Ella - Die Stille nach dem St...

By sibelcaffrey

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"Du kannst versuchen es zu leugnen, dich zu widersetzen und mich von dir fern zu halten. Ich werde aber nicht... More

Prolog
1. In der Zeit gefangen
2. Der Herr des Hauses
3. Retterin in der Not
4. Die neue Krankenschwester
5. Tatsächlich Zigeunerin?
6. Schlaflose Nacht
7. Gebrochen - Teil 1
8. Gebrochen - Teil 2
9. Der leise Held
10. Der Ball
11. Nass im Regen
12. Der Brief an die Öffentlichkeit
13. Der Verehrer
14. Mi Casa Es Su Casa - Teil 1
15. Mi Casa Es Su Casa - Teil 2
16. Erschwerungen
17. Im Mondschein
19. provokative Provokation
20. Nathan Kurt
21. Der Kampf - Teil 1
22. Der Kampf - Teil 2
23. Heimweh Teil 1
24. Heimweh Teil 2
25. Wie Du mir, so ich Dir
26. Neues kommt, Altes geht
27. Unerwartete Gäste
28. Du und ich
29. Alles findet seinen Platz
30. Wettlauf gegen die Zeit
31. Alles oder Nichts
32. Schicksal
33. Das Erwachen
34. Prinzipien, welche?
35. Die Zeit rückt näher
36. Liebe, der Zeit zum Trotz
37. Blick in die Zukunft (ENDE)
Epilog
FORTSETZUNG

18. Rendez-vous mit dem guten Freund

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By sibelcaffrey

Ich war nicht immer eine Person gewesen, die wirklich überzeugt und sicher von sich selbst war. Es gab Zeiten, in denen hatte ich mir gewünscht jemand anderes zu sein. Egal wer.

Früher in meiner Jugend trug ich eine Zahnspange und fühlte mich deshalb immer unwohl in meiner Haut. Ich mochte es nicht zu lachen oder zu reden. Jeder Anlass den Mund aufzumachen war für mich die Hölle. 

Nachdem sie mir abgenommen wurde, bekam ich wenig später schlimme Akne auf der Stirn und an den Wangen. Jeder, der in seinem Leben jemals Pickel bekommen hatte, weiß, wie schrecklich es ist anderen Menschen in die Augen gucken zu müssen. Ich war damals von einem Hautarzt zum nächsten gerannt. Keine Creme, kein Waschgel dieser Welt konnte mir helfen. Ich hatte mich nie hübsch genug gefühlt. 

Vor lauter Unglück hatte ich angefangen mehr zu essen. Mit den Jahren verging die Akne und ich kam aus der Pubertät, aber danach plagten mich meine dicker gewordenen Hüften. Die Zahl auf der Waage machte sich immer lustig über mich. Meine Hosen passten mir nicht mehr und ich zwang mich von einer Diät zur nächsten.

Es kam der Tag, an dem ich es satt hatte mich selber fertig zu machen. Ich sah ein, dass ich mich niemals wohl in meinem Körper fühlen würde, wenn ich nicht anfing anders über mich selbst zu denken. Statt mich selbst zu bekämpfen, hatte ich angefangen zu lernen für mich zu kämpfen.

Ich hatte nie wieder zugelassen, dass ich mich selbst nicht wert geschätzt oder gut genug fühlte.

Aber nach dem Kuss hatte ich wieder Selbstzweifel - und ich hasste es.

Eigentlich sollte man sich nach einem Kuss besser fühlen, vielleicht sogar Schmetterlinge im Bauch haben. Aber durch Mr Kurts Abweisung war das alles abhanden gekommen. In mir kochte die Wut, wenn ich nur daran dachte, wie er mich nach Hause geschickt hatte, obwohl er wusste, wie sehr ich mitansehen wollte, was mit Lieutenant Leonor passierte!

Er war nach jenem Abend erst drei Tage später wieder nach Hause gekommen. In diesen drei Tagen bin ich gestorben vor Neugier. Leider wurde diese Neugier auch nach seiner Rückkehr nicht gestillt, denn er erzählte rein gar nichts. Stattdessen machte ich meine eigenen Vermutungen;

1. Er hatte den Offizier getötet und hatte die Tage damit verbracht seine Leiche loszuwerden.

2. Er hatte ihm einen One-Way-Ticket für den Zug gegeben und dafür gesorgt, dass Lieutenant Leonor nie wieder zurückkehren konnte.

