Ella - Die Stille nach dem St...

By sibelcaffrey

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"Du kannst versuchen es zu leugnen, dich zu widersetzen und mich von dir fern zu halten. Ich werde aber nicht... More

Prolog
1. In der Zeit gefangen
2. Der Herr des Hauses
3. Retterin in der Not
4. Die neue Krankenschwester
5. Tatsächlich Zigeunerin?
6. Schlaflose Nacht
7. Gebrochen - Teil 1
8. Gebrochen - Teil 2
9. Der leise Held
10. Der Ball
11. Nass im Regen
12. Der Brief an die Öffentlichkeit
13. Der Verehrer
14. Mi Casa Es Su Casa - Teil 1
15. Mi Casa Es Su Casa - Teil 2
16. Erschwerungen
17. Im Mondschein
18. Rendez-vous mit dem guten Freund
19. provokative Provokation
20. Nathan Kurt
22. Der Kampf - Teil 2
23. Heimweh Teil 1
24. Heimweh Teil 2
25. Wie Du mir, so ich Dir
26. Neues kommt, Altes geht
27. Unerwartete Gäste
28. Du und ich
29. Alles findet seinen Platz
30. Wettlauf gegen die Zeit
31. Alles oder Nichts
32. Schicksal
33. Das Erwachen
34. Prinzipien, welche?
35. Die Zeit rückt näher
36. Liebe, der Zeit zum Trotz
37. Blick in die Zukunft (ENDE)
Epilog
FORTSETZUNG

21. Der Kampf - Teil 1

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By sibelcaffrey

Er hatte mich doch tatsächlich gehen lassen.

Die Enttäuschung, die ich verspürte, konnte ich kaum in Worte fassen. Ich hatte gehofft, dass er mich zurückhalten würde, sobald er mich im Kleid sah. Aber er war kühl, distanziert und wie aus Stein - wie immer. Er hatte keinerlei Emotionen gezeigt und außer, dass ihm Wohltätigkeiten zuwider seien, hatte er auch keine anderen Einwende gehabt.

Wehmütig sah ich aus dem Fenster, als die Kutsche zum Stehen kam.

Breite Treppen führten in das große prachtvolle Gebäude, aus dem gedämpftes Gejubel und Applaus zu hören waren. Am Treppenende stand eine schmale Gestalt im Dämmerlicht der untergehenden Sonne. Ich musste zwei Mal hinsehen, um Mr Bennett - äh, Theo - zu erkennen. Er hatte im Gegensatz zu mir keine Schwierigkeiten mich zu erkennen und lief auf die Kutsche zu, bevor der Kutscher überhaupt von seinem Platz aufstehen konnte, und machte mir die Tür auf.

„Ich dachte schon, du kommst nicht mehr." Die Erleichterung in seiner Stimme war deutlich zu hören. Ich schob meine düsteren Gedanken über Mr Kurt beiseite und zwang mich zu einem Lächeln.

„Entschuldige meine Verspätung. Wartest du schon lange?"

„Nein. Ist schon gut.", er reichte mir die Hand und half mir beim Aussteigen, „Du hast nur die Eröffnungsrede verpasst."

Ich lachte. „Ich denke, das werde ich verkraften können."

Er schmunzelte und bot mir seinen Arm an. „Wollen wir?"

„Sehr gern." Ich hakte mich bei ihm ein und gemeinsam stiegen wir die Stufen auf. Je näher wir dem Eingang kamen, desto lauter wurde die Musik. Die schweren Eichentüren standen sperrangelweit offen und beim Eintreten wurden wir von zwei Butler freundlich begrüßt. Mir wurde der Mantel abgenommen, woraufhin Theo mich mit großen Augen von Kopf bis Fuß ansah.

„Du siehst wunderschön aus, Ella.", bemerkte Theo und lächelte verlegen.

„Danke." Wenigstens einer, dem es gefiel.

„Folgen Sie mir.", bat der Butler und ging voran.

Der Eingangsbereich alleine war bereits atemberaubend, doch wurde von dem großen Saal, in das wir geführt wurden, in den Schatten gestellt. Mehrere Kronleuchter hingen von der Decke und tauchten den Saal durch die Kerzenlichter in einen warmen Ton. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich eine kleine Bühne auf der eine Tafel aufgestellt wurde; Auf der wurde die Spendenzahl geschrieben, die von einer attraktiven Dame nach jeder Spende überschrieben wurde.

