein Blick nach wie vor auf Jimin gerichtet war.

„Aber er war kein Heuchler. Er war sich allzeit selbst treu."

Der Dealer schien ihm mühelos folgen zu können. „Der Park Dongsun, den sie auf dieser Drogenparty ermordet aufgefunden haben, ist aus der Rolle des Mannes gefallen, den wir alle kannten, ist dem nicht so?"

Jimin nickte stumm. „Mein Vater hat mich... auf den Entzug geschickt, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Drogen waren für ihn ein Unterpunkt auf dem jährlichen Problemberichts, und nichts, womit er sich selbst die Finger schmutzig machen würde."

„Du glaubst, dass man ihn verleumdet hat."

„Mein Vater hatte viele Fehler, Kihyun, aber Untreue und Drogensucht waren ganz gewiss keine davon."

„Und politische Gegner sind skrupellos", griff der ältere Dealer seine stillschweigende Folgerung auf, als sei sie eine eigene gewesen. „Du glaubst, es waren keine Kkangpae, die deinen Vater ermordet haben, sondern die Demokraten."

„Oder ein Bündnis aus Demokraten und Kkangpae. Zu so einem perfiden Blutbad sind dann doch nur die Clans fähig."

Kihyun blieb unbewegt. „Du willst Informationen über meine Zulieferer. Du willst wissen, ob ich etwas von einer Verschwörung weiß."

Jimin wagte es nicht einmal zu nicken, denn Kihyuns Blick lag kühl auf ihm und schien ihn bis auf die Knochen zu durchleuchten.

„Hör zu, Jimin, ich weiß, wie ernst dir die Sache ist und ich finde dein Streben nach Investigativität bewundernswert, aber es sind hier Dinge am Werk, die wir schiere Lakaien der Obrigkeit nicht verstehen." Er rührte mit seinem Spieß durch das Eis, das auf einer dünnen Schicht Wasser im Glas umher schwamm, und Jimin spürte, wie sein Herz sank. Was hatte er erwartet? Dass Kihyun bereitwillig eine Liste mitsamt Adresse und Handynummer seiner Lieferanten herausrückte, an denen er sich graduell nach oben vorarbeiten konnte?

„Allerdings...", fuhr Kihyun fort und Jimin blickte hoffnungsvoll auf, „kann ich dir einen Tipp geben, welche Richtung sich für deine Nachforschungen vielleicht ganz fruchtbar erweisen wird."

Er warf einen routinierten Blick über seine Schulter, als wollte er sichergehen, dass sie nicht Opfer einer groß angelegten Abhöraktion wurden—ehe er seine Stimme senkte und Jimin sich vorlehnen musste, um über die laute Musik noch etwas zu verstehen: „Du kennst doch sicher Jang Sunghu."

„J-ja", sagte Jimin überrascht. „Mein Vater und er standen sich sehr nahe; Jang war vor Vaters politischer Karriere sein langjähriger Geschäftspartner und Berater." Trotz ihrer jahrzehntelanger Freundschaft war Jang nicht zum Begräbnis aufgetaucht, sondern hatte lediglich einen üppigen Blumenkranz aus sündteuren Winterrosen geschickt, an den Jimin sich seltsamerweise äußerst lebhaft erinnerte. „Ich habe ihn seit dem... Aufkommen des Skandals nicht mehr gesehen."

Kihyun hob beide Hände, als wollte er sich schon im Vorhinein in Unschuld waschen. „Ich weiß auch so gut wie nichts, Gott bewahre, aber... Jang ist uns Dealern bekannt. Sagen wir so. Wenn jemand aus der LPK mit Drogen zu tun hatte, dann er."

Jimin biss sich auf die Unterlippe, während er die Worte seines Gegenübers Revue passieren ließ. Jang Sungho war im Alter seines Vaters gewesen, ein lauter, aufbrausender Mann, den er in seinem Leben vielleicht zwanzig Mal zu Gesicht bekommen hatte. Wann immer er auf Besuch gewesen war, hatten sein Vater und er sich in seinem Büro eingeschlossen, mehrere Flaschen Soju geöffnet und hinter verschlossener Türe über ihre Geschäfte geredet—selbst, als sein Vater seinen Anteil zugunsten der Politik aufgegeben hatte. Einmal, als Jimin kaum elf gewesen war, hatte Sungho sich beim spätabendlichen Verlassen des Hauses in der Türe geirrt und war geradewegs ins Kinderzimmer spaziert, wo Jimin über einer angebrochenen Partie Pokemon Feuerrot eingeschlafen war. Er war rechtzeitig aus dem Schlaf aufgeschreckt, um Sungho in der Tür zu erkennen, der eilig auf der Stelle kehrtgemacht hatte, ohne auf seine verwirrten Rufe zu achten. Seit diesem Tag war Jimin dem ältesten Freund seines Vaters eher argwöhnisch eingestellt und er musste zugeben, dass Kihyuns Worte auf Resonanz stießen.