3. Er war nur deshalb drei Tage lang nicht nach Hause gekommen, weil er nach dem Kuss nicht wusste, was er tun sollte, und deshalb von mir fernbleiben wollte.

Auch wenn ersteres durchaus möglich war, vermutete ich letzteres. Denn als der Alltag wieder eintrat, schien alles wie früher; Er tat so, als wäre nie etwas passiert. Er behandelte mich wie jede andere.

Nein.

Das stimmte nicht ganz.

Er verhielt sich mir gegenüber schlimmer als vorher, viel kühler und distanzierter. Fast so, als würde er den Kuss bereuen und sich wünschen, es wäre nie passiert.

Ich hasste es, wie er mir das Gefühl gab, es wäre ein Versehen gewesen.

Aber er hatte sich das falsche Opfer ausgesucht! Ich war schon lange nicht mehr das verunsicherte Mädchen aus meiner Jugend. Früher wäre ich wahrscheinlich in Tränen ausgebrochen und hätte mich gefragt, was ich falsch gemacht hatte. Aber nicht heute.

Ich war bereit zu kämpfen.

Ich würde ihm zeigen, mit wem er es zu tun hatte.

Ich würde ihm zeigen, was es hieß, Ella Blanc zu küssen und dann so zu tun, als wäre nichts!

Ich würde ihm zeigen, dass er den Kuss ganz sicher nicht bereute!

„Ella?"

Ich blickte aus den Gedanken gerissen auf und sah in Mr Bennetts überraschtes Gesicht. Er trug einen blauen Anzug, die seine blauen Augen zur Geltung brachten, und hielt in der rechten Hand einen Blumenstrauß. Die blonden Haare hatte er sich nach hinten gekämmt. Er musste sich am Morgen frisch rasiert haben, denn an seinem Hals und der Wange hatte er kleine Schnittwunden. Ich setzte mir das beste Lächeln auf, das ich besaß. Auch wenn mir im Moment nicht zum Lachen zumute war, zwang ich mich gelassen dreinzublicken. Ich stand von dem Brunnenrand auf, auf dem ich eine viertel Stunde auf ihn gewartet hatte.

„Hallo. Ich habe schon auf dich gewartet."

„I-Ich habe nicht damit gerechnet, dass du wirklich kommen würdest.", gestand er und schien mit einem Mal ganz nervös.

Ich musste ehrlich zugeben; Ich war selbst überrascht, dass ich gekommen war. Ich hatte nie geplant wirklich zu dem Rendez-vous zu gehen. Wäre der Kuss nicht passiert, wär ich wahrscheinlich niemals gekommen. Aber nur, um Mr Kurt eins auszuwischen, habe ich mich umentschieden.

Dabei hatte der verehrte Hausherr nicht mal mitbekommen, dass ich überhaupt weg war. 

Es war viel einfacher als gedacht aus dem Haus zu kommen. Ich musste mich weder hinausschleichen, noch jemanden anlügen. Ich hatte Rosalie gebeten mir zu helfen. Genau: Rosalie!

Seitdem sie dachte, ich hätte Gefühle für einen anderen Mann, verhielt sie sich ganz anders mir gegenüber. Sie war zuvorkommender, freundlicher. Es war schon fast ein bisschen unheimlich. Natürlich kaufte ich ihr die nette Fassade nicht ab. Sobald sie hören würde, dass Mr Kurt und ich uns geküsst hatten, würde sie mir das Leben zur Hölle machen. Aber was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß.

Wie dem auch sei; Sie hatte mir freundlicherweise geholfen aus dem Haus zu kommen. Sie hatte Mathilda erklärt, dass wir zu zweit einen Spaziergang machen wollten. Solange wir zusammen belieben, durften wir gehen, aber sollten uns nicht zu weit vom Anwesen entfernen.

Während ich mich nun mit Mr Bennett traf, saß Rosalie alleine auf einer Parkbank in der Nähe des Anwesens und wartete auf meine Rückkehr, damit wir gemeinsam zurück zum Haus gehen konnten. Um ehrlich zu sein, hatte ich sowas nicht von Rosalie erwartet. Sie half mir und wollte nichts im Gegenzug haben. 

Aber vermutlich bekam sie bereits, was sie wollte, wenn ich mich von Mr Kurt fern hielt.

Aber was war nun mit Mr Kurt, fragst du dich? Hatte es ihn interessiert, dass ich das Haus verlassen hatte, obwohl er wusste, dass heute das Rendez-vous mit Mr Bennett anstand? Natürlich nicht!