Die Musik wurde von einem Streichorchester gespielt, die oben auf einem breiten Balkon standen und auf diese Weise den ganzen Saal mit schöner Melodie erfüllten. In der Mitte wurde in Paaren getanzt. Es schien sich um einen traditionellen Tanz zu handeln, bei dem sich die Paare jeweils gegenüberstanden und in der Mitte dann trafen, um sich herumzudrehen. Der Tanz war mir völlig fremd, aber im Grunde war mir im Moment die ganze Situation ziemlich fremd. Daher war von meinem Einschätzungsvermögen nicht viel zu erwarten.

„Theodor, mein Junge, ich bin froh, dass du es geschafft hast!"

Durch die Menge kam ein älterer Herr mit einer zierlichen Dame mittleren Alters an seiner Hand direkt auf uns zu. Theo ließ mich kurz los, um die ausgestreckte Hand des Herrn zu ergreifen und lächelte breit. „Das hätte ich mir niemals entgehen lassen, Mr Zadora."

„Wie geht es deinem Vater?"

„Besser. Er richtet seine besten Grüße aus, Sir.", versicherte Theo. Während sie sich kräftig die Hände schüttelten, fiel mein Blick auf die Dame an der Seite des Herrn. Sie hörte der Unterhaltung aufmerksam zu, jedoch fiel mir auf, wie sie sich unbewusst am Unterarm kratzte, bis es rot wurde. Vermutlich ein Mückenstich oder etwas ähnliches. Sie hatte ein warmes Lächeln auf den Lippen, aber es war ihr anzusehen, dass der Juckreiz sie sehr störte.

Neben mir wandte sich Theo der Dame zu. Sie ließ ihren Arm los und streckte ihm wie selbstverständlich die Hand aus, die er ehrwürdig ergriff und einen Kuss auf ihre Fingerknöchel hauchte.

„Willst du uns vielleicht deine reizende Begleitung vorstellen, Theodor?", fragte der Herr und musterte mich mit einem Schmunzeln.

„Natürlich." Theo reichte mir seinen Arm, damit ich mich wieder einhaken konnte. „Das ist Ella Blanc. Sie ist Hausmädchen im Anwesen von Mr Kurt."

„Kurt?!" Der Herr machte große Augen. „Wird er uns denn heute Abend mit seiner Anwesenheit beglücken?"

Ich schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln. „Ich muss Sie enttäuschen. Mr Kurt wird nicht kommen."

Er senkte enttäuscht die Schultern. „Ich verstehe. Das wäre vermutlich auch zu viel verlangt."

„Er ist vielbeschäftigt.", erklärte ich und ertappte mich selbst dabei wie ich Mr Kurt in Schutz nahm. Innerlich gab ich mir einen Tritt in den Hintern dafür. Der geldgierige Mr Kurt hatte keinen Schutz verdient, geschweige denn nötig.

„Wie dem auch sei.", kam die Dame zu Wort und tätschelte ihrem Gatten die Hand. „Wir sollten unsere anderen Gäste besser nicht länger warten lassen, Schatz."

Er nickte. „Du hast Recht, Liebling." Dann wandte er sich zu uns. „Genießt den Abend. Und vergesst nicht, dass auch das Geld für das Essen und Trinken am Ende gespendet werden."

Theo nickte, bevor wir uns zum Abschied verbeugten und das Paar wieder in der Menge verschwand.

„Das waren die Gastgeber, nehme ich an.", sagte ich, während Theo mich durch den Saal führte.

„Ja. Mr Zadora und seine Frau veranstalten jedes Jahr diesen Spendenball. Er hatte vorhin die Eröffnungsrede gehalten, in der er sich auch vorgestellt hatte."

Ich nickte. „Ihr scheint euch gut zu kennen?"

„Ich habe früher für ihn gearbeitet.", erklärte Theo, „Ich hatte quasi den Platz meines Vaters eingenommen. Vor zwei Jahren hatte ich aber eine Stelle im Kurt Unternehmen bekommen und arbeite seither nicht mehr für Mr Zadora."

„Geht es deinem Vater denn nicht gut, oder warum hat Mr Zadora nach seinem Wohlergehen gefragt?"

Theo presste kurz die Lippen zusammen, bevor er antwortete. „Er hatte einen Unfall und ist seitdem arbeitsunfähig. Er kann das Haus nicht verlassen."

Ich hob überrascht die Augenbrauen. „Ich hoffe, es ist nichts allzu Ernstes. Ich wünsche ihm gute Besserung."

„Danke." Er lächelte zu mir hinab und drückte sanft meine Hand, die auf seinem Arm ruhte. Dann führte er mich in Richtung der Tanzfläche und löste sich dort von mir. Er stellte sich aufrecht vor mich hin und nahm meine Hand in seine. „Darf ich um diesen Tanz bitten, Mademoiselle?" Er verbeugte sich tief.