„Jang Sungho, also", murmelte er grüblerisch und leerte sein Glas in einem letzten, raschen Zug. „Das könnte ein Ansatz sein, der einer Verfolgung wert ist."

Kihyun zuckte mit den Schultern. „Wie gesagt, es ist das, was ich höre. Und ich höre viel."

Die beiden versanken in bedeutungsschweres Schweigen, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt und Jimins Blick wanderte ungewollt zu der Balustrade zurück, an der er nur Minuten zuvor den Unbekannten ausgemacht hatte, bei dessen Erinnerung ihn selbst jetzt noch unter seinem Blazer eine Gänsehaut überkam.

„Kihyun?", platzte er heraus und der Dealer hob überrascht den Blick, als habe er vergessen, dass Jimin neben ihm an den Tresen saß. „Kann ich dich noch etwas fragen?"

„Nur zu", seufzte er, aber es klang nicht halb so ablehnend, wie zum Beginn ihres Gesprächs. Vielmehr resigniert.

„Wie gut kennst du dich mit Kkangpae aus?"

Kihyun lächelte müde. „Ich arbeite für sie, Jimin."

Es war weder eine Bestätigung noch Verneinung seiner implizierten Aussage und so schöpfte er Mut, drehte den Rand seines Glases auf dem Untersetzer umher, bis er ein Loch in die Serviette riss, bevor er sich aufsetzte und nach einem letzten, zwischen ihnen hängenden Moment die Frage äußerte, die ihm seit einer Woche auf der Zunge lag: „Wer ist der... der Purple Rain von Daegu?"

Kihyun erstarrte mitten in der Bewegung, ließ sein Glas abrupt los und packte Jimin am Kragen seiner Jacke, ehe er ihn aus seinem Stuhl bugsierte und ohne auf seine halblauten Proteste zu achten, eilig von der Bar wegzog. Mit einer körperlichen Stärke, die er dem Dealer gar nicht zugetraut hatte, zerrte dieser ihn vollkommen zielstrebig an der Tanzfläche vorbei, bis sie sich wieder im desertieren Bereich vor der Tür wiederfanden, in dem er ihn losließ.

Als er Kihyun ins Gesicht sah, merkte er, dass er noch blasser geworden war.

„Der Purple Rain, heilige Scheiße, Jimin, wo hast du dich da reingeritten?" Sein Atem ging stoßweise, verhakte sich in seiner Kehle und Jimin wurde bewusst, dass es nun schon das zweite Mal war, dass jemand so heftig bei der Erwähnung seines Namens reagierte.

„I-ist er... irgendwie besonders?"

Besonders, Park." Kihyun lachte humorlos. „Das kann mal wohl so sagen." Er zog Jimin weiter in die Schatten der Garderobe zurück, als ihnen aus der allgemeinen Passantenströmung immer mehr neugierige Blicke zuteil wurden. „Wie alt bist du, Kleiner?"

„Zwanzig. Gerade geworden."

„Nun. Wenn wir in dieser Größenordnung bleiben, muss dir zu allererst bewusst werden, dass für Leute wie ihn andere Regeln gelten."

Jimin verstand kein Wort und sein verwirrter Blick schien Bände zu sprechen, denn Kihyun seufzte auf, warf einen erneuten nervösen Blick über seine Schulter, ehe er Jimin noch tiefer in die Jacken zurückdrängte, bis sein Rücken mit der Mauer Bekanntschaft machte.

„Dienstagsmassaker von 2012. Klingelt es da bei dir?"

„Ja. Mein Vater war damals gerade für die zweite Amtsperiode zugelassen worden und eigentlich wollten wir deswegen nach Hawaii fahren; aber als der Notstand ausgerufen wurde, musste er zurückbleiben."