Der verehrte Herr war nicht einmal Zuhause aufzufinden gewesen, als ich gegangen war. Er war natürlich ein viel zu beschäftigter Mann, als sich Gedanken über mich und mein Rendez-vous zu machen. Aber wir würden ja noch sehen...

Ich lächelte Mr Bennet freundlich zu. „Wieso sollte ich denn nicht kommen?"

Er trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. „Nun ja... Ich dachte, Mr Kurt würde es niemals erlauben."

„Er weiß nicht, dass ich gekommen bin.", gestand ich.

Er machte große Augen und schien jeden Moment einen Anfall zu bekommen. „Was ist, wenn er es erfährt?"


Ich zuckte die Achseln. „Das geht ihn nichts an. Ich wollte kommen, als bin ich gekommen."

Er machte den Mund auf, aber kein Ton kam heraus. Er brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Dann nickte er. Es breitete sich eine merkwürdige Stille aus, bis er auf die Blumen sah, als hätte er sie völlig vergessen. „Oh, die sind für dich." Er reichte sie mir und lächelte verlegen. Ich nahm sie dankend an und roch an ihnen. Es war ein Strauß aus duftenden, farbenfrohen Blumen.

„Wollen wir uns vielleicht zum Opernplatz begeben?", schlug er vor, „Dort soll es heute ein Fest geben."

„Sehr gerne.", antwortete ich ohne zögern.

Mit einem breiten Lächeln ließ er mir den Vortritt. Gemeinsam gingen wir die gefüllten Straßen entlang. Es begaben sich Familien und Paare in Richtung des Festes oder kamen aus der Richtung. Auf dem großen Platz vor der Oper wurden mehrere Stände aufgebaut. Wir gingen zusammen durch die Menge. Es gab verschiedene Spiele zu spielen, wie Dosenwerfen oder Ballons Abschießen. Man konnte Preise oder Lose gewinnen. Es ähnelte sehr den Festen aus dem 21. Jahrhundert und fast erwartete ich schon um die Ecke eine Achterbahn oder einen Riesenrad zu sehen - natürlich gab es etwas dergleichen aber nicht. Musik wurde von einem kleinen, aber lauten Orchester gespielt. Vor ihnen standen dutzende Kinder und Erwachsene, die im Takt klatschten und tanzten. Wir gingen an Essenständen vorbei, an denen lachend getrunken und gegessen wurde.

„Hättest du gerne etwas zu essen?", fragte mich Mr Bennett höflich.

„Nein, das ist überhaupt nicht nötig, Mr Bennett."

„Theo."

„Wie bitte?"

„Bitte nenn mich Theo. Ich finde das Siezen zu aufgesetzt."

Ich lächelte aufrichtig, als ich merkte, dass er sich etwas wohler fühlte. „Gerne, Theo."

Er erwiderte das Lächeln. „Was hältst du von Zuckerwatte? "

„Ich würde nicht nein sagen.", gab ich zu. Sein Lächeln wurde breiter.

„Super. Dann hole ich uns schnell was. Warte hier." Mit diesen Worten verschwand er in der Menge. Ich ließ indes meinen Blick über die Stände wandern. Mir fiel auf, wie sehr ich mich an die altmodischen Gegebenheiten gewöhnt hatte. Es war überhaupt nicht mehr merkwürdig, Männer mit Hüten rumlaufen zu sehen oder Frauen mit bodenlangen Kleidern.

Mein Blick fiel auf einen Spielplatz, auf dem Kinder Fußball spielten. Langsam trat ich näher heran. Die Kinder lachten und liefen dem Ball hinterer, welcher aus Lumpen bestand, die mit einem Faden zu einer Kugel zusammengerollt wurden. Das Tor bestand aus zwei in den Boden gerammten Stöckern. Einer der Jungen bemerkte mich und blieb schwer atmend vor mir stehen. Er hatte sich die Hose bis zum Knie hochgekrempelt. Sein T-Shirt war ganz verdreckt. „Willst du mitspielen?", fragte er geradewegs heraus.

Ich hob überrascht die Augenbrauen. „Ich?"

Er nickte. „Wir brauchen noch jemanden, um Gruppen zu bilden."

Ich blickte an mir hinab. Mein Kleid streifte fast schon den Boden und das Fußballfeld war zugedeckt von Schlamm und Matsch. Was würde Mathilda sagen, wenn ich völlig verdreckt zum Anwesen zurückkehrte?