Ich musste mir ein Grinsen unterdrücken und knickste ebenso anmutig. „Aber sehr gern, Monsieur."

Er strahlte von einem Ohr zum anderen und zog mich ohne Umschweife mit sich auf die Tanzfläche. Etwas zögerlich legte er mir die rechte Hand auf den Rücken, während er mit der linken meine umschlang. Stark konzentriert blickte er auf unsere Füße, als er mich im Takt der Musik zu führen begann. Auch wenn er mich nicht sonderlich geschmeidig führte, war es dennoch sehr angenehm. Vor allem weil die Musik ihren Höhepunkt erreichte und es wunderschön war inmitten der tanzenden Menge zu sein, während die Töne meine Sinne ergriffen und ich für einen kurzen Moment das Gefühl hatte zu schweben.

Aber mit einem Mal änderte sich etwas im Saal. Mein Blick fiel wie von selbst über Theos Schulter hinweg zur Eingangstür, die zum größten Teil durch murmelnde Gäste verdeckt wurde. Ich konnte nicht umhin, als meinen Hals auszustrecken. Theo bemerkte, dass etwas anderes meine Aufmerksamkeit gewonnen hatte, und drosselte das Tempo. Auf diese Weise konnte ich besser erkennen, was vorne vor sich ging.

Jemand war eingetreten.

Jemand, mit dem die Menge, nicht gerechnet haben musste - denn in unmittelbarer Nähe des Eingangs waren die Gäste stumm geworden und sahen alle auf den soeben Eingetroffenen.

Mir stockte der Atem, als die Menge sich spaltete und er sich einen direkten Weg zu dem Gastgeber bahnte.

Es war Mr Kurt.

Ich stolperte über Theos Fuß.

„Entschuldige.", murmelte ich völlig abgelenkt.

War das ein Traum?

Er war gekommen.

Ich konnte meinen Blick nicht von ihm lösen - auch nicht, als Theo fragte, ob alles in Ordnung sei.

„Ja.", hauchte ich nur, während ich wie gebannt zu Mr Kurt rüber sah, der völlig gelassen eine Unterhaltung mit Mr Zadora zu führen schien. Sie schüttelten sich kräftig die Hände, während Mr Zadora über das plötzliche Eintreffen von Mr Kurt sehr erfreut schien.

Aber niemals war Mr Kurt zum Geld Spenden gekommen. Mr Zadora war ahnungslos und geblendet. Mr Kurt konnte nur egoistische Gründe haben, um hergekommen zu sein...

Was wollte er hier?

Ein Gedanke kam mir in den Sinn, bei dem mein Herz einen Schlag aussetzte.

Mr Kurt war doch nicht meinetwegen gekommen, oder?

Einen anderen Grund konnte es nicht geben! Immerhin war ich vor kurzem erst angekommen. Ob er seine Meinung geändert hatte? Wollte er mich wieder mit nach Hause nehmen?

Mein Herz fing an wie wild gegen meine Brust zu hämmern - und dabei hatte ich mit ihm noch kein Wort gewechselt.

Wie eine Motte, die vom Licht angezogen wurde, wurde auch sein Blick von meinem angezogen. Er hob den Kopf und fand mich ohne Umschweife in der Menge. Braune Augen trafen auf Blaue.

Gerade als ich dachte, etwas in seinen Augen lesen zu können, schwang mich Theo plötzlich um meine Achse und der Blickkontakt wurde unterbrochen. Ich japste überrascht auf, als Theo mich wieder in seinen Armen auffing und zu mir hinab lächelte. Ich war einen Moment völlig perplex, aber zwang mich dennoch dazu das Lächeln zu erwidern. Dann wandte ich meinen Blick wieder zu Mr Kurt. Er hatte die ganze Zeit über nicht den Blick von mir genommen. Sein Blick durchbohrte mich.

Dann fiel mir auf, was Mr Kurt mitansehen musste. Ich tanzte mit Theo.

Ich schluckte schwer bei der Erkenntnis.

Was mochte er wohl denken?

Wie es schien würde ich es bald erfahren, denn er machte einen entschlossenen Schritt in meine Richtung ohne den Blick von mir zu nehmen. Ich wollte gerade in Panik ausbrechen, da wurde er vom Gastgeber zurückgehalten, der scheinbar noch eine Menge mit ihm zu besprechen hatte. Somit war Mr Kurt gezwungen den Blick von mir zu nehmen. In der Sekunde, in der ich seine Augen nicht mehr auf mir spürte, konnte ich wieder aufatmen und eine Last schien von meinen Schultern gefallen zu sein. So als hätte mich die ganze Zeit etwas festgehalten und mich vom Nachdenken abgehalten. Nun hatte ich die Freiheit wieder gewonnen - solange Mr Kurt noch abgelenkt war. Ich nahm meinen Blick von ihm und sah zu Theo, der mich besorgt musterte.