„Dreißig Tote, davon gut elf Zivilisten. Auf offener Straße ermordet. Mitten in Seoul. Hat Südkorea um gut zwanzig Plätze auf der internationalen Sicherheitsliste der UNO zurückgestuft, und gab einen immensen diplomatischen Eklat, wenn du dich erinnerst."

„Ich erinnere mich."

„Nun. Das war Purple Rain. Als er neunzehn war."

Jetzt verstand Jimin auch, warum Kihyun ihn nach seinem Alter gefragt hatte. „Aber wenn er 2012 neunzehn war, dann ist er jetzt erst..."

„...vierundzwanzig, richtig."

Er schnaubte. „Das ist doch viel zu jung. Niemals kann er so ein Blutbad mit neunzehn anrichten, das ist doch erfunden, um seinen Ruf zu speisen, und—"

„Sei leise", zischte Kihyun und drehte sich ein erneutes Mal panisch um. „Victory soll heute hier gesehen worden sein und ich hab' keine Lust mit seinem Knochenmesser im Rücken zu enden, weil du deinen Platz noch lernen musst."

Victory?" War das nicht der Name gewesen, mit dem der Junge aus Sillim-Dong hausieren gegangen war, um die zwei Schlägertypen loszuwerden?

„Sein Scherge. Offensivkämpfer. Bluthund. Was weiß ich." Kihyuns rosafarbenes Haar schlug gegen seine blasse Haut durch, als er Jimin wieder aus den Jacken zerrte und ihn die Treppe ins Erdgeschoss zurückzog. „Geh'n wir vor die Tür, ich muss mit dir reden. Ohne neugierige Ohren in der Nähe."

Er führte Jimin wieder durch den Haupteingang hinaus und dieser bemerkte mit leiser Überraschung, wie erleichtert er war, die lärmintensiven Hallen des Octagons endlich hinter sich zurücklassen zu können. Vor dem Patio angekommen, lehnte Kihyun sich gegen die Hausmauer, zog eine Schachtel Zigaretten aus dem Futteral seines Mantels und zündete sich eine Kippe an, von der er einen gierigen Zug nahm, ehe er das Päckchen wieder in seine Tasche verschwinden ließ. „Ich würd' dir ja eine anbieten, aber ich bin mir fast sicher, dass sie auch auf deiner schwarzen Liste stehen."

„Korrekt."

Kihyun stieß eine Fuhre silbrigen Rauchs aus, der sich zwischen ihnen in der Luft verlor und von den wenigen Regentropfen, die noch vom nachtschwarzen Himmel fielen, unmittelbar zersetzt wurden.

„Okay, hör zu, Jimin", begann er dann, ehe er noch einen tiefen Zug nehmen konnte. „Du warst mir eigentlich immer ziemlich unsympathisch, mit deiner misanthropischen Einstellung gegenüber deinen Freunden und Bittstellern, deiner Selbstgefälligkeit, deiner Eitelkeit und was weiß ich nicht alles. Aber..." Er seufzte tief auf. „...ich musste feststellen, dass dein Herz eigentlich am rechten Fleck sitzt. Und deswegen bin ich jetzt ganz besonders unmissverständlich."

„O-okay."

„Wenn du den Namen Purple Rain hörst, dann will ich, dass du dich schnurstracks umdrehst und in die entgegengesetzte Richtung davonrennst. Selbst, wenn du auch nur eine Spur von Victory siehst, hältst du den Mund, bewegst dich nicht von der Stelle und hoffst, dass er an dir vorübergeht, verstanden? Ist wirklich idiotensicher. So machen wir das alle."

Er musste an die beiden Schläger vor dem Gemischtwarenladen von Sillim-Dong denken, die Kihyuns Ratschlag wohl unwissentlich Punkt für Punkt nachgekommen waren. Er hatte ihnen Feigheit angerechnet, sie unter seiner endlosen Erleichterung verspottet—aber wenn er Kihyuns Worten Glauben schenkte, waren sie erstaunlich tatkräftig gewesen, besonnen sogar.

„Und, Jimin, wenn dich deine Nachforschungen in irgendeiner Weise in Richtung Bang Tan Pa führen sollten, dann sagst du dem Vorhaben bitte schön Auf Wiedersehen, deinen Vater zu amortisieren." Kihyun schnippte seine Zigarette zu Boden und trat beiläufig mit der Schuhspitze darauf, sodass die Glut erstickt wurde.