Ich hob den Blick und sah zu den ganzen Kindern, die ebenfalls stehen geblieben waren. Sie alle sahen mich erwartungsvoll an.

Ach was soll's.

„Okay." Ich trat ohne weitere Zeit zu verschwenden auf den Fußballfeld.

„Was heißt okay?", fragte eins der Kinder den anderen, wobei ich mich abrupt anspannte.

Ups.

„Das ist französisch.", antwortet der Andere besserwisserisch. Ich musste mir ein Schmunzeln unterdrücken. 

„Wie heißt du?", wollte der Junge wissen, der mich zum Spielen eingeladen hatte.

„Ella."

„Ich bin Tom. Du bist bei uns in der Gruppe.", erklärte er und stellte mir meine Mannschaft vor, die aus vier weiteren Kindern bestand. Kurz darauf fingen wir mit dem Spiel an. Ich musste zugeben, in dem Kleid hatte ich es viel schwieriger als die Kinder, aber es machte dennoch Spaß. Den Saum meines Kleides festhaltend lief ich zwischen den Kindern durch das matschige Feld und schaffte auch ein Tor. Ich war so sehr mitgerissen, dass ich vor Freude hüpfte und jubelte und nicht merkte, dass ich ein Eigentor gemacht hatte. Erst als es mir Tom sagte, bekam meine Euphorie einen Dämpfer.

Naja, wenigstens ein Tor.

Das Spiel wurde immer spannender und es stand schließlich Gleichstand, als Mr Bennett mit den Zuckerwatten zurückkehrte. „Ella?", fragte er leicht verstört bei meinem Anblick.

„Nicht jetzt!", brüllte ich, als mir der Ball zugepasst wurde. Ich lief vor und an einem der Gegner vorbei. Aus meinem Augenwinkel sah ich rechtzeitig wie Tom auf der anderen Seite zum Tor vorlief. Ich holte aus und schoss den Ball in seine Richtung. Wie in Zeitlupe flog der Ball über den Köpfen der anderen auf ihn zu. Er sprang hoch und traf den völlig verdreckten Ball mit dem Kopf, woraufhin dieser direkt ins Tor flog. Der kam so überraschend, das selbst der Torwart den nicht hat kommen sehen. Ein großes Gejubel brach aus und ich brauchte einen Moment, um zu merken, dass ich die lauteste war. Ich senkte die hoch gestreckten Arme wieder und strich mein Kleid zurecht. Ich räusperte mich und ging mit geradem Rückgrat auf Mr Bennett zu. Ich nahm ihm die Zuckerwatte ab und lächelte steif. „Wir haben gewonnen.", erklärte ich. 

„Ella! Ella!", rief Tom mir hinterher und kam auf uns zu. „Lass uns noch eine Runde spielen!"

„Ich muss jetzt wirklich gehen, Tom. Ein andermal, ja?"

Er blickte enttäuscht drein. „Versprochen?"


„Versprochen." Ich rubbelte ihm lächelnd durch die Haare und verabschiedete mich dann von den Kindern.

„Du... warst super.", kam Mr Bennett - ups, Theo - zu Wort, als wir uns von dem Fußballfeld entfernten.

„Du siehst überrascht aus.", bemerkte ich lachend.

„Das bin ich auch.", gab er zu, „Ich habe noch nie eine junge Dame Ball spielen sehen."

Ich zuckte die Achseln und zupfte von meiner Watte ein Stück ab. Ich warf es mir in den Mund und genoss, wie das Stück auf meiner Zunge schmolz. „Lass dir etwas gesagt sein; Ich bin nicht wie die meisten jungen Damen."

„Das ist mir durchaus bewusst.", sagte er. In seinen blauen Augen funkelte es anerkennend. Ich musste schmunzeln. So eine Reaktion war ich nicht gewohnt. Für gewöhnlich schimpften die Menschen in diesem Jahrhundert, wenn ich etwas undamenhaftes tat. Vermutlich wären die meisten bereits sauer geworden, weil mein Kleid furchtbar dreckig geworden war. Aber Theo schien ganz gelassen.