Erst in diesem Moment fiel mir auf, dass die Musik zum Ende kam und die Tanzfläche sich allmählich leerte.

„Geht es dir gut, Ella?", wollte Theo wissen und legte mir eine Hand auf den Oberarm.

Ich hätte nicht lügen können, denn mir war deutlich anzusehen, dass mich Mr Kurts Eintreffen völlig aus der Bahn geworfen hatte. Mr Kurt war meinetwegen gekommen, daran hatte ich keinen Zweifel - nicht nach dem Blick, den er mir zugeworfen hatte. Theo schien aber von alledem nichts mitbekommen zu haben. Seine geballte Aufmerksamkeit galt mir.

Was würde Mr Kurt aber mit Theo machen? Immerhin wusste ich, dass Mr Kurt Theo vor Wochen bereits verboten hatte sich mit mir zu treffen. Theo hatte mir dennoch Briefe geschickt und um ein Treffen gebeten. Mir wurde ganz mulmig bei dem Gedanken, dass sie sich gegenübertreten könnten. Ich wollte auf keinen Fall, dass mitten im Saal eine Szene gemacht wurde.

Ich musste Theo unbedingt von Mr Kurt fernhalten.

Ich fuchtelte mir mit der Hand Luft zu. „Mir ist ganz warm geworden vom Tanzen. Ich würde gerne etwas trinken, Theo."

Er musterte mich einen Moment, aber nickte schließlich. „Was hättest du denn gerne?"

„Lass uns gemeinsam sehen, was es für eine Auswahl gibt.", schlug ich vor und hakte mich bei ihm ein, um ihn zum Gehen zu drängen, als ich Mr Kurts Blick wieder auf mir spürte - ich brauchte nicht hinzusehen, denn nur sein Blick konnte ein solches Kribbeln auf meiner Haut verursachen.

Wenn wir uns nicht sofort in die Menge mischten, würde Mr Kurt direkt auf uns zukommen.

Ich schenkte Theo ein unbekümmertes Lächeln, das ganz und gar nicht meinem Inneren glich, und ließ mich von ihm zum Buffet führen. In der Sekunde, in der wir an den anderen Gästen vorbeigingen und abgeschirmt von Mr Kurts Blicken waren, spürte ich das Kribbeln nicht mehr und wusste, dass Mr Kurt uns in der Menge verloren hatte. Ich atmete kurz erleichtert auf.

„Wenn du Hunger hast, können wir auch kurz etwas zu uns nehmen. Du siehst sehr blass aus. Bitte, halte dich nicht zurück, wenn du einen Wunsch hast.", sagte Theo und legte seine Hand auf meine, die an seinem Unterarm ruhte. Ich sah ihn an und schenkte ihm ein Lächeln. Es war süß, wie viel Mühe er sich gab und wie besorgt er schien.

„Danke, Theo."

Er reichte mir ein Glas und schenkte mir Wasser ein. Natürlich durfte ich außer den Säften und Wasser nichts anderes trinken. Auch wenn den Gegebenheiten entsprechend Alkohol eine gute Wahl gewesen wäre. Aber leider konnte man sich im Leben nicht immer aussuchen, was man bekam. Ich trank das Wasser in einem Schluck aus und bat um mehr. Theo sah mich einen Moment überrascht an, aber sagte nichts, als er nachschenkte.

„Theo!", rief jemand über die Menge und für eine Sekunde setzte mein Herz aus, bis ich erkannte, dass es nicht Mr Kurt war. Gott, warum war ich so angespannt? Es war ja nicht so, als würde Mr Kurt ihm etwas antun, sobald er ihn in die Finger bekam... oder?

Theo lachte neben mir auf und winkte dem Rufenden zu. „Ich bin gleich zurück, ja?", sagte er an mich gewandt, „Ich muss einem alten Freund kurz Hallo sagen."

„Du willst mich alleine lassen?", fragte ich und konnte den panischen Ton in meiner Stimme nicht rechtzeitig unterdrücken.

Theo hob belustigt die Augenbrauen. „Ich glaube kaum, dass dich jemand entführen wird."

Da war ich mir nicht so sicher.

