Parolee

By Neverland_Spn

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Schmerzlich musste Harry erfahren was passiert, wenn man die falsche Richtung einschlägt. Jetzt, fünf Jahre s... More

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IV

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By Neverland_Spn

„Sehr philosophisch," ich grinse leicht, aber auch wenn ich mich über den wenig nützenden Ratschlag lustig mache, lässt er mich besser fühlen. Natürlich ist mir klar, dass es viel einfacher gesagt ist als getan, aber vielleicht ist die Hoffnung doch nicht vollkommen verloren.

Mit meiner neugewonnenen Zuversicht nehme ich mir vor mich gleich morgen über alles zu informieren. Jobchancen, Wohnmöglichkeiten, Staatliche Unterstützung und was es noch so gibt. Denn zugegebener Maßen habe ich daran im Gefängnis keinen Gedanken verschwendet. Ich hätte mich echt besser vorbereiten müssen.

Leider bin ich aber einfach nicht so ein Mensch, der im Voraus plant. Noch nie habe ich daran gedacht was übermorgen sein könnte, geschweige denn aus der Vergangenheit gelernt. Vermutlich ist das der Grund wieso ich die letzten fünf Jahre in diesem stinkenden Loch verbracht habe.

Aber diesmal werde ich meine Chance nutzen. Ich werde mich bessern und mein Leben auf die Reihe kriegen. Ganz sicher. Gleich morgen fange ich an.

Nachdem Morri sich wieder auf seine Pritsche gelegt und mir den Rücken zugedreht hat, ziehe ich die kratzige Baumwolldecke über mich.

Nicht allein die unerträgliche Geräuschkulisse, sondern auch die unzähligen Gedanken, die sich immer wieder im Kreise drehen, halten mich noch einige Zeit wach. Erst als beinahe alle schlafen und die meisten Helfer nach Hause gegangen sind, finde auch ich etwas Ruhe.

Geweckt werde ich durch warme Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht. Aus Angst das wohlige Gefühl würde sofort verschwinden wenn ich sie öffne, lasse ich meine Augen geschlossen. Es ist Ewigkeiten her, dass ich so sanft geweckt wurde. Meistens hat mich das Geschrei der Wärter aus dem Bett gerissen. Da das Fenster meiner Zelle in den überdachten Teil des Hofes reichte, war Tageslicht dort eine Seltenheit.

Erst als mein Magen und meine Blase mich dazu zwingen erhebe ich mich von der knatschenden Pritsche. Zuerst vergewissere ich mich, dass Portmonee und Handy noch da sind, bevor ich das Bad aufsuche.

Noch nie bin ich glücklicher gewesen ein Mann zu sein, damit ich mich wenigstens für das kleine Geschäft nicht setzen muss. Dazu könnte ich mich hier glaube ich nicht überwinden, auch wenn ich befürchte, dass ich es irgendwann muss. Auf dem Weg zur Essensausgabe binde ich mir die Haare wieder zusammen. Ich muss dringend zum Friseur.

Zu meiner Überraschung ist das Frühstück gar nicht so schlecht. Es gibt Brot und verschiedenen Aufstrich und sogar Rührei. Positiv gestimmt setze ich mich an einen freien Tisch. Zwar füllt sich auch dieser nach wenigen Minuten, glücklicherweise bleiben aber beinahe alle Männer eher für sich.

Nachdem ich satt und umgezogen bin mache ich mich auf die Suche nach Emmy. Auch wenn sie mir vermutlich wieder ein Ohr abkaut, wende ich mich lieber an sie, als an jemand Fremdes.

Im Vorratsraum treffe ich sie an, wie sie scheinbar neue Spenden einsortiert. Ein Räuspern sichert mir ihre Aufmerksamkeit.

Bevor sie mich mit Geschwafel überhäuft lege ich ihr mein Anliegen nahe, woraufhin sie nur noch begeisterter zu werden scheint.

„Das ist toll Harry. Natürlich helfe ich dir dabei. Ich bin mir sicher wir kriegen dich gut versorgt! Ich räum das noch schnell ein und dann fangen wir an."

Eine gute halbe Stunde später versichert Emmy mir, dass das alles gar nicht so kompliziert wäre wie es sich anhört, während ich unendliche Broschüren und Formulare vor mir liegen habe und den Unterschied zwischen Tag und Nacht nicht mehr erkenne.

Ein unangenehmer Schmerz breitet sich in meiner Stirn aus, als ich versuche die Texte vor mir zu verstehen. Aber sobald ich denke etwas begriffen zu haben, kommt ein weiter Abschnitt mit etlichen „Wenn" und „Abers".

„Sieh hier Harry", Emmy zieht einen Flyer aus dem Stapel heraus und öffnet ihn vor mir, „Das ist vom Sozialamt, da musst du dich einfach melden. Du legst denen deine Situation da und dann werden die dir einiges zum Ausfüllen geben. Du musst nur aufpassen, dass die dich nicht einfach mit leeren Händen nach Hause schicken, das versuchen die immer wieder. Du hast ein Recht auf Essensmarken und eine Wohnung."