Ich fragte mich, ob Theo sich nur tolerant und akzeptierend vorgab, damit ich ihn mochte. Immerhin kannte ich ihn nicht wirklich. Um seine Reaktionen besser unter die Lupe zu nehmen, erzählte ich ihm von meiner Arbeit als Krankenschwester. Er war überrascht, da er nicht wusste, dass ich sowohl als Hausmädchen als auch als Schwester arbeitete. Als ich gestand, dass ich Ärztin sein wollte, hatte er sich nicht lustig drüber gemacht, wie ein gewisser Neandertaler es immer tat.

„Ich finde es ohnehin unnötig Frauen auszuschließen.", antwortete er, „Ich persönlich würde dir zutrauen Doktor zu werden."

Ich sah ihn mit großen Augen an. „Du denkst wirklich so?"

Er sah zu mir hinab und lächelte aufrichtig. Dann hob er plötzlich die Hand und strich mir sanft mit dem Daumen an den Rand meines Mundes. „Du hast da Zuckerwatte.", erklärte er. Ich blinzelte überrascht und wie aus dem Nichts erschien Mr Kurts Gesicht vor meinem geistigen Auge.

Sofort schob ich das Bild beiseite. 
Was sollte das? Wieso musste ich plötzlich an ihn denken?

Theo sah mich fragend an. Aber mein Blick fiel über seine Schulter hinweg zu den tanzenden Menschen vor dem Orchester. „Wollen wir tanzen?", fragte ich, um das Thema zu wechseln, und wartete gar nicht auf eine Antwort. Ich nahm ihm die Zuckerwatte ab, legte sie beiseite und zog ihn mit mir durch die Menge auf die Tanzfläche.

*~*~*~*~*~*~*~*

„Da bist du ja endlich!", zischte Rosalie genervt, als ich auf sie zukam. Ich war inzwischen völlig verdreckt, verschwitzt und außer Atem. Theo und ich hatten einen sehr schönen Tag gehabt - zugegebenermaßen sogar besser als ich erwartet hatte. Beim Abschied hatte er mich noch gefragt, ob ich nicht Lust hätte ihn auf einen Ball nächste Woche zu begleiten. Ich hatte zwar ohne Zögern zugesagt, aber wusste ich noch nicht, wie ich das bewerkstelligen sollte. Da der Ball Abends sein würde, musste ich entweder Mathilda einweihen oder Mr Kurt um Erlaubnis fragen. Beides klang furchtbar in meinen Ohren. Allein bei dem Gedanken lief mir ein kalter Schauer den Rücken runter.

„Wir müssen sofort zurück!", klagte Rosalie neben mir weiterhin und packte mich am Arm, um mich mit sich zu ziehen.

„Wie lange war ich denn weg?"


„Drei Stunden!", zischte Rosalie wütend und strich sich energisch den Schleier über die Schulter, „Mr Kurts Kutsche ist eben vorbeigefahren. Er wird sicher schon zu Hause sein. Bete zu Gott, dass er nicht mitbekommen hat, dass wir weg sind!"

Ich verdrehte die Augen. „Glaub mir, dem wird's egal sein."

„Da wäre ich mir nicht so sicher!"

„Haben wir sein Geld oder seine Zeit verschwendet?"

„Nein?", antwortete sie völlig verwirrt, als verstünde sie nicht, worauf ich hinaus will.

„Genau. Und deshalb wird es ihm egal sein.", versicherte ich achselzuckend.

Sie beäugte mich skeptisch und sah dann an mir hinab, als würde ihr mein Aussehen erst jetzt auffallen. „Sag mal, wie siehst du denn aus? Was habt ihr gemacht?"

„Wir hatten eine Menge Spaß.", antwortete ich mit einem Grinsen, während ich versuchte mit ihrem Tempo mitzuhalten.

„Baden im Matsch macht dir also Spaß?", fragte sie angewidert und bog um die Ecke.

Ich verdrehte die Augen und folgte ihr, während ich ihre spitze Bemerkung gekonnt ignorierte. Das Anwesen kam in Sicht und tatsächlich stand Mr Kurts Kutsche vor dem Tor. Rosalie blieb abrupt stehen und zog mich zur Seite.

„Was soll das?", fragte ich verwirrt.

„Warte." Sie blickte zum Tor rüber. Es vergingen einige Sekunden und ich folgte ihrem Blick, aber vor dem Tor tat sich nichts.

„Worauf warten wir?"

„Wir dürfen Mr Kurt auf keinen Fall begegnen.", warnte sie mich, „Er darf nicht erfahren, dass wir weg waren. Wenn er schon im Haus ist, gehen wir durch die Hintertür rein."