„Du kannst dir solange etwas zu essen holen. Ich bin sofort zurück.", versicherte er mir und verschwand in der Menge.

Ich sah ihm einen Moment hinterher und schluckte schwer, bevor ich über den Köpfen der anderen Gästen nach Mr Kurt Ausschau hielt. Ich würde mich erst entspannen können, wenn ich wüsste, dass er weit genug weg von mir war. Er war jedoch nirgends aufzufinden. Ich fand den Gastgeber in der Menge, aber er war nicht mehr mit Mr Kurt, sondern sprach bereits mit anderen Gästen. War Mr Kurt etwa schon gegangen? Ich sah wie wild durch die Menge, aber er war weg. Vielleicht hatte ich in Mr Kurts Erscheinen zu viel hineininterpretiert? Wie konnte ich auch nur annehmen, dass er meinetwegen gekommen war!

Ha! Mr Kurt würde doch niemals auf ein solches Niveau sinken und mir hinterherlaufen! Was hatte ich mir nur gedacht?!

„Suchst du jemanden?", fragte eine kühle Stimme dicht hinter mir. Ich zuckte vor Schreck zusammen, wobei mir fast das Glas aus den Händen gefallen wäre. Ich drehte mich blitzschnell um, woraufhin das Wasser überschwappte und am Glasrand zu Boden tropfte.

„Mr Kurt.", hauchte ich atemlos. Seine Augen brannten sich in meine. Für eine Sekunde war ich wie versteinert. Er bewegte sich ebenso wenig. Wir sahen uns nur an.

Ich versuchte mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen. „Was tun Sie hier?", fragte ich scheinbar gleichgültig. Er antwortete nicht sofort, sondern legte den Kopf schief und musterte mich, wie ein Raubtier, das den Sprung zum Angriff abschätzte. Ich legte vorsichtig das Glas beiseite und trocknete meine Hände an einer Serviette ab. Er beobachtete jede meiner Bewegungen.

„Nun?", drängte ich ihn, als ich die Stille nicht länger aushielt.

„Du scheinst dich prächtig amüsiert zu haben. Aber du hattest genug Spaß. Wir gehen jetzt.", verkündete er kühl. Es war ein Befehl. In seiner Stimme schwang Autorität, die keine Widerworte duldete.

„Entschuldigung?", stieß ich hervor und hob eine Augenbraue, „Ich bin erst vor einer viertel Stunde gekommen."

„Genau. Und das reicht." Er machte einen warnenden Schritt auf mich zu. Wir standen uns gefährlich nah. „Wir gehen. Jetzt.", befahl er mit Nachdruck.

„Nein.", widersprach ich. Ich wusste nicht, wo ich die Kraft mich zu widersetzen herfand, aber ich war mehr als nur stolz auf mich.

Gerade als er den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, wurde ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. Eine Frau mit einer Spendenbox lief durch die Menge und sammelte Geld ein. Sie sah Mr Kurt hoffnungsvoll an und lächelte. „Sir, würden Sie gerne eine Kleinigkeit spenden? Das Geld wird für Wohltätigkeitszwecken genutzt. Waisenhäuser, Schulen, Obdachlosenheime..." Noch bevor sie ihren Satz beenden konnte, zog Mr Kurt seine Geldbörse aus der Innentasche seines Anzuges und nahm 20 Mark heraus, welchen er ihr reichte.

Die Frau sah ihn mit großen Augen an. Ich verschränkte fassungslos die Arme. „Sie sind hier vermutlich der reichste Mann. Sie könnten ruhig ein wenig mehr spenden, Mr Kurt."

Sein Kiefer zuckte angestrengt, als er mir einen vielsagenden Blick zuwarf. „Es gibt einen guten Grund, warum ich der reichste bin.", knurrt er und griff widerwillig in seine Geldbörse und nahm dicken Stapel Geld heraus, ohne zu zählen.

Die Augen der Dame wurden größer, als sie ohnehin schon waren. Mr Kurt sah sie so finster an, als würde er ihr kein Geld sondern eine Pistole hinhalten. 

Ich unterdrückte mir ein zufriedenes Schmunzeln.

Als die Frau nicht sofort reagierte, murrte er ungeduldig „Nehmen Sie es, bevor ich meine Meinung änder!"

Sie zuckte zusammen und nahm ehrfürchtig und mit vorsichtigen Fingern das Geldbündel entgegen, bevor sie es in die Box einwarf. Sofort wandte er sich wieder mir zu, als würde er es nicht ertragen können hinzusehen. Eilig verschwand sie in der Menge, als befürchte sie, er würde ihr noch die Box aus den Händen reißen. Seinem gequälten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war das gar nicht so unwahrscheinlich.