Als Zeichen, dass ich sie verstanden habe, nicke ich leicht, mein Blick liegt jedoch weiterhin auf den Zetteln vor mir.

Angst und Unsicherheit beginnen mich einzunehmen. Ich war noch nie bei einem Amt, noch nie habe ich irgendwelche Formulare ausgefüllt oder ähnliches. Was ist wenn ich etwas Falsches sage und nachher nichts bekomme?

Was, wenn Emmy sich vertan hat und ein ehemaliger Sträfling kein Recht auf solch eine Unterstützung hat?

Auch als die Blondine die ganzen Papiere ordentlich übereinander legt und sich dann von mir verabschiedet, bleibe ich sitzen.

Was habe ich mir eigentlich vorgemacht. Mich ändern, was ein Witz. Niemals werde ich all das schaffen. Wenn ich schon dabei scheitere einfache Broschüren zu verstehen, wie soll ich dann im echten Leben klar kommen.

Vielleicht hätte ich früher mehr in die Schule gehen sollen. Vielleicht hätte ich mir einen Minijob suchen sollen, wie jeder Teenager in meinem Alter.

Ich wünschte ich könnte in der Zeit zurück reisen und alles besser machen. Ich wünschte ich könnte verhindern, dass ich auf die schiefe Bahn gerate.

Aber ich kann nicht. Denn selbst wenn ich Dr. Brown treffen würde und mit seinem DeLorean in die Vergangenheit reisen könnte, würde ich doch alles genauso falsch machen wie damals.

Bevor ich noch den ganzen Stapel an Zetteln wegschmeiße, stopfe ich alles in meinen Rucksack und verlasse die Halle. Dort drin ist es so groß und trotzdem habe ich das Gefühl die Wände würden mich zerquetschen. Ziellos streife ich durch die triste Gegend.

Wie in einem schlechten Film passt sich das Wetter meiner Stimmung an. Nicht dass es reicht, dass es den ganzen Tag schon trüb und bedeckt war, nein, natürlich muss es anfangen zu regnen. Möglichst nah laufe ich an den Häuserwänden entlang, in der Hoffnung die kleinen Vorsprünge der Dächer halten mich trocken.

Auch als mir die Beine wehtun und das Wasser von meinen Haaren aus in mein Gesicht tropft, denke ich nicht dran umzukehren. Ich möchte allein sein und das kann ich in diesem Drecksloch nun einmal nicht. Eigentlich sollte ich es mittlerweile gewohnt sein keine Minute nur für mich zu haben, aber es ist immer noch etwas anderes ob dir ein Zellengenosse auf die Nerven geht oder hundert stinkende Obdachlose.

Frustriert schieße ich einen Stein gegen eine Wand. Der wütende Schrei muss lauter gewesen sein als gedacht, als sich ein Pärchen von der gegenüberliegenden Straßenseite entsetzt zu mir umdreht.

„Was gibt es da zu glotzen?!" Genervt hebe ich den Stein vom Boden auf und werfe ihn in deren Richtung. Einige Meter neben den beiden landet dieser, seinen Zweck erfüllt er trotzdem, das Paar verzieht sich.

Ein Stückchen weiter lasse ich mich auf eine Bank fallen. Dass meine Hose nun wirklich komplett durchnässt ist schiebe ich in meinen Gedanken zur Seite. Es gibt zwar Schöneres, aber auch Schlimmeres. Verzweifelt lege ich meinen Kopf in den Nacken, beobachte wie der Himmel weint – so nannte es jedenfalls meine Mutter immer. „Er weint, weil er ansehen muss, was du zerstörst."

Damals habe ich nicht verstanden was sie meinte. Ich war noch zu klein. Ich dachte sie meinte den Teller, der mir runtergefallen ist, oder die Puppe meiner Schwester, der ich die Haare geschnitten hatte. Erst später verstand ich.

Ihr war das Geschirr egal, die Spielzeuge hatten sie nicht interessiert, die kaputten Türen störten sie nicht. Nicht das war es, weshalb der Himmel weinte. Es war weil ich etwas anderes kaputt gemacht habe. Ich habe sie und ihr Leben zerstört.

Wegen mir ist ihr Freund, mein Vater, abgehauen. Wegen mir konnte sie es sich nicht mehr leisten auszugehen. Wegen mir war ihr Körper mit Dehnungsstreifen überzogen und hatte mehr Kilo drauf als je zuvor. Ich war schuld, dass niemand sie mehr wollte. Es war meine Schuld, dass sie nicht mehr glücklich wurde.

Wegen mir weinte der Himmel und er tut es noch immer.

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Zunächst möchte ich mich für eure bisherige Unterstüzung bedanken.
Ich freue mich über jedes Sternchen und jeden Kommentar <3

Zum anderen möchte ich mich für die lange Wartezeit entschuldigen. Leider habe ich momentan einfach kaum Zeit. Ich hoffe, dass es sich in ein paar Wochen wieder ein wenig regelt. Bis dahin versuche ich weiterhin zwischendurch zu updaten, kann leider nur nichts versprechen.

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