Ich nickte, woraufhin sie sich wieder in Richtung des Tors bewegte. Sie ging eilig voran, wobei es mir schwer fiel mit ihr Schritt zu halten, da sie viel längere Beine hatte als ich. Vor dem Tor sah sie nach links und rechts, als würden wir irgendwelche Drogen schmuggeln und nicht wollen, dass uns jemand folgt. Leise machte sie das Tor auf und schlüpfte rein. Ich folgte ihr auf Zehenspitzen. An der Mauer entlang schleichend, liefen wir um das Haus herum und zur Hintertür. Wir klopften und wenig später machte uns Hilde die Tür auf. Sie war leicht überrascht, als wir uns an ihr vorbei drückten und hastig die Tür hinter uns schlossen.

„Was ist denn mit dir passiert, Ella?", fragte Hilde und sah erschrocken an mir hinab.

„Eine lange Geschichte.", antwortete ich und machte eine wegwerfende Handbewegung.

Rosalie zog sich indes den Mantel und den Schleier aus, bevor sie sich auf einen Stuhl fallen ließ und aufatmete. „Das hätte schief laufen können."

Ich nickte zustimmend und nahm mir erschöpft meinen Schleier ab. „Ich sollte mir besser etwas anderes anziehen, bevor Mathilda mich so sieht."

„Ich würde mich auch gern umziehen.", sagte Rosalie und stand auf. Wir traten gemeinsam aus der Küche. Ich war in Gedanken bereits bei der warmen Dusche, als sich Rosalie neben mir plötzlich verkrampfte. Ich sah verwirrt auf - und verkrampfte mich gleichermaßen.

Mr Kurt stand in voller Pracht am Flurende und blickte uns mit eiskaltem Blick an. Er hatte die Hände in die Hosentasche gelegt, die Schultern komplett angespannt, während seine Mimik nichts deuten ließ. War er gut gelaunt? War er sauer? War er traurig? Man wusste es nicht.

Mein Blut rauschte mir in den Ohren bei seinem Anblick. Obwohl seit dem Kuss bereits Tage vergangen sind, hielt der Effekt auf meiner Haut immer noch an, wie ein Echo in den Bergen.

Rosalie schaffte es hochachtungsvoll zur Begrüßung zu knicksen. Ich tat es ihr gleich, wobei meine Verbeugung weniger geschmeidig aussah.

Mein Blick blieb dabei wie angeheftet an Mr Kurt hängen. Es war merkwürdig. Mal war er ganz nah, Mal ganz fern. Seine distanzierte Art verwirrte mich - und machte mich gleichermaßen wütend.

„Von wo kommt ihr?", fragte er fordernd und knapp. Natürlich kam er direkt zur Sache.

Rosalie machte den Mund auf, aber bekam kein Ton heraus.

„Von einem Spaziergang.", erklärte ich an ihrer Stelle.

Es herrschte kurz Stille. Er zeigte keinerlei Reaktion, bevor er schließlich nickte.

„Du kannst gehen.", wies er an.

Ich entspannte mich sichtlich und wandte mich zum Gehen.

„Ich habe mit Rosalie gesprochen.", kam die kalte Anweisung. „Mit dir habe ich noch ein Wörtchen zu reden, Ella. Ins Wohnzimmer. Jetzt." Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte er sich auf dem Absatz um und ging voran.

Mir sackte das Herz in die Kniekehle und ich sah hilfesuchend zu Rosalie, die genauso ratlos dreinblickte. Ich biss mir auf die Unterlippe und folgte ihm.



*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

Ist ihm wohl doch nicht so egal, wo du warst, Ella! *zwinker*

Ich bin mir sicher, dass Dir die nächsten Kapitel sehr gefallen werden *grins*

Vermutlich hast Du mehr „Ella und Mr Kurt" - Momente in diesem Kapitel erwartet. Aber damit die Zwei sich näher kommen können (und weil Mr Kurt nunmal so ein Sturkopf ist), muss halt ein Dritter dazwischen gehen :3

Ich freue mich jedenfalls schon sehr darauf, die nächsten Kapitel für Dich schreiben zu können. Aber bitte sei nicht böse, wenn es mal länger dauern sollte. Ich habe das Gefühl die Qualität der Kapitel wird schlechter, wenn ich mich zu sehr stresse. Ich will immer noch, dass es gut wird. 

*knickst damenhaft zum Abschied*  Bis zum nächsten Mal, meine Lieben!

Miss Caffrey <3

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