„Sehr großzügig von Ihnen.", kommentierte ich amüsiert.

Er zog die Augen zu Schlitzen zusammen, als ihm mein Sarkasmus nicht entging. „Das war eine einmalige Sache.", knurrte er und fuhr unbeirrt fort, „Wir gehen jetzt."

Ich blinzelte kurz, als mir wieder einfiel, worüber wir eben noch gesprochen hatten, und schüttelte dann entschlossen den Kopf. „Ganz sicher nicht. Sie haben mir doch selbst erlaubt herzukommen. Wieso haben Sie plötzlich Ihre Meinung geändert?", fragte ich stirnrunzelnd, „War es nicht so, Sir? Hatten Sie es mir nicht erlaubt, oder erinnere ich mich falsch?"

Ein Muskel an seinem Kiefer zuckte. „Ja, das hatte ich.", zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Sie sind doch ein ehrenvoller Mann, der zu seinem Wort steht, Sir.", sagte ich provokativ und sah ihn unschuldig von unten herab an. Ich wusste, dass den Männern aus dieser Zeit die Ehre mehr wert war, als alles andere. „Wollen Sie Ihr Wort etwa brechen?"

Er sah mich lange an, ohne ein Wort zu sagen. Dann glitt sein Blick an mir hinab und blieb an meinem Kleid hängen, bevor ein Schatten über sein Gesicht huschte. „Wenn es sein muss, ja.", knurrte er.

Mir stockte der Atem. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Noch ehe ich verstand, was geschah, hatte er mich am Arm gepackt und zog mich mit sich durch die Menge. Ich versuchte mich aus seinem Griff zu befreien und zog an meinem Arm, aber er ließ nicht locker. „Mr Kurt, die Leute gucken schon!", zischte ich, doch es war ihm sichtlich egal. Ich kämpfte kräftiger gegen ihn an, woraufhin er gezwungen war auf dem halben Weg zum Ausgang an einer Ecke Halt zu machen. Er zog mich in die Nische, wo es eine unscheinbare Nebentür gab, die er mit einer geschmeidigen Bewegung öffnete. Überrascht japste ich auf, als er mich in den Nebenflur zog. Ich sah den Gang hinunter, der Menschenleer war. Scheinbar führte dieser Weg zu den Toiletten oder ähnliches. Mr Kurt schloss die Tür hinter sich und drückte mich gegen die Wand. Er kapselte mich mit seinem Körper von der Außenwelt ab. Niemand konnte mich hier finden. Ich war ihm ausgeliefert.

Er atmete angestrengt und sah mich mit glühenden Augen an. „Es reicht, Ella. Hör auf dich mir zu widersetzen."

„Ich habe die Nase voll davon, dass Sie mich ständig herumkommandieren wollen. Wieso sollte ich jetzt gehen?"

„Die viel wichtigere Frage ist, wieso willst du bleiben?", fragte er zornig zurück.

„Ich bin für Theo hier. Ich kann nicht einfach ohne ein Wort gehen."

Er schnaubte verächtlich. „Tja, zu schade, denn ich lasse dich sicher nicht hier."

„Sie können mich nicht einfach hin und her schieben, wie Ihnen beliebt! Ich bin keine Puppe. Im Anwesen stießen Sie mich weg und ließen mich gehen. Jetzt halten Sie mich fest und wollen, dass ich zurückkomme. Was ist Ihr Problem?!"

Ein Knurren drang tief aus seiner Kehle, bei der ich am ganzen Körper eine Gänsehaut bekam. „Du!", stieß er hervor, „Du bist mein Problem!"

„Wenn das so ist, dann gehe ich besser wieder zu Theo, denn für ihn bin ich keine Bürde!"

Als ich an ihm vorbeigehen wollte, hielt er mich zurück und drückte mich an die Wand. Links und rechts von meinem Gesicht legte er seine Hände an die Wand, um mir jegliche Fluchtmöglichkeit zu nehmen.

„Ich weiß genau, was du versuchst.", knurrte er.

Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Was versuche ich denn?"

„Du versuchst mich zu provozieren, indem du ständig von Mr Bennett sprichst. Und du bist nur zum Ball gekommen, um mich wütend zu machen."

Ich biss mir auf die Unterlippe.

Eigentlich wollte ich wirklich einen spaßigen Abend mit Theo verbringen, aber gleichzeitig war es auch meine Absicht gewesen, eine Reaktion aus Mr Kurt herauskitzeln. Er sollte seine wahren Gefühle mir gegenüber endlich zeigen. Das stimmte. Ich wollte, dass er es bereute, mich geküsst und dann abgewiesen zu haben.