Bang Tan Pa?"

„Die Gang", soufflierte Kihyun ungeduldig.

„Die Schusssicheren??"

„Ja, das hat was mit ihrer Gründungsgeschichte zu tun. Aber das ist jetzt auch egal. Kkangpae sind ohnehin ein großes No-No, also halt dich am besten aus der Sache raus, bevor es zu spät ist."

Jimin nickte gehorsam, ohne auch nur eine Sekunde daran zu denken, jetzt schon, am buchstäblichen Anfang seiner Nachforschungen, aufzugeben.

„Du wirst meinem gut gemeinten Rat ohnehin nicht folgen", sagte der Dealer just in diesem Moment seufzend. „Also was mache ich mir die Mühe?"

Ihm entschlüpfte ein leises Lachen. „Kihyun, ich kann auf mich selbst aufpassen."

„Ach ja", murmelte er müde. „Und meinen Namen vergisst du am besten auch wieder."

Jimin wusste, dass er scherzte, aber er konnte dennoch nicht umhin, als die Resignation in der Stimme des Älteren festzustellen, der sich offensichtlich für das Schlimmste wappnete.

„Kleiner, ich muss zurück an die Arbeit", meinte er keine Sekunde später und gerade, als er sich zum Gehen wenden wollte, Jimin einen halben Schritt hinter ihm, noch nicht bereit, ihn einfach so davonrennen zu lassen—wurde vor dem Haupteingang ein kleiner Tumult losgetreten.

Eine vibrierende Aufregung schien durch den Boden zu zucken, wie die Erschütterungen der Musik aus dem Inneren, als das Haupttor sich öffnete und ein hochgewachsener, blonder Junge aus dem Inneren des Octagons trat. Es war der wunderschöne, engelsgleiche Beobachter von vorhin, der Jimin mit seinen neugierigen Blicken durchbohrt hatte. Er hatte seinen Arm um ein hübsches Mädchen gelegt, die ihr Glück kaum zu fassen schien, seine Lippen zu einem amüsierten Lächeln verzogen, als seien sie alle Teil eines gigantischen, kosmischen Witzes, den nur er verstand.

Ein unterdrücktes Murmeln brandete in der wartenden Menge auf, als der Blonde sich ungeachtet der Aufmerksamkeit an den Starrenden vorbeischob. Das Mädchen sagte etwas zu ihm und er warf den Kopf in den Nacken, während er lauthals auflachte; ein glockenheller, engelshafter Klang, der sich in Jimins Gehirnwindung festzufahren schien und zu einem Echo der fesselnden Unnahbarkeit wurde. Keine Sekunde später war er ihrem Blickfeld entwischt und Jimin ertappte sich dabei, wie er sich auf die Zehenspitzen stellte, um ihm auch nur einen Sekundenbruchteil länger mit den Augen folgen zu können.

„Ist er ein Idol?", fragte Jimin verwirrt, als die murmelnden Stimmen langsam abschwollen und von dem Blonden endgültig nichts mehr zu sehen war.

„Nein", erwiderte Kihyun gepresst, und ohne ihn anzusehen. „Das ist Victory."

- — -

( author's note )

Oh, endlich ist Victory aufgetreten—obwohl die Geschichte sich ja um einen anderen Charakter dreht, muss ich sagen, dass der Junge mich fasziniert. Messerwerfende Engelskiller sind irgendwie total meins, haha.

Und obwohl ich an sich keine andere Band reinbringen wollte, hat Kihyun sich doch irgendwie hineingeschlichen (wie ist das nur passiert??), und dank ihm kommen wir der ganzen Verschwörung graduell ein wenig näher. (#poorJimin)

Was ich noch sagen wollte: Chrissy, Anna und Aprilia haben mich einer gröberen Anfall exzessiver Schnappatmungen ausgesetzt, als sie am Mittwochabend mit dem offiziellen Fandomnamen für mich als Autorin emporgekommen sind (I sobbed, like, a lot). Deswegen will ich euch drei das Kapitel widmen, ich bin noch immer ein klein wenig... auf der emotionaleren Seite, sagen wir so.
Rose Petals, I'm—

(p.s.: Jikook rules, right Apri?)

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