Aber es war nie meine Intention gewesen Theo nur aus diesen Zwecken zu benutzen. Ich wollte wahrhaftig Spaß mit einem guten Freund haben. Außerdem gefiel mir sehr wohl, wie gut er mich behandelte – im Gegensatz zu dem Idioten vor mir.

„Das stimmt überhaupt nicht.", erwiderte ich schließlich atemlos, „Was denken Sie, wer Sie sind? Bilden Sie sich ja nichts ein."

Er senkte das Gesicht. In seinen Augen brannte ein Feuer, das mir den Atem nahm. „Du klingst nicht sehr überzeugend."

„Mir ist völlig egal, was Sie denken." Ich sammelte die ganze Willenskraft, die ich besaß, und drückte ihn von mir. „Wenn Sie nun erlauben, würde ich gerne zu meiner Begleitung zurückkehren."

„Nein.", zischte er, „Ich erlaube es nicht."

„Nur zu schade, dass ich Ihre Erlaubnis nicht wirklich brauche.", sagte ich mit zuckersüßer Stimme und stieß seinen Arm beiseite.

Jedoch schlang er im letzten Moment den besagten Arm um mich und drückte mich zurück an die Wand. „Du bewegst dich auf ganz dünnem Eis, Fräulein. Meine Geduld hat bald ein Ende. Ich werde sicher nicht tatenlos dabei zusehen, wie du in diesem Witz von einem Kleid mit irgendeinem Mann tanzt."

Mir kam mein Korsett mit einem Mal furchtbar eng vor, während wir uns so nah waren. Aber ich durfte jetzt nicht schwach werden. Reiß dich zusammen!

„Lassen Sie mich los.", keuchte ich leise und zog an seiner Hand, die mich eisern festhielt.

„Ich habe keine Lust mich mit dir zu streiten, Ella. Ich habe genug gesehen für heute Abend. Wenn ich sage, dass wir gehen, dann gehen wir!"

„Nein!"

Ein frustriertes Knurren entwich ihm aus seiner Kehle. „Wieso kämpfst du so stur gegen mich an? Was willst du hören, Ella?"

Ich machte den Mund auf, aber schloss ihn wieder. Er musste unbedingt aufhören mich so anzusehen. Mir wurde immer wärmer unter seinem Blick. Ich brauchte Luft!

„Die Wahrheit.", stieß ich schließlich hervor.

Er runzelte verwirrt die Stirn. „Welche Wahrheit?"

„Was Sie wirklich denken."

„Ich sage immer, was ich denke."

„Ja. Das tun Sie.", erwiderte ich, „Aber Sie verheimlichen auch Gedanken, die Sie nicht aussprechen wollen."

"Spiel nicht mit dem Feuer, Ella.", warnte er.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich habe mich bereits an dem Feuer verbrannt. Ich habe keine Angst mehr."

Seine Augen loderten auf, als er verstand, worauf ich hinauswollte. Sein Blick hinterließ eine brennende Spur auf meiner Haut. Nein, sie war kalt. Nein, heiß. So verwirrend, wie er war, waren auch die Gefühle, die er in mir hervor rufte, verdammt!

„Nun gut.", stieß er nach einer gefühlten Ewigkeit hervor. „Du willst die Wahrheit? Die Wahrheit ist, dass ich diesen Spendenball hasse."

Ich schüttelte den Kopf. „Das weiß ich bereits."

„Ich hasse auch dieses Kleid an dir."

„Was?!", fragte ich fassungslos, aber er fuhr ungehindert fort.

„Und ich hasse es, all meine Prinzipien zum Trotz hier her gekommen zu sein, um dich zurückzuholen. Ich hasse es, dass du mich dazu bringst all meine eigenen Grenzen zu ignorieren!"

Ich schluckte schwer und wollte etwas erwidern, aber es kam kein Wort über meine Lippen, daher fuhr er fort. „Egal, wie sehr du es versuchst, ich werde dich hier nicht mit Mr Bennet zurücklassen!" Ich war wie erstarrt, während er die Hände an der Wand zu Fäusten ballte. „Jetzt, wo du bekommen hast, was du wolltest, bist du dran. Du ziehst das nicht weiter in die Länge und kommst jetzt mit nach Hause."

„Ich kann nicht.", widersprach ich, woraufhin er die Stirn runzelte. „Theo wartet auf mich."

„Wieso ist das von Belang?", fragte er verächtlich. In seiner Stimme schwang jedoch etwas Unergründliches mit. Er war wütend, das war mehr als offensichtlich. Aber die Art und Weise, wie er mich ansah, ließ meinen Puls höherschlagen. Die Mischung von kalt und heiß machte mich ganz schwindelig.

Plötzlich löste er eine Hand von der Wand und legte sie quälend langsam um meine Taille. Ich hielt unwillkürlich den Atem an, kurz bevor er mich mit einem Ruck an sich zog. Er ließ keinen Platz zwischen uns. Ich spürte seine Muskeln durch den Stoff seiner Kleidung. Sein Atem streifte immer meine Stirn, wenn sich seine Brust bei jedem Atemzug hob und senkte.

„Hält er dich so?", fragte er mit rauer Stimme dicht an mein Ohr.

Ich verstand nicht, worauf er hinauswollte. Aber um ehrlich zu sein, konnte ich im Moment ohnehin nicht richtig nachdenken - nicht, während er mich so hielt. Ich leckte über meine plötzlich trockenen Lippen, nicht in der Lage zu sprechen.

„Sieht er dich so an?", fuhr er fort, wobei sein brennender Blick eine prickelnde Spur auf meiner Haut hinterließ. Ich traute mich kaum meine Augen von seiner Brust zu nehmen, aber sein Bann zog mich schier an. Ich hob den Blick - und fast so, als hätte er nur darauf gewartet, hielt er ihn augenblicklich fest. In seinen Augen tobte ein Sturm, der mich gefangen hielt. Er schien durch mich hindurch gucken zu können. Ich fühlte mich ihm auf einer ganz neuen Ebene verbunden.

Dann nahm er ohne Zögern meine Hand in seine. Ein Schauder lief mir über den Rücken bei dem Hautkontakt. Er hob meine Hand an und erst als er sich zu der Melodie im Saal, die mir im Moment sehr fern und leise erschien, bewegte, verstand ich, was er tat.

„Tanzt er so mit dir?", fragte er nun.

Die Antwort auf all die Fragen war völlig klar. Ich brauchte keine Sekunde drüber nachzudenken. Die Antwort erschein deutlich vor meinen geistigen Augen.

Nein.

Niemand hatte mich jemals so gehalten wie er. Niemand hatte mich jemals so angesehen wie er. Aber ich konnte ihm das niemals gestehen. Niemals.

„Hör auf." Meine Stimme war nur noch ein Flüstern und klang nicht so überzeugend, wie ich es gewollt hätte. Mir fiel erst im Nachhinein auf, dass ich ihn nicht gesiezt hatte. Ihm schien es aber ebenso wenig aufgefallen zu sein, denn er sagte nichts dazu.

Er hörte aber auch nicht auf mich zu halten. Ganz im Gegenteil spürte ich, wie sich die Hand an meiner Taille anspannte.

„Ich werde dich nicht gehen lassen, Ella.", sagte er leise. Es klang wie ein Versprechen. Mein Herz machte einen Satz bei dem Gedanken. Sein Blick wanderte über mein Gesicht und blieb schließlich an meinen Lippen hängen. Ich wurde fast wahnsinnig bei seinem Blick. Er konnte mich mit solch einer Begierde ansehen, dass mir die Knie weich wurden. Langsam hob ich das Kinn als Zeichen der Einladung. Er verstand, ohne dass ein Wort gesprochen werden musste, und zog mich enger an sich. Er senkte den Kopf und -

Ein markerschütternder Schrei einer Frau durchschnitt die Luft und ließ uns alle aufschrecken. Die Musik wurde abgebrochen, Gäste keuchten entsetzt auf. Im ganzen Schloss wurde es plötzlich völlig still.



*~*~*~*~*~*~*~*

Hallöchen, meine Lieben! 

Ich hoffe das Kapitel hat euch gefallen! 

Ich weiß, dass ungewöhnlich lange nichts kam. Es tut mir sehr leid, aber das Semester hat wieder angefangen und der alltägliche Stress somit auch. Ich werde also unregelmäßiger schreiben können. Aber ihr wisst, dass ich am nächsten Kapitel arbeite und es so schnell wie möglich weiter geht. *drückt euch einen Schmatzer auf die Stirn*

Eure Kommentare motivieren mich sehr und bringen mich immer wieder zum Lächeln! Es freut mich zu wissen, dass ihr - egal, wo und wann ihr das gerade liest - dieselben Emotionen teilt, die ich beim Schreiben gespürt habe. Das ist echt unbeschreiblich. 

Ich hab jeden einzelnen von euch ganz dolle lieb. 

Eure Miss Caffrey <